BGH, Urteil vom 15.07.2015 - IV ZR 386/13
Fundstelle
openJur 2015, 12695
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 17. Oktober 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 1.019,45 € festgesetzt.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Rentenversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Januar 2008 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Policenbegleitschreiben vom 21. November 2007 eine schriftliche Belehrung über sein Widerspruchsrecht, den Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG).

Mit Schreiben vom 22. Januar 2009 erklärte d. VN den "Widerspruch gemäß § 5a VVG/den Widerspruch nach § 8 VVG, vorsorglich die Anfechtung nach § 119 BGB, hilfsweise die Kündigung". Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert an d. VN.

Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts, insgesamt 1.019,45 €.

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Gründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. D. VN habe die Prämien mit Rechtsgrund geleistet. Der Versicherungsvertrag sei wirksam zustande gekommen. Die Widerspruchsbelehrung im Policenbegleitscheiben sei drucktechnisch deutlich hervorgehoben und auch inhaltlich ordnungsgemäß. Die damit in Lauf gesetzte Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. sei bei Erklärung des Widerspruchs längst abgelaufen gewesen.

II. Die Revision ist begründet.

1. Ein - mit der Revision allein weiterverfolgter - Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die im Policenbegleitschreiben enthaltene Widerspruchsbelehrung inhaltlich nicht ordnungsgemäß, weil die Widerspruchsfrist mit einem Monat falsch angegeben war. Die Widerspruchsfrist betrug für Lebensversicherungsverträge - auch für den hier geschlossenen Rentenversicherungsvertrag - nach § 5a Abs. 1 Satz 2 VVG a.F. in der ab dem 8. Dezember 2004 geltenden Fassung 30 Tage. Damit ist ein Monat nicht gleichzusetzen, da er auch 29 oder 28 Tage haben kann. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kommt es nicht darauf an, ob im Streitfall eine Monatsfrist 30 Tagen entspricht, weil das Policenbegleitschreiben vom 21. November 2007 stammt. Die Belehrung muss die Widerspruchsfrist unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Abfassung oder ihres Zugangs richtig angeben.

Für den Fall, dass d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht belehrt worden war, bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.

Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

bb) Die hilfsweise erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski Lehmann Dr. Brockmöller Vorinstanzen:

AG Emmerich, Entscheidung vom 20.03.2013 - 2 C 291/12 -

LG Kleve, Entscheidung vom 17.10.2013 - 6 S 58/13 -