OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.12.2008 - 14 A 2154/08
Fundstelle
openJur 2011, 62906
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 20. Oktober 2006 und sein Widerspruchsbescheid vom 23. April 2007 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger studiert seit dem Wintersemester 2004/05 Betriebswirtschaftslehre an der Universität L. . Im Frühjahr und im Herbst 2005 nahm er an der zur Diplom- Vorprüfung gehörenden zweistündigen Klausur "Betriebswirtschaftslehre A" teil. Die Klausuren wurden jeweils mit "nicht ausreichend (5.0)" bewertet und das Ergebnis dem Kläger mit formlosem Schreiben mitgeteilt.

Im Sommersemester 2006 unterzog er sich dieser Prüfung zum dritten Mal. Diese wurde nunmehr in der Form durchgeführt, dass anstelle der einen zweistündigen Klausur zwei jeweils einstündige Klausuren ("Beschaffung, Produktion und Absatz" und "Investition und Finanzierung") geschrieben wurden. Die Klausur "Investition und Finanzierung" wurde mit "nicht ausreichend (5,0)" bewertet, weil der Kläger nicht die geforderten mindestens 30 von 60 möglichen Punkten erreicht hatte. Die Klausurbewertung wurde ihm mit per Einschreiben übersandtem Bescheid des Beklagten vom 20. 10. 2006 mitgeteilt. Darin wurde ihm außerdem eröffnet, dass ein weiterer Versuch ausgeschlossen sei und er die Diplom-Vorprüfung deshalb endgültig nicht bestanden habe. Dem Bescheid war die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, dass er binnen eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift beim Beklagten Widerspruch einlegen könne.

Mit undatiertem und außer mit der Anrede "Sehr geehrte Damen und Herren" nicht adressiertem Schreiben, beim Beklagten eingegangen am 14. 11. 2006 beantragte der Kläger eine "Nachkorrektur" seiner Klausur mit der Begründung: Bei mehreren Aufgaben müssten zusätzliche Punkte gut geschrieben werden. Außerdem seien für die Aufgabe 3 andere Punktzahlen vergeben worden als nach der Musterlösung vorgesehen. Seine Klausur müsse deshalb als bestanden bewertet werden. Der Prüfer, Prof. T. , werde gebeten, die Klausur und die Punktvergabe selbst noch einmal gewissenhaft zu überdenken.

Mit Schreiben vom 23. 11. 2006 teilte Prof. Dr. T. dem Kläger mit, dass er einem Teil seiner Einwände stattgebe. Aufgrund der Bewertungskorrektur erreiche er nunmehr 29 Punkte. Die Note "nicht ausreichend (5,00)" bleibe bestehen. Dieses Schreiben erhielt der Beklagte in Kopie.

Mit Schreiben vom 23. 2. 2007 kündigte der Kläger an, dass er gegen den Bescheid vom 20. 10. 2006 und das als Widerspruchsbescheid zu beurteilende Schreiben von Prof. Dr. T. vom 23. 11. 2006 Klage erheben werde, es sei denn, der Beklagte gebe zu erkennen, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung vermieden werden könne. Der Beklagte antwortete, dass der Bescheid vom 20. 10. 2006 bestandskräftig geworden sei. Daraufhin legte der Kläger "vorsichtshalber" mit Schreiben vom 13. 3. 2007 Widerspruch gegen die Bescheide vom 20. 10. und 23. 11. 2006 ein.

Mit Bescheid vom 23. 4. 2007 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als verspätet zurück. Der Bescheid vom 20. 10. 2006 sei ihm mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung zugegangen. Er habe frühestens mit dem Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 23. 2. 2007 und damit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist Widerspruch erhoben. Sein am 14. 11. 2006 eingegangenes Schreiben sei ausschließlich ein Antrag auf Nachkorrektur gewesen, dem stattgegeben worden sei.

