VG Köln, Urteil vom 25.04.2017 - 7 K 3110/14
Fundstelle
openJur 2017, 680
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Einstufung eines Präparats als zulassungspflichtiges Arzneimittel.

Sie stellt das Präparat "H. ® Schneller Einschlafen Kapseln" als "Nahrungsergänzungsmittel" her. Das Präparat enthält pro Kapsel neben 50 mg Melissenblätterextrakt 0,5 mg Melatonin. Laut Beipackzettel kann das Mittel zur "Unterstützung des natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus, zur Verkürzung der Einschlafzeit und zur Linderung der subjektiven Jetlag-Empfindung" eingenommen werden. Die Verzehrsempfehlung umfasst zwei Kapseln kurz vor dem Schlafengehen.

Am 26.06.2012 beantragte das Regierungspräsidium Darmstadt als für die Arzneimittelüberwachung zuständige Landesbehörde bei der Beklagten, über die Zulassungspflicht des Präparats zu entscheiden.

Mit Bescheid vom 07.08.2013 stellte die Beklagte fest, dass das Präparat "H. ® Schneller Einschlafen Kapseln" ein zulassungspflichtiges Arzneimittel sei. Zur Begründung führte sie aus, Melatonin habe eine pharmakologische Wirkung, weil es zu einer Wechselbeziehung zwischen den Molekülen dieses Stoffes und Rezeptoren komme, die zu einer direkten Wirkung führe. Melatonin sei ein natürlich vorkommendes Neurohormon, das überwiegend nachts in der Zirbeldrüse im Epithalamus produziert werde. Es sei an der Koordination des Schlafzyklus beteiligt, indem es auf Zellen in bestimmten Hirnregionen wirke. Dabei komme es zu Wechselwirkungen zwischen dem Hormon und den MT1-, MT2- und MT3-Rezeptoren sowie G-Proteingekoppelten Rezeptoren, die insbesondere im Hirn und auf der Netzhaut hätten nachgewiesen werden können. Melatonin beeinflusse auch die Sekretion von luteinisierendem Hormon, Prolaktin, Kortikosteroiden, Schilddrüsenhormonen und Insulin. Es habe zudem Einfluss auf die Körpertemperatur des Menschen. Es scheine immunmodulatorische Effekte auf die Zellen des Immunsystems zu besitzen. Eine schlaffördernde Wirkung scheine auch in niedrigen Dosierungen vorhanden zu sein. In einer Metaanalyse seien zehn klinische Studien betrachtet worden, die für Melatonin in Tagesdosen von 0,5 bis 5 mg eine vergleichbare Wirkung bei Jetlag festgestellt hätten. Dies lasse den Schluss zu, dass Melatonin auch bei Tagesdosierungen ab 0,5 mg eine pharmakologische Wirkung mit klinischen Effekten erziele. Im Nachgang zu den drei Hauptstudien mit insgesamt 681 Patienten ab 55 Jahren, die zu der Zulassung des Arzneimittels Circadin geführt hätten, seien weitere Studien zur Beeinflussung des Schlafverhaltens von Melatonin durchgeführt worden. Hierbei habe sich bei Dosierungen zwischen 0,5 mg und 5 mg ein signifikanter Effekt bei Schlafstörungen wie auch bei Jetlag gezeigt. Zudem sei bereits ab 0,1 mg Melatonin ein hypnotischer Effekt festgestellt worden. Neben den genannten Wirkungen von Melatonin seien auch antioxidative, antiinflammatorische, antimykotische und antivirale Effekte sowie Wirkungen gegen Krebs in zahlreichen Studien beschrieben. Mit der üblichen Ernährung sei die Aufnahme einer entsprechenden Menge an Melatonin nicht zu erzielen. In Lebensmitteln komme Melatonin in derart geringen Mengen vor, dass etwa eine Tonne Gurken oder 200 kg Bananen verzehrt werden müssten, um dem Körper 0,1 mg des Hormons zuzuführen. Da es sich bei dem Präparat um ein Arzneimittel handele, sei es kein Lebensmittel.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 02.05.2014 zurück und vertiefte die Begründung des Feststellungsbescheids.

