OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.05.2016 - 4 Ss 543/15
Fundstelle
openJur 2016, 7570
  • Rkr:

Aus einem Verstoß eines Verkehrsteilnehmers beim Betrieb einer dashcam (On-Board-Kamera) gegen das datenschutzrechtliche Verbot gem. § 6b BDSG, nach dem die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen nur in engen Grenzen zulässig ist, folgt nicht zwingend ein Beweisverwertungsverbot im Bußgeldverfahren.

§ 6b BDSG, insbesondere dessen Absatz 3 Satz 2, enthält kein gesetzlich angeordnetes Beweisverwertungsverbot für das Straf- und Bußgeldverfahren.

Ob ein (möglicherweise) unter Verstoß gegen § 6b BDSG erlangtes Beweismittel zulasten eines Betroffenen in einem Bußgeldverfahren verwertet werden darf, ist im Einzelfall insbesondere nach dem Gewicht des Eingriffs sowie der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden.

Der Tatrichter ist grundsätzlich nicht gehindert, eine Videoaufzeichnung, die keine Einblicke in die engere Privatsphäre gewährt, sondern lediglich Verkehrsvorgänge dokumentiert und eine mittelbare Identifizierung des Betroffenen über das Kennzeichen seines Fahrzeugs zulässt, zu verwerten, wenn dies zur Verfolgung einer besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeit erforderlich ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 27. Mai 2015 wird als unbegründet

verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Reutlingen verhängte gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Missachtens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase länger als eine Sekunde andauerte, eine Geldbuße von 200 Euro und verbot ihm für die Dauer von einem Monat, im öffentlichen Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen, wobei ihm die Schonfrist nach § 25 Abs. 2a StVG eingeräumt wurde.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er erhebt die Sachrüge und greift mit einer Verfahrensrüge insbesondere die Verwertung einer von einem Zeugen mittels „dashcam“ - einer kleinen Videokamera, die meist auf dem Armaturenbrett oder an der Windschutzscheibe eines Fahrzeugs angebracht ist und während der Fahrt aufzeichnen kann - gefertigten Videoaufnahme an. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde durch Beschluss als unbegründet zu verwerfen.

Der Einzelrichter hat die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG).II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWIG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Begründung der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Die Sachrüge ist, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, unbegründet. Auch die Verfahrensrüge, mit der der Betroffene einen Verstoß gegen ein angenommenes Beweisverwertungsverbot geltend macht, bleibt ohne Erfolg.

1. Der Rüge liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Betroffene mit einem Pkw innerorts bei ruhiger Verkehrslage über eine näher bezeichnete Kreuzung, obwohl die sich dort befindende Wechsellichtzeichenanlage bereits seit mindestens sechs Sekunden für die Fahrtrichtung des Betroffenen Rot zeigte. Der Betroffene hätte bei ihm möglicher und jederzeit zumutbarer Aufmerksamkeit die Lichtzeichenanlage uneingeschränkt wahrnehmen und rechtzeitig anhalten können. Zuvor hatte der Betroffene eine ebenfalls für ihn Rot zeigende Lichtzeichenanlage überfahren, was allerdings nicht Gegenstand des Bußgeldverfahrens ist.

Zur Überzeugungsbildung hat das Amtsgericht unter anderem Folgendes herangezogen: Der Betroffene, der sich ansonsten nicht zur Sache eingelassen hat, hat über seinen Verteidiger die Fahrereigenschaft eingeräumt. Die Feststellungen zur Sache beruhen auf der Inaugenscheinnahme einer Videoaufzeichnung, welche ein Zeuge mit einer „dashcam“ gefertigt hat. Dabei lief die Kameraaufzeichnung, wie sie auch komplett in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurde, bereits seit Fahrtbeginn des Zeugen und anlasslos über seine gesamte Fahrtstrecke weiter. Diese Videoaufzeichnung wurde von einem Sachverständigen in der Hauptverhandlung vorgespielt und ausgewertet. Die Dauer des Rotlichtverstoßes ergab sich dabei aus der in der Videoaufzeichnung mitlaufenden Uhr, wobei der Sachverständige unter anderem feststellen konnte, dass die Uhrzeit als solche zutreffend im Sekundentakt mitzählt. Aus dem in Augenschein genommenen Video ergaben sich für das Amtsgericht ferner die weiteren Umstände der Fahrt sowie die Sicht- und Verkehrsverhältnisse. Zudem legte das Amtsgericht dar, dass ohne die Videoaufzeichnung allein mit der Aussage des Zeugen eine für eine Verurteilung ausreichende Überzeugungsbildung nicht erfolgt wäre. Weiter hat der Tatrichter die Frage der Verwertbarkeit der Videoaufzeichnung samt einer Abwägung ausdrücklich erörtert.

