KG, Beschluss vom 12.04.2016 - 1 VA 14/15
Fundstelle
openJur 2016, 5836
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid vom 19. August 2015 wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antrag vom 22. April 2015 auf Einsicht in die Insolvenzakten ... unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Gründe

I.

Mit Schriftsatz vom 27. März 2007 beantragte der Beteiligte die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen und die Gewährung von Restschuldbefreiung. In dem von ihm unterschriebenen Gläubiger- und Forderungsverzeichnis war der Antragsteller mit durch Versäumnisurteil des Landgerichts Potsdam vom 22. September 2009 - ... - titulierten Forderungen in Höhe von 30.051,11 EUR aufgeführt. Der insoweit von dem Beteiligten als Verfahrensbevollmächtigter des Antragstellers bezeichnete Rechtsanwalt B... P... bat das Insolvenzgericht mit Schriftsatz vom 19. April 2007 um Mitteilung künftiger Termine in diesem Verfahren.

Am 27. April 2007 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und bestimmte, dass Insolvenzforderungen bis zum 25. Juli 2007 bei dem Treuhänder anzumelden seien. Der Treuhänder stellte diesen Beschluss u.a. dem Rechtsanwalt P... zu.

Am 6. Mai 2013 kündigte das Insolvenzgericht die Erteilung der Restschuldbefreiung an. Dieser Beschluss konnte Rechtsanwalt P... nicht zugestellt werden. Schließlich wurde dem Beteiligten mit Beschluss vom 24. Juni 2013 die Restschuldbefreiung erteilt.

Mit Schreiben vom 22. April 2015 hat der Antragsteller um die Gewährung von Akteneinsicht gebeten, die ihm von dem Insolvenzgericht mit Schreiben vom 23. April 2015 verwehrt wurde. Der Antragsteller sei nicht Beteiligter des Insolvenzverfahrens und seine Forderungen seien von der Restschuldbefreiung erfasst. Der Antragsteller hat sich darauf mit Schreiben vom 15. Juli 2015 an das Landgericht Berlin gewandt. Das Landgericht hat das Schreiben an die Antragsgegnerin weitergeleitet. Diese hat nach Anhörung des Beteiligten mit Verfügung vom 19. August 2015 eine Akteneinsicht abgelehnt. Darauf hat sich der Antragsteller wiederum an das Landgericht gewandt, das ihn auf das Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG hingewiesen und dessen Schreiben vom 25. August 2015 an die Antragsgegnerin weitergeleitet hat. Diese hat die Insolvenzakten und ihren Verwaltungsvorgang dem Senat vorgelegt.

Nach Hinweis durch den Vorsitzenden hat der Antragsteller am 14. September 2015 um Überprüfung im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG gebeten.

II.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist statthaft. An einem Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird, § 299 Abs. 2 ZPO. Diese Vorschrift findet gemäß § 4 InsO im Insolvenzverfahren entsprechende Anwendung. Die Entscheidung des Gerichtsvorstands stellt einen Justizverwaltungsakt dar, gegen dessen Ablehnung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft ist, § 23 Abs. 1 EGGVG (BGH, NJW 2015, 1827; Senat, Beschluss vom 19. März 2008 - 1 VA 12 bis 25/07 - NJW 2008, 1748).

2. Der Antrag ist zulässig. Der Antragsteller hat geltend gemacht, durch die Ablehnung der Akteneinsicht in seinen Rechten verletzt worden zu sein, § 24 EGGVG. Der Antrag ist auch frist- und formgerecht innerhalb eines Monats nach schriftlicher Bekanntgabe der Verfügung der Antragsgegnerin vom 19. August 2015 gestellt worden, § 26 Abs. 1 EGGVG. Auf diese Verfügung kommt es an, weil mit ihr erstmals der bereits mit Schreiben vom 22. April 2015 gestellte Antrag durch den Gerichtsvorstand des Amtsgerichts Spandau beschieden worden ist.

Die ebenfalls ablehnende Entscheidung des Insolvenzgerichts vom 23. April 2015 ist insofern ohne Belang. Das zu ... geführte Insolvenzverfahren ist bereits beendet, so dass über die Gewährung von Akteneinsicht in jedem Fall durch den Gerichtsvorstand und nicht das Insolvenzgericht zu entscheiden war (BGH, a.a.O.). Dessen ungeachtet hat sich der Antragsteller an dem Insolvenzverfahren auch nicht beteiligt, jedenfalls hat er seine Forderungen dort nicht angemeldet. Er ist damit ohne weiteres Dritter im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO (vgl. OLG Schleswig, NZI 2008, 690). Die Entscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht hat der Gerichtsvorstand am 19. August 2015 getroffen.

3. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat schließlich in der Sache Erfolg. Die angefochtene Verfügung ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten, § 28 Abs. 1 S. 1 EGGVG.

a) Hat ein am Verfahren nicht beteiligter Dritter ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft gemacht, steht deren Gewährung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Die §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO gewähren Dritten somit keinen Anspruch auf Akteneinsicht, sondern lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Insoweit ist der Senat nur zur Prüfung berechtigt, ob die Maßnahme rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, § 28 Abs. 3 EGGVG. Gemessen hieran, ist die Verfügung der Antragsgegnerin vom 19. August 2015 rechtswidrig.

b) Die Antragsgegnerin hat schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Ausübung des Ermessens verkannt. Sie hat ein “berechtigtes Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO” nicht feststellen können. Ein berechtigtes Interesse, vgl. etwa § 13 Abs. 2 FamFG, hat der Antragsteller im Rahmen von § 299 Abs. 2 ZPO hingegen nicht darzulegen. Vielmehr geht es darum, ein rechtliches Interesse glaubhaft zu machen.

Ein rechtliches Individualinteresse an der Akteneinsicht liegt vor, wo persönliche Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt auch nur mittelbar berührt werden können, sofern ein rechtlicher Bezug zum Streitstoff der einzusehenden Akte besteht (Senat, Beschluss vom 9. Februar 11988 1 VA 5/87 - NJW 1988, 1738, 1739). Es muss der Interessenkreis des jeweiligen Antragstellers durch das Verfahren konkret berührt werden, und zwar durch das Verfahren selbst oder wenigstens durch den diesem zugrunde liegenden Sachverhalt (Senat, Beschluss vom 12. April 1988 - 1 VA 1/88 - NJW 1989, 534).

Nach der Rechtsprechung des Senats besteht ein solches rechtliches Interesse grundsätzlich dann, wenn der Streitstoff das der Vollstreckung unterliegende Vermögen eines Schuldners betrifft (Senat, Beschluss vom 19. März 2008 - 1 VA 12 bis 25/07 - NJW 2008, 1748). Ein solcher Bezug zum Insolvenzverfahren seines Schuldners kann bei einem Gläubiger nicht zweifelhaft sein. Ob er seine Forderungen angemeldet hat, ist unerheblich. Das rechtliche Interesse erlischt auch nicht etwa nach Ablehnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (vgl. BGH, NJG 2006, 595, 596) oder im Fall der Erledigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (OLG Schleswig, NZI 2008, 690).

Nichts anderes gilt bei Durchführung des (Verbraucher-)Insolvenzverfahrens, auch wenn dem Schuldner schließlich Restschuldbefreiung gewährt wurde und die Forderungen des Antragstellers hiervon umfasst sein könnten, vgl. § 301 InsO. Letzteres ist schon nicht im Verfahren über das Akteneinsichtsgesuch zu klären. Darüber hinaus hat der Antragsteller ausdrücklich Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung des Insolvenzverfahrens geäußert, die er ohne Einsicht in die Akten nicht wird belegen können. Sein bisheriger Vortrag erschöpft sich lediglich in Vermutungen. Tatsächliche Kenntnisse vom Verfahrensverlauf hat der Antragsteller ersichtlich nicht. Entgegen der Antragsgegnerin kommt es ihm deshalb nicht darauf an, “neue Erkenntnisse” im Sinne von weiteren Tatsachen zu gewinnen, sondern die Akten überhaupt erstmals einsehen zu können.

4. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil sie nicht spruchreif ist, § 28 Abs. 2 EGGVG. Grundsätzlich ist die Ermessensentscheidung der Behörde vorbehalten. Das Gericht kann sein eigenes Ermessen nicht an dessen Stelle setzen. Eine Abwägung des Informationsinteresses des Antragstellers gegen konkret betroffene Geheimhaltungsinteressen des Schuldners hat die Antragsgegnerin bisher nicht vorgenommen. Hierzu ist ihr Gelegenheit zu geben, weil ein Sonderfall dahingehend, dass sich die Ermessensentscheidung nur mit einem einzigen richtigen Ergebnis verdichtet hätte, nicht vorliegt.

5. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Für den erfolgreichen Antrag auf gerichtliche Entscheidung fallen keine Gerichtsgebühren an. Ob dem Antragsteller außergerichtlich Kosten entstanden sind, kann dahinstehen. Solche der Antragsgegnerin aufzuerlegen, entspräche nicht billigem Ermessen, vgl. § 30 Abs. 2 EGGVG.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, § 29 Abs. 2 EGGVG, liegen nicht vor.