Am 04.06.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt im Wesentlichen vor, der Umstand, dass Melatonin auch in zugelassenen Arzneimitteln eingesetzt werde, besage nichts über die Einstufung als zulassungspflichtiges Arzneimittel oder Lebensmittel. Es gebe eine Vielzahl von ambivalenten Stoffen, die in Arzneimitteln vorhanden seien, ohne dass zwingend eine pharmakologische Wirkung gegeben sei. Dies sei beispielsweise der Fall bei Vitamin C, Selen und Knoblauch. Der bloße Umstand, dass Melatonin in der Anlage 1 der Arzneimittelverschreibungsverordnung gelistet sei, führe auch nicht zu der Annahme, es handele sich um ein Arzneimittel. Vielmehr sei der Nachweis einer pharmakologischen Wirkung notwendig. Diesen positiv zu erbringenden Nachweis habe die Beklagte jedoch nicht erbracht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs komme die Einstufung als pharmakologisch wirkendes Arzneimittel als Funktionsarzneimittel nur in Betracht, wenn eine therapeutische Wirkung zur Heilung oder Linderung von Krankheiten wissenschaftlich valide belegt sei, nicht die gleichen Wirkungen auch über die übliche Ernährung erzielt werden könnten und eine Erheblichkeitsschwelle einer signifikanten Beeinflussung des Stoffwechsels überschritten sei. Eine erhebliche pharmakologische Wirkung sei nur durch eine Bioverfügbarkeitsstudie nachzuweisen. In der Anreicherungsverordnung 1925/2006/EG sei anerkannt, dass Lebensmittelzutaten auch in höheren Mengen in Lebensmitteln enthalten sein dürften, als über die normale Ernährung aufgenommen werden könne. Aufgrund neuer Erkenntnisse sei zudem nachgewiesen, dass eine vergleichbare Menge an Melatonin über die normale Ernährung aufgenommen werden könne. Diesbezüglich verweist die Klägerin auf eine Stellungnahme des Herrn G. S. , Diplomchemiker und Assessor d.L., vom 02.06.2013 und eine gutachterliche Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Werner Pfannhauser vom 06.12.2013, nach denen die Aufnahme hoher Mengen an Melatonin über den Verzehr von Steinpilzen möglich sei. Auch wurden eine Tabelle mit Lebensmitteln und deren Melatoningehalt sowie ein hieraus entwickelter Menüplan von der Klägerin beigefügt. Auch in anderen Lebensmitteln seien entsprechend hohe Melatoningehalte nachgewiesen. Nach Oladi et. alt., 2014 hätten ca. 230 µg Melatonin pro Gramm Pistazienkerne ermittelt werden können. Danach sei es möglich, mit nur 5 g Pistazien einen Melatoningehalt jenseits von 1 mg aufzunehmen. Dies werde aus gutachterlicher Sicht als realistisch, zumutbar und nicht gesundheitsschädlich angesehen. Auch wenn die Beklagte und der beauftragte Sachverständige Zweifel an der Studie hätten, sei deren Richtigkeit nicht auszuschließen. Nach Brown et. alt., 2012 würde mit der Aufnahme von 10 g Amerikanischer Kranbeeren eine Tagesdosis von 1 mg Melatonin erreicht. Es sei nur entscheidend, ob eine vergleichbare Menge des Inhaltsstoffes eines Produktes auch über die normale Ernährung zugeführt werden könne. Ob dies den üblichen Verzehrmustern entspreche, sei nicht relevant. Da die europäische Arzneimittelbehörde EMA Circadin als Arzneimittel ansehe und gleichzeitig die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA Melatonin als Lebensmittel einstufe, sei ein Nebeneinander dieser beiden Produkte europaweit zulässig.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 07.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt ergänzend vor, ein Verzehr von Steinpilzen könne nicht zu einer täglichen Aufnahme von 1,8 mg Melatonin führen. In der von der Klägerin aufgeführten Studie seien die Steinpilze anhand eines aufwendigen Extraktionsverfahrens gewonnen worden, was nicht mit der normalen Aufnahme von Melatonin durch den Verzehr von Lebensmitteln vergleichbar sei. Weiterhin gebe die Studie zwar bei 100 g Trockensubstanz aus Steinpilzen einen Melatoningehalt von etwa 0,72 mg an. 100 g frische Pilze enthielten jedoch nur 10 g Trockensubstanz, so dass eine tägliche Menge von etwa 1 kg Steinpilzen notwendig wären, um nur 0,72 mg Melatonin aufzunehmen. Die Angaben zu dem Melatoningehalt von Tomaten und Erdbeeren der Klägerin seien falsch widergegeben, da Nanogramm mit Milligramm verwechselt worden sei. Trotz hohen Melatoningehalts sei für 1 mg Melatonin der Verzehr von ca. 10 kg Tomaten oder 100 kg Erdbeeren notwendig. Die Studien von Oladi et. alt. sowie Brown et. alt. seien zu hinterfragen und schwierig zu überprüfen, da zum einen nicht angegeben werde, wie der Melatonin-Standard hergestellt und wie dieser zur Berechnung der Melatoninkonzentration herangezogen worden sei. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Melatonin-Isomere und Tryptophanderivate mitdetektiert worden seien. Die Tryptophanverbindung habe die gleiche Summenformel wie Melatonin. Im Übrigen sei die EFSA - anders als die EMA - nicht für die Einstufung als Lebensmittel oder Arzneimittel zuständig, sondern nur für die wissenschaftliche Bewertung. Dies folge aus Erwägungsgrund 34 VO (EG) Nr. 178/2002. Die Einstufung von Stoffen sei alleinige Aufgabe der Mitgliedstaaten.