2. Die Verfahrensrüge, die die Verwertung der Erkenntnisse aus der Videoaufzeichnung der „dashcam“ zu Lasten des Betroffenen trotz des Bestehens eines Beweisverwertungsverbotes geltend macht, ist in zulässiger Weise erhoben. Die Rügebegründung genügt den nach § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen. Insbesondere geht aus der Rügebegründung in Verbindung mit den Urteilsgründen, die der Senat aufgrund der zulässigen Sachrüge ergänzend heranzuziehen hat (BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 1995 - 1 StR 338/95, juris Rn. 8; vom 18. Dezember 2012 - 3 StR 458/12, juris Rn. 6), hervor, dass der Betroffene der Verwertung der Videoaufnahmen in der Hauptverhandlung rechtzeitig widersprochen hat.

3. Die Rüge ist jedoch unbegründet. Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die vom Zeugen mittels „dashcam“ gefertigte Videoaufzeichnung der Fahrt des Betroffenen verwertbar war.

a) Die Fertigung der Bildaufzeichnung stellte einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen. Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials wurden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert. Sie konnten später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden. Eine Identifizierung des Fahrzeugs bzw. des Fahrers war beabsichtigt und technisch auch möglich (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. August 2009 - 2 BvR 941/08, NZV 2009, 618 Rn. 15). Ob und unter welchen Umständen ein solcher Eingriff - auch durch Private - zulässig sein kann, regelt u. a. § 6b BDSG.

Ob der Zeuge durch den Betrieb seiner On-Board-Kamera in der von ihm gewählten Betriebsform gegen das datenschutzrechtliche Verbot des § 6b BDSG, nach dem die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur unter bestimmten Umständen zulässig ist, verstoßen hat oder ob sich die Zulässigkeit aus § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ergab, kann der Senat nicht abschließend beurteilten, da das angefochtene Urteil hierzu nicht sämtliche prüfungsrelevanten Tatsachen mitteilt. Gem. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Videoüberwachung nur zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

aa) Bei den Straßen, die vom Zeugen und dem Betroffenen mit ihren Fahrzeugen befahren wurden, handelt es sich um öffentlich zugängliche Räume. Die „dashcam“ des Zeugen stellt eine optisch-elektronische Einrichtung dar. Zwar wird teilweise vertreten, dass als optisch-elektronische Einrichtungen in § 6b BDSG nur Einrichtungen zu verstehen seien, die fest angebracht sind. Mobile Kameras habe der Gesetzgeber nicht regeln wollen (AG Nienburg, Urteil vom 20. Januar 2015 - 4 Ds 520 Js 39473/14, DAR 2015, 280 ff.; zweifelnd: LG Landshut, Beschluss vom 1. Dezember 2015 - 12 S 2603/15, juris; AG Nürnberg, Urteil vom 8. Mai 2015 - 18 C 8938/14, DAR 2015, 472 ff.). Ein solches Verständnis der Regelung findet im Wortlaut keine Stütze. Vielmehr handelt es sich bei der gewählten Formulierung „optisch-elektronische Einrichtungen“ gerade um einen wertneutralen Begriff, der jegliche Form der Videoüberwachung erfassen soll. § 6b BDSG verfolgt den Zweck, die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen zu gestatten, um das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu wahren. Durch den Klammerzusatz in § 6b Abs. 1 BDSG („Videoüberwachung“) hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass jegliches technisches Gerät, das Videos aufzeichnen kann, grundsätzlich als optisch-elektronische Einrichtung im Sinne dieser Norm zu verstehen ist (LG Memmingen, Urteil vom 14. Januar 2016 - 22 O 1983/13, juris; VG Ansbach, ZfSch 2014, 663 ff.; so auch: Scholz in Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 8. Aufl., § 6b Rn. 37; Becker in Plath, BDSG, 2013, § 6b Rn. 12; Brink in Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, § 6b BDSG Rn. 25; Onstein in Auernhammer, BDSG, 4. Aufl., § 6b Rn. 22). Die Nutzung der Daten erfolgte hier auch nicht ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BDSG). Die personenbezogenen Daten wurden der Bußgeldbehörde vorgelegt, dadurch wurde der persönliche und familiäre Bereich verlassen.

