BGH, Urteil vom 07.07.2009 - VI ZR 278/08
Fundstelle
openJur 2011, 2851
  • Rkr:
Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Passau vom 25. September 2008 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Entlang der östlichen Grenze der Grundstücke beider Parteien fließt ein Bach, an dessen Ufer sich eine Pappel befindet. Im September oder Oktober 2006 hatte der Beklagte zwei Äste dieser Pappel abgeschnitten und behauptet, der Baum gehöre nicht zum Grundstück des Klägers. Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagte habe ihn in diesem Zusammenhang als Lügner bezeichnet. Erstinstanzlich haben der Kläger und seine Ehefrau als Streitgenossen Klage erhoben mit den Anträgen, es werde festgestellt, dass die besagte Pappel auf dem Klägergrundstück stehe, und der Beklagte werde verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger als Lügner zu bezeichnen. Nachdem das Gericht ein Sachverständigengutachten über den Standort des Baumes eingeholt hatte, haben der Kläger und seine Ehefrau den Feststellungsantrag zurückgenommen.

Das Amtsgericht hat sodann die noch anhängige Unterlassungsklage des Klägers durch Prozessurteil abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die noch anhängige Klage sei wegen fehlender Durchführung eines außergerichtlichen Einigungsversuchs gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO in Verbindung mit Art. 1 Nr. 3 des Bayerischen Schlichtungsgesetzes (BaySchlG) unzulässig. Hinsichtlich des Unterlassungsantrags habe kein Schlichtungsversuch stattgefunden, obwohl ein solcher nach Art. 1 Nr. 3 BaySchlG erforderlich gewesen sei. Die Klage sei nicht deswegen zulässig, weil der Kläger sie mit einem nicht schlichtungsbedürftigen Antrag verbunden habe. Die - in Literatur und Rechtsprechung umstrittene - Frage, ob die Verbindung eines schlichtungsbedürftigen mit einem schlichtungsfreien Antrag im Wege der objektiven Klagehäufung einen außergerichtlichen Schlichtungsversuch insgesamt entbehrlich mache, sei zu verneinen. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen seien für jeden Antrag gesondert zu prüfen. Die Gegenansicht erleichtere eine. Umgehung der zwingenden außergerichtlichen Schlichtung und schränke deren Anwendungsbereich deutlich ein. Die Gegenauffassung könne sich nicht auf Sinn und Zweck der Vorschriften über das obligatorische Schlichtungsverfahren berufen. Eine erfolgreiche Schlichtung könne gerade bei solchen Streitigkeiten, die in den persönlichen Beziehungen der Parteien wurzelten, auch zur außergerichtlichen Beilegung der damit verbundenen, an sich nicht schlichtungsbedürftigen Streitpunkte führen, so dass ein gerichtliches Verfahren insgesamt vermieden werden könnte.

II.

Die dagegen gerichtete Revision ist unbegründet (zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 545 Abs. 1 ZPO in Fällen der vorliegenden Art vgl. Senatsurteil BGHZ 161, 145, 147).

1. Nach Art. 1 Nr. 3 BaySchlG kann wegen einer Streitigkeit über Ansprüche wegen der Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden ist, vor den Amtsgerichten eine Klage erst erhoben werden, wenn die Parteien den Versuch unternommen haben, den Streit vor einer anerkannten Schlichtungs- oder GütesteIle gütlich beizulegen. Die Parteien stellen deshalb mit Recht nicht in Frage, dass nach dem Gesetzeswortlaut der vorliegenden Unterlassungsklage ein Schlichtungsversuch vorauszugehen hatte.

Ob, wie die Revisionserwiderung meint, entgegen der Ansicht der Vorinstanzen auch die Auseinandersetzung über den Standort des Baums als nachbarrechtliche Streitigkeit einem vorherigen Schlichtungsverfahren unterworfen werden musste, kann dahin stehen, da es für die Entscheidung darauf nicht ankommt.

2. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats muss, wenn durch Landesrecht ein obligatorisches Güteverfahren vorgeschrieben ist, der Einigungsversuch der Klageerhebung vorausgehen, so dass eine ohne den Einigungsversuch erhobene Klage als unzulässig abzuweisen ist (Senatsurteil BGHZ 161, 145, 148 f.). Die Zielsetzung der Öffnungsklausel des § 15a EGZPO, angesichts des ständig steigenden Geschäftsanfalls bei den Gerichten Institutionen zu fördern, die im Vorfeld der Gerichte Konflikte beilegen, und neben der Entlastung der Justiz durch eine Inanspruchnahme von Schlichtungsstellen Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen, kann nur erreicht werden, wenn die Verfahrensvorschrift des § 15a EGZPO konsequent derart ausgelegt wird, dass die Rechtsuchenden und die Anwaltschaft in den durch Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssen (Senatsurteil BGHZ 161, 145, 149 f.).

