Hamburgisches OVG, Beschluss vom 22.09.2014 - 4 Bf 200/12
Fundstelle
openJur 2014, 21597
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2012 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 8. März 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2011 verpflichtet, dem Kläger Ausbildungsförderung für das Studium der Wirtschaftsinformatik (Bachelor) an der Universität Hamburg für den Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011 nach Maßgabe des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zu bewilligen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren war notwendig.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Ausbildungsförderung nach Überschreiten der Altersgrenze.

Der am ... Februar 1980 geborene Kläger erwarb im Dezember 2009 nach dem Besuch eines Abendgymnasiums die allgemeine Hochschulreife. Zum Wintersemester 2010/2011 nahm er das Studium der Wirtschaftsinformatik an der Universität Hamburg auf und beantragte bei der Beklagten, dass ihm hierfür Ausbildungsförderung bewilligt werden möge. Auf Nachfrage der Beklagten teilte er in einem Schreiben vom 27. Februar 2011 mit, dass er sich „ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen in Hamburg beworben“ habe, da er eine günstige Genossenschaftswohnung habe und somit gebunden sei.

Mit Bescheid vom 8. März 2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Da der Kläger bei Beginn des Studiums bereits dreißig Jahre alt gewesen sei, könne Ausbildungsförderung nur unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 BAföG geleistet werden. Zwar erfülle er die Ausnahmevoraussetzungen aus § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG, da er die Hochschulzugangsberechtigung an einem Abendgymnasium erworben habe. Jedoch habe er die Ausbildung nicht unverzüglich i.S.v. § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG begonnen, da er sein Studium auch bereits zum Sommersemester 2010 hätte aufnehmen können.

Gegen den Bescheid vom 8. März 2011 erhob der Kläger Widerspruch: Der Studiengang Wirtschaftsinformatik könne an der Universität Hamburg nur zum Wintersemester aufgenommen werden. Auf ein – zum Sommersemester beginnendes – Fachhochschulstudium könne er nicht verwiesen werden, da dieses nicht gleichwertig sei. Andere Universitäten seien nicht alternativ in Betracht gekommen. Teilweise könne auch dort das Studium nur zum Wintersemester aufgenommen werden, teilweise seien die Studiengänge auf sieben und nicht – wie in Hamburg – auf sechs Semester angelegt. Er wolle angesichts seines Alters möglichst zügig studieren. Überdies sei der Studiengang Wirtschaftsinformatik an anderen Universitäten anders ausgerichtet als an der Universität Hamburg. Insbesondere die Bereiche „Mensch-Computer-Interaktion“ sowie „Grundlagen der Wissensverarbeitung“ würden nur in Hamburg in dieser Kombination angeboten. Auch sei nur in Hamburg eine Schwerpunktbildung während des Studiums vorgesehen. In Hamburg gebe es zudem den freien Wahlbereich, in dem fachfremde Veranstaltungen besucht werden könnten. Es komme hinzu, dass er bis zum Sommer 2010 einen Nebenjob in Hamburg gehabt habe. Hiermit habe er sein Studium teilfinanzieren wollen. Dieses Arbeitsverhältnis sei überraschend zum 30. September 2010 gekündigt worden. Des Weiteren bewohne er mit seinem Bruder eine Genossenschaftswohnung in Hamburg, deren Mieter er sei. Die Miete betrage 721,72 Euro und werde zur Hälfte von seinem Bruder getragen. Verliere er die Wohnung, müsse auch sein Bruder ausziehen. Hierdurch würde das familiäre Verhältnis unzumutbar belastet. Schließlich wohne seine Mutter im gleichen Haus. Diese sei erkrankt und bedürfe der Unterstützung, die er – der Kläger – bislang leiste.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2011 zurück: Der Kläger hätte sein Studium zu einem früheren Zeitpunkt an einer anderen Hochschule – ggf. auch an einer Fachhochschule – aufnehmen können, da die angebotenen Studiengänge im Fach Wirtschaftsinformatik vergleichbar seien. Die vorgebrachten familiären Umstände könnten die Verzögerung nicht rechtfertigen, da sie nicht ausbildungsbezogen seien.