Am 27.01.2017 meldete das Paul-Ehrlich-Institut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einen Verdachtsfall von unerwünschten Wirkungen des streitgegenständlichen Präparats in Form eines unkontrollierten Muskelzuckens in den Beinen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses und des genannten Parallelverfahrens sowie die zugehörigen Beiakten Bezug genommen.

Gründe

Die als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Fall 1 VwGO zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid vom 07.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Das streitgegenständliche Präparat bedarf einer arzneimittelrechtlichen Zulassung. Gemäß § 21 Abs. 4 S. 1 Fall 1 AMG entscheidet die zuständige Bundesoberbehörde unabhängig von einem Zulassungsantrag des pharmazeutischen Unternehmers auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels. Die Vorschrift ermächtigt die Bundesoberbehörde, die Zulassungspflicht durch Verwaltungsakt festzustellen.

Vgl. z.B. VG Köln, Urteil vom 08.11.2011 - 7 K 4577/07 -, juris, Rz. 29.

"H. ® Schneller Einschlafen Kapseln" sind in einer Dosierung von 0,5 mg Melatonin (sowie 50 mg Melissenblätterextrakt) je Kapsel ein zulassungspflichtiges Arzneimittel.

Gemäß § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,

1. die entweder zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind

(sog. "Präsentationsarzneimittel") oder

2. die im oder am menschlichen Körper angewendet oder verabreicht werden können, um entweder

a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder

b) eine medizinische Diagnose zu erstellen

(sog. "Funktionsarzneimittel").

Diese Definitionen beruhen auf dem europarechtlichen Arzneimittelbegriff in Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (ABl. L 311 vom 28.11.2001, S. 67), zuletzt geändert durch Richtlinie 2012/26/EU vom 25.10.2012 (ABl. L 299 vom 27.10.2012). Sie sind gemeinschaftsrechtlich vorgeprägt und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs richtlinienkonform auszulegen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.10.2010 - 13 A 1187/10 -, juris, Rz. 22. ff.

