BGH, Beschluss vom 03.02.2016 - XII ZB 425/14
Fundstelle
openJur 2016, 3916
  • Rkr:
Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 10. Juli 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe

A.

Die im Jahr 1928 geborene Betroffene wendet sich gegen die Anordnung ihrer Betreuung. Sie meint, die Betreuung sei wegen einer Bevollmächtigung nicht erforderlich.

Die Betroffene leidet an einem mittelschweren hirnorganischen Psychosyndrom im Rahmen eines senilen Demenzprozesses. Sie hat der Beteiligten zu 1, ihrer Tochter, und dem Beteiligten zu 2, ihrem Ehemann, am 10. Januar 2009 für den Fall ihrer Erkrankung eine Generalvollmacht erteilt, mit der beide zusammen oder einzeln für die Betroffene handeln können.

Das Amtsgericht hat die Beteiligte zu 1 für die Aufgabenkreise Sorge für die Gesundheit, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen und sonstigen Institutionen, Entgegennahme, Öffnen der Post und Vertretung in Gerichtsverfahren zur Betreuerin für die Betroffene bestellt. Für den Fall ihrer Verhinderung hat es den Beteiligten zu 2 zum Ersatzbetreuer bestellt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

B.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.

Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Dass die medizinische Notwendigkeit zum Zeitpunkt des Beschlusserlasses für die Betreuerbestellung vorgelegen habe, werde von der Beschwerde nicht angegriffen. Die von der Betroffenen am 10. Januar 2009 erteilte Generalvollmacht schließe die Anordnung der Betreuung nicht aus, da auch nach umfangreicher Beweisaufnahme nicht zweifelsfrei feststehe, dass die Betroffene zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung geschäftsfähig gewesen sei.

Zwar hätten die von der Betroffenen benannten Zeugen keine Zweifel an ihrer Geschäftsfähigkeit im Zeitpunkt der Vollmachterteilung gehabt. Jedoch habe der Zeuge L. bei seiner Vernehmung widerspruchsfrei ausgesagt, im Rahmen der von ihm durchgeführten neurologischen Behandlung sei es bei der ersten Vorstellung im August 2008 um wahnhafte Inhalte, Halluzinationen und Beziehungsideen gegangen. Er habe bei der Betroffenen eine schizophreniforme Störung festgestellt und den Verdacht auf eine beginnende Demenz gehabt. Aus einem in seinen Unterlagen befindlichen Patientenfragebogen habe sich ergeben, dass die Betroffene bereits in den Jahren 2007 und 2008 wegen Stimmenhörens in neurologischer oder psychiatrischer Behandlung gewesen sei. Die Betroffene habe auch ihm berichtet, dass sie Stimmen höre, sich verfolgt und beobachtet fühle.

Die Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung seien durch die Begutachtungen des Sachverständigen B. bestätigt worden. Dieser sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es bereits im Jahre 2008 zu einem Schlaganfallereignis bei der Betroffenen gekommen sein könne, zumal bildgebende Verfahren im Februar 2009 einige zerebrale Defekte nach Schlaganfällen und geringe mikropathologische Veränderungen gezeigt hätten. Zumindest seien aber zerebrale Durchblutungsstörungen mit einer gewissen Symptomatik festzuhalten. Dabei sei kennzeichnend, dass zwar eine zeitweilige Symptomatik vorhanden sei, nach Rückbildung aber keine Krankheitsanzeichen in dieser Hinsicht mehr bestünden. Der Sachverständige habe auch auf den Befundbericht des Zeugen L. vom 14. August 2008 Bezug genommen, wonach die Betroffene unter anderem an Halluzinationen leide, die zeitweilig vorhanden gewesen seien und an eine schizophrene Störung denken ließen. Damit bestünden im Ergebnis Bedenken, dass die Betroffene bei der Erteilung der Generalvollmacht die Fähigkeit besessen habe, die Bedeutung der abgegebenen Willenserklärung zu erkennen und nach dieser Erkenntnis zu handeln.

II.

