AG Heinsberg, Urteil vom 13.06.2013 - 19 C 151/12
Fundstelle
openJur 2014, 7622
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.200,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.03.2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger befuhr mit seinem Pkw Mitsubishi Colt mit dem amtlichen Kennzeichen HS-... am 19.01.2012 gegen 15:30 Uhr eine Straße in Sittard, Niederlande. Er musste an einer Lichtzeichenanlage anhalten, was der hinter ihm befindliche Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs mit dem niederländischen Kennzeichen GB-... übersah und auf das Fahrzeug des Klägers auffuhr.

Durch den Verkehrsunfall wurde das Fahrzeug des Klägers beschädigt. Der Kläger ließ, nachdem er zuvor einen Gutachter mit der Ermittlung des Schadens beauftragt hatte, das Fahrzeug reparieren. Die für die Reparatur aufgebrachten Kosten von 4.410,38 € erstattete die Beklagte über ihre Schadensregulierungsbevollmächtigte. Nach dem vom Kläger eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. N... vom 25.01.2012 ist zudem eine Wertminderung von 560,- € an dem Fahrzeug eingetreten. Für die Leistung des Sachverständigen zahlte der Kläger 658,57 €. Neben den beiden vorgenannten Beträgen machte der Kläger gegenüber der Beklagten vorprozessual eine allgemeine Unkostenpauschale von 25,- € sowie – ausgehend von einer 1,5-Geschäftsgebühr zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale und Mehrwertsteuer bei einem Gegenstandswert von bis 7.000,- € – Rechtsanwaltskosten von 693,18 € geltend. Auf die vom Kläger geltend gemachten Sachverständigenkosten zahlte die Beklagte 250,- €, auf die Wertminderung 280,-€ und auf die Rechtsanwaltskosten 175,- €. Der Kläger beziffert seinen Schaden dementsprechend wie folgt:

Position Gefordert Bezahlt Differenz

Sachverständigenkosten 658,57 € 250,- € 408,57 €

Wertminderung 560,- € 280,- € 280,- €

Rechtsanwaltsvergütung 693,18 € 175,- € 518,18 €

Summe 1.911,75 € 705,- € 1.206,75 €

Der Kläger ist der Auffassung, die Sachverständigenkosten und die Wertminderung des Fahrzeugs seien nach niederländischem Recht in der genannten Höhe erstattungsfähig. Die Frage der Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltsgebühren richte sich nach deutschem Recht.

Er beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.206,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.03.2012 zu zahlen

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, ein Anspruch auf Ersatz weiterer Kosten stehe dem Kläger nach niederländischem Recht nicht zu. Dazu behauptet sie, der Höchstbetrag, welcher für Sachverständigenkosten nach niederländischem Recht gezahlt werde, betrage 250,- €. Die merkantile Wertminderung sei mit maximal 280,- € zu beziffern. Die Beklagte meint ferner, der Ersatz von Rechtsanwaltskosten richte sich ebenfalls nach niederländischem Recht. In den Niederlanden werde bei einfachen Verkehrsunfallgeschehen die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht für geboten erachtet. Lediglich aus Kulanz seien hier 175,- € erstattet worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zum niederländischen Recht. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Rechtsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M... vom 25.02.2013 (Bl. 77 ff. d.A.) verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht Heinsberg nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 international und örtlich zur Entscheidung zuständig. Die Beklagte ist ein Versicherer, der in einem anderen Mitgliedstaat, den Niederlanden, ihren Sitz hat, so dass der Kläger beim Gericht seines Wohnortes Klagen kann. Dies ist vorliegend das Amtsgericht Heinsberg. Die sachliche Zuständigkeit folgt aus § 23 Nr. 1 GVG.

Die Klage hat in der Sache ganz überwiegend Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Sachverständigenkosten, auf Schadensersatz wegen einer Wertminderung seines Fahrzeugs sowie auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 1.200,75 € gegen die Beklagte.

