VG Berlin, Urteil vom 26.09.2012 - 23 K 50.12 V
Fundstelle
openJur 2015, 3002
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Remonstrationsbescheides der Deutschen Botschaft in Rabat vom 5. Dezember 2011 verpflichtet, dem Kläger ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2., die diese selbst tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des beizutreibenden Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Visums zum Zwecke des Ehegattennachzugs.

Der 1982 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er heiratete am 28. Juli 2011 in Marokko die Beigeladene zu 2. Diese ist 1974 geboren, deutsche Staatsangehörige und nunmehr in zweiter Ehe verheiratet. Aus der ersten Beziehung stammen die beiden Kinder der Beigeladenen zu 2.

Der Kläger stellte unter dem 11. August 2011 bei der Deutschen Botschaft in Rabat einen Antrag auf Erteilung eines Visums zum Zwecke des Ehegattennachzugs. Nachdem Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Eheschließung aufgekommen waren, veranlassten die Beklagte und die Beigeladene zu 1. die zeitgleiche Befragung der Ehegatten am 18. Oktober 2011. Hierbei gab der Kläger unter anderem die Namen der Eltern seiner Ehefrau an und berichtete hierzu, die Ehefrau habe keinen Kontakt zu den Eltern. Dies gelte auch für den Kontakt zu ihren Geschwistern. Er selbst habe einen in Deutschland (Kaiserslautern) lebenden Bruder und einen Onkel, der in Frankfurt am Main lebe. Ein weiterer Bruder lebe in Barcelona, ein weiterer Onkel in Straßburg. Er selbst habe 2002 einmal ein Touristenvisum bei der Botschaft beantragt, als er den in Frankfurt lebenden Cousin habe besuchen wollen. Dies sei abgelehnt worden. Seine Ehefrau beziehe Sozialhilfe, mit Kindergeld verfüge sie über einen Betrag von 1152.- Euro. Sie leide an Rückenschmerzen. Kennengelernt habe er seine Ehefrau über das Internet. Er habe einfach in einem sei Internet-Café gesessen und zugesehen, was die anderen gemacht hätten. Seinerzeit habe er noch kein Internet zu Hause gehabt. Er habe sie über die Homepage von „Jappy.de“ angeschrieben. Vorher habe er schon einmal eine andere deutsche Frau über das Internet kennen gelernt, die nach Marokko gekommen sei, mit der er sich aber nicht verstanden habe. Er habe sich mit seiner Ehefrau auf Deutsch verständigt. Er habe sich mit einem Übersetzungsprogramm geholfen. Er habe aber schon vorher Deutsch gekonnt. Nach ihrem ersten Treffen hätten sie fast jeden Tag telefonisch oder über das Internet Kontakt gehabt. Den Heiratsantrag habe sie nach dem dritten Besuch im April 2011 bei ihm zu Hause gemacht, hierzu habe sie auch einen Verlobungsring aus Deutschland mitgebracht. Er habe zunächst seine Familie darüber informiert und den Heiratsantrag einige Tage danach angenommen. Eine Verlobung habe nicht stattgefunden, erst nach der Eheschließung sei eine kleine Hennafeier abgehalten worden. Die Feier habe „am nächsten Tag nach der Eheschließung“ stattgefunden, und zwar „ohne Musik“, weil am selben Tag ein Verwandter und gleichzeitig Nachbar gestorben sei und es ansonsten „nicht anständig“ gewesen sei. Trauzeugen habe es nicht gegeben. Er habe ihr einen Ehering gekauft. Einen Kinderwunsch habe er nicht mehr, weil seine Ehefrau ihm erklärt habe, dass sie keine mehr bekommen könne. In Marokko könnten sie wegen der Töchter seiner Ehefrau nicht leben.