Mit der bereits zuvor erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht: Er habe gegen den Bescheid vom 20. 10. 2006 mit seinem am 14. 11. 2006 beim Beklagten eingegangenen Schreiben Widerspruch eingelegt. Dieser sei mit Bescheid vom 23. 11. 2006 beschieden worden. Seinem Begehren sei nur teilweise entsprochen worden. Dem Bescheid sei keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt gewesen. Er habe Anspruch darauf, dass seine Klausur als bestanden gewertet werde. Die Klausur erfasse nur einen Teil der früher als "Betriebswirtschaftslehre A" bezeichneten Klausur. Der andere Teil werde nunmehr in der Klausur "Beschaffung, Produktion und Absatz" geprüft. Diese Klausur habe er bestanden und dabei 50 von 60 möglichen Punkten erreicht. Weil in der früher einheitlich geschriebenen Klausur ein Ausgleich zwischen den beiden Teilklausuren bis zu 3 Punkten durchgeführt worden sei, müsse dies auch jetzt gewährt werden. Die Prüfungsaufgaben seien nicht vom Prüfer, sondern von dessen Assistenten gestellt und ein Teil der Prüfungsaufgaben sei in einem rechtlich unzureichenden Antwort-Wahl-Verfahren durchgeführt worden. Außerdem sei die Klausur nur von einem Prüfer bewertet und damit das sich aus dem Hochschulgesetz ergebende Zwei-Prüfer-Prinzip nicht beachtet worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Bescheid des Beklagten vom 20.10.2006 in Gestalt

des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2006 aufzuheben

und

2. dem Beklagten aufzugeben, die Klausur des Klägers in dem

Fach Investition und Finanzierung aus dem Sommersemester

2006 mit der Note "ausreichend" zu bewerten,

hilfsweise,

dem Beklagten aufzugeben, die Klausur des Klägers in dem

Fach Investition und Finanzierung aus dem Sommersemester

2006 nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts

erneut zu bewerten,

hilfsweise,

dem Beklagten aufzugeben, den Kläger zu einem erneuten

Prüfungsversuch zu der Klausur in dem Fach Investition und

Finanzierung zuzulassen,

3. den Bescheid des Beklagten vom 20.10.2006 in Gestalt des

Widerspruchsbescheides vom 23.04.2007 aufzuheben,

4. den Bescheid vom 23.11.2006 in Gestalt des Widerspruchs-

bescheides vom 23.04.2007 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Klage sei unzulässig. Der Kläger habe nicht fristgerecht Widerspruch eingelegt. Bei seinem Schreiben vom 14. 11. 2006 habe es sich nicht um einen Widerspruch gehandelt, sondern um eine Remonstration mit dem eingeschränkten Ziel, die Prüfer zur Überprüfung ihrer Bewertung zu veranlassen. Das Widerspruchsverfahren, das sich gegen ihn als zuständige Prüfungsbehörde richte, habe dagegen auch rechtliche Mängel oder Verfahrensfehler zum Gegenstand. Aus seiner Praxis sei ihm bekannt, dass die Prüflinge diese Unterscheidung von sich aus selbständig oder nach Rücksprache mit ihm zu treffen in der Lage seien und dann gleichzeitig mit dem Nachkorrekturantrag beim Prüfer auch Widerspruch beim Beklagten einlegten mit dem Hinweis, man wolle das Ergebnis des Nachkorrekturverfahrens abwarten, also eine Verfristung der Widerspruchsmöglichkeit nicht riskieren. Im Übrigen griffen die Einwände des Klägers gegen die Prüfungsaufgaben und deren Bewertung nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Bescheid des Beklagten vom 20. 10. 2006 unanfechtbar geworden sei und es sich bei dem Schreiben von Prof. Dr. T. vom 23. 11. 2006 nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt habe.

Der Senat hat die Berufung des Klägers mit Beschluss vom 10. 9. 2008 zugelassen.

