Hessisches LAG, Urteil vom 21.03.2013 - 5 Sa 842/11
Fundstelle
openJur 2013, 40801
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Berufungsklägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 13. April 2011 - 2 Ca 487/10 -abgeändert.

Die Berufungsbeklagte wird verurteilt,

1. an die Berufungsklägerin 1.320,19 EUR (in Worten:Eintausenddreihundertzwanzig und 19/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.Oktober 2010 zu zahlen und der Berufungsklägerin eine entsprechende Abrechnung zu erteilen;

2. an die Berufungsklägerin 2.234,17 EUR (in Worten:Zweitausendzweihundertvierunddreißig und 17/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. November 2010 abzüglich am 04. November 2010 gezahlter 287,37EUR (in Worten: Zweihundertsiebenundachtzig und 37/100 Euro) netto sowie abzüglich am 17. November 2010 erhaltener 607,99 EUR (in Worten: Sechshundertsieben und 99/100 Euro) netto zu zahlen und der Berufungsklägerin eine entsprechende Abrechnung zu erteilen;

3. an die Berufungsklägerin 2.234,17 EUR (in Worten:Zweitausend-zweihundertvierunddreißig und 17/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 01. Dezember 2010 zu zahlen und der Berufungsklägerin eine entsprechende Abrechnung zu erteilen;

4. an die Berufungsklägerin 2.234,17 EUR (in Worten:Zweitausendzweihundertvierunddreißig und 17/100 Euro) brutto abzüglich netto gezahlter 210,67 EUR (in Worten: Zweihundertzehn und 67/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus der Differenz ab 21. Januar 2011 zu zahlen und der Berufungsklägerin eine entsprechende Abrechnung zu erteilen.

Die Berufungsbeklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche für den Zeitraum September 2010 bis November 2010 und Januar 2011.

Die Beklagte ist ein Unternehmen mit Sitz in A, welches Dienstleistungen für den Versandhandel erbringt. Die regelmäßig mehr als zehn ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung beschäftigten Arbeitnehmer werden von einem Betriebsrat repräsentiert. Die 46-Jährige, verheiratete Klägerin weist einen Grad der Behinderung von 40 auf und ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Sie wird jedenfalls seit dem 01.Januar 1993 bei der Beklagten beziehungsweise deren Rechtsvorgängerin als Kommissioniererin auf der Grundlage des am 19. November 1992geschlossenen Arbeitsvertrages mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zuletzt 24 Stunden pro Woche, verteilt auf fünf Arbeitstage á4,8 Stunden pro Tag mit einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von 2.450,00 Euro im Lager in B beschäftigt.Wegen der weiteren Arbeitsbedingungen wird auf die Kopie des Arbeitsvertrages Bezug genommen.

In B unterhält die Beklagte ein Logistikzentrum, in dem eine Vielzahl von Gegenständen, Materialien und Unterlagen, darunter Büro- und sonstiges Gebrauchsmaterial, Werbegeschenke, Formular-und Textsätze, gelagert, verwaltet und versandt werden. Vom Warenwirtschaftssystem werden mehrmals täglich aufgrund der eingehenden Bestellungen Kommissionierungsscheine gefertigt und ausgedruckt. Auf ihrer Grundlage werden die Lieferungen zusammengestellt. Dabei müssen die Gegenstände sowohl in tief gebückter Stellung als auch über Kopf unter Einsatz von Leitern den Regalen entnommen werden. Zudem fallen Tragetätigkeiten von Lasten bis zu 31,5 Kilogramm an. Die zusammengestellten Gegenstände werden auf einen zweigeschossigen Kommissionierungswagen geladen und mit dem Kommissionierungsschein abgeglichen. Die Wagen werden dann zur Packstation geschoben und dort versandfertig gemacht. Die dabei anfallenden Tätigkeiten sind ausschließlich im Stehen zu verrichten. Die zuletzt ausgeübte Arbeit als Kommissioniererin kann die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten.