Nicht dem Arzneimittelbegriff unterfallen gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 LFGB. Diese Bestimmung verweist auf Art. 2 VO (EG) 178/2002. Danach sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie von Menschen aufgenommen werden, wobei Arzneimittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts, d.h. der Definition in Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG nicht zu den Lebensmitteln gehören. Das Arzneimittelrecht und das Lebensmittelrecht sind folglich in der Weise aufeinander bezogen, als die in Frage kommenden Produkte nur entweder Arzneimittel oder Lebensmittel sein können.

Vgl. . BVerwG, Urteil vom 14.12.2006 - 3 C 40.05 -, juris, Rz. 15 ff.; VG Köln, Urteil vom 08.04.2014 - 7 K 3150/12 -, juris, Rz. 49 m.w.N.

"H. ® Schneller Einschlafen Kapseln" mit einer Dosierung von 0,5 mg Melatonin je Kapsel sind Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AMG. Das darin enthaltene Melatonin ist ein Stoff, der im menschlichen Körper angewendet wird, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische Wirkung zu beeinflussen. Eine pharmakologische Wirkung liegt dann vor, wenn eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen des Wirkstoffs und einem gewöhnlich als Rezeptor bezeichneten Zellbestandteil auftritt, die über die Wirkung hinausgeht, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel hat ("Erheblichkeitsschwelle"). Es ist nicht ausreichend, dass ein Erzeugnis Eigenschaften besitzt, die der Gesundheit im Allgemeinen förderlich sind. Ein Arzneimittel steuert gezielt die Körperfunktionen von außen, während der Körper bei der unspezifischen Aufnahme von Nährstoffen über natürliche Nahrungsmittel die benötigten Bestandteile selbst identifiziert und modifiziert. Dabei sind alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen. Dazu zählen insbesondere seine Zusammensetzung, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann.

Vgl. EuGH, Urteile vom 06.09.2012 - Rs. C- 308/11 (Chemische Fabrik Kreussler) -, juris, Rz. 33 und vom 15.11.2007 - Rs. C-319/05 (Knoblauchkapseln) -, juris, Rz. 55 ff.; BVerwG, Urteile vom 25.07.2007 - C 23.06 -, juris, Rz. 20 f. und vom 26.05.2009 - 3 C 5.09 -, juris, Rz. 13, 18; OVG NRW, Urteil vom 17.09.2013 - 13 A 1100/12 -, juris, Rz. 106 und Beschluss vom 10.12.2014 - 13 A 1202/14 -, juris, Rz. 5 ff.

Fehlt die Eignung, therapeutische Zwecke zu erfüllen, so ist nicht ausgeschlossen, dass es sich dennoch um ein Funktionsarzneimittel handelt. Dies belegt § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AMG, wonach die Zulassung zu versagen ist, wenn das Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit nicht besitzt. Die Bestimmung geht unabhängig von der therapeutischen Wirksamkeit begrifflich von einem Arzneimittel aus. Ohne therapeutische Wirksamkeit fehlt dem Arzneimittel nicht die Arzneimitteleigenschaft, sondern lediglich die Verkehrsfähigkeit.

Vgl. VG Köln, Urteil vom 28.04.2015 - 7 K 395/13 -, juris, Rz. 63 ff. m.w.N.

Ob die Wirkung eines Präparats über diejenige eines zum Vergleich gestellten Lebensmittels hinausgeht, ist nach naturwissenschaftlichen Methoden zu beurteilen. Dabei ist beim Präparat und beim Nahrungsmittel der Zusammenhang zwischen der verabreichten Dosis des jeweiligen Wirkstoffes und der daraus resultierenden Wirkung in den Blick zu nehmen. Maßgeblich ist einerseits, ob Präparat und Lebensmittel hinsichtlich des interessierenden Wirkstoffs bioäquivalent sind. Dies ist dann der Fall, wenn zwei wirkstoffgleiche Arzneimittel, die sich im Herstellungsprozess und/oder bei den enthaltenen Hilfsstoffen unterscheiden, ohne Gefahr für den Patienten austauschbar sind. Hiervon geht man in der Pharmakokinetik aus, wenn zwei Mittel sich hinsichtlich ihrer Bioverfügbarkeit nicht oder nur wenig (? 20 %) unterscheiden. Das bedeutet, dass die Plasmakonzentrations-Zeit-Kurven weitgehend deckungsgleich und auch die interindividuellen Schwankungen in den Wirkstoffkonzentrationen deckungsgleich sein müssen. Die Bioverfügbarkeit ist eine pharmakologische Messgröße darüber, wie schnell und in welchem Umfang ein Stoff aufgenommen (resorbiert) wird und am Wirkort zur Verfügung steht. Die Umwandlungsprozesse von Fremdsubstanzen (Biotransformation) finden vor allem in der Leber und (meist) untergeordnet in anderen Organen, z. B. im Darm, in der Niere, der Lunge, der Milz, der Muskulatur, der Haut oder im Blut statt.