Zu deren Begründung wiederholt und vertieft der Kläger sein Klagevorbringen und sein Vorbringen im Rahmen des Zulassungsverfahrens. Dort hatte er zur Frage der Zulässigkeit der Klage geltend gemacht: Es sei nicht Sache des Prüflings, zwischen Remonstration und Widerspruch alternativ und abschließend zu unterscheiden und dabei seine Entscheidung von der Verwaltungsaktsqualität der in Rede stehenden Prüfungsentscheidung bzw. des in Rede stehenden Prüferverhaltens abhängig zu machen. Entscheidend sei, dass der Kläger sich mit seinem beim Beklagten eingegangenen Schreiben vom 14. November 2006 gegen die Prüfungsentscheidung gewendet und deren nochmalige Überprüfung gefordert habe. Es sei ihm ersichtlich um Aufhebung oder Änderung des Bescheides vom 20. 10. 2006 gegangen. Das Schreiben von Prof. Dr. T. vom 23. November 2006 stelle einen förmlichen Widerspruchsbescheid dar, jedenfalls aber eine erneute Bescheidung des Klägers über das Ergebnis seiner Prüfung mit der Folge, dass dem Kläger erneut die Widerspruchsmöglichkeit eröffnet worden sei. Von dieser sei mit Anwaltschreiben vom 13. März 2007 fristgerecht Gebrauch gemacht worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil zu ändern und

a) den Bescheid des Beklagten vom 20. 10. 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. 11. 2006 aufzuheben,

hilfsweise,

den Bescheid des Beklagten vom 20. 10. 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. 4. 2007 aufzuheben,

hilfsweise,

den Bescheid vom 23. 11. 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. 4. 2007 aufzuheben

und

b) dem Beklagten aufzugeben, die Klausur des Klägers in dem Fach Investition und Finanzierung aus dem Sommersemester 2006 mit der Note "ausreichend" zu bewerten,

hilfsweise,

dem Beklagten aufzugeben, die Klausur nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bewerten,

hilfsweise,

dem Beklagten aufzugeben, den Kläger zu einem erneuten Prüfungsversuch in der Klausur zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig und vertieft seine Überlegungen dazu, dass die Bewertung der umstrittenen Klausur nicht zu beanstanden sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Vertreter des Beklagten vorgetragen: Im Entwurf der Diplomprüfungsordnung vom 5. 8. 2005 sei eine Regelung vorgesehen gewesen, um die Zwei-Prüfer-Regelung für Klausuren gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 des Hochschulgesetzes umzusetzen. Davon sei jedoch im Satzungsgebungsverfahren Abstand genommen worden in der Überzeugung, dass mit dem Verzicht auf Regelungen über den Einsatz von zwei Prüfern von der in der gleichen Vorschrift des Hochschulgesetzes eingeräumten Abweichungsmöglichkeit für Studiengänge mit einem Leistungspunktsystem Gebrauch gemacht werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Klage ist zulässig.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Schreiben des Prüfers Prof. Dr. T. vom 23. 11. 2006 weder nach Form noch nach Inhalt als Widerspruchsbescheid anzusehen, so dass insoweit ein eigenständiges Interesse an dessen Aufhebung nicht erkennbar ist. Dennoch ist seine Klage entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht wegen Versäumung der Widerspruchsfrist betreffend den Bescheid des Beklagten vom 20. 10. 2006 unzulässig. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Der Kläger hat mit seinem am 14. 11. 2006 beim Beklagten eingegangenen Schreiben innerhalb der Rechtsmittelfrist Widerspruch eingelegt. Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass ein Rechtsmittelschreiben nicht ausdrücklich das Wort "Widerspruch" enthalten muss. Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus dem Inhalt des Schreibens in entsprechender Anwendung von § 133 BGB erkennen lässt, dass der Rechtsmittelführer sich gegen den Inhalt einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung wendet und deren Überprüfung und gegebenenfalls Änderung anstrebt. Das ist hier der Fall. Der Kläger hatte mit dem förmlichen Bescheid vom 20. 10. 2006 über das Klausurergebnis und das endgültige Nichtbestehen der Diplomvorprüfung eine Rechtsmittelbelehrung erhalten. Er hatte sich mit seinem Schreiben an die dort genannte Widerspruchsbehörde gewandt und zum Ausdruck gebracht, dass er eine Überprüfung und Änderung der Bewertung seiner Klausur in einem Umfang anstrebe, die zugleich eine Revidierung der Entscheidung über das Nichtbestehen der Diplomvorprüfung zur Folge haben würde.