In dem anschließenden Klageverfahren hat der Kläger vor allem auf die nur an der Universität Hamburg mögliche Schwerpunktbildung und darauf verwiesen, dass ein Fachhochschulstudium kein vergleichbarer Studiengang sei. Zu Unrecht meine die Beklagte überdies, die familiären Verhältnisse könnten im Rahmen von § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG nicht berücksichtigt werden.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 8. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2011 zu verpflichten, ihm Ausbildungsförderung für das Studium der Wirtschaftsinformatik (Bachelor) an der Universität Hamburg für den Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen und die Zuziehung seines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2012 abgewiesen: Der Kläger habe sein Studium nicht unverzüglich i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG nach Erlangen der Hochschulreife aufgenommen, da er bereits zum Sommersemester 2010 jedenfalls an einer anderen Universität hätte anfangen können zu studieren. Grundsätzlich sei es, sofern ein zentrales Vergabeverfahren nicht stattfinde, erforderlich, dass sich der Studierende bei allen in Betracht kommenden Ausbildungsstätten bewerbe. Dies habe der Kläger unterlassen. Seine hiergegen vorgebrachten Einwände griffen nicht durch. Insbesondere sei es ihm nicht mit Blick auf seine besonderen fachlichen Interessen unzumutbar gewesen, sich an anderen Universitäten als nur an der Universität Hamburg zu bewerben. Jedenfalls soweit – wie vorliegend – die Förderung eines Bachelorstudienganges in Rede stehe, seien besondere Spezialisierungs- und Vertiefungswünsche als Gründe für eine Beschränkung der Bewerbungsanstrengungen im Rahmen von § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG nicht anerkennungsfähig, denn nicht Bachelor-, sondern postgraduale Studiengänge wie Masterstudiengänge dienten dem vertieften Studium gemäß spezifischer Forschungs- oder Ausbildungsinteressen. Der Kläger habe seinen Studienbeginn auch nicht deshalb verzögern dürfen, weil er davon ausgegangen sei, seine Arbeitsstelle in Hamburg behalten zu können. Es sei ihm zumutbar gewesen, die Möglichkeit einer Nebenerwerbstätigkeit dem geeigneten Studienort unterzuordnen. Auch sein Einwand, es wäre zu familiären Spannungen mit seinem Bruder gekommen, wenn er die Wohnung in Hamburg verloren hätte, greife im Ergebnis nicht durch. Schließlich könne er auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass er seine Mutter betreuen müsse. Durch organisatorische Vorkehrungen innerhalb der Familie habe dafür Sorge getragen werden können, dass die Mutter des Klägers trotz dessen studienbedingter Ortsabwesenheit auf die notwendige Unterstützung nicht hätte verzichten müssen.

Mit Beschluss vom 26. Juni 2014, dem Bevollmächtigten des Klägers am 30. Juni 2014 zugestellt, hat der Senat auf Antrag des Klägers die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 27. August 2012 zugelassen.

Mit seiner am 4. Juli 2014 eingegangenen Berufungsbegründung macht der Kläger geltend: Er habe sein Studium unverzüglich i.S.v. § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG zum Wintersemester 2010/2011 aufgenommen. Es sei ihm nicht vorwerfbar, das Studium nicht bereits im Sommersemester 2010 aufgenommen zu haben. Hierzu wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren.

Der Kläger beantragt,

das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2012 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 8. März 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2011 zu verpflichten, ihm Ausbildungsförderung für das Studium der Wirtschaftsinformatik (Bachelor) an der Universität Hamburg für den Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen und die Zuziehung seines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 11. August 2014 hat das Berufungsgericht den Beteiligten mitgeteilt, dass es beabsichtige, über die Berufung gemäß § 130a VwGO durch Beschluss zu entscheiden, weil es sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beklagte hat hierauf mitgeteilt, sie sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und auf die Sachakte des Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Sachentscheidung ergeht gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss, da das Berufungsgericht die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind auf diese Entscheidungsmöglichkeit hingewiesen worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die zulässige Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 8. März 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 8. August 2011, mit denen die Beklagte den Antrag des Klägers abgelehnt hat, ihm Ausbildungsförderung für das Studium der Wirtschaftsinformatik (Bachelor) an der Universität Hamburg zu bewilligen, sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm die begehrte Ausbildungsförderung bewilligt.

