VG Köln, Urteil vom 28.01.2015 - 20 K 5465/14.A
Fundstelle
openJur 2015, 2189
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 26.09.2014 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Tatbestand

Die am 00.00.0000 in Qamishli geborene Klägerin zu 1) und ihre 2005, 2009 und 2010 geborenen Kinder, die Kläger zu 2) bis 4), sind syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Am 20.05.2014 stellten sie in der Bundesrepublik einen Asylantrag.

Im Rahmen einer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 20.05.2014 gab die Klägerin zu 1) zu dem Reiseweg an, dass sie am 20.09.2013 in die Türkei gereist seien und nach 25 Tagen von dort zu Fuß und mit dem PKW nach Bulgarien. Nach sieben Monaten seien sie weiter mit dem PKW nach Deutschland gefahren, wo sie am 08.05.2014 angekommen seien.

Zu den Asylgründen erklärte die Klägerin zu 1) im Rahmen einer weiteren Anhörung am 28.07.2014, ihr Mann sei politisch tätig gewesen. Deshalb hätten sie Probleme bekommen und ausreisen müssen. In Bulgarien hätten sie einen Schutz erlangt, aber damit hätten sie nichts anfangen können. Die Kinder hätten nicht zur Schule gehen können und sie hätten kein Geld erhalten. In Syrien hätten sie zwei Häuser und ein Feld verkauft; das ganze Geld hätten sie ausgegeben, um davon in Bulgarien zu leben. Jetzt hätten sie nichts mehr, sie könnten in Bulgarien also nicht weiterleben. Auch die Sicherheitslage sei schlimm gewesen. Die Bulgaren hätten jeden zweiten geschlagen, den sie von ihnen auf der Straße angetroffen hätten. Sie sei sogar inhaftiert worden, damit sie ihre Fingerabdrücke abgebe.

Nach einem vorausgegangenen Informationsersuchen vom 28.07.2014, das unbeantwortet blieb, ersuchte das Bundesamt am 25.08.2014 Bulgarien aufgrund eines EURODAC-Treffers um Wiederaufnahme der Kläger. Mit Schreiben vom 22.09.2014 lehnte Bulgarien das Übernahmeersuchen ab unter Hinweis darauf, dass den Klägern in Bulgarien durch Entscheidung vom 13.01.2014 subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Eine Überstellung nach den Regeln der Dublin III-Verordnung könne daher nicht erfolgen. Es müsse eine separate Anfrage nach den "Readmission agreements" erfolgen, zuständige Behörde sei insoweit die Generaldirektion der Grenzpolizei beim Innenministerium. Mit Schreiben vom 22.09.2014 teilte das Bundesamt daraufhin der zuständigen Ausländerbehörde in Bonn und den Klägern mit, dass in Bulgarien bereits internationaler Schutz gewährt worden sei und nun eine Entscheidung nach nationalem Recht im Rahmen der Drittstaatenregelung ergehe.

Mit Bescheid vom 26.09.2014 stellte die Beklagte sodann fest, dass den Antragstellern in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zustehe und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Antragsteller könnten sich aufgrund ihrer Einreise aus einem sicheren Drittstaat im Sinne von Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26 a Abs. 2 AsylVfG i.V.m. Anlage I zum AsylVfG nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG berufen. Da die Asylanträge nur nach § 26 a Abs. 1 AsylVfG abgelehnt würden, sei gemäß § 31 Abs. 4 AsylVfG lediglich festzustellen, dass den Antragstellern kein Asylrecht zustehe. Die Abschiebungsanordnung beruhe auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Daneben wurde unter Bezugnahme auf einen EASO-Bericht vom 25.02.2014 und einen UNHCR-Report von April 2014 darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich der Situation von Flüchtlingen, die in Bulgarien einen Schutzstatus erhalten hätten, keine generellen Sachverhalte gebe, die gegen die Anordnung der Abschiebung nach Bulgarien sprächen. Der Bescheid wurde den Klägern am 01.10.2014 zugestellt.

Am 06.10.2014 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung führen sie unter Bezugnahme auf die Angaben im Rahmen der Anhörung im Wesentlichen aus, sie könnten aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen in Bulgarien nicht dorthin zurückkehren.

Ein gleichzeitig gestellter Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war erfolgreich (Beschluss vom 21.10.2014 - 20 L 1883/14.A).

Mit Schriftsatz vom 13.11.2014 berufen sich die Kläger ferner darauf, dass ihrem Ehemann bzw. Vater mit Bescheid des Bundesamtes vom 14.10.2014 nunmehr die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei (AZ des Bundesamtes: 5771296-475). Auf gerichtliche Anfrage vom 15.12.2014, ob im Hinblick darauf eine Klaglosstellung erfolge, hat die Beklagte ohne nähere Ausführungen mitgeteilt, dass eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht in Betracht komme.

Die Kläger beantragen nunmehr,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.09.2014 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie

weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in dem Verfahren 20 L 1883/14.A und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Gründe

Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§101 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte hat mit Schreiben vom 02.11.2012 an die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Köln ihr generelles Einverständnis mit dem Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erklärt.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzes, weiter hilfsweise auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichtete Klageantrag ist als Verpflichtungsantrag gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig. Das Verpflichtungsbegehren entspricht nicht nur dem ausdrücklich gestellten Klageantrag, sondern auch dem eigentlichen Klageziel der Kläger, das auf die Gewährung internationalen Schutzes durch die Bundesrepublik gerichtet ist.