Das Schreiben des Klägers ist entgegen der Auffassung des Beklagten und des Verwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. 4. 1991

- BvR 419/81, 213/83 -, BVerfGE 84, 43,

nicht offensichtlich anders zu verstehen. Wenn gegenüber der für die Entscheidung über Widersprüche gegen Prüfungsentscheidungen zuständigen Behörde Einwände gegen die Bewertung einer Prüfungsarbeit erhoben werden, deren Ergebnis maßgeblich ist für das mit dem gleichen Bescheid mitgeteilte endgültige Nichtbestehen einer Prüfung, kann dies regelmäßig nicht als formloser, nur an den Prüfer gerichteter Rechtsbehelf gewertet werden. Eine solche Remonstration ohne die Wirkung, dass das Vorverfahren gemäß §§ 68 ff VwGO eingeleitet wird, könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn sich der Prüfling trotz ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung unmittelbar an den zuständigen Prüfer wendet oder wenn er gegenüber der Prüfungsbehörde klar stellt, dass seine Einwendung, die dem äußeren Erklärungswert nach ein Widerspruch ist, nur als Remonstration gewertet werden soll. Weder das eine noch das andere ist hier der Fall. Der Umstand, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 14. November 2006 darum gebeten hat, der Prüfer möge persönlich noch einmal die Bewertung seiner Klausur überprüfen, erlaubt keinen anderen Schluss. Denn das gehört zum notwendigen Verlauf des durch die Einlegung des Widerspruchs in Gang zu setzenden verwaltungsinternen Kontrollverfahrens. Auch die Tatsache, dass andere Studierende sich sowohl bei den Prüfern um eine Überprüfung der Bewertung einer Prüfungsleistung bemühen - sei es unmittelbar oder vermittelt durch den Beklagten - als auch förmlich Widerspruch einlegen, rechtfertigt es nicht, das Vorgehen des Klägers verfahrensrechtlich anders zu würdigen. Das Gleiche gilt für den Umstand, dass sich der Kläger selbst bei Anträgen auf Nachkorrektur anderer Klausuren, deren Ergebnisse formlos mitgeteilt worden waren, mit einer formlosen Mitteilung des Nachkorrekturergebnisses durch den jeweiligen Prüfer zufrieden gegeben und nicht auf dem Erlass eines förmlichen Widerspruchsbescheides bestanden hat.

Die Klage ist mit dem ersten Hilfsantrag ihres Aufhebungsbegehrens und dem 2. Hilfsantrag ihres Verpflichtungsbegehrens auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 20. 10. 2006 und sein Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Da der Senat eine Verpflichtung des Beklagten, die Klausur mit "ausreichend" zu bewerten oder sie - ohne eine solche Benotungsvorgabe - neu zu bewerten, nicht aussprechen kann, hat der Beklagte dem Kläger die Möglichkeit einzuräumen, an der Klausur "Investition und Finanzierung" ein weiteres Mal teilzunehmen.

Die Bewertung der Klausur ist rechtswidrig.

Das Bewertungsverfahren verstößt gegen das Zweiprüferprinzip gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz des Hochschulgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (HG) vom 14. 3. 2000, GV. NRW. S. 190 in der Fassung des Hochschulreform - Weiterentwicklungsgesetzes vom 30. 11. 2004, GV. NRW. S. 752, der gemäß Art. 8 Nr. 1 e) des Hochschulfreiheitsgesetzes vom 31. 10. 2006, GV. NRW. S. 474, für den Studiengang des Klägers anzuwenden ist. Danach sollen u. a. die Prüfungsleistungen in denjenigen Prüfungen, deren Bestehen Voraussetzung für die Fortsetzung des Studiums ist, von mindestens zwei Prüfern bewertet werden. Der 2. Halbsatz dieser Vorschrift sieht zwar vor, dass die Prüfungsordnung das Nähere regelt und dass darin für Studiengänge mit einem Leistungspunktsystem abweichende Regelungen getroffen werden können. Das ist mit § 7 Abs. 2 der Diplomprüfungsordnung für den Studiengang Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu L (DO) vom 5. 8. 2005 auch geschehen. Dessen erfolgreicher Abschluss hängt gemäß § 2 Abs. 3 DO vom Erreichen einer bestimmten Anzahl von Leistungspunkten ab. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 DO unterliegt die Diplomarbeit dem Zweiprüferprinzip, wenn das jeweilige Fach von mehr als einer Prüferin/einem Prüfer vertreten wird. Gemäß Satz 2 dieser Vorschrift werden alle übrigen Prüfungsleistungen "grundsätzlich" von einer Prüferin/einem Prüfer bewertet. § 7 Abs. 2 Satz 2 DO ist durch die Ermächtigung im Hochschulgesetz nicht gedeckt. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Die wesentlichen Fragen des Prüfungsverfahrens sind durch Gesetz oder aufgrund einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigung normativ zu regeln. Dazu gehören u. a. Regelungen über die Bewertung von Prüfungsleistungen durch einen oder mehrere Prüfer. Das Zweiprüferprinzip, wie es in § 95 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz HG verankert ist, ist wesentlicher Bestandteil verfassungskonformer prüfungsrechtlicher Verfahrensregeln, insbesondere bei berufsqualifizierenden Abschlüssen. Ein Abweichen von diesem Prinzip, wie es durch den 2. Halbsatz der Vorschrift ermöglicht wird, erfordert jedenfalls dann eine Rechtfertigung, die den Grundrechten des Prüflings aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung trägt, wenn das endgültige Nichtbestehen der letztmöglichen Wiederholungsprüfung zur Einschränkung der Freiheit der Berufswahl führt.