Die zeitgleich von der Beigeladenen zu 1. befragte Beigeladene zu 2. antwortete auf die ihr gestellten Fragen unter anderem: Ihre Mutter sei Witwe, ihr Stiefvater sei schon seit 1999 verstorben. Ihr Ehemann habe einen Bruder in Spanien und einen weiteren in Kaiserslautern. Außerdem wohne eine Cousine in Frankfurt. Sie selbst leide an Schulterproblemen. Sie habe ihren Ehemann im Januar 2010 bei Jappy kennen gelernt. Persönlich habe sie ihn dann erstmals im April 2010 getroffen. Sie sei gemeinsam mit einer Freundin dorthin gefahren, die ebenfalls jemanden bei Jappy kennen gelernt habe, der aus dem gleichen Ort wie ihr Mann stamme. Ihr Mann spreche Deutsch, weil er dies in der Schule gelernt habe. Sie sei nach dem ersten Besuch noch im Dezember 2010, im April 2011 und zur Hochzeit im Juli 2011 in Marokko gewesen. Ansonsten bestehe täglicher Kontakt per Telefon oder Internet. Schon nach dem ersten Treffen in Marokko habe sie gewusst, dass sie ihn heiraten wolle. Sie habe den Heiratsantrag im April 2011 gemacht. Es habe eine Verlobungsfeier mit Kaffee und Kuchen gegeben. Die Hochzeitsfeier habe abends „am Tag der Eheschließung“ stattgefunden, allerdings habe es keinen Tanz und keine Musik gegeben, da ein Onkel verstorben sei. Es habe keine Trauzeugen gegeben, der Standesbeamte habe auch deutsch gesprochen. Die Eheringe hätten sie gemeinsam ausgesucht, der Ehemann habe diese bezahlt. Eine Hochzeitsreise sei nicht geplant. Sie könne sich vorstellen, allein in Marokko zu leben, dies gehe aber wegen der Kinder nicht, weil der leibliche Vater den Aufenthalt verbiete.

Die Ausländerbehörde der Beigeladenen zu 1. versagte die Zustimmung zur Visumserteilung, weil der Kläger die Ehefrau ganz gezielt ausgesucht habe, um nach Deutschland zu kommen. Die Ehefrau habe selbst zwar offenbar ein aufrichtiges Interesse an dem Ehemann, ihr sei aber nicht bewusst, dass die Ehe allein dazu dienen solle, dem Kläger ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Ihr sei nicht bekannt gewesen, dass der Ehemann bereits einmal auf dem Flughafen Frankfurt am Main gewesen sei und versucht habe, nach Deutschland einzureisen. Außerdem habe sie nicht gewusst, dass dieser vor ihr eine andere Frau kennen gelernt hätte. Es bestünden auch Zweifel an der Aussage, dass der Ehemann Deutsch in der Schule gelernt habe. Auch der Altersunterschied und der angeblich nicht vorhandene Kinderwunsch sprächen gegen eine echte Ehe. Schließlich seien auf den eingereichten Fotos nur das Brautpaar und einige direkte Verwandte zu sehen.

Mit Bescheid vom 26. Oktober 2011 lehnte die Deutsche Botschaft in Rabat daraufhin den Visumsantrag mit der Begründung ab, es bestünden erhebliche Zweifel an der Schutzwürdigkeit der Ehe. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner Remonstration vom 9. November 2011. Mit Remonstrationsbescheid vom 5. Dezember 2011 hob die genannte Botschaft den Ausgangsbescheid auf und ersetzte ihn. Zur Begründung führte die Botschaft aus, es bestünden konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Ehe allein zum Zweck geschlossen worden sei, dem Kläger ein ihm ansonsten verwehrtes Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Die gemeinsame Befragung beider Eheleute habe den Eindruck einstudierter Antworten vermittelt. Gleichwohl sei es zu einigen Widersprüchen und Fehlinformationen gekommen. Die Angaben des Klägers zum Schwiegervater, der bereits verstorben sei, seien merkwürdig. Die Ehefrau wisse nicht von allen Verwandten des Klägers in Europa. Sie könne auch keine Angaben zur Schulausbildung des Klägers machen. Sie wisse auch nicht, dass er finanziell von dem in Barcelona lebenden Bruder unterstützt werde. Während er von Rückenproblemen seiner Ehefrau ausgehe, habe sie tatsächlich Schulterbeschwerden. Zum Verdienst seiner Ehefrau habe er keine Angaben machen können. Er könne auch nicht begründen, woher er wisse, dass die Ehefrau die „Frau fürs Leben“ sei. Gefühle ihr gegenüber seien bei der Befragung nicht zu Tage getreten. Zum Zeitpunkt der Hochzeitsfeier hätten die Eheleute verschiedene Angaben gemacht. Die geringen Kontakte zwischen den Eheleuten ließen ebenfalls darauf schließen, dass die Ehe allein zu Aufenthaltszwecken geschlossen worden sei. Es sei auch ungewöhnlich, dass er die Töchter der Ehefrau noch nicht kennen gelernt habe. Er habe sich mit der Frage, dass der Stiefvater für deren Töchter sein werde, nicht auseinandergesetzt. Der Kläger habe auch einen wirtschaftlichen Anreiz für einen Aufenthalt in Deutschland. Er habe keine berufliche Perspektive in Marokko. Auch der Altersunterschied zwischen den Eheleuten spreche gegen eine echte Ehe. Dies und die Tatsache, dass die Ehefrau bereits einmal verheiratet gewesen sei und schon Kinder habe, sei in Marokko inakzeptabel und werde nur dann toleriert, wenn damit ein Aufenthaltsrecht im Schengen-Raum mit dem Ziel der finanziellen Unterstützung der Familie realisiert werden solle.