bb) Allerdings verhält sich das Urteil des Amtsgerichts nicht zu den Zwecken, die der Zeuge mit seiner Videoaufzeichnung verfolgt hat. Es bleibt offen, ob er einen solchen Zweck vorher überhaupt festgelegt hat. Es ist denkbar, dass er die Kamera deshalb verwendet hat, um mögliche Beweismittel bei einem Verkehrsunfall vorlegen zu können und so auch zivilrechtliche Ansprüche zu sichern; möglicherweise war bestimmendes Motiv aber auch, bei einem anderen verkehrsrechtlichen Sachverhalt Verkehrsteilnehmer anzeigen zu können. Da der genaue Zweck offen bleibt, kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob er als berechtigtes Interesse i. S. v. § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG anzuerkennen wäre. Ebenso finden sich keine Feststellungen zur Betriebsform, in der die Kamera genutzt wurde (wurden bei eingeschalteter Zündung permanent Filmaufnahmen gemacht und auf einer SD-Karte gespeichert, bis deren Kapazität erschöpft ist? Wurden die Aufzeichnungen permanent gespeichert? Wer entscheidet bei der verwendeten Kamera, wann und wie welche Sequenzen der Videoaufzeichnung gesichert bzw. längerfristig gespeichert werden, um eventuell ein Überschreiben der Daten zu verhindern?). Auch diese Umstände könnten eventuell für die datenschutzrechtliche Beurteilung relevant sein.

b) Gleichwohl ist das angefochtene Urteil aber nicht durch Rechtsfehler beeinflusst, weil selbst im Falle eines Verstoßes gegen § 6b BDSG dieser in dem hier vorliegenden Einzelfall kein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen würde.

aa) Aus § 6b BDSG, insbesondere dessen Absatz 3 Satz 2, folgt kein gesetzlich angeordnetes Beweisverwertungsverbot für das Bußgeldverfahren. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzgebungsmaterialien geben Hinweise, dass der Gesetzgeber ein solches Beweisverwertungsverbot regeln wollte. Ein solches kennt das deutsche Strafprozessrecht - und über § 46 OWiG auch das Verfahrensrecht im Bußgeldverfahren (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Mai 2011 - 2 BvR 2072/10, NJW 2011, 2783 Rn. 13; Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl. § 46 Rn. 10c) - ohnehin nur in Ausnahmefällen. In § 6b Abs. 3 Satz 2 BDSG ging es dem Gesetzgeber um eine Ausnahme von der strikten Zweckbindung des § 6b Absatz 3 Satz 1 BDSG für die durch Videoüberwachung gewonnenen Daten (BT-Drs. 14/5793, S. 62). Zur weitergehenden Frage eines Beweisverwertungsverbots im Straf- oder Bußgeldverfahren äußerte er sich jedoch gerade nicht, so dass auf die allgemeinen Grundsätze zurückzugreifen ist (so i. E. wohl auch: Becker, aaO, Rn. 31; Scholz, aaO, Rn.160; für das Zivilverfahren: LG Landshut, aaO; AG Nürnberg, aaO; Greger, NZV 2015, 114, 115; vgl. auch Empfehlung des 54. Deutschen Verkehrsgerichtstag 2016, Arbeitskreis VI „dashcam“ Nr. 5).

bb) Ob ein (hier möglicherweise) auf rechtswidrige Weise erlangtes Beweismittel zulasten des Betroffenen verwertet werden darf, ist nach der herrschenden und vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Rechtsprechung im Einzelfall insbesondere nach Art des Verbotes und Gewicht des Verfahrensverstoßes sowie der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden, wenn es - wie hier - an einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung eines Verwertungsverbotes fehlt. Von Verfassungs wegen besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig wäre (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Mai 2011 - 2 BvR 2072/10, NJW 2011, 2783 Rn. 12). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf die Wahrheitserforschung um „jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbotes ein wesentliches Prinzip des Strafrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind (vgl. BGH, Urteile vom 11. November 1998 - 3 StR 181/98, BGHSt 44, 243, 249; vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 Rn. 20). Ein Beweisverwertungsverbot ist ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung daher nur ausnahmsweise aus übergeordneten wichtigen Gesichtspunkten im Einzelfall anzunehmen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 Rn. 20). Insoweit wird ein Beweisverwertungsverbot dann angenommen, wenn die zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahmen führenden Verfahrensverstöße derart schwerwiegend waren oder bewusst oder willkürlich begangen wurden bzw. die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig außer Acht gelassen worden sind (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Mai 2011 - 2 BvR 2072/10, NJW 2011, 2783 Rn. 14). Diese Grundsätze sind über § 46 OWiG auch im Bußgeldverfahren heranzuziehen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Mai 2011 - 2 BvR 2072/10, NJW 2011, 2783 Rn. 13; Seitz, aaO; Lampe in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl., § 46 Rn. 18a).

