OLG München, Beschluss vom 20.03.2014 - 7 W 315/14
Fundstelle
openJur 2014, 7050
  • Rkr:

1. Für die Beurteilung der Frage, ob der zur Dienstleistung Verpflichtete als selbständiger Handelsvertreter oder als unselbständiger Angestellter tätig geworden ist, und damit, ob eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte oder der ordentlichen Gerichte eröffnet ist, ist das Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und der tatsächlichen Handhabung entscheidend.2. Auch wenn der Dienstverpflichtete Ort, Zeit und Art der Tätigkeit weitgehend selbst bestimmen kann und nach dem Vertrag als Vergütung Provisionen für vermittelte Verträge zu leisten sind, kann die gelebte Vertragswirklichkeit (u.a. geschuldete Erreichbarkeit, Mitteilungspflicht über Abwesenheitszeiten, Wahrnehmung handelsvertreteruntypischer Aufgaben, fehlende Abrechnung über Provisionen und "Provisionsvorschüsse" durch Unternehmer während der gesamten Vertragslaufzeit, Provisionsrechnung ohne Ausweis der Mehrwertsteuer) gegen eine selbständige Tätigkeit und für eine wirtschaftliche Unselbständigkeit sprechen, mit der Folge, dass für Rechtsstreitigkeiten hieraus die Arbeitsgerichte zuständig sind.

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 26.11.2013, Az. 30 O 1460/12, wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.400,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder der Arbeitsgerichtsbarkeit.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage Rückzahlung insb. von Provisionsvorschüssen, die der Beklagte im Zuge "der Zusammenarbeit bis zum 31.12.2011" erhalten hat. Unstreitig war der Beklagte mit Wirkung zum 01.01.2009 als Versicherungsmakler im Angestelltenverhältnis für den Bereich "Transporte und Logistik, Vertrieb" tätig (vgl Anlage K 1). Mit Wirkung zum 01.01.2010 schlossen die Parteien "um Kosten zu sparen" einen als "Vertriebspartner-Vertrag" bezeichneten Vertrag, in dem der Beklagte Vertriebspartner der Klägerin und selbständiger Handelsvertreter bezeichnet wird, der ausschließlich von der Klägerin angebotene Produkte zu vermitteln hatte und nach § 1 Ziff. 2.1. des Vertrags im Wesentlichen frei war, seine Tätigkeit zu gestalten und seine Arbeitszeit und seinen Arbeitsort zu bestimmen (vgl. Anlage K 2). In einer Anlage zum Vertrag vereinbarten die Parteien einen monatlichen Provisionsvorschuss von 4.000,00 Euro. Nach § 9 des Vertrags hatte die Klägerin die Pflicht über Provisionsvorschüsse und Provisionen, auf die der Vertriebspartner Anspruch hat, vierteljährlich abzurechnen. Eine vierteljährlich Abrechnung erfolgte in der Folgezeit nicht. Der Beklagte stellte während der Vertragslaufzeit der Klägerin "für erbrachte Dienstleistung" monatlich 4.000,00 "Vermittlungshonorar" in Rechnung ohne Mehrwertsteuerausweis (vgl. Anlage K 4). Diese Beträge beglich die Klägerin in der Folgezeit jeweils. Unstreitig nahm der Beklagte auch weiterhin seine Tätigkeit im AK Transport wahr, diese wurde während der Vertragslaufzeit der Klägerin nicht gesondert in Rechnung gestellt. Nachdem die Klägerin dem Beklagten mitgeteilt hat, den Provisionsvorschuss auf monatlich 1.000,00 Euro zu reduzieren, kündigte der Beklagte mit Schreiben vom 28.11.2011 den Vertriebspartnervertrag zum 31.12.2011 (vgl. Anlage K 3), mit Schreiben vom 23.01.2012 forderte die Klägerin den Beklagten zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 72.464,33 Euro bis spätestens 06.02.2012 auf. Eine Forderungsaufstellung vom 09.07.2012, in der der "Hauptforderung" - "Honorar" für die jeweiligen Monate jeweils Gutschriften gegenüber gestellt sind und in der sich die streitgegenständliche Forderung errechnet, legt die Klägerin als Anlage K 5 vor. Mit Datum vom 30.12.2011 stellte die Klägerin dem Beklagten ein Zeugnis aus, in dem festgehalten ist, dass der Beklagte vom 01.01.2009 bis 31.12.2011 für die Beklagte als Leiter der Abteilung Transport & Logistik eingesetzt gewesen sei, zum Inhalt wird auf Anlage B 3 verwiesen.