Der Anspruch folgt aus Art. 162 Abs. 1 des 6. Buches des Niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs (Art. 6:162 BW). Zutreffend gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass sich die Ersatzfähigkeit der klägerseits behaupteten Schäden nach niederländischem Recht richtet. Nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB unterliegen Ansprüche aus unerlaubter Handlung dem Recht des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. Gleiches ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 der EU-Verordnung Nr. 864/2007 („Rom II-Verordnung“), da hier sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort des Verkehrsunfalls als unerlaubter Handlung in den Niederlanden liegen. Die Beklagte haftet auch als Versicherer für den von dem bei ihr haftpflichtversicherten Fahrer verursachten Schaden. Ein Direktanspruch ergibt sich gleichermaßen aus Art. 40 Abs. 4 EGBGB aus Art. 18 der Rom II-VO.

Nach Art. 6:162 BW ist derjenige, welcher gegenüber einem anderen eine unrechtmäßige Tat begeht, die ihm zugerechnet werden kann, verpflichtet, den Schaden, der der andere demzufolge erleidet, zu vergüten. Die Voraussetzungen einer vollen Haftung dem Grunde nach liegen unstreitig vor.

Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach Art. 6:96 BW. Danach sind – unter anderem – der erlittene Verlust sowie die redlichen Kosten zur Feststellung des Schadens und der Haftung als Vermögensschaden zu ersetzen.

Die ersatzfähige Wertminderung des klägerischen Fahrzeugs beträgt hier 554,- €, nach der Zahlung von 280,- € durch die Schadensregulierungsbeauftragte der Beklagten besteht diesbezüglich also ein weiterer Anspruch auf Zahlung von 274,- €. Nach den überzeugenden Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. M... sind Wertminderungen nach niederländischem Recht unter Anwendung der sog. NIVRE-Richtlinien zu ersetzen. Dabei errechnet sich die konkrete Wertminderung nach einer Formel, die unter anderem Gebrauchsdauer, Kilometerstand, Reparatur- und Lackierungskosten sowie den Listenneupreis berücksichtigt. Die Anwendung der Formel kommt hier auch zu plausiblen Werten, die mit der Einschätzung des vom Kläger beauftragten Gutachters übereinstimmen. Die Ermittlung des Minderungsbetrags von 554,- € nach der einschlägigen Formel hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 08.03.2012 rechnerisch richtig vorgenommen. Die von ihm verwendeten Parameter für die genannten Eigenschaften des Fahrzeugs sind von der Beklagten nicht bestritten worden.

Die klägerseits geltend gemachten Sachverständigenkosten von 658,57 € sind in vollem Umfang zu ersetzen, so dass nach der Zahlung von 250,- € eine berechtigte Restforderung von 408,57 € verbleibt. Redliche Kosten im Sinne des Art. 6:96 BW umfassen nach den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. M... auch die Kosten eines Sachverständigengutachtens zur Schadenshöhe, sofern das Gutachten zur Bestimmung des Schadensumfangs erforderlich war und auch die Kosten vom Umfang her redlich sind. Die Tätigkeit ausländischer Sachverständiger werde nach ausländischen Gebührensätzen vergütet, wenn die Einschaltung eines ausländischen Sachverständigen in dem zu beurteilenden Fall angemessen gewesen sei. Diesen Ausführungen folgt das Gericht. Die Angaben werden unter Nennung von Fundstellen in Literatur und Rechtsprechung belegt. Die genannten Voraussetzungen sind – im Gegensatz zu einer pauschalen Begrenzung der Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten auf einen Betrag von 250,- € – auch sinnvoll, da sie sich nach den Umständen des Einzelfalls richten. Im vorliegenden Fall genügt die Einschaltung des Gutachters den Anforderungen an die Redlichkeit. Dass durch die Beauftragung des genannten Sachverständigen Kosten entstanden sind, die deutlich über den Kosten liegen, die ein niederländischer Gutachter für die Schadensermittlung verlang hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Für die Ersatzfähigkeit des von dem deutschen Gutachter in Rechnung gestellten Betrages spricht zudem die Überlegung, dass es vor dem Hintergrund des absehbaren Zivilrechtsstreits vor einem deutschen Gericht sinnvoll war, das Gutachten eines ortsnahen Sachverständigen in deutscher Sprache anfertigen zu lassen.