Vgl. Mutschler u.a., Arzneimittelwirkungen - Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie, 8. Aufl., S. 21 f., 41 f.

Da eine aus unterschiedlichen Quellen zugeführte Dosis eines Wirkstoffs dem Körper nicht zwangsläufig in derselben Dosis nach der Biotransformation am Wirkort zur Verfügung steht, ist die Vergleichbarkeit des vertriebenen Nahrungsergänzungs- und des Lebensmittels durch eine Bioäquivalenzstudie zu belegen.

Vgl. dazu auch hinsichtlich Melatonin: LG München I, Urteil vom 26.04.2016 - 33 O 5198/14 -, UA S. 14.

Eine solche Studie liegt hier nicht vor. Dies geht zu Lasten der Klägerin. Denn es ist Sache des Unternehmers, die Eigenschaften des von ihm in Verkehr gebrachten Produktes vollständig und nachvollziehbar darzulegen. Zwar ermittelt die zuständige Behörde im ordnungsbehördlichen Verfahren gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG den Sachverhalt von Amts wegen. Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung und die an ihr Ergebnis geknüpften Folgen, namentlich die Frage nach der Darlegungs- und Beweislast, bestimmen sich jedoch nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht. Im Rahmen der Entscheidung gemäß § 21 Abs. 4 S. 1 Fall 1 AMG ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im übergeordneten Interesse der Arzneimittelsicherheit im öffentlichen Interesse ermächtigt, die Zulassungspflicht durch Verwaltungsakt festzustellen. Hierbei wird es der Behörde naturgemäß nur in Ausnahmefällen möglich sein, die Qualifizierung eines Produkts als Funktionsarzneimittel ohne Mitwirkung des Unternehmers positiv festzustellen. Dieser ist es, der sein Produkt in allen seinen Eigenschaften, insbesondere in seiner Zusammensetzung und Wirkweise, vollständig beherrscht. Bietet ein Produkt erhebliche Anhaltspunkte für ein Funktionsarzneimittel, ist es am Unternehmer, verbleibende Unklarheiten durch Vorlage entsprechenden Datenmaterials zu beseitigen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass solche Anhaltspunkte aufgrund der begründeten Stellungnahme der zuständigen Landesbehörde vorliegen, vgl. § 21 Abs. 4 S. 2 AMG. Sie können auch in Zulassungen vergleichbarer Arzneimittel - wie hier Circadin - gesehen werden. Kann der Unternehmer angesichts dessen die Unklarheiten nicht beseitigen, geht dies zu seinen Lasten. Er befindet sich insoweit in einer dem Antragsteller im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren vergleichbaren Lage. Auch ist das Gericht nicht im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes nach § 86 VwGO gehalten, weitere Sachaufklärung, etwa durch die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens, zu betreiben, solange sich die Bewertung der Ordnungsbehörde im hier maßgeblichen Zeitpunkt als zutreffend erweist. Dem Unternehmer verbleibt vielmehr die Möglichkeit, sich bei Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Wirkmechanismus seines Produkts bei der Behörde um die Aufhebung der Feststellungsentscheidung zu bemühen.

S.a. VG Köln, Urteil vom 14.02.2012 - 7 K 5340/10 -, juris, Rz. 82 ff. zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten im Rahmen von § 69 Abs. 1 AMG, sowie Urteil vom 04.04.2017 - 7 K 4479/15 -.