Hinsichtlich des der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalts wird ergänzend auf den landgerichtlichen Beschluss und auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Beklagte beantragte die Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht München, weil er der Auffassung ist, er sei auch nach Abschluss des Vertriebsvertrags tatsächlich nicht selbständiger Handelsvertreter gewesen, sondern weiterhin Arbeitnehmer der Klägerin. Dies ergäbe sich aus den Tätigkeiten, die er für die Klägerin ausgeführt habe.

Dem widerspricht die Klägerin, die insbesondere darauf verweist, dass der Beklagte seine Zeit selbst einteilen konnte und auch den Arbeitsort. Für eine selbständige Tätigkeit spreche auch, dass der Beklagte seinen Urlaub nicht mehr genehmigen lassen musste und auch krankheitsbedingte Abwesenheit nur mitteilen musste, auch aus den gewechselten Email ergebe sich, dass der Beklagte sich selbst als selbständigen Handelsvertreter ansah.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom 26.11.2013 den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht München verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 18.12.2013. Sie hält an ihrer Auffassung fest, wonach der Beklagte Handels- bzw. Versicherungsvertreter war, dies ergebe sich sowohl aus dem Vertragsinhalt als auch aus der gelebten Vertragswirklichkeit. Ergänzend wird auf die Beschwerdebegründung vom 07.02.2014 verwiesen.

Das Landgericht hat gem. Beschluss vom 17.02.2014 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß § 17 a Abs. 4 GVG statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin erweist sich in der Sache als nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erachtet und deshalb den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen.

Zutreffend hat das Landgericht das Rechtsverhältnis der Parteien als Arbeitsverhältnis eingeordnet. Der Beklagte war nämlich aufgrund der tatsächlichen und praktischen Durchführung des zwischen ihnen abgeschlossenen Vertrags nicht selbständiger Versicherungsvertreter, sondern Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 ArbGG.

Haben die Parteien einen "Handelsvertretervertrag" geschlossen, so kann sich gleichwohl ergeben, dass der hierdurch zur Dienstleistung Verpflichtete nicht als selbständiger Handelsvertreter, sondern als unselbständiger Angestellter tätig geworden ist und dass Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis folglich in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fallen. Ob echte oder nur scheinbare Selbständigkeit vorliegt, ist in einer Gesamtwürdigung aller Umstände (getroffene Vereinbarung und tatsächliche Handhabung) zu ermitteln. Auch wenn die einzelnen Regelungen in dem Vertrag für sich genommen in einem Handelsvertretervertrag zulässig und mit der Rechtstellung des Handelsvertreters vereinbar sein mögen, kann das nicht mehr gelten, wenn die Vertragswirklichkeit von einer selbständigen Handelsvertretertätigkeit zu weit abweicht (vgl. OLG Düsseldorf, NJW - RR 1998, 682). Entscheidend ist nämlich das Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und der tatsächlichen Handhabung (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 36. Auflage, § 84 Rdnr. 36).

Im vorliegenden Fall sprechen die überwiegenden Gründe gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit des Beklagten. Der Senat verkennt nicht, dass die Vertragsgestaltung wesentlich eine selbständige Tätigkeit des Beklagten als Versicherungsvertreter für die Klägerin regelt. So sieht der Vertrag vor, dass der Beklagte Ort, Zeit und Art und Weise seiner Tätigkeit selbst weitgehend regen kann. Ebenso spricht die vertraglich vereinbarte Vergütung, d.h. Provision für vermittelte Verträge, und deren Höhe grundsätzlich für eine Versicherungsvertretertätigkeit. Auch wenn in der Vertragspraxis der Beklagte wesentlich, d.h. überwiegend den Ort und die Zeit seines Tätigwerdens frei bestimmten konnte, die Parteien aus Kostengründen eine "freiberufliche" Tätigkeit des Beklagten anstrebten, sprechen die überwiegenden Gründe jedoch dafür, dass der Beklagte (weiterhin) als Arbeitnehmer für die Klägerin tätig geworden ist. So war der Beklagte auch weiterhin im Büro der Klägerin tätig, schuldete seine Erreichbarkeit und teilte seine Abwesenheitszeiten der Klägerin mit. Auch die an den Beklagten gerichtete Email vom 10.08.2011 (Anlage B 4), in der von Seiten der Klägerin unter dem Betreff "Besetzung der Abteilung Transport - Logistik" die Nichtbesetzung "Eurer Abteilung" und gleichzeitige Abwesenheit des Klägers und eines weiteren Mitarbeiters beanstandet wurde, spricht für eine Einbindung des Beklagten in die Arbeitsorganisation der Klägerin.