Hiergegen richtet sich die am 6. Januar 2012 erhobene Klage. Der Kläger meint, der Vorwurf einer Scheinehe treffe nicht zu. Tatsächlich beabsichtigten er und seine Ehefrau, in Deutschland gemeinsam dauerhaft zu leben. Die Argumente der Beklagten zur Ablehnung des Visumsantrags seien sachlich unzutreffend und rechtlich nicht haltbar. Es treffe nicht zu, dass der Vater der Ehefrau verstorben sei, verstorben sei vielmehr der Schwiegervater. Die Ehefrau habe auch sämtliche Verwandte des Klägers nennen können. Die Zahl der abgelehnten Visumsanträge lasse nicht auf die Vertrautheit der Eheleute schließen. Über ihre Schulbildung hätten sie nicht miteinander gesprochen. Dies gelte auch für die Höhe der Sozialhilfe, die die Ehefrau in Deutschland beziehe. Auch die Angaben über die Freizeitaktivitäten der Ehefrau von Seiten des Klägers seien zutreffend. Die Schulterprobleme der Ehefrau würden zum Teil in den Rücken ausstrahlen, weshalb seine Aussage richtig gewesen sei. Soweit ihm – dem Kläger – vorgeworfen werde, sich nicht emotional überzeugend zur Frage, ob die Ehefrau „die Richtige“ für das ganze Leben sei, geäußert zu haben, falle es ihm schwer, seine Gefühle in Worte zu fassen. Auch die Diskrepanzen zu einer Feier nach der Verlobung sein erklärbar. Im Anschluss hieran habe ein Kaffeetrinken stattgefunden, was die Ehefrau als Feier aufgefasst habe, während dies für den Ehemann normal sei. Daher habe er diesen Umstand nicht erwähnt. Die Ehefrau habe auch gewusst, dass der Ehemann vor ihr eine andere deutsche Frau kennen gelernt habe, und zwar auf demselben Weg. Man sei also offen mit dieser Frage umgegangen. Gerade weil der Entschluss zur Eheschließung von der Ehefrau ausgegangen sei, trage die Argumentation der Beklagten nicht. Es sei die Ehefrau gewesen, die den ersten Schritt für eine gemeinsame Zukunft in Deutschland gemacht habe. Sie selbst habe dort einen Partner gesucht. Soweit die Beklagte die mangelnden Kontakte zwischen den Eheleuten beanstande, treffe dies nicht zu. Insgesamt sei die Ehefrau fünfmal in Marokko gewesen. Besuche mit den Kindern seien nicht möglich gewesen, weil der leibliche Vater dies verweigere. Er – der Kläger – unterhalte sich aber regelmäßig auch mit den beiden Kindern über das Internet, und beide freuten sich darauf, wenn er nach Deutschland komme. Er habe die Kinder in sein Herz geschlossen. Der Altersunterschied könne den Eheleuten ebenfalls nicht entgegengehalten werden. Dies gelte auch für die fehlende Möglichkeit, gemeinsame Kinder zu haben. Insgesamt stütze sich die Ablehnung des Beklagten auf eine falsche Darstellung der Aussagen in der zeitgleichen Befragung. So habe er etwa genaue Angaben zum Einkommen der Ehefrau machen können. Zudem sei die Bewertung auf höchst subjektive Erfahrungen des Entscheiders gestützt. Schließlich seien einige der Vorhaltungen der Beklagten nicht geeignet, hieraus eine Scheinehe herzuleiten. Dies gelte etwa für die Frage, wie der Kläger Deutschkenntnisse erlangt habe, ob die Ehefrau von seinem Einreiseversuch Kenntnis gehabt habe und ob die Ehefrau bei ihrem ersten Besuch in Begleitung einer Freundin gewesen sei, die einen Marokkaner aus dem gleichen Ort kennen gelernt habe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Remonstrationsbescheides der Deutschen Botschaft in Rabat vom 5. Dezember 2011 zu verpflichten, ihm ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf die Gründe des Remonstrationbescheides und führt ergänzend aus, für marokkanische Verhältnisse seien die Umstände der Eheschließung wegen des Altersunterschiedes und der bereits vorhandenen Kinder unüblich und dort für weite Kreise inakzeptabel. Gegen eine echte Ehe spreche auch die aufenthaltsrechtliche Vorgeschichte des Klägers. Soweit der Kläger meine, gewisse Unstimmigkeiten über die jeweilige Bildung des Partners seien damit erklärlich, dass dies für sie nicht wichtig sei, treffe dies im Hinblick auf die Arbeitssuche beider Partner in Deutschland nicht zu. Auch die Darstellungen über den Tagesablauf des jeweiligen Partners wichen stark voneinander ab. Es bleibe auch dabei, dass die Ehefrau nicht über die finanzielle Situation ihres Ehemannes informiert gewesen sei. Die Angaben über die Verlobungsfeier, die variierten, seien nicht erklärlich.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt und sich nicht weiter geäußert.