Die Wirkungsweise von Melatonin ist pharmakologischer Natur. Sie besteht darin, dass es als Hormon auf bestimmte Rezeptoren von Hirnzellen und Zellen auf der Netzhaut einwirkt. Die über diese Rezeptoren ausgelöste Wirkung äußert sich unter anderem darin, dass es die Koordination des Schlafzyklus beeinflusst. Die Rezeptoren im Hirn befinden sich im circadianen System - der "inneren Uhr" -, das im Nucleus suprachiasmaticus des Hypothalamus liegt; sie übermitteln die schlaffördernden und chronobiotischen Wirkungen des Melatonins. Zudem gibt es wissenschaftliche Hinweise auf weitere Wirkungen wie etwa einen Einfluss auf die Sekretion von anderen Hormonen und die Körpertemperatur sowie auf immunmodulatorische, antioxidative, antiinflammatorische, antimykotische und antivirale Effekte sowie auf Wirkung bei Krebs. Danach löst Melatonin über die Aktivierung von Zellrezeptoren bestimmte Wirkungen auf Körperfunktionen aus, von denen zumindest der Einfluss auf den Schlaf-Wach-Rhythmus als wissenschaftlich gesichert angesehen werden kann. Ein solcher Wirkmechanismus entspricht gerade dem Wesen eines Hormons, das als Wirkstoff dazu dient, im Körper bestimmte Prozesse anzutreiben bzw. zu steuern. Eine pharmakologische Wirkung mit nennenswerter Beeinflussung der physiologischen Funktionen ist nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse auch für eine Melatonindosierung von 0,5 mg pro Kapsel zu bejahen. Schon eine Melatonin-Dosierung ab 0,1 bis 2 mg erhöht den Plasmaspiegel auf den physiologischen Spitzenwert in der Nacht und dürfte damit unweigerlich auf die Koordination des Schlafzyklus einwirken.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.12.2014 - 13 A 1202/14 -, juris, Rz. 5 ff.; VG Köln, Urteil vom 08.04.2014, a.a.O., Rz. 55 ff. m.w.N.; LG Berlin, Urteil vom 18.02.2016 - 52 O 146/15 -, juris, Rz. 40 ff.

Unabhängig davon sind melatoninhaltige Lebensmittel durchweg nicht geeignet, den Körper bei angemessenen Verzehrmengen mit einer täglichen Melatonindosis von mindestens 0,5 mg zu versorgen.

Vgl. dazu bereits: VG Köln, Urteil vom 08.04.2014, a.a.O., Rz. 75.

Die Klägerin hat das Gericht auch nicht davon überzeugen können, dass dies bei bestimmten Pistazien oder Amerikanischen Kranbeeren anders wäre. Insbesondere wird eine solche Melatoninkonzentration in diesen Lebensmitteln nicht durch die von der Klägerin angeführten Publikationen

Elham Oladi, Maryam Mohamadi, Tayebeh Shamspur, Ali Mostafavi: Spectröuorimetric determination of melatonin in kernels of four different Pistacia varieties after ultrasoundassisted solidliquid extraction, in: Spectrochimica Acta Part A: Molecular and Biomolecular Spectroscopy (2014), 132:326-329, https://www.researchgate.net/publication/262786127_Spectrofluorimetric_determination_of_melatonin_in_kernels_of_four_different_Pistacia_varieties_after_ultrasoundassisted_solidliquid_extraction

bzw.

Paula N. Brown, Christina E. Turi, Paul R. Shipley, Susan J. Murch: Comparisons of large (Vaccinium macrocarpon Ait.) and small (Vaccinium oxycoccos L., Vaccinium vitisidaea L.) cranberry in British Columbia by phytochemical determination, antioxidant potential, and metabolomic profiling with chemometric analysis, in: Planta Medica (2012), 78: 630-640

nachgewiesen. Insoweit verweist das Gericht auf die Begründung des Urteils vom heutigen Tage im Verfahren 7 K 3110/14.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.