Nach einer krankheitsbedingten Fehlzeit vom 09. April 2008 bis 09. Mai 2008 führte die Klägerin in der Zeit vom 31. Juli bis 21.August 2008 eine Rehabilitationsmaßnahme/Kur durch. Die sozialmedizinische Beurteilung der behandelnden Ärzte der Deutschen Rentenversicherung kam aus orthopädischer Sicht zu dem Ergebnis,dass die Klägerin in ihrem Beruf als Kommissioniererin mit überwiegend gehend, stehender und einseitig belastender Tätigkeit nur noch unter drei Stunden leistungsfähig ist. Wegen des weiteren Inhalts der Beurteilung wird auf den ärztlichen Entlassungsbericht Bezug genommen. Die Klägerin wurde seinerzeit als arbeitsfähig entlassen. In der Zeit vom 07. November bis 07. Dezember 2008 war sie wiederum arbeitsunfähig erkrankt. Auf das Angebot der Beklagten, zukünftig in der Poststelle in A zu arbeiten, teilte die Klägerin der Personalleiterin C am 18. November 2008 telefonisch mit, dass sie die Arbeit in A probieren werde. Wegen des weiteren Inhalts der in diesem Zusammenhang geführten Gespräche wird auf die Sitzungsniederschrift vom 03. Mai 2012 verwiesen. Danach wurde die Klägerin vorübergehend in der Poststelle in A eingesetzt. In der Zeit vom 05. Januar 2009 bis 13. September 2010 war die Klägerin wiederum arbeitsunfähig erkrankt. Nach dem ärztlichen Entlassungsbericht der Kaiserberg-Klinik vom 26. Mai 2009 kann die Klägerin leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, im Gehen und im Sitzen sechs Stunden und mehr in allen Schichtformen ausüben. Vermieden werden sollte häufiges und längeres Arbeiten im Knien und Hocken, Tätigkeiten, die eine erhöhte Gang- und Standsicherheit erfordern, häufiges und längeres Heben, Tragen, Bewegen von Lasten über 10 Kilogramm sowie häufigere oder längere Vibrations- und Erschütterungsbelastungen. Mit Schreiben vom 06. September 2010 teilte die Klägerin der Beklagten das von der Kaiserberg-Klinik festgestellte positive und negative Leistungsbild wortwörtlich mit und kündigte an, dass sie am 14.September 2010 im Betrieb in B ihre Arbeitskraft wieder anbieten werde. Zudem beantragte sie, die innerbetriebliche Umsetzung und die Zuweisung einer Bürotätigkeit, die ihrem Leistungsbild entspreche und einen leidensgerechten Arbeitsplatz darstelle. Wegen des genauen Inhalts des Schreibens wird auf die Kopie Bezug genommen. Nach der Beurteilung des Betriebsarztes Dr. D vom 30.September 2010 bestanden gegen eine Beschäftigung der Klägerin in der Poststelle in A keine Bedenken. In der Folgezeit wurde der Klägerin wiederholt eine Beschäftigung in der Poststelle in der Zentrale in A angeboten. Mit Schreiben vom 05. Oktober 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin der Beklagten unter anderem Folgendes mit:

„…Das Ihrerseits unterbreitete Angebot einer Änderung der Arbeitsbedingungen, zumal ohne jeden Ausgleich für unsere Mandantin, vermag diese nicht zu akzeptieren. Die Änderung soll ohne die für eine Änderungskündigung geltende Frist wirksam werden. Unserer Mandantin wird keinerlei Ausgleich für den ganz erheblichen zeitlichen Mehraufwand durch den Wechsel des Arbeitsortes und die damit verbundenen Kosten angeboten. Darüber hinaus muss unsere Mandantin aufgrund der Vorstellung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen, wie sie in A gelten sollen, befürchten, dass dies mit ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht zu vereinbaren sind…“.