Dem Förderungsanspruch des am ... Februar 1980 geborenen Klägers steht nicht entgegen, dass – worauf die Beklagte ihre ablehnende Entscheidung ausschließlich gestützt hat – er bei Beginn seines Studiums im Wintersemester 2010/2011 bereits das 30. Lebensjahr vollendet hatte. Zwar wird gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG Ausbildungsförderung grundsätzlich nicht geleistet, wenn der Auszubildende bei Beginn des Ausbildungsabschnitts, für den er Ausbildungsförderung beantragt, das 30. Lebensjahr vollendet hat. Diese Einschränkung gilt vorliegend indes gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG nicht, denn der Kläger hatte die Zugangsvoraussetzungen für die zu fördernde Ausbildung – die allgemeine Hochschulreife – an einem Abendgymnasium erworben.

Eine Förderung trotz Überschreitens der Altersgrenze aus § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG wegen der Erfüllung der Ausnahmevoraussetzung aus § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG ist, anders als die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden und das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung angenommen haben, nicht gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG ausgeschlossen, weil der Kläger sein Studium nicht bereits zum Sommersemester 2010 an einer anderen Hochschule als der Universität Hamburg, sondern erst zum Wintersemester 2010/2011 an der Universität Hamburg aufgenommen hat. Der Studienbeginn zum Wintersemester 2010/2011 erfolgte unverzüglich nach Erreichen der Zugangsvoraussetzungen i.S.v. § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG. Hierzu im Einzelnen:

Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG gilt § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG nur, wenn der Auszubildende die Ausbildung unverzüglich nach Erreichen der Zugangsvoraussetzungen aufnimmt. Unverzüglich, d.h. nicht auf schuldhaftem Zögern beruhend, ist das Verhalten eines Auszubildenden dann nicht mehr, wenn es eine rechtliche Obliegenheit verletzt und dem Auszubildenden vorwerfbar ist. Dabei ist der die Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG überschreitende Auszubildende verpflichtet, seine Ausbildung im Hinblick auf den Beginn und den Ablauf des Ausbildungsabschnitts, für den er Förderung beantragt, umsichtig zu planen und zielstrebig durchzuführen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1992, 11 C 24.92, NZS 1993, 226, juris Rn. 12). Einem Studierenden, der die Altersgrenze überschritten hat, obliegt es im Grundsatz, sich bei allen Ausbildungsstätten zu bewerben, an denen die gewünschte Ausbildung absolviert werden kann, sofern – wie vorliegend – ein zentrales Vergabeverfahren nicht stattfindet (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 21.3.2014, 4 Bs 419/13, BA S. 6; OVG Münster, Urt. v. 20.11.1990, 16 A 320/90, FamRZ 1991, 745, juris; Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Auflage 2005, § 10 Rn. 22).

Der Kläger hat es unterlassen, sich zum Sommersemester 2010 für das Studium der Wirtschaftsinformatik oder einen vergleichbaren Studiengang an einer anderen Hochschule als der Universität Hamburg zu bewerben. Dies beruhte auf seinem Wunsch, in Hamburg zu studieren. Es kann dahin stehen, ob die von dem Kläger zur Rechtfertigung dieses Wunsches vorgebrachten Gründe – die Studienschwerpunkte und der Studienaufbau in Hamburg, die Hoffnung auf die Weiterführung der in der Vergangenheit ausgeübten Nebenbeschäftigung, die vorhandene günstige und mit dem Bruder geteilte Wohnung in Hamburg sowie der Wunsch, der Mutter bei der Bewältigung ihrer Erkrankung zur Seite stehen zu können – tatsächlich ausschlaggebend gewesen sind und jeweils für sich genommen oder jedenfalls in der Zusammenschau geeignet wären, das Unterlassen von Bewerbungen an anderen Hochschulen für das Sommersemester 2010 im Sinne fehlender Vorwerfbarkeit zu rechtfertigen. Denn es kann in dem vorliegenden (Einzel-) Fall schon nicht angenommen werden, dass der Kläger eine rechtliche Obliegenheit verletzt hat, weil er nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, bereits zum Sommersemester 2010 an einer anderen Hochschule als der Universität Hamburg das Studium der Wirtschaftsinformatik bzw. ein vergleichbares Studium aufzunehmen bzw. sich hierfür zu bewerben.