Mit Beschluss vom 13. März 2012 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Das Gericht hat die Beigeladene zu 2. in der mündlichen Verhandlung am 20. April 2012 angehört. Wegen der Einzelheiten ihrer Aussage wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Nach der Verhandlung haben die Beteiligten ihr Vorbringen ergänzt. Der Kläger hat vorgetragen, seine Bindung nach Deutschland resultiere daher, dass sein Vater zwischen 1964 und 1984 hier gearbeitet habe. Daher habe auch er einen Bezug nach Deutschland, zumal sich hier auch sein Bruder in Kaiserslautern aufhalte. Der standesamtlichen Trauung werde in Marokko traditionell keine große Bedeutung beigemessen. Entscheidend seien das Hennafest und die eigentliche Hochzeitsfeier. Die Hochzeitsfeier sei deshalb nur klein ausgefallen, weil ein Onkel, der zugleich in unmittelbarer Nachbarschaft gewohnt habe, gestorben sei. Nach der marokkanischen Tradition hätte man daher die Hochzeitsfeier an sich verschieben müssen, da sich die Ehefrau aber nicht länger dort habe aufhalten können, habe man es vorgezogen, eine kleine bescheidene Feier abzuhalten. Die Abweichungen in den Aussagen der Eheleute seien zum einen geringfügig, zum anderen auf die jeweilige Aufregung der Eheleute bei der Befragung zurückzuführen. Zudem stießen hier zwei Kulturkreise aufeinander. Zum Beleg der Tatsache, dass der Onkel gestorben ist, hat der Kläger eine marokkanische Sterbeurkunde vom 11. Oktober 2011 vorgelegt, wonach das Sterbedatum der 29. Juli 2011 war. Ferner war eine Skizze beigefügt, wonach der Abstand zwischen dem Haus des Klägers und des verstorbenen Onkels 80 m beträgt. Der Beklagte meint demgegenüber die Angaben der Eheleute zur Hochzeitsfeier und dem Todestag des Onkels widersprächen sich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde der Beigeladenen zu 1. verwiesen.

Gründe

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 101 Abs. 2 VwGO).

18Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug in Form eines Visums (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Der Ehegattennachzug des Klägers zu seiner in Deutschland lebenden deutschen Ehefrau richtet sich nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 27 Abs. 1 AufenthG. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt und verlängert. Dabei dient die Aufenthaltserlaubnis dann zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft, wenn beide Eheleute die Absicht haben, in Deutschland eine eheliche Gemeinschaft herzustellen, das heißt, in einer dauerhaften und durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung zusammenleben zu wollen. Der Wille, eine nach Art. 6 Abs. 1 GG schützenswerte Lebensgemeinschaft tatsächlich herzustellen, muss von beiden Ehepartnern getragen werden.

Bei einer formal wirksam geschlossenen Ehe ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass die Eheleute die Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft beabsichtigen. Ergeben sich aber aufgrund konkreter Anhaltspunkte - zum Beispiel aus den tatsächlichen Umständen oder den Angaben der Eheleute selbst - Zweifel, ist eine Überprüfung des Einzelfalls, ob eine nur zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts geschlossene Ehe vorliegt, zulässig (BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, Juris; VGH Kassel, Beschluss vom 21. März 2000 - 12 T 2542/99, Juris). Solche Zweifel, die die Annahme einer nicht unter den Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG fallenden Scheinehe rechtfertigen, können unter anderem durch unauflösbare und gravierende Widersprüche und Abweichungen bei den Angaben in Ehegattenbefragungen begründet werden (BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003, a.a.O.).