Auch ist festzuhalten, dass der Beklagte nach Abschluss des Vertriebsvertrags im Kern die gleichen Tätigkeiten ausübte, wie vorher im Angestelltenverhältnis. Er war nämlich unstreitig auch weiterhin für die Klägerin im AK Transport tätig und erledigte Aufgaben für die Klägerin, die unzweifelhaft nicht von einer Handelsvertretertätigkeit umfasst sind. Diese hat der Beklagte der Klägerin während der Vertragslaufzeit auch nie in Rechnung gestellt. Als besonders gewichtig erweist sich der Umstand, dass die Klägerin während des Vertrags die vertraglich geschuldeten vierteljährlichen Provisionsabrechnungen nicht vorgenommen hat. Die Abrechnung der Provisionsvorschüsse mit den "verdienten" Provisionen kann der Senat erst aus der Aufstellung vom 09.07.2012 - nach Ende des Vertrags - entnehmen. Die Klägerin hat auch erstmals nach Ende der Vertragsverhältnisses angeblich nicht ins Verdienen gebrachte Provisionsvorschüsse zurückgefordert (vgl. Anlage K 11). Hinzu kommt, dass der Beklagte in seinen der Klägerin monatlich gestellten Rechnungen von "Vermittlungshonorar" spricht, ohne Mehrwertsteuer auszuweisen (vgl. Anlage K. 4). Zudem enthält der Vertrag auch keine expliziten Regelung zu den Rückforderungsmodalitäten bezüglich der nicht ins Verdienen gebrachten Provisionsvorschüsse. Diese Faktoren sprechen dafür, dass eine Vergütung der Tätigkeit des Beklagten für die Klägerin insgesamt ohne Abhängigkeit von den tatsächlich vermittelten Verträgen und erworbenen Provisionen hierfür geleistet wurde. Dies steht der Annahme einer wirtschaftlichen Selbständigkeit des Beklagten und eines Unternehmerrisikos entgegen.

Schließlich spricht auch das von der Klägerin ausgestellte Zeugnis für die Tätigkeit des Beklagten im Organisationsbereich der Klägerin. Wie das Landgericht zutreffend ausführt, unterscheidet das Zeugnis nicht zwischen der Tätigkeit des Beklagten vom 01.01.2009 bis 31.12.2009 aufgrund Angestelltenvertrags und derjenigen vom 01.01.2010 bis 31.12.2011 aufgrund Vertriebspartner-Vertrags. Die Tätigkeit des Beklagten wird für den gesamten Zeitraum als diejenige des Leiters der Abteilung Transport & Logistik beschrieben. Der Beklagte wird als Teamleiter bezeichnet und sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten als stets einwandfrei beschrieben. Auch wenn - wie die Klägerin vortragen lässt - das Zeugnis auf einem Entwurf des Beklagten selbst beruht, muss sie sich an den Erklärungen und Inhalten, die sie unterzeichnet hat, festhalten lassen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist aus den nach Vertragsende und nach Entstehen der vorliegenden Unstimmigkeiten von Seiten des Beklagten und von ihr abgegebenen Äußerungen in Emails nicht auf eine tatsächliche freiberufliche Tätigkeit des Beklagten zu schließen.

Lediglich der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die Tatsache, dass der Beklagte Arbeitsmaterialien und sonstige Ausstattungsstücke erhielt (vgl. Anlage B 6), weder ein Kriterium für die Wertung seiner Tätigkeit als selbständiger Versicherungsvertreter noch als Angestellter der Klägerin ist.

Die Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände spricht vorliegend daher nicht für eine selbständige Tätigkeit des Beklagten als Versicherungsvertreter für die Klägerin, sondern wegen seiner wirtschaftlichen Unselbständigkeit für eine Arbeitnehmerstellung nach § 5 Abs. 1 S. 2ArbGG. Damit hat das Erstgericht zu Recht den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Beschwerdewert bemisst sich nach ca. 10 % des Hauptsachestreitwerts, § 3 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war gem. § 17 a Abs. 4 S. 5 GVG nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von einer Entscheidung eines obersten Gerichtshofs des Bundes abweicht. Auch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 ArbGG erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Inmitten der Entscheidung steht unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung die Beurteilung des streitgegenständlichen Vertrags sowie der tatsächlichen Vertragsumsetzung durch die Streitparteien.