Ausnahmen von dem Grundsatz, wonach es einem Studierenden, der die Altersgrenze aus § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG überschritten hat, obliegt, sich bei allen Ausbildungsstätten zu bewerben, an denen die gewünschte Ausbildung absolviert werden kann, kommen dort in Betracht, wo dies aufgrund der Umstände des konkreten Einzelfalls geboten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.1991, 5 C 40.88, ZfS 1992, 176, juris Rn. 11). Der vorgenannte Grundsatz beruht auf der – regelmäßig zutreffenden – Annahme, dass die danach geforderten Bewerbungsbemühungen regelmäßig einer umsichtigen Planung und zielstrebigen Durchführung der Ausbildung, für die Ausbildungsförderung begehrt wird, entsprechen. Eine Obliegenheitsverletzung i.S.v. § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG wegen der unterlassenen Bewerbung bei allen in Frage kommenden Ausbildungsstätten kann aber ausnahmsweise nicht angenommen werden, wenn der dadurch bewirkte Ausschluss von Förderleistungen im Einzelfall unverhältnismäßig erscheint und zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Ausbildungsförderungsempfängern führte (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1992, 11 C 24.92, NZS 1993, 226, juris Rn. 15). So liegt es hier:

Ein vollständiger Ausschluss von Förderungsleistungen wegen eines verspäteten Ausbildungsbeginns führte zum einen zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber solchen Auszubildenden in der Lage des Klägers, die – um ihren Wunsch realisieren zu können, in Hamburg Wirtschaftsinformatik zu studieren und hierfür Leistungen der Ausbildungsförderung zu erhalten – zunächst ein Parkstudium zur „Überbrückung“ des Sommersemesters, zu dem ein Studienbeginn im Fach Wirtschaftsinformatik an der Universität Hamburg nicht möglich ist, aufnehmen. Hätte der Kläger nämlich zum Sommersemester 2010 ein Parkstudium unter Beibehaltung seines Wunsches aufgenommen, im darauf folgenden Wintersemester Wirtschaftsinformatik in Hamburg zu studieren, so wäre sein Förderungsanspruch hierdurch nicht gefährdet worden. Vielmehr hätte er Ausbildungsförderung bereits für das Parkstudium im Sommersemester 2010 erhalten – das Überschreiten der Altersgrenze wäre gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG ohne Weiteres gerechtfertigt gewesen, ohne dass § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG entgegen stünde – und er hätte zum Wintersemester 2010/2011 einen gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 BAföG zulässigen Fachrichtungswechsel vornehmen können, für den er ebenfalls Ausbildungsförderung hätte beanspruchen können. Einer erneuten Prüfung von § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG hätte es in diesem Fall nicht bedurft, denn ein Fachrichtungswechsel führt nicht zur Beendigung des Ausbildungsabschnitts i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.2.1995, 11 C 6.94, BVerwGE 98, 50, juris Rn. 12 ff.; Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Auflage 2005, § 10 Rn. 3). Demgegenüber hat sich der Kläger, indem er sich (nur und erst) zum Wintersemester 2010/2011 an der Universität Hamburg beworben hat, umsichtig und mit dem Verzicht auf ein Parkstudium auch hochschulrechtlich vernünftig verhalten. Dass der Kläger ein Parkstudium im Sommersemester 2010 unterlassen und sich statt dessen zum Wintersemester 2010/2011 entschieden hat, sein Wunschstudium aufzunehmen, erscheint daher im Sinne einer umsichtigen Ausbildungsplanung sachgerecht und ist deshalb nicht geeignet, ihn schlechter zu stellen, als er im Falle eines vorübergehenden Parkstudiums gestanden hätte (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1992, 11 C 24.92, NZS 1993, 226, juris Rn. 15).