Es besteht auch ein Anspruch auf Ersatz weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 518,18 € aus Art. 6:162, 6:96 Abs. 2 BW. Ursprünglich bestand ein Anspruch auf Zahlung von 693,18 €, der durch Zahlung in Höhe von 175,- € teilweise erloschen ist. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. M... sind Kosten für die Einholung juristischen Rats grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Art. 6:96 Abs. 2 BW als Folge des eingetretenen Primärschadens ersatzfähig. Dies gilt auch für den aus einer vorgerichtlichen Tätigkeit erwachsenden Vergütungsanspruch des nicht in den Niederlanden zugelassenen Rechtsanwalts. Die Hinzuziehung von Rechtsbeistand war auch redlich. Zwar mag die Haftungsfrage im vorliegenden Fall keine besonderen Probleme aufgeworfen haben. Der durch den Unfall am Fahrzeug des Klägers eingetretene Schaden war jedoch nicht unerheblich, so dass die Einschaltung eines Rechtsanwalts nicht außer Verhältnis zu den Kosten steht. Hinzu kommt, dass der Kläger sich der in Bezug auf die Schadensabwicklung komplizierten Situation eines Unfalls im Ausland ausgesetzt sah.

Hinsichtlich der Bestimmung der Anspruchshöhe folgt das Gericht den im Sachverständigengutachten angeführten Argumenten für die – nach den Angaben des Sachverständigen bislang nicht von niederländischen Gerichten entschiedene – Anwendung des deutschen Kostenrechts nach dem RVG. Die im Gutachten dargestellte Parallele zur Frage der Ersatzfähigkeit von Kosten für die Hinzuziehung eines ausländischen Sachverständen, deren Höhe nach den entsprechenden ausländischen Gebührensätzen ermittelt wird, ist überzeugend. Denn bei den Kosten für die Hinzuziehung eines Sachverständigen und eines Rechtsanwalts handelt es sich jeweils um solche zur „Durchsetzung des Anspruchs“ nach Art. 6:96 BW. Der im Gutachten genannte Grund für die Anwendung niederländischen Kostenrechts überzeugt demgegenüber nicht, da er sich auf eine Einzelfallentscheidung mit einer anderen Fallgestaltung als der vorliegenden bezieht, nämlich einem – aus niederländischer Sicht – Auslandsunfall, bei dem ausländisches Gebührenrecht zur Anwendung kam. Die Höhe der geltend gemachten Gebühr von 1,5 zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer genügt den Vorgaben des RVG. Nach Nr. 2300 VV-RVG kann eine Gebühr von mehr als 1,3 zwar nur dann gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war. Die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Erhöhung über die Regelgebühr hinaus vorliegen, unterliegt auch der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. nur BGH NJW 2012, 2813). Die Voraussetzungen liegen jedoch vor. Bei dem streitgegenständlichen Fall handelt es sich aufgrund der vom Prozessbevollmächtigten des Kläger zu klärenden Fragen zum niederländischen Recht um eine schwierige Angelegenheit. Die Berechnung auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von bis 7.000,- €, der die später ersetzten Reparatur- und Mietwagenkosten mit einschließt, ist nicht zu beanstanden.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Zuvielforderung des Klägers war geringfügig.

Der Streitwert beträgt 1.206,07,- €. Bei der Festsetzung wurden auch die geltend gemachten Sachverständigen- und Rechtsanwaltskosten berücksichtigt. Dabei kann offen bleiben, ob es sich begrifflich um Nebenforderungen handelt, also um solche, die von einer Hauptforderung abhängen. Denn nach § 4 Abs. 1 HS. 2 ZPO bleiben Nebenforderungen nur dann bei der Wertberechnung unberücksichtigt, wenn sie auch als Nebenforderung geltend gemacht werden, was hier nicht der Fall war.