cc) Nach den vorgenannten Grundsätzen ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass der Tatrichter im vorliegenden Fall kein Beweisverwertungsverbot angenommen hat. Der Tatrichter ist grundsätzlich nicht gehindert, eine Videoaufzeichnung, die keine Einblicke in die engere Privatsphäre gewährt, sondern lediglich Verkehrsvorgänge dokumentiert und eine mittelbare Identifizierung des Betroffenen über das Kennzeichen seines Fahrzeugs zulässt, zu verwerten, wenn dies zur Verfolgung einer besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeit erforderlich ist. So überwiegt hier im Rahmen der gebotenen Gesamtschau bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Betroffenen das allgemeine Interesse an der Effektivität der Verfolgung von erheblichem Fehlverhalten im Straßenverkehr.

(1) Bei der Abwägung ist zunächst zu sehen, dass es hier lediglich um die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit und keiner Straftat geht. Die Videoaufzeichnung durch den Zeugen war geeignet, auch in das informationelle Selbstbestimmungsrecht einer unbestimmten, letztlich vom Zufall abhängigen Vielzahl weiterer Verkehrsteilnehmer einzugreifen. Sie wurde vom Betroffenen und allen anderen zufällig aufgezeichneten Verkehrsteilnehmern nach aller Lebenserfahrung nicht wahrgenommen, sondern geschah für sie verdeckt.Eine verdeckte Datenerhebung führt regelmäßig zur Erhöhung der Eingriffsintensität.

(2) Andererseits sind die hohe Bedeutung der Verkehrsüberwachung für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und das Gewicht des Verstoßes im Einzelfall (Rotlichtverstoß sehr deutlich über einer Sekunde) zu berücksichtigen. Es handelt sich nicht nur um eine Ordnungswidrigkeit im Verwarnungs- bzw. Bagatellbereich, sondern um eine solche, die bereits der Verordnungsgeber der Bußgeldkatalog-Verordnung nicht nur mit deutlich erhöhter Geldbuße, sondern im Regelfall wegen des groben Fehlverhaltens auch mit einem Fahrverbot sanktioniert sehen möchte. Der Verstoß ist im Fahreignungs-Bewertungssystem als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit eingestuft, die mit zwei Punkten bewertet wird (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StVG). Die vom Rotlichtverstoß des Betroffenen ausgehende erhebliche Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs verleiht dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verfolgung derartiger Ordnungswidrigkeiten hier eine besondere Bedeutung. Die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs dient angesichts des hohen Verkehrsaufkommens und der erheblichen Zahl von Verkehrsverstößen dem Schutz von Rechtsgütern mit - auch verfassungsrechtlich - ausreichendem Gewicht. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs steht auch im Zusammenhang mit dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. Juli 2010, NJW 2010, 2717 Rn. 14).

Die Videoaufzeichnung wurde weder durch den Staat veranlasst, um grundrechtliche Sicherungen planmäßig außer Acht zu lassen, noch wurde ein Privater gezielt mit der Fertigung beauftragt, um Beweise zu erlangen, deren sich der Staat durch die Verkehrsüberwachungsbehörden selbst nicht hätte bedienen dürfen. Das wäre allenfalls dann der Fall, wenn Privatpersonen wiederholt bzw. dauerhaft aus eigener Machtvollkommenheit zielgerichtet mittels „dashcam“-Aufzeichnungen Daten, insbesondere Beweismittel, für staatliche Bußgeldverfahren erheben, sich so zu selbsternannten „Hilfssheriffs“ aufschwingen und die Datenschutz- und Bußgeldbehörden dies dulden bzw. sogar aktiv fördern. Derartiges ist hier allerdings nicht festgestellt. Sollten die Bußgeldbehörden bzw. deren Aufsichtsbehörden einen „Orwellschen Überwachungsstaat“ durch Private befürchten (vgl. hierzu bzw. ähnlichen Überlegungen: LG Memmingen, Urteil vom 14. Januar 2016, 22 O 1983/13, juris; LG Heilbronn, Urteil vom 3. Februar 2015 - 3 S 19/14, NJW-RR 2015, 1019 ff.; AG München, Beschluss vom 13. August 2014 - 345 C 5551/14, ZfSch 2014, 692 ff.; Beschluss der Aufsichtsbehörden für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich, Düsseldorfer Kreis am 25./26. Februar 2014), stünde es ihnen zudem frei, im Rahmen des das Ordnungswidrigkeitenverfahren beherrschenden Opportunitätsgrundsatzes (§ 47 OWiG) ausschließlich auf der Ermittlungstätigkeit von Privaten mittels „dashcam“ beruhende Verfahren nicht weiter zu verfolgen. Die Bußgeldbehörden werden ihrerseits bereits bei Einleitung von Verfahren die Verwertbarkeit derartiger Aufnahmen zu prüfen und dabei auch die erforderlichen Abwägungen im Hinblick auf Bedeutung und Gewicht der angezeigten Ordnungswidrigkeit vorzunehmen haben.