Dabei kommt es im vorliegenden Verfahren nicht auf die in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortete Frage an, ob in sog. Dublin-Verfahren grundsätzlich nur eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zulässige Klageart ist,

vgl. zum Meinungsstand u.a. (in der zeitlichen Reihenfolge der Entscheidungen): OVG NRW, Urteil vom 10.05.2011 - 3 A 133/10.A -; Urteil der Kammer vom 23.08.2012 - 20 K 5894/11.A -, VG Braunschweig, Urteil vom 21.02.2013 - 2 A 126/11 -; OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 . 1 A 21.12.A -; VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 10.04.2014 - 1 K 61/14 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - .

Denn hier hat die Beklagte - nach vorheriger erfolgloser Durchführung eines Wiederaufnahmeersuchens an Bulgarien auf der Grundlage der Dublin III-Verordnung - nach eigenem Bekunden sowohl in den Schreiben an die Ausländerbehörde und die Kläger vom 22.09.2014 als auch nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides ein nationales Verfahren durchgeführt. Für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens spielt daher die Frage, ob Bulgarien oder gegebenenfalls ein anderer Staat, der am Dublin-System teilnimmt, zuständig ist, von vorneherein keine Rolle mehr. Gegenstand des Verfahrens ist vielmehr ausschließlich die Rechtmäßigkeit des nach nationalem Verfahrensrecht ergangenen Bescheides vom 26.09.2014 und das Begehren der Kläger auf Gewährung eines Schutzstatus in der Bundesrepublik.

Nach nationalem Verfahrensrecht stellt sich der Asylantrag der Kläger als Zweitantrag gemäß § 71 a AsylVfG dar, mithin als Sonderfall eines Folgeantrags, für den entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter dem Aspekt der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime der grundsätzliche Vorrang der Verpflichtungsklage gilt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 - 9 C 28/97 - E 106, 171-177.

Für diese Verpflichtungsklage fehlt es den Klägern auch nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse im Hinblick auf den in Bulgarien bereits gewährten subsidiären Schutzstatus.

Dies gilt insbesondere hinsichtlich des mit dem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da die mit diesem Status verbundenen aufenthaltsrechtlichen Folgen weit über das hinausgehen, was der subsidiäre Schutzstatus vermitteln kann. Insoweit ist die hier vorliegende Fallkonstellation nicht mit derjenigen zu vergleichen, die der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.06.2014,

vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.2014 - 10 C 7/13 - Juris,

zugrundelag, in der dem Ausländer bereits von einem anderen Staat der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Dies gilt auch deshalb, weil die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch einen anderen Staat gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG Rechtswirkungen auch in der Bundesrepublik entfaltet, was bei der Zuerkennung eines (nur) subsidiären Schutzstatus nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift gerade nicht der Fall ist,

vgl. hierzu auch: VG Regensburg, Urteil vom 31.03.2014 - RN 7 K 13.30434 - Juris.

Aus letzterem Grunde fehlt auch für den hilfsweise gestellten Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse, wenngleich es hierauf aus den nachfolgenden Gründen nicht streitentscheidend ankommt.

Denn die Klage ist bereits mit ihrem Hauptantrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründet.

Der Antrag der Kläger stellt sich insoweit - wie oben bereits ausgeführt - in Anwendung nationalen Verfahrensrechts als Zweitantrag gemäß § 71 a AsylVfG dar.

Nach dieser Vorschrift ist, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein Asylverfahren (nur) durchzuführen, wenn die Bundesrepublik zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG liegen vor, wenn sich die der ersten Ablehnung zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert hat (Nr. 1), wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2), oder wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind (Nr. 3). Das Verwaltungsgericht kann dabei nur die vom Antragsteller selbst - innerhalb der Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG - geltend gemachten Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zugrundelegen. Ferner muss der Asylbewerber gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen. Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens ist ferner, dass der Asylbewerber die Möglichkeit einer ihm günstigeren Entscheidung wegen des geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes schlüssig vorträgt.

Die vorgenannten Voraussetzungen liegen hier vor. Von ihrer Zuständigkeit geht die Beklagte - wie oben ausgeführt - selbst aus. Das Asylverfahren der Kläger in Bulgarien war auch jedenfalls insoweit erfolglos, als dort über den subsidiären Schutzstatus hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gewährt wurde. Dabei geht das Gericht mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon aus, dass die Kläger in Bulgarien entsprechend dem in Art. 2 lit. h) der RL 2011/95/EU vorgesehenen Regelfall einen unbeschränkten Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, mit dem sie sowohl die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als auch die Gewährung des subsidiären Schutzes angestrebt haben. Die Tatsache, dass ihnen in Bulgarien - entsprechend den Angaben der dort zuständigen Behörde - nur der subsidiäre Schutz gewährt worden ist, bedeutet daher zugleich, dass der weitergehende Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wurde.

Der Kläger machen zudem eine Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geltend, indem sie sich u.a. auf die zwischenzeitlich erfolgte positive Entscheidung betreffend ihren Ehemann bzw. Vater berufen, dem durch Bescheid der Beklagten vom 14.10.2014 - nach Erlass des hier streitigen Bescheides - die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens liegen insoweit vor und den Klägern ist nunmehr gemäß § 26 Abs. 5, 1 und 2 AsylVfG internationaler Schutz für Familienangehörige zu gewähren und die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die auf der Grundlage des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ergangene Abschiebungsanordnung war daher aufzuheben.

Einer Aufhebung der in Ziffer 1 des Bescheides enthaltenen Feststellung, dass den Klägern in der Bundesrepublik kein Asylrecht zusteht, bedarf es hingegen nicht. Wie sich aus der Begründung zu Ziffer 1 ergibt, wurden die Asylanträge nur gemäß § 26 a Abs. 1 AsylVfG und damit nur hinsichtlich der Asylberechtigung nach Art. 16 a Abs. 1 GG abgelehnt. Insoweit ist die getroffene Feststellung zutreffend und wird von den Klägern auch nicht beanstandet.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

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