Ein Ausschluss des Klägers von Förderleistungen wäre zum anderen und überdies unverhältnismäßig, da der Kläger durch das Unterlassen von Bewerbungsbemühungen für das Sommersemester 2010 das Risiko, zeitnah einen Studienplatz zu erhalten, nicht relevant erhöht hat. Die Frage, ob eine rechtliche Obliegenheit besteht, sich zum erstmöglichen Zeitpunkt bei allen Ausbildungsstätten zu bewerben, an denen die gewünschte Ausbildung absolviert werden kann, hängt auch davon ab, ob die gesicherte Aussicht besteht, den „Wunschstudienplatz“ in Kürze – wenn auch nicht zum erstmöglichen Zeitpunkt – zu erhalten und die gewünschte Ausbildung zeitnah aufzunehmen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 21.3.2014, 4 Bs 419/13, BA S. 11 ff.). Diese Aussicht bestand für den Kläger: Er konnte mit Blick auf seine im Abitur erreichte Durchschnittsnote (2,7) mit hinreichender Sicherheit davon ausgehen, einen Studienplatz für das Studium der Wirtschaftsinformatik an der Universität Hamburg im Wintersemester 2010/2011 zu erhalten. Denn ausweislich der Informationen, die die Universität Hamburg im Internet veröffentlicht, betrug der numerus clausus im Studiengang Wirtschaftsinformatik in den Jahren vor Beginn des Studiums des Klägers 3,2 (Wintersemester 2008/2009) bzw. 3,1 (Wintersemester 2009/2010). Eine weitere – über das Wintersemstester 2010/2011 hinausgehende – Verzögerung der Studienaufnahme war vor diesem Hintergrund auch aus Sicht des Klägers nicht zu erwarten.

Schließlich berücksichtigt der Senat im Rahmen der vorliegenden (Einzelfall-) Entscheidung den Umstand, dass der Kläger die Altersgrenze nur um einige Monate überschritten hat – er hatte im Februar 2010 das 30. Lebensjahr vollendet und sein Studium im Oktober 2010 aufgenommen – und die durch die Nichtaufnahme eines Studiums zum Sommersemester 2010 entstandene Verzögerung lediglich ein Semester betragen hat. Auch dies rechtfertigt – zumal unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger damit rechnen konnte, seinen „Wunschstudienplatz“ zum Wintersemester 2010/2011 auch tatsächlich zu erhalten (s.o.) – einen großzügigen Maßstab bei der Anwendung und Auslegung von § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG. Denn die aus dieser Vorschrift folgenden Anforderungen sind umso strenger, je mehr der Auszubildende die allgemeine Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG überschritten hat und je geringer deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der Ausschöpfung seiner Bildungsreserven im Hinblick auf die zu erwartende Berufsdauer ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.1991, 5 C 40.88, ZfS 1992, 176, juris Rn. 11). Überdies hat das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O., juris Rn. 17) einen großzügigen Maßstab bei der Auslegung und Anwendung des § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG auch deshalb für gerechtfertigt gehalten, weil „jeder, der seine Schulausbildung auf dem normalen Bildungsweg abgeschlossen hat, selbst bei erheblichen Verzögerungen regelmäßig bis zum 30. Lebensjahr eine seiner Neigung und Eignung entsprechende Berufsausbildung beginnen kann“, während „dies bei Absolventen des Zweiten Bildungsweges häufig nicht der Fall“ sei. Der danach zu beachtende rechtliche Ansatz, dass der bei der Auslegung des § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG anzulegende Maßstab unterschiedlich streng ausfällt, je nachdem, in welchem Umfang die Altersgrenze überschritten wird, liefe letztlich leer, wenn das vorübergehende Unterlassen möglicher Bewerbungsbemühungen stets und unterschiedslos die zum vollständigen Förderungsausschluss führende Annahme rechtfertigte, die Studienaufnahme sei nicht unverzüglich erfolgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, da dies vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden durfte und es dem Kläger nach seinen persönlichen Umständen nicht zumutbar war, das Verfahren selbst zu führen.

Gründe, gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.