BGH, Beschluss vom 29.09.2015 - 3 StR 310/15
Fundstelle
openJur 2016, 199
  • Rkr:
Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 4. Dezember 2014 wird verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin neu gefasst, dass die Worte "gemeinschaftlichen unerlaubten" entfallen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge" zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Sie führt nur zu der Neufassung des Schuldspruchs (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 260 Rn. 24).

Näherer Erörterung bedürfen nur die Beanstandungen eines mehrfachen Verstoßes "gegen §§ 243 IV 2, 273 Ia StPO" wegen Verletzung der "Hinweis-(Transparenz-) und Dokumentationspflichten". Ihnen liegen folgende Sachverhalte zugrunde:

1. Am ersten Hauptverhandlungstag regte der Vorsitzende ein Gespräch über den weiteren Verfahrensablauf an. Dieses fand nach Schluss der Sitzung unter Beteiligung der drei Berufsrichter, der Schöffen, des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und aller Verteidiger statt. Dabei gab der Vorsitzende unter anderem bekannt, welche Strafen nach vorläufiger Bewertung durch ihn und den Berichterstatter für die einzelnen Angeklagten in etwa angemessen sein könnten. Über den Gesprächsverlauf fertigte der Vorsitzende einen umfangreichen Vermerk, den er zwei Tage später, am 18. September 2014, an die Verteidiger mit einem Doppel für die Mandanten übersandte. Beigefügt war zudem ein Beschluss von diesem Tag, in dem die Strafkammer (in der Besetzung mit den drei Berufsrichtern) unter anderem "im Nachgang zu den im Anschluss an die Hauptverhandlung im Hinblick auf eine mögliche Verständigung i.S.d. § 257c StPO erfolgten Erörterungen" darlegte, "derzeit keine verbindlichen Zusagen zu Unter- und Obergrenzen einer möglichen - i.S.d. § 46 StGB angemessenen - Strafe machen" zu können, weil hierfür wesentliche Gesichtspunkte noch nicht verlässlich beurteilt werden könnten. Vermerk und Beschluss gingen dem Verteidiger des Beschwerdeführers eine Woche vor dem nächsten Hauptverhandlungstag zu. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung machte der Vorsitzende keine Mitteilung über das nach Ende des ersten Verhandlungstages geführte Gespräch.

a) Der Vorsitzende hat die Pflicht verletzt, den wesentlichen Inhalt von verständigungsbezogenen Erörterungen in der Hauptverhandlung mitzuteilen, sobald sich zu einer zu Beginn der Hauptverhandlung abgegebenen Mitteilung Änderungen ergeben haben (§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO). Dieser Information über Gespräche außerhalb des Sitzungssaals kommt in der Konzeption des Verständigungsgesetzes eine zentrale Bedeutung zu. Sie dient dem Grundsatz, dass sich eine Verständigung im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbaren muss (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 12; BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 222 f.). Diese Pflicht war durch die Dokumentation in Form eines Vermerks und dessen Zusendung an die Verteidiger nicht erfüllt worden. Sie ist auch nicht deshalb entfallen, weil die Strafkammer nach Beratung zu dem Ergebnis gekommen war, eine verbindliche Zusage hinsichtlich eines Strafrahmens nicht geben zu können. Der Vorsitzende hätte deshalb zu Beginn des zweiten Verhandlungstags in öffentlicher Hauptverhandlung über das Gespräch, das zwischen den Verhandlungstagen geführt worden war, unterrichten müssen.

b) Der Senat kann indes ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).

aa) Nach ständiger Rechtsprechung beruht ein Urteil auf einem Rechtsfehler, wenn es ohne diesen möglicherweise anders ausgefallen wäre. An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn ein ursächlicher Zusammenhang mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann bzw. rein theoretischer Natur ist. Insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht hängt die Entscheidung über das Beruhen stark von den Umständen des Einzelfalles ab (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 470/14, juris Rn. 17 mwN).

bb) Der Angeklagte hat sich auch am zweiten Hauptverhandlungstag nicht zur Sache eingelassen. Es ist auszuschließen, dass dieses Verteidigungsverhalten auf der ungenügenden Information beruht. Es liegt bereits sehr nahe, dass der Angeklagte von seinen Verteidigern vor Beginn der Hauptverhandlung über den Vermerk des Vorsitzenden und den Beschluss der Strafkammer unterrichtet wurde, die den Verteidigern eine Woche zuvor bereits zugestellt worden waren. Zudem hätte der Vorsitzende bei der gebotenen Unterrichtung des Angeklagten zugleich darauf hinzuweisen gehabt, dass die Strafkammer inzwischen nicht mehr bereit war, einen Verständigungsvorschlag zu unterbreiten. Damit war zu keinem Zeitpunkt in der Hauptverhandlung eine Situation gegeben, bei der dem Angeklagten aufgrund unzureichender Information die Chance genommen war, durch sein Einlassungsverhalten auf die Entscheidung des Gerichts einzuwirken.