3. Diese Überlegung muss auch maßgebend sein, wenn es um die vorliegend zu beantwortende Frage geht, ob das Schlichtungserfordernis entfällt, wenn ein an sich schlichtungsbedürftiger Antrag mit einem nicht schlichtungsbedürftigen Antrag zusammentrifft.

a) Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, wird diese Frage in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet (bejahend: LG Aachen, NJW-RR 2002, 1439; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 18; Beunings, AnwBl 2004, 82, 85; Bitter, NJW 2005, 1235, 1237 f.; Deckenbrock/Jordans, JA 2004, 913, 915; Friedrich, NJW 2002, 3223, 3224; Hk-ZPO/Saenger, 2. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 2; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 27. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 3; verneinend: Becker/Nicht, ZZP 120, 159, 190; Jordans, MDR 2005, 286, 287; MünchKomm-ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 11; Prütting/Schmidt, Außergerichtliche Streitschlichtung, 2003, Rn. 119; Röhl/Weiß, Die obligatorische Streitschlichtung in der Praxis, 2005, S. 155 f.).

b) Nach Ansicht des erkennenden Senats ist der letztgenannten Auffassung der Vorzug zu geben, wonach die Schlichtungsbedürftigkeit eines Klageantrags nicht deshalb entfällt, weil er im Wege der objektiven Klagehäufung mit einem nicht schlichtungsbedürftigen Antrag verbunden wird.

Bereits in dem Urteil vom 8. Juli 2008 (VI ZR 221/07 - NJW-RR 2008, 1662, 1663) hat der Senat ausgeführt, es spreche viel für diese Auffassung, weil bei einer Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) der Grundsatz gelte, dass die Prozessvoraussetzungen für jeden einzelnen Antrag gesondert zu prüfen seien. Die Gegenauffassung eröffne eine Möglichkeit zur einfachen Umgehung des Einigungsversuchs, die der Zielsetzung des Gesetzgebers widerspräche, durch die Inanspruchnahme von Schlichtungsstellen die Gerichte zu entlasten und Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen. Es habe für den Gesetzgeber nahe gelegen, wie bei den §§ 5, 25 ZPO eine Abweichung vom oben genannten Grundsatz zu regeln, wenn er eine solche auch für die hier maßgeblichen Fälle des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 EGZPO gewollt hätte, was nicht geschehen sei. Soweit der Bundesgerichtshof in Fällen des § 264 Nr. 2 ZPO die Durchführung eines weiteren Einigungsversuchs für den nachträglich erweiterten oder beschränkten Anspruch als grundsätzlich entbehrlich angesehen habe (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 - V ZR 47/04 - NJW-RR 2005, 501, 503), sei eine mit der anfänglichen, objektiven Klagehäufung nicht vergleichbare Situation gegeben.

c) Diese Erwägungen erweisen sich auch unter Berücksichtigung der von der Revision für die abweichende Auffassung vorgetragenen Argumente als durchschlagend.

Der Revision gelingt es nicht, plausibel zu machen, wie die mit dem Schlichtungsverfahren verfolgte Zielsetzung erreicht werden soll, wenn in den Fällen des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 EGZPO eine einfache Klagehäufung ausreicht, das Schlichtungserfordernis entfallen zu lassen. Dabei ist eine generalisierende Betrachtungsweise nicht zu vermeiden. In jedem Einzelfall zu prüfen, ob der nicht schlichtungsbedürftige weitere Antrag den Schwerpunkt der Auseinandersetzung der Parteien darstellt oder ob er rechtsmissbräuchlich zur Vermeidung des Schlichtungsverfahrens gestellt wird, vertrüge sich nicht mit Wortlaut und Zielrichtung der gesetzlichen Regelung und führte auch vielfach zu einer nicht wünschenswerten unklaren prozessualen Situation und damit zu neuen Streitpunkten. Zutreffend verweist das Berufungsgericht darauf, dass eine erfolgreiche Schlichtung gerade bei solchen Streitigkeiten, die in den persönlichen Beziehungen der Parteien wurzeln, zur außergerichtlichen Beilegung der damit verbundenen, an sich nicht schlichtungsbedürftigen Streitpunkte führen und so ein gerichtliches Verfahren insgesamt vermieden werden kann.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Zoll Wellner Diederichsen Pauge Schilling Vorinstanzen:

AG Freyung, Entscheidung vom 10.04.2008 - 2 C 507/07 -

LG Passau, Entscheidung vom 25.09.2008 - 1 S 74/08 -