KG, Beschluss vom 21.03.2016 - 13 WF 33/16
Fundstelle
openJur 2016, 5824
  • Rkr:

1. Die Urkundsperson des Jugendamts darf eine vom Unterhaltspflichtigen begehrte Titulierung von Minderjährigenunterhalt auch dann nicht verweigern, wenn der vom Unterhaltspflichtigen freiwillig zugestandene Betrag hinter dem gesetzlich geschuldeten Unterhaltsbetrag zurückbleibt.

2. Einem minderjährigen, unterhaltsberechtigten Kind ist auch dann Verfahrenskostenhilfe für die familiengerichtliche Geltendmachung des gesamten, gesetzlich geschuldeten Unterhaltsbetrages zu gewähren, wenn die freiwillige, vom Unterhaltspflichtigen angebotene Titulierung eines Unterhaltsteilbetrages beim Jugendamt aus Gründen unterbleibt, die in der Sphäre des unterhaltsberechtigten Kindes wurzeln.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird dieser - unter gleichzeitiger Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde - in Abänderung des am 3. September 2015 erlassenen Beschlusses des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg - 152 F 19650/14 - sowie des in gleicher Sache am 8. Februar 2016 erlassenen Nichtabhilfebeschlusses Verfahrenskostenhilfe zur Rechtsverfolgung unter Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten nach einem Verfahrenswert von insgesamt 12.071,85 € wie folgt bewilligt:

-Soweit von ihr ab dem 1. Januar 2015 monatlich im Voraus Zahlung von laufendem Kindesunterhalt für die gemeinsame Tochter der beteiligten Eltern, S... W..., geboren am ... 2000 in Höhe von 110% des jeweiligen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des jeweiligen hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind - monatlicher Zahlbetrag per 1. Januar 2015 377 € - begehrt wird;sowie

-soweit von ihr ab dem 1. Januar 2015 monatlich im Voraus Zahlung von laufendem Kindesunterhalt für den gemeinsames Sohn der beteiligten Eltern, S... W..., geboren am ... 2002 in Höhe von 110% des jeweiligen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des jeweiligen hälftigen Kindergeldes für ein zweites Kind - monatlicher Zahlbetrag per 1. Januar 2015 377 € - begehrt wird;und weiter,

-soweit von ihr die Zahlung von rückständigem Kindesunterhalt für die beiden Kinder aus dem Zeitraum von Mai 2014 bis Dezember 2014 in Höhe von 3.023,85 € nebst Zinsen auf den Rückstand in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,begehrt wird.

Gebühren werden nicht erhoben; Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Gründe

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ZPO) und in der Sache selbst in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet:

1. Die Antragstellerin wendet sich gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 3. September 2015, mit dem ihr teilweise Verfahrenskostenhilfe für die von ihr beabsichtigte Rechtsverfolgung - einen Antrag auf Kindesunterhalt für die beiden aus der Ehe der beteiligten Eltern hervorgegangenen Kinder S..., geboren am ... 2000, und S..., geboren am ... 2002 - nur teilweise bewilligt worden war; sie meint, Verfahrenskostenhilfe sei ihr in vollem Umfang für den gesamten, von ihr begehrten Kindesunterhalt zu bewilligen, ohne dass der Unterhaltsbetrag einer mutwillig von ihr vereitelten freiwilligen Titulierung abzusetzen wäre.

Mit Beschluss vom 3. September 2015 hat das Familiengericht der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt, soweit sie für die beiden, in ihrem Haushalt lebenden Kinder

-im Zeitraum von Mai 2014 bis September 2014 Kindesunterhalt für jedes Kind in Höhe von jeweils 257 €/Monat;-im Zeitraum von Oktober 2014 bis Dezember 2014 Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 307 €/Monat und Kind;-und im Zeitraum ab Januar 2015 in Höhe von jeweils 377 €/Monat/Kind,begehrt hat; im Übrigen, also in Bezug auf die weitergehende Unterhaltsforderung, wurde ihr Antrag zurückgewiesen. Verfahrenskostenhilfe wurde weiter nicht gewährt, soweit die Antragstellerin sich mutwillig einer freiwilligen Titulierung von Kindesunterhalt in Höhe von 247,33 € durch den Antragsgegner beim Jugendamt widersetzt hat.