Vgl. dazu Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 2 Prüfungsrecht, 4. Aufl. 2004, Rdnrn. 101 ff, 554 ff; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rdnrn. 8 - 12; jeweils mit zahlreichen Nachweisen .

Mit der Diplomprüfungsordnung wird das Zweiprüferprinzip bei schriftlichen Prüfungsarbeiten für den Studiengang des Klägers bis auf eine umschriebene Ausnahme bei Diplomarbeiten vollständig beseitigt. Das Hochschulgesetz enthält selbst zwar weder Vorgaben zur Abweichungsmöglichkeit noch Regelungen über Inhalt und Ausgestaltung des Leistungspunktsystems. Jedoch spricht der Wortlaut des § 95 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz HG gegen die Annahme, dass der Gesetzgeber mit der Erlaubnis, vom Zweiprüferprinzip abzuweichen, zu dessen völliger Aufgabe bei allen Klausurarbeiten ermächtigen wollte. Das wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Hochschulreform

Landtags-Drucksache 13/5504 S. 83 und 152

ist die Einfügung in § 95 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz HG bezüglich der Studiengänge mit Leistungspunktsystem allein mit personalwirtschaftlichen Aspekten begründet worden. Diesen Aspekten kommt naturgemäß eine hohe Bedeutung zu. Nach den in der Entwurfsbegründung niedergelegten Vorstellungen der Landesregierung sollten jedoch zum Schutz der Studierenden die Abweichungen in der Prüfungsordnung genau benannt werden. Die Einfügung in § 95 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz ist unverändert Gesetz geworden. Der Senat hat deshalb keine Grundlage für die § 7 Abs. 2 Satz 2 DO ersichtlich zugrunde liegende Annahme, dass die Hochschulen durch die Neufassung des § 95 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz HG ermächtigt worden sind, für alle Klausurarbeiten voraussetzungslos vom Zweiprüferprinzip abzuweichen. In § 66 Abs. 2 des nunmehr geltenden Hochschulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 31. 10. 2006, GV. NRW. S. 474, ist denn auch das Kollegialprüferprinzip für alle Abschlussprüfungen sowie für letztmögliche Wiederholungsprüfungen ohne Ausgleichsmöglichkeit zwingend verankert.

Die Bewertung der Klausur ist auch in weiterer Hinsicht verfahrensfehlerhaft. Die Aufgabe 4 ist in Form eines Antwort-Wahl-Verfahrens gestellt worden. Der Prüfling hatte sechs Aussagen als wahr oder falsch zu qualifizieren. Für eine richtig bewertete Aussage gab es zwei Punkte, für eine fehlende Bewertung null Punkte und für eine falsche Bewertung wurde von der in dieser Aufgabe erreichten Punktzahl ein Punkt abgezogen.