20Die materielle Beweislast für die Ernsthaftigkeit beider Ehegatten hinsichtlich der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft liegt bei den das Visum begehrenden Ehepartnern (BVerwG, Urteil vom 30. März 2010, 1 C 7.09, Juris). Kann das Gericht also nach Ausschöpfung der vorhandenen Beweisquellen den bei beiden Ehegatten erforderliche Herstellungswillen weder positiv noch negativ feststellen, geht die Entscheidung aus Beweislastgründen zulasten des Klägers (BVerwG, a.a.O.). Dabei ist die entscheidungserhebliche Absicht zur Führung einer ehelichen Gemeinschaft als innere Tatsache nicht direkt feststellbar; insofern ist das Gericht bei seiner Überzeugungsbildung darauf angewiesen, den vorliegenden bzw. ermittelten äußeren Tatsachen entsprechende Indizwirkung beizumessen. Hierzu gehören etwa die Vorgeschichte des Kennenlernens und die Umstände der Eheschließung und die wechselseitige Kenntnis der persönlichen Verhältnisse des anderen Ehegatten (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. März 2007, - 3 B 9.06 -, Juris). Nach diesem Maßstab bestehen hier zwar gewisse, aber - gerade noch - keine so erheblichen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der geschlossenen Ehe, dass eine Visumsversagung gerechtfertigt wäre.

Zunächst hat das Gericht in der Befragung der Ehefrau in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass sie selbst es mit der Eheschließung ernst meint. Nach ihren glaubhaften Einlassungen pflegt sie einen regelmäßigen Kontakt zu dem Kläger und sie hat diesen vor der Eheschließung mehrfach in Marokko aufgesucht, um sich ein Bild von ihm zu machen; schließlich ging nach den übereinstimmenden Aussagen der Beteiligten auch der Heiratsentschluss von ihr aus. Dies bedarf keiner weiteren Vertiefung, weil auch die Beklagte und der Beigeladene zu 1. von der Aufrichtigkeit der Beigeladenen zu 2. überzeugt sind (vgl. den entsprechenden Vermerk im Verwaltungsvorgang der Beklagten, Bl. 52, sowie den Schriftsatz der Beklagten vom 21. März 2012, in dem die Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Ehe in erster Linie auf Bedenken gegenüber den Motiven des Klägers geäußert werden) .