Im Übrigen besteht kein Rechtssatz dahin, dass es im Straf- und Bußgeldverfahren stets untersagt wäre, von Privaten erlangte Beweismittel zu verwerten, sofern diese unter Verstoß gegen Gesetze gewonnen wurden. Aus der rechtswidrigen Erlangung eines Beweismittels durch einen Dritten folgt nicht ohne Weiteres die Unverwertbarkeit dieses Beweismittels im Strafverfahren (BGH, Urteil vom 12. April 1986 - 3 StR 453/88, BGHSt 36, 167, 173). Selbst Beweismittel, die von Privaten in strafbewehrter Weise erlangt wurden, sind - verfassungsrechtlich unbedenklich - grundsätzlich verwertbar und unterliegen nicht zwingend per se einem Beweisverwertungsverbot (vgl. zum Thema „Steuer-CDs“: BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, NStZ 2011, 103 Rn. 58; Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, NJW 2014, 1434 ff.).

Der verfahrensgegenständliche Verstoß hätte ohne Weiteres durch eine rechtmäßige, anlassbezogene Messung und Aufzeichnung festgestellt werden können. Sofern eine Polizeistreife mit geeignetem Aufnahmegerät auf das grobe Fehlverhalten des Betroffenen an der ersten Lichtzeichenanlage, das nicht Gegenstand der Verurteilung wurde, aufmerksam geworden wäre, hätte einer anlassbezogenen Nachfahrt und Aufzeichnung des Fahr- und Fehlverhaltens nichts entgegengestanden. Ebenso wäre der Rotlichtverstoß durch eine geeignete stationäre Überwachungsanlage nachweisbar gewesen. Das Amtsgericht hat nur den zweiten Rotlichtverstoß geahndet; diesen hätte der Zeuge auch als Privatperson mittels Videotechnik aufnehmen dürfen, da er durch das vorangegangene erste Fehlverhalten des Betroffenen nicht anlasslos aufgezeichnet hätte.

Sonstige Beweismittel, die für die Überzeugungsbildung des Amtsgerichts zum Nachweis der Ordnungswidrigkeit ausgereicht hätten, lagen nicht vor.

Die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Videoaufzeichnung des fließenden Verkehrs ist hier zudem sehr gering. Die aufgezeichneten Daten betreffen insbesondere nicht den Kernbereich privater Lebensgestaltung des Betroffenen oder seine engere Privat- oder gar Intimsphäre. Vielmehr setzte sich der Betroffene durch die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer wie auch der Kontrolle seines Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei- und die Ordnungsbehörden aus. Der Betroffene selbst ist auf dem Video nicht bzw. allenfalls in Umrissen von hinten, sondern im Wesentlichen nur sein Fahrzeug abgebildet. Die Verpflichtung, als Halter die im öffentlichen Straßenverkehr verwendeten Kraftfahrzeuge mit Kennzeichen zu versehen (§§ 8 und 10 FZV) und gegebenenfalls ein Fahrtenbuch zu führen, wenn bei Verstößen der Fahrer nicht feststellbar ist (§ 31a StVZO), zeigt, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber eine Identifizierung von Regelverletzern zumindest grundsätzlich ermöglichen möchte und sich keiner auf eine anonyme Teilnahme am Straßenverkehr verlassen und berufen können soll. Durch das Abspielen des Videos in der Hauptverhandlung und die Auswertung durch einen Sachverständigen wurde der Eingriff auch nicht wesentlich vertieft, da auch dabei nur das Verhalten des Betroffenen im öffentlichen Straßenraum zu sehen war, ohne ihn als Person überhaupt identifizieren zu können.

Auch weitere zufällig aufgezeichnete Personen waren nicht intensiver, sondern sogar noch wesentlich weniger tief in ihrem informationellen Selbstbestimmungsrecht betroffen. Deren Aufzeichnungsdauer war wesentlich kürzer als beim Betroffenen und die Bilder konnten schon daher kaum zu einer Identifizierung dienen. Auch sie setzten sich durch die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr bzw. durch den Aufenthalt außerhalb des besonders geschützten Privatraums grundsätzlich selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch Dritte aus.III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.