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Die bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht den Schluss des Landgerichts, dass trotz der erteilten Vollmacht eine Betreuung erforderlich ist.

a) Ebenso wie die - eine Betreuung erfordernde - Krankheit mit hinreichender Sicherheit feststehen muss, eine bloße Verdachtsdiagnose also nicht ausreicht (Senatsbeschluss vom 16. Mai 2012 - XII ZB 584/11 - FamRZ 2012, 1210 Rn. 7 mwN), genügt ein bloßer Verdacht nicht, um die Vermutung der Wirksamkeit einer vorliegenden Vollmachtsurkunde zu erschüttern. Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es somit bei der wirksamen Bevollmächtigung. Soweit die frühere Senatsrechtsprechung dem widerspricht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 11 und vom 19. August 2015 - XII ZB 610/14 - FamRZ 2015, 2047 Rn. 27 mwN), hält der Senat daran nicht fest.

Ob eine bestehende Vollmacht dann, wenn sie in Zweifel gezogen wird, dem Bevollmächtigten ermöglicht, die Angelegenheiten des Betroffenen ebenso gut wie durch einen Betreuer zu besorgen (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB), ist eine nachgeordnete Frage, die sich erst stellt, wenn die Frage der Wirksamkeit der Vollmacht ausermittelt ist (vgl. BeckOGK/Schmidt-Recla BGB [Stand: November 2015] § 1896 Rn. 235; Erman/Roth BGB 14. Aufl. § 1896 Rn. 41) und nicht positiv festgestellt werden kann, ob sie wirksam oder unwirksam ist. Bleiben Bedenken, kommt es darauf an, ob die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr eingeschränkt ist, entweder weil Dritte die Vollmacht unter Berufung auf diese Bedenken zurückgewiesen haben oder weil entsprechendes konkret zu besorgen ist (so auch OLG München NJW-RR 2009, 1599, 1602 f.; Münch-

KommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 51; BeckOGK/Schmidt-Recla BGB [Stand: November 2015] § 1896 Rn. 236; Erman/Roth BGB 14. Aufl. § 1896 Rn. 41; jurisPK-BGB/Bieg [Stand: 26. Oktober 2015] § 1896 Rn. 52).

b) Gemessen hieran genügen die bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts nicht, um die Erforderlichkeit der Betreuung bejahen zu können.

aa) Das Landgericht ist freilich in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass Bedenken gegen die Wirksamkeit der erteilten Vollmacht bestünden.

(1) Allerdings rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass der später bestellte Gutachter B. an der Einvernahme der Zeugen - mit Ausnahme der Einvernahme des Zeugen L. - nicht teilgenommen habe. Dabei weist die Rechtsbeschwerde auch zutreffend darauf hin, dass die Zeugenvernehmung ausweislich des Beweisbeschlusses des Landgerichts im Beisein des Sachverständigen stattfinden sollte. Zwar war in dem Beweisbeschluss noch der Sachverständige S. benannt, der an der Vernehmung der Zeugen auch tatsächlich teilgenommen hat. Jedoch hat das Landgericht ihn später entpflichtet und an seiner Stelle den Sachverständigen B. zum Gutachter bestellt.

Gleichwohl ist das vom Landgericht gewählte Verfahren auch vor dem Hintergrund des ursprünglichen Beweisbeschlusses aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der umfangreichen Protokollierung der Zeugenvernehmung im Termin vom 23. Januar 2013 sind sowohl die Fragen zu entnehmen, die der Sachverständige S. ergänzend an die Zeugen gerichtet hat, als auch die entsprechenden Antworten. Wie sich vor allem aus seiner ergänzenden Anhörung im Termin vom 9. Juli 2014 ergibt, hat der Sachverständige B. die Zeugenaussagen bei seiner Begutachtung verwertet, ist aber zu dem Ergebnis gelangt, dass die Aussagen - ihre Richtigkeit unterstellt - die Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen nicht hätten entkräften können, weil die krankheitsbedingten Ausfälle der Betroffenen ihrer Natur nach nur temporär aufgetreten sein könnten. Ersichtlich hat der Sachverständige die ihm vorliegenden ärztlichen Befunde als maßgeblich erachtet.

Dass das Landgericht bei dieser Verfahrenslage davon Abstand genommen hat, die Zeugen nochmals, nunmehr im Beisein des Sachverständigen B., zu vernehmen, liegt noch im tatrichterlichen Ermessen.

(2) Ebenso wenig verfängt die Rüge der Rechtsbeschwerde, das vom Landgericht zugrunde gelegte Gutachten des Sachverständigen B. genüge nicht den Anforderungen, die die Senatsrechtsprechung an ein Gutachten in Betreuungssachen gemäß § 280 FamFG stelle.

Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Insoweit bedarf es - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht zwingend einer förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 Abs. 1 FamFG. Das ändert freilich nichts an dem Umstand, dass regelmäßig jedenfalls die Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme erforderlich sein wird. Dabei steht es jedoch - anders als im Fall des § 280 FamFG - im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es im Wege des Frei- oder Strengbeweises vorgeht (§ 30 Abs. 1 FamFG - vgl. Senatsbeschluss vom 19. August 2015 - XII ZB 610/14 - FamRZ 2015, 2047 Rn. 31 f.).

(3) Nach alledem hat das Landgericht die Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung i.S.v. §§ 26, 30 FamFG hinreichend ausermittelt.

bb) Das Landgericht hat sich von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig allerdings nicht die Frage vorgelegt, ob Anhaltspunkte für eine mangelnde Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr bestehen. Dies wird es nachzuholen haben.

2. Die angefochtene Entscheidung kann auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht nicht festgestellt hat, ob ein freier Wille der Betroffenen i.S.v. § 1896 Abs. 1 a BGB der Bestellung eines Betreuers entgegensteht.

a) Nach § 1896 Abs. 1 a BGB darf gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Die Annahme eines freien Willens im Sinne von § 1896 Abs. 1 a BGB setzt dabei Einsichts- und Handlungsfähigkeit voraus. Der Betroffene muss mithin in der Lage sein, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen, sowie nach der gewonnenen Erkenntnis zu handeln, also die sich daraus ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen. Das krankheitsbedingte Fehlen eines solchen freien Willens hat das sachverständig beratene Gericht festzustellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. Februar 2014 - XII ZB 577/13 - FamRZ 2014, 830 Rn. 11 ff. und vom 14. Januar 2015 - XII ZB 352/14 - FamRZ 2015, 648 Rn. 10 ff.).

b) An einer diesen rechtlichen Vorgaben genügenden Feststellung, dass es der Betroffenen am freien Willen mangelt, fehlt es. Weder die amtsgerichtliche noch die landgerichtliche Entscheidung verhalten sich hierzu. Ebenso wenig enthalten die beiden Gutachten der Sachverständigen S. und B. Ausführungen zum freien Willen im Zeitpunkt der Begutachtung.

Die Gerichte waren nicht etwa deshalb von entsprechenden Ermittlungen entbunden, weil die Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen dem Grunde nach nicht im Streit war und mit der Beschwerde sowie mit der Rechtsbeschwerde allein die Wirksamkeit der Vollmacht zur Überprüfung gestellt wurde. Denn spätestens mit ihrer Beschwerde hat die Betroffene dokumentiert, dass die Bestellung der Betreuerin nicht ihrem Willen entspricht, so dass die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1a BGB von Amts wegen zu prüfen waren.

III.

Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Die Sache ist, da noch weitere Ermittlungen durchzuführen sind, an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

Sollten die weiteren Feststellungen ergeben, dass eine Betreuung trotz der Bevollmächtigung erforderlich ist, wird das Landgericht zu erwägen haben, die dann noch durchzuführende Begutachtung der Betroffenen zum freien Willen auch auf die - die Betreuung i.S.v. § 1896 Abs. 1 BGB erforderlich machende - Erkrankung zu erstrecken. Zwar war dies bereits Gegenstand der Begutachtung des Sachverständigen S. Vor dem Hintergrund, dass dieser vom Landgericht entpflichtet worden ist, nachdem er mitgeteilt hatte, kein Facharzt für Psychiatrie und "seit Jahren nicht mehr praktisch nervenheilkundlich tätig" gewesen zu sein, dürfte eine erneute Begutachtung durch einen die erforderliche Sachkunde aufweisenden Sachverständigen geboten sein, zumal der Sachverständige B. in seinem Gutachten allein die Beweisfrage beantwortet hat, ob die Betroffene die Vollmacht wirksam erteilt habe.

Schließlich wird das Landgericht - nach Vorlage des Sachverständigengutachtens - zu erwägen haben, die Betroffene selbst anzuhören (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 227/12 - juris Rn. 8 ff.).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger Guhling Vorinstanzen:

AG Wiesbaden, Entscheidung vom 14.05.2012 - 42 XVII 23/12 T -

LG Wiesbaden, Entscheidung vom 10.07.2014 - 4 T 347/12 und 4 T 392/12 -