Der Senat braucht nicht darauf einzugehen, ob und gegebenenfalls welche normativen Prüfungsrechtsanforderungen an eine solche Prüfungsform zu stellen sind. Trotz der strukturellen Besonderheiten von Antwort-Wahl-Verfahren als Bestandteil von Prüfungen

vgl. Senatsbeschluss vom 4. 10. 2006 - 14 B 1035/06 -, OVGE 50,199 = WissR 39,351 = NWVBl. 2007,115

erscheint eine detaillierte Regelung etwa von absoluten und relativen Bestehensgrenzen jedenfalls um so weniger erforderlich, je kleiner der in einem Antwort-Wahl-Verfahren gestellte Klausuranteil ist. Denn dann können Anforderungen, Antwortverhalten der Studierenden und Ergebnisse in einer Weise überschaubar und differenzierbar sein, wie dies auch bei herkömmlicher Aufgabenstellung der Fall ist.

Jedoch ist das Bewertungsverfahren insoweit rechtsfehlerhaft, als für eine falsche Antwort Punkte abgezogen werden, die durch eine richtige Antwort erreicht worden sind. Das in der Klausur gewählte einfache, auf die Einschätzung als richtig oder falsch abstellende Antwort-Wahl-Verfahren birgt ein hohes Raterisiko. Es ist deshalb zwar verständlich, dass der Prüfer durch die von ihm gewählte Methode der Auswertung versucht hat, dem zu begegnen. Ein Prüfungsverfahren, dessen Ergebnisse Auswirkungen auf die Freiheit der Berufswahl hat, muss jedoch so gestaltet sein, dass es geeignet ist, Aussagen darüber zu gewinnen, welche berufsbezogenen Kenntnisse der Prüfling hat. Einem Bewertungsverfahren, bei dem fehlerfrei erbrachte Prüfungsleistungen als nicht oder schlecht erbracht gewertet werden, weil andere Prüfungsfragen nicht richtig beantwortet worden sind, fehlt diese Eignung.

Vgl. dazu bereits Senatsbeschlüsse vom 4. 10. 2006, a. a. O., und vom 13. 8. 2007 - 14 B 903/07 -.

Ein solches Bewertungsverfahren mag für Lernstandskontrollen oder Prüfungsarbeiten mit Wiederholungsmöglichkeiten hinnehmbar sein und dort seine ausbildungsbezogene Berechtigung haben. Dem Senat ist jedoch keine Methode bekannt, mit der bei schriftlichen Prüfungen im Antwort-Wahl-Verfahren zwischen Prüfungsleistungen unterschieden werden könnte, die ein Prüfling aufgrund seiner Kenntnisse oder durch Erraten erbracht hat. Angesichts dieses Mangels an Differenziertheit und Differenzierbarkeit ist deshalb das vom Prüfer gewählte Antwort- Wahl-Verfahren für die Prüfung des Klägers, deren endgültiges Nichtbestehen zur Folge hat, dass er seine Ausbildung nicht weiterführen kann und er dadurch in seiner Freiheit der Berufswahl beschränkt wird, untauglich und damit rechtswidrig.

Der Beklagte kann nicht dazu verpflichtet werden, die umstrittene Klausur mit der Note "ausreichend" zu bewerten. Es ist den Gerichten verwehrt, Bewertungsmaßstäbe für Klausurbestandteile zu entwickeln, deren Bewertungsverfahren fehlerhaft ist. Vielmehr handelt es sich insoweit um prüfungsspezifische Wertungen. Dafür, dass die Klausur ohne Bewertung der Aufgabe 4 mit "ausreichend" bewertet werden könnte, ist nichts ersichtlich.

Der Beklagte kann auch nicht dazu verpflichtet werden, die Klausur nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bewerten. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte in der Lage wäre, alle Klausuren des in Rede stehenden Klausurentermins nachträglich durch einen Zweitprüfer korrigieren lassen. Der Beklagte hat dazu auch nichts vorgetragen. Die Einschaltung eines zweiten Prüfers nur für die Klausur der Klägers wäre nicht rechtmäßig. Denn nur wenn alle Prüfungsarbeiten eines Termins von allen dazu berufenen Prüfern bewertet werden, ist gewährleistet, dass der individuelle Prüfungsmaßstab eines jeden Prüfers gleichermaßen auf jede der Bearbeitungen angewandt wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. 7. 1998 - 22 A 194/98 -, NJW 1999,305 = WissR 199,82.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen der §§ 132 Abs. 2, 137 Abs. 1 VwGO nicht vorliegen.