Mit Nichtabhilfebeschluss vom 8. Februar 2016 hat das Familiengericht den Kindesunterhalt aufgrund geänderter Zahlen und Einsatzbeträge neu berechnet und ist dabei zu folgenden Unterhaltsbeträgen gekommen:

-Für den Zeitraum von Mai 2014 bis Dezember 2014 Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 334 €/Monat und Kind;-im Zeitraum von Januar 2015 bis Juni 2015 Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 377 €/Monat und Kind;-und im Zeitraum ab Juli 2015 Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 356 €/Monat/Kind. Abgesetzt wurde wiederum ein Unterhaltsteilbetrag in Höhe von 283,33 €, in Bezug auf den der Antragsgegner zwar freiwillig die Schaffung eines Titels beim Jugendamt angeboten hatte, der aber aufgrund des Einwirkens der Antragstellerin bzw. ihrer Verfahrensbevollmächtigten letztlich nicht erstellt wurde.Gegen diese Beschlüsse wendet sich die Antragstellerin. Den genauen Umfang ihrer Beschwerde hat sie mit Schriftsatz vom 7. März 2016 präzisiert, ohne dass die weitergehende Beschwerde vom 15. September 2015 entsprechend eingeschränkt worden wäre. Sie wendet sich danach nicht mehr gegen die Verfahrenskostenhilfe-Bewilligungen gemäß dem Beschluss vom 8. Februar 2016 für die Unterhaltszeiträume von Mai bis Dezember 2014 und von Januar bis Juni 2015, sondern lediglich noch gegen die Bewilligung im Unterhaltszeitraum ab Juli 2015. Insoweit meint sie, im Rahmen der Unterhaltsbemessung sei die Abzugsposition 'Raten auf Kreditkartenkonto: 400 €/Monat' zu Unrecht angesetzt worden; diese Position sei in diesem Unterhaltszeitraum nicht mehr anzusetzen. Soweit man dem folge, ergebe sich ein höheres einzusetzendes Einkommen des Unterhaltspflichtigen und folglich auch ein höherer Unterhaltszahlbetrag (bzw. ein höherer Betrag, für den Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen sei). Als Folge davon ändere sich auch die Berechnung des Verfahrenswerts, für den insgesamt Verfahrenskostenhilfe bewilligt werde; dieser steige. Weiter wendet sie sich dagegen, dass Verfahrenskostenhilfe in Höhe eines Teilbetrages von 283,33 € mit der Begründung verweigert wurde, in Bezug auf diesen Teilbetrag habe die Antragstellerin mutwillig die vom Antragsgegner angebotene, freiwillige Titulierung beim Jugendamt vereitelt. Das sei unzutreffend. Ein Unterhaltspflichtiger, der beim Jugendamt eine ihm günstige Unterhaltsregelung schaffen lassen will, die den unterhaltsrechtlichen Gegebenheiten widerspricht, missbrauche die von den Jugendämtern angebotene Möglichkeit einer kostenfreien Titulierung und dem könne der Unterhaltsberechtigte sich widersetzen.

2. In der Sache selbst hat die Beschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen - also in Bezug auf die weitergehende Beschwerde aus der ursprünglichen Beschwerdeschrift vom 15. September 2015 (I/161) - war sie zurückzuweisen. Im Einzelnen:

a) Die erste Rüge der Beschwerde, wonach der Unterhaltsbetrag je Kind im Unterhaltszeitraum ab Juli 2015 nicht 356 € beträgt, sondern der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe zur Rechtsverfolgung für einen Unterhaltszahlbetrag von 377 €/Monat - wie im Unterhaltszeitraum unmittelbar zuvor - zu bewilligen sei, greift durch: Im Schriftsatz vom 7. März 2016 (II/5f.) hat die Antragstellerin aufgezeigt, dass der Abzugsposten ’Raten auf Kreditkartenkonto: 400 €/Monat‘ in dem betreffenden Unterhaltszeitraum nicht mehr gerechtfertigt ist. Ihr Vortrag deckt sich mit dem entsprechenden Vortrag des Antragsgegners im Schriftsatz vom 16. Oktober 2015 (dort S. 6ff.; I/170ff). Dieser hat dort erläutert, dass er eine Umschuldung vorgenommen hat; er hat das Kreditvolumen bei der D... Bank aufgestockt, um Kredite bei der H... Bank sowie der T... Bank abzulösen. Das Darlehen bei der T... Bank diente bis dahin der Rückführung u.a. des Kreditkartensaldos. Die bisherige Darlehensrate von 400 €/Monat, die im Nichtabhilfebeschluss vom 8. Februar 2016 (dort S. 6; I/201) vom Familiengericht (möglicherweise versehentlich) auch noch für den Unterhaltszeitraum ab Juli 2015 angesetzt wurde, hat der Antragsgegner jedoch nur bis einschließlich Juni 2015 geleistet; anschließend wurde der Kredit umgeschuldet und die Zahlung der 400 € entfiel (Schriftsatz Antragsgegner vom 16. Oktober 2015, dort S. 7; I/171).