22Das Gericht kann demgegenüber die im Remonstrationsbescheid und vor allem im genannten Schriftsatz dargelegten Zweifel nachvollziehen, stellt diese aber bei einer Gesamtschau zurück. Richtig ist zwar, dass zwischen den Eheleuten ein deutlicher Altersunterschied besteht, der möglicherweise traditionellen marokkanischen Vorstellungen widerspricht. Mit acht Jahren ist die Altersdifferenz indes noch nicht so gravierend, dass dies für sich genommen eindeutige Rückschlüsse auf den Willen der Eheleute über ihre Zukunftsplanung zuließe. Dies gilt auch für den Umstand, dass die Beigeladenen zu 2. einen etwaigen Kinderwunsch des Klägers nicht mehr erfüllen kann. Nach den überzeugenden Angaben der Beigeladenen zu 2. in der mündlichen Verhandlung haben nicht nur die Eheleute über dieses Thema miteinander gesprochen, sondern der Kläger soll dies auch seiner Mutter gegenüber offenbart haben. Dazu hätte indes kein Anlass bestanden, wenn die Verbindung von vornherein keinen Bestand hätte haben sollen. Der Kläger hat zudem bekundet, dass er sich auf die bereits aus der ersten Beziehung der Beigeladenen zu 2. hervorgegangenen Kinder freue und sie als seine betrachten werde. Dass die Eheleute sich über das Internet und hier gezielt über die Kontaktbörse „Jappy.de“ kennengelernt haben, spricht ebenso nicht für sich genommen für eine Scheinehe. Derartige Kontaktaufnahmen sind – wie dem Gericht aus einer Vielzahl von Parallelfällen bekannt ist – inzwischen weit verbreitet und in Fällen, in denen die Partner nicht in einem Land leben, geradezu typisch. Der Kläger hat auch nachvollziehbar dargelegt, warum er sich, nachdem sein Vater lange in Deutschland gelebt hat und mehrere Verwandte hier leben, auf die Suche nach einer Partnerin in diesem Land gemacht hat. Dabei mag der Migrationsdruck, dem der arbeitslose Kläger ausgesetzt ist, durchaus eine Rolle gespielt haben. Die Tatsache, dass die Verbindung mit einer anderen deutschen Frau nicht in eine Ehe gemündet ist, zeigt aber gerade, dass auch der Kläger nicht jede beliebige Frau zu ehelichen gedachte, um das Ziel zu realisieren. Der Umstand, dass er dies gegenüber der Beigeladenen zu 2. nicht verschwiegen hat, spricht gleichfalls gegen eine nur auf die Erlangung eines Aufenthaltsrechts gerichtete Eheschließung. Richtig ist auch, dass die Eheleute bei ihren Befragungen weder über die gegenseitigen finanziellen Verhältnisse noch die Ausbildungswege besonders gut informiert waren. Auch die Wiedergabe der jeweiligen Familiensituation und der gegenseitigen Tagesabläufe waren, was das Gericht nicht verkennt, von Lücken geprägt. Das Gericht hat gleichwohl den Eindruck gewonnen, dass insbesondere die etwaigen Wissenslücken des Klägers weniger auf ein Desinteresse an seiner Ehefrau als darauf zurückzuführen sind, dass er derartigen Fragen weniger Bedeutung beimisst, was sein Antwortverhalten erklärlich macht; zudem dürften gewisse, von der Beklagten als voneinander abweichend bewertete Antworten – wie der Bevollmächtigte des Klägers anschaulich gemacht hat – bei wohlwollender Interpretation durchaus gewisse Übereinstimmungen erkennen lassen. So besteht nicht zwingend ein Widerspruch zwischen den vom Kläger angegebenen Rückenschmerzen seiner Frau mit den von ihr benannten Schulterproblemen. Dem steht gegenüber, dass die Familie des Klägers die Ehefrau offensichtlich in den Familienverband aufgenommen hat, was sich auch und vor allem bei der Hochzeitsfeier gezeigt hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass bei der standesamtlichen Trauung unstreitig kein Familienmitglied zugegen war, denn der Kläger und sein Bevollmächtigter haben dies nachvollziehbar mit der nachrangigen Bedeutung dieses Ereignisses erläutert. Jedenfalls zeigen die Fotos und auch der Ablauf der Feier selbst, dass die Beigeladene zu 2. als vollwertige Schwägerin und Schwiegertochter akzeptiert worden ist. Nachdem zunächst ein traditionelles Hennafest stattgefunden hat, wurde am darauffolgenden Tag eine Feierlichkeit abgehalten. Zu beiden Anlässen waren – wie die eingereichten Fotos belegen - die Eheleute in unterschiedlicher Festkleidung angezogen, und auch ein nicht unerheblicher Teil der Besucher war – entgegen der Ansicht der Beklagten – durchaus feierlich angezogen. Dies zeigt, dass die Beteiligten dem Ereignis keine nur untergeordnete Bedeutung beigemessen haben. Jedenfalls machen die vorgelegten Fotos – soweit dies beurteilt werden kann – nicht den Eindruck einer zum Schein inszenierten Veranstaltung. Das Gericht ist schließlich überzeugt davon, dass der Tod eines Onkels, der zugleich Nachbar war, Grund dafür war, dass die Feierlichkeit nicht noch größer und mit Tanz und Musik abgehalten worden ist. Zwar sind die zeitlichen Angaben der Eheleute hier voneinander abweichend, insbesondere hat sich die Ehefrau in der mündlichen Verhandlung darauf festgelegt, dass der Onkel vor der Hochzeit verstorben sei, was indes nicht der Fall war. Ausweislich der übersandten Todesbescheinigung starb dieser erst am 29. Juli 2011 und damit einen Tag nach der standesamtlichen Eheschließung. Nach dem Hennafest am ersten Tag war die Feier aber für den darauffolgenden und damit den Todestag des Onkels vorgesehen, wie der Kläger bereits bei seiner Anhörung ausgeführt hat. Auch die Ehefrau hat dies als Grund angegeben, so dass die geringfügigen zeitlichen Differenzen hier nicht den Ausschlag zulasten der Eheleute geben.

Das Gericht weist ausdrücklich darauf hin, dass es der Beigeladenem unbenommen bleibt, die dem Kläger zu erteilende Aufenthaltserlaubnis zunächst für ein Jahr zu befristen, um sich anschließend nochmals von der Ernsthaftigkeit der Eheschließung zu überzeugen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.

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