Wegen des weiteren Inhalts des Schreibens wird auf die Kopie Bezug genommen. Unter dem Datum des 07. Oktober 2010 gab die Hausärztin der Klägerin eine Stellungnahme zur Vorlage beim Arbeitgeber ab, in der sie unter anderem ausführte:

„Das Leistungsprofil von Frau E beschreibe ich folgendermaßen:

Halbtagstätigkeit, wohnortnah mit wechselnder Körperhaltung;keine schweren Lasten heben oder tragen (max. 5-7 Kilogramm; im Übrigen laut sozialmedizinischer Leistungsbeurteilung der Kaiserberg-Klinik vom 26. Mai 2009…“

Wegen des weiteren Inhalts der Stellungnahme wird auf die Kopie Bezug genommen. Anlässlich der mündlichen Verhandlung am 03.November 2010 betreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Urlaubsgewährung erklärte die Beklagte, sie beabsichtige, die weitere Einsetzbarkeit der Klägerin im Betrieb in B unter Mitwirkung des Integrationsamtes im Rahmen eines Verfahrens gem. § 84 SGB IX zu klären. In dem gerichtlichen Vergleich wurde unter Ziffer 2 folgende Vereinbarung getroffen:

„2. Die Klägerin erklärt sich bereit, nach vorzeitiger Terminabstimmung über die beauftragten Anwälte an einem Termin unter Mitwirkung des Integrationsamtes zur Klärung ihrer Einsetzbarkeit im Betrieb in B teilzunehmen, wobei der Urlaub in diesem Fall um einen Tag verlängert wird“.

Wegen des weiteren Inhalts des Vergleichs wird auf die Sitzungsniederschrift des Arbeitsgerichts Gießen (2 Ga 4/10) vom 03. November 2010 – Blatt 191 der Akten – Bezug genommen. Mit Schreiben vom 04. November 2010 teilte die Beklagte mit, dass der Termin zur Klärung der weiteren Einsetzbarkeit der Klägerin am 12. November 2010 stattfinden könne. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erwiderte daraufhin mit Schreiben vom 09. November 2010, eine Ortsbegehung könne an diesem Tag nicht erfolgen. Zudem äußerte er sich dahingehend, dass seine Mandantin an der Durchführung von Verfahren und Besprechungen, die auf der Grundlage des SGB IX und unter Mitwirkung des Integrationsamtes stattfänden, auf die gesetzlich vorgesehene Weise beteiligt zu werden wünsche. Wegen des weiteren Inhalts des Schreibens wird auf die Kopie verwiesen. Der Termin wurde ohne Beteiligung der Klägerin durchgeführt und im Anschluss daran beantragte die Beklagte am 19. November 2010 beim Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Mit Bescheid vom 27. Juni 2011 stimmte das Integrationsamt der Kündigung zu.Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Juni 2011 das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2011. Am 01. Juli 2011 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes ein, der durch den Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses bei dem Integrationsamt des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen am 21.2.2012abschlägig beschieden wurde. Wegen des Inhalts des Bescheides wird auf die Kopie Bezug genommen. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Vergütung für den Zeitraum September 2010 bis November 2010 und Januar 2011. Wegen des Weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der Antragsstellung der Parteien wird gemäß §69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Durch das am 13. April 2011 verkündete Urteil hat das Arbeitsgericht Gießen die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat es – kurz zusammengefasst – Folgendes ausgeführt: Unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges stünden der Klägerin keine Zahlungsansprüche zu. Wegen des zunächst unstreitigen Vortrages der Klägerin – so das Arbeitsgericht -, sie sei nicht in der Lage, die bislang von ihr in B verrichteten Tätigkeiten auch nur teilweise auszuüben, sei die Beklagte in der Zeit von September 2010 bis zum Zugang des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 13. Januar 2011 nicht verpflichtet, im Rahmen der Ausübung ihres Direktionsrechtes auf Behinderungen der Klägerin Rücksicht zu nehmen. Die Beklagte müsse nicht anbieten, was die Klägerin selbst für nicht leistbar halte. Dazu wäre sie nur dann verpflichtet gewesen, wenn die Klägerin ihr mitgeteilt hätte, wie sie sich ihre weitere, die auftretenden Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstelle. Dies habe die Klägerin zwar bezüglich der begehrten Verwaltungstätigkeiten getan. Sie gehörten indessen nicht zur arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit,sodass die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, ihr diese im Rahmen des Direktionsrechts zuzuweisen. Für den