cc) Ein Beruhen des Urteils ist auch unter dem Gesichtspunkt auszuschließen, dass die Öffentlichkeit durch die gewählte Verfahrensweise nicht über den Inhalt der Erörterungen unterrichtet worden ist. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der oben dargelegten, bereits vom Reichsgericht begründeten Auslegung des § 337 Abs. 1 StPO nicht entgegensteht und die maßgebend auf die Kausalität abstellende Beruhensprüfung auch bei Verstößen gegen § 243 Abs. 4 StPO nicht um normative Gesichtspunkte zu ergänzen ist (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 470/14, juris Rn. 21 ff.). Selbst wenn man jedoch den in Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschlüsse vom 15. Januar 2015 - 2 BvR 878/14, NStZ 2015, 170; 2 BvR 2055/14, NStZ 2015, 172) aufgestellten Maßstäben zur "normativen Beruhensprüfung" folgen wollte, wäre nach den dort aufgezeigten Kriterien hier ein Fall gegeben, der die Wertung rechtfertigt, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht beruht; denn eine Umgehung des Gesetzes durch Anbahnung einer ungesetzlichen informellen Verständigung war mit der vom Vorsitzenden gewählten Verfahrensweise nicht beabsichtigt.

2. Am 5. Hauptverhandlungstag bat die Verteidigung um ein Verständigungsgespräch. Der Vorsitzende stellte daraufhin anheim, das Gespräch und eine Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft zu suchen, der sich gegebenenfalls die Strafkammer anschließen würde. In einem nachfolgenden Gespräch mit den Verteidigern lehnte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft die Mitwirkung an einer Verständigung ab.

Entgegen der Ansicht der Revision musste der Strafkammervorsitzende hierüber in der Hauptverhandlung keine Mitteilung machen. Weder die Anregung des Vorsitzenden gegenüber dem Verteidiger noch die Gespräche zwischen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, an denen das Gericht nicht beteiligt war, fallen in den Regelungsbereich des § 243 Abs. 4 StPO. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes. Erörterungen zum Verfahrensstand sind, gleich ob sie von der Staatsanwaltschaft (§ 160b StPO) oder vom Gericht (§§ 202a, 212 StPO) geführt werden, mit ihrem wesentlichen Inhalt aktenkundig zu machen. Nur Erörterungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten - und auch diese nur, sofern sie einen Verständnisbezug hatten - müssen in der Hauptverhandlung näher (vgl. zum Umfang BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, BVerfGE 133, 168, 216 f.) mitgeteilt werden. Für Gespräche zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung verbleibt es bei der Pflicht zur Dokumentation in der Akte (so auch KK-Schneider, StPO, 7. Aufl., § 243 Rn. 36; eine Mitteilungspflicht eher ablehnend selbst für den Fall, dass das Gericht Kenntnis vom Inhalt der Erörterungen erlangt hat: BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 - 5 StR 258/13, NStZ 2015, 232 mwN; ebenso wohl BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014 - 1 StR 523/13, NStZ-RR 2014, 115).

3. Zuletzt regte am 6. Hauptverhandlungstag ein Verteidiger des Angeklagten an, "ein Rechtsgespräch über eine geständige, im Wege einer Verständigung (zu) erzielende Strafunter-/obergrenze zu führen". Daraufhin wurde die Sitzung zuerst für eine Stunde, später nochmals für eine Viertelstunde unterbrochen. Danach sagte der Angeklagte zur Sache aus. Seine Einlassung wurde durch zwei weitere Verhandlungspausen unterbrochen. Der Vorsitzende machte im Anschluss an die Sitzungsunterbrechungen keine Mitteilungen nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO.

Die Rüge ist insoweit mangels ausreichenden Tatsachenvortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) unzulässig.

Die Mitteilungspflicht des Vorsitzenden nach § 243 Abs. 4 StPO erstreckt sich nur auf solche Erörterungen des Gerichts mit Verfahrensbeteiligten, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Nur zu Beginn der Hauptverhandlung ist die Auskunft nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gegebenenfalls auch darüber zu erteilen, dass keine solche Gespräche stattgefunden haben (sog. Negativmitteilung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. August 2014 - 2 BvR 2172/13, NStZ 2014, 592). Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung ist erneut eine Mitteilung zu machen, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben (§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO). Daraus folgt, dass eine Mitteilung zu machen ist, sobald verständigungsbezogene Gespräche stattgefunden haben.

Um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob verständigungsbezogene - und damit eine Unterrichtungspflicht auslösende - Gespräche stattgefunden haben, muss der Revisionsführer Tatsachen zum Inhalt der Erörterungen vortragen. Es reicht nicht, wenn er lediglich behauptet, es hätten solche Gespräche stattgefunden. Erforderlich ist vielmehr die Behauptung von Tatsachen, die eine Überprüfung dahin gestatten, ob dabei ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum standen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden, damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahelag und somit die Mitteilungspflicht ausgelöst wurde (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 216 f.).

Dieser Pflicht zur Mitteilung des konkreten Gesprächsinhalts (BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 - 3 StR 24/14, NStZ 2014, 529; vom 22. Juli 2014 - 1 StR 210/14, NStZ 2015, 48; vom 25. Juni 2015 - 1 StR 579/14, NStZ 2015, 657, 658), die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob ein Rechtsfehler gegeben ist, ist die Revision nicht nachgekommen. Der Vortrag zu der Absicht, mit der die Verteidigung eine Sitzungsunterbrechung beantragt hatte, sowie die Behauptung, es hätten "Verständigungsgespräche" stattgefunden, sind keine die Rechtsprüfung des Revisionsgerichts ermöglichenden Tatsachenbehauptungen zum Inhalt der tatsächlich geführten Erörterungen.

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