Nimmt man den betreffenden Betrag aus der Rechnung heraus, so beträgt das unterhaltsrechtlich maßgebliche Einkommen nicht mehr lediglich 1.803,22 €, sondern 2.203,22 €. Auf der Basis der Düsseldorfer Tabelle 1. Januar 2015 ist der maßgebliche Unterhalt bei einem Einsatzbetrag von 2.203,22 €/Monat der Gruppe 3/Stufe 3 zu entnehmen; der Tabellenunterhalt beträgt danach 469 €, was nach Kindergeldverrechnung einem Zahlbetrag von 377 € entspricht. Demgemäß ist der Antragstellerin auch in dieser Höhe Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

b) (aa) Auf den ersten Blick mag es zwar als ein mutwilliges Vorgehen erscheinen, wenn ein Unterhaltsberechtigter (bzw. dessen Verfahrensbevollmächtigte) bewirkt, dass ein Jugendamt nicht beurkundet, was der Unterhaltspflichtige freiwillig an Unterhalt zugestehen will: Dass das Jugendamt die gewünschte Beurkundung - dem pauschal gehaltenen Vortrag der Beteiligten zufolge - im Ergebnis abgelehnt haben soll, erscheint nicht richtig. Denn dadurch wurde verhindert, dass die beiden Kinder Unterhaltstitel wenigstens in der vom Antragsgegner zugestandenen Höhe erhalten haben. Hinzukommt, dass der Urkundsperson im Jugendamt nach allgemeiner Auffassung keine sachliche Prüfkompetenz dahingehend zukommt, ob der Unterhaltsbeitrag, der der verpflichtungswillige Unterhaltsschuldner zu übernehmen bereit ist, unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben und bei Anwendung der gebräuchlichen Tabellen genügend ist oder nicht; vielmehr ist - ggf. nach Beratung bzw. mit der Ergänzung “als Teilbetrag des Verlangten” - zu beurkunden, was zugestanden werden soll (vgl. Knittel, Beurkundungen im Kindschaftsrecht [7. Aufl. 2013], Rn. 473). Durch eine derartige Titulierung eines Teilbetrages wird dem unterhaltsbedürftigen Kind keineswegs der Weg verbaut, über den anerkannten und titulierten “Sockelbetrag” hinaus weiteren Unterhalt als “Spitzenbetrag” einzufordern (vgl. nur Wendl/Dose-Schmitz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis [9. Aufl. 2015], § 10 Rn. 55b); soweit das im familiengerichtlichen Verfahren erfolgt, handelt es sich dabei um einen Zusatz- oder Nachforderungsantrag über den titulierten Unterhaltsbetrag hinaus.

(bb) Auch wenn ein solches Vorgehen in “technischer Hinsicht” ohne weiteres möglich wäre, ergeben sich daraus für das unterhaltsberechtigte Kind schwerwiegende Nachteile insbesondere verfahrensrechtlicher Natur, die sich in erster Linie aus dem Umstand ergeben, dass lediglich der im familiengerichtlichen Verfahren geltend gemachte Unterhaltsspitzenbetrag in Rechtskraft erwächst, aber nicht auch der Sockelbetrag. Das kann zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten führen, wenn die Zahlung des Sockelbetrages vom Unterhaltspflichtigen eingestellt wird. Entsprechendes gilt im Abänderungsfall, wenn Unterhaltspflichtiger oder -berechtigter den Sockel- und/oder den Spitzenbetrag abändern lassen wollen; dies kann zu Schwierigkeiten führen (vgl. Wendl/Dose-Schmitz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis [9. Aufl. 2015], § 10 Rn. 55e, 55f, 165ff.).

Um derartige Schwierigkeiten gar nicht erst entstehen zu lassen - dem Unterhaltsberechtigten soll nicht zugemutet werden, mit zwei Titeln “herumhantieren” zu müssen - und weil der Unterhaltsberechtigte Anspruch auf Titulierung des vollen gesetzlichen Unterhalts hat, gewährt die Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2009 - XII ZB 20/08, FamRZ 2010, 195 [bei juris Rz. 11, 14ff.]) mit Zustimmung der Literatur (vgl. Knittel, Beurkundungen im Kindschaftsrecht [7. Aufl. 2013], Rn. 370ff.; Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe [7. Aufl. 2014] Rn. 470) ihm einen Anspruch auf den vollen Unterhalt; ein Unterhaltspflichtiger, der nur zu Teilleistungen bereit ist, gibt Anlass zu dem Unterhaltsverfahren über den gesamten, vollen gesetzlichen Unterhalt und damit scheidet Mutwillen des Unterhaltsberechtigten im Ergebnis aus. Folglich ist der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe ohne Einschränkungen für den zu ihren Händen zu leistenden Unterhalt für die beiden Kinder zu gewähren.

3. Für das Beschwerdeverfahren sind keine Gebühren zu erheben (KV FamGKG Nr. 1912); Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

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