OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.06.2014 - I-22 U 34/14
Fundstelle
openJur 2015, 7176
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag der Beklagten, ihnen wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 22.01.2014 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.

II..

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 22.01.2014 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

Gründe

A.

Das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 22.01.2014 ist der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 05.02.2014 (1575 GA) zugestellt worden. Die Beklagten haben gegen das Urteil am 26.02.2014 (1600 ff. GA) Berufung eingelegt und - nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 07.05.2014 (1611 GA) - erst nach Fristablauf am 08.05.2014 (1613 ff. GA) eine Berufungsbegründung vorgelegt. Nach Hinweis des Senats vom 09.05.2013 auf die Fristversäumung (1716 GA) haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 15.05.2014 (1718 ff. GA) - unter Darstellung und Glaubhaftmachung von besonderen Umständen am Abend des 07.05.2014 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und ihre Berufungsbegründung unter Bezugnahme darauf um weitere 12,5 Seiten (1727 ff. GA) ergänzt. Die Klägerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme (vgl. 1716 GA).

B.I.

Der zulässige Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist ist unbegründet, da die Beklagten nicht ohne ihnen zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten i.S.v. §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO verhindert waren, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten

Im Rahmen von § 233 ZPO ist ein objektiverabstrakter Verschuldensbegriff anzuwenden. Bei Prüfung des gemäß § 85 Abs. 2 ZPO der Partei zuzurechnenden Verschuldens deren Prozessbevollmächtigten ist von einer verschuldeten Fristversäumung auszugehen, wenn diese Fristversäumung unter Zugrundelegung eines (standes-)üblichen, also berufsbedingt hohen Sorgfaltsmaßstabs abwendbar gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 22.11.1984, VII ZR 160/84, NJW 1985, 1710; Zöller-Greger, ZPO, 30. Auflage 2014, Rn 13 mwN; Musielak, ZPO, 11. Auflage 2014, § 233, Rn 4 mwN; Beck-OK-Vorwerk/Wolf, Edition 12, Stand 15.03.2014, § 233, Rn 10 mwN).

Der Prozessbevollmächtigte muss bei der Wahrung von Fristen zum Schutz des Mandanten den sichersten Weg wählen bzw. gehen; dies gilt insbesondere, wenn er - wenngleich grundsätzlich zulässig - die Frist bis zuletzt ausnutzt (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2011, XI ZB 24/10, NJOZ 2011, 1810 = BeckRS 2011, 17258, dort Rn 12/13 mwN; BGH, Beschluss vom 08.05.2007, VI ZB 74/06, NJW 2007, 2045; BGH, Beschluss vom 09.05.2006, XI ZB 45/04, NJW 2006, 2637; BGH, Beschluss vom 23.05.2004, IV ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1502; BGH Beschluss vom 25.11.2004, VII ZR 320/03, NJW 2005, 678; BGH, Beschluss vom 13.05.2004, V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217; BGH, Beschluss vom 23.04.1998, I ZB 2/98, NJW 1998, 2677). Normale Verzögerungen (wie z.B. kurzfristige Verkehrsstockungen, Belegung des Fax-Anschlusses u.ä.) müssen von ihm grundsätzlich einkalkuliert werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.11.1999, 2 BvR 565/98, NJW 2000, 574), unvorhersehbare Ereignisse (wie z.B. ein Verkehrsunfall u.ä.) hingegen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 23.04.1998, a.a.O.; Zöller-Greger, a.a.O., Rn 14 mwN)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von der Partei bzw. deren Prozessbevollmächtigten verschuldet worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 06.04.2011, XII ZB 701/10, NJW 2011, 1972; BGH, Beschluss vom 18.03.1998, XII ZB 144/97, www.juris.de).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann - bei Wahrunterstellung aller im Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten geschilderten besonderen Umstände bzw. mehrfachen technischen Störungen (der lokalen EDV-Anlage bzw. des Netzwerks bzw. der Kopiergeräte) am Abend des 07.05.2014 - ein den Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten nicht ausgeschlossen werden.

1.

Es kann dahinstehen, dass der Senat bereits erhebliche Zweifel daran hat, dass der - nach Angaben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten - von ihr vorgesehene Ablauf bei der Fertigung der Berufungsbegründungsschrift im Zeitraum vom 05.-07.05.2014 (d.h. den beiden letzten Tagen der zuvor bereits antragsgemäß verlängerten Frist) und insbesondere der nach Angaben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten für den 07.05.2014 nach Entlassung ihrer Sekretärin in den Feierabend (17.30 Uhr, vgl. 1720 GA) von ihr vorgesehene Ablauf, d.h. der letzten 6,5 Stunden vor dem Fristablauf um 24.00 Uhr, ihren anwaltlichen Sorgfaltspflichten zur Wahl des sichersten Weges entsprach (vgl. auch Zöller-Greger, a.a.O., § 233, Rn 23, Stichwort: Arbeitsüberlastung, BGH, Beschluss vom 23.11.1995, V ZB 20/95, NJW 1996, 997; BGH, Beschluss vom 23.11.2000, I ZB 34/00, www.juris.de; vgl. auch BGH, Beschluss vom NJW 2011, 1972, dort Rn 10: "... Einplanung einer gewissen Zeitreserve ... ").

2.

Denn selbst wenn der Senat die von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten mitgeteilten Störungen der EDV-Anlage der Kanzlei bzw. deren Server-Verbindung (zu einem externen Server) als wahr unterstellt (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., § 233, Rn 23, Stichwort: Technische Störung; BGH, Beschluss vom 09.05.2006, a.a.O.; OLG Celle, Beschluss vom 30.06.2003, 14 U 49/03, NJW-RR 2003, 1439; BGH, Beschluss vom 17.05.2004, II ZB 22/03, NJW 2004, 2525), diese - entsprechend der o.a. Grundsätze - als unnormale, unvorhersehbare Verzögerungen bewerten und daher annehmen wollte, dass es der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vor etwa 23.30 Uhr nicht möglich gewesen sein soll, ein vollständiges Exemplar der Berufungsbegründung (nebst den zuvor bereits vom Sekretariat vorbereiteten Anlagen, vgl. 1720/1725 GA) zu erstellen, stellt es sich als den Beklagten zuzurechnendes anwaltliches Verschulden i.S.v. §§ 233, 85 Abs. 2 BGB dar, dass sich die Prozessbevollmächtigte der Beklagten in den bis zum Fristablauf um 24.00 Uhr verbleibenden etwa 30 Minuten zunächst mit der Erstellung von Kopien der 55-seitigen Berufungsbegründungsschrift (d.h. zur Erstellung für die Fristwahrung nicht zwingend notwendiger Abschriften i.S.v. § 133 ZPO, vgl. dort: "... sollen ...", vgl. auch Zöller-Greger, a.a.O., § 133, Rn 3 mwN) beschäftigt hat, statt pflichtgemäß und im Sinne eines - jedenfalls in diesem späten Zeitpunkt - "sichersten Weges" das vollständige Exemplar der Berufungsbegründung (nebst Anlagen) schleunigst von der T.-straße zum Nachtbriefkasten des OLG an der C. zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2011, a.a.O., dort Rn 12/13 mwN; BGH, Beschluss vom 09.05.2006, a.a.O., Musielak, a.a.O., § 233, Rn 27 mwN), zumal dies - nach eigenen Angaben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten - innerhalb von 30 Minuten auch durchaus realisierbar gewesen wäre (vgl. 1725 GA unten: "... nur wenige Minuten ...").

Dies folgt erst recht daraus, dass nach einem - wenn auch i.S.v. § 233 ZPO unverschuldeten - technischen Defekt der EDV-Anlage bzw. des Netzwerks innerhalb der letzten Stunden vor Fristablauf nach den o.a. bereits im Allgemeinen hohen, standesüblichen Sorgfaltsanforderungen weitergehende besondere Anstrengungen des Prozessbevollmächtigten zur Fristwahrung verlangt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23.06.2004, a.a.O., dort Rn 9; Beschluss vom 26.06.1996, IV ZB 5/96, VersR 1997, 84, dort Rn 5; BSG, Urteil vom 31.03.1993, 13 Rj 9/92, MDR 1993, 904, dort Rn 16; vgl. auch OLG München, Urteil vom 13.07.1994, 15 U 1677/94, OLGR 1994, 165). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist infolgedessen ausgeschlossen, wenn von einem Prozessbevollmächtigten nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen werden, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 09.05.2006, a.a.O.; BGH, Beschluss vom 13.05.2004, a.a.O.). Die Beklagten gestehen indes selbst ausdrücklich zu, dass ein um ca. 23.30 Uhr (ohne weiteren Zeitverlust durch das Kopieren bzw. die insoweit geschilderten Probleme) angetretener Transport des in diesem Zeitpunkt vorhandenen Exemplars der Berufungsbegründung nebst Anlagen (wenngleich zunächst nur in einfacher Ausfertigung) zum Nachtbriefkasten des OLG noch vor Fristablauf um 24.00 Uhr "durchaus realisierbar", d.h. in zumutbarer Weise zu erledigen gewesen wäre.

II.1.

Die Berufung der Beklagten ist dementsprechend durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie von ihnen nicht innerhalb der gesetzlichen Frist gemäß § 520 Abs. 2 ZPO begründet worden ist.

2.

Soweit die Beklagten mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Berufungsbegründung um ca. 12,5 Seiten ergänzt haben (vgl. 1726 ff. GA, dort zu II.), haben sie damit - auch wenn der Senat davon ausgehen wollte, dass die Beklagten auch insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen - keinen Erfolg, da die Berufung der Beklagten dann jedenfalls nicht in der gesetzlichen Form gemäß § 520 Abs. 3 ZPO begründet worden ist.

Selbst wenn der Senat unterstellt, dass es der Prozessbevollmächtigten der Beklagten durch die von ihr geschilderten Probleme mit der EDV-Anlage bzw. dem Netzwerk ohne ihr Verschulden nicht möglich war, diesen Teil der Berufungsbegründung vor Fristablauf fertigzustellen bzw. einzureichen, würde diese nachgereichte Ergänzung der Berufungsbegründung - schon mangels Berufungsantrag - nicht den Mindestanforderungen an eine Berufungsbegründung i.S.v. § 520 Abs. 3 ZPO genügen (vgl. Zöller-Heßler, a.a.O., § 520, Rn 27 ff. mwN). Die Entscheidungen des BGH (Beschluss vom 18.11.1999, III ZR 87/99, NJW 2000, 364; Urteil vom 13.02.1997, III ZR 285/95, NJW 1997, 1309) betreffen insoweit jeweils anders gelagerte Sachverhalte.

C.

Die Kostenentscheidung, die ohne weiteres auch die Kosten des Verfahrens über den Wiedereinsetzungsantrag umfasst (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., § 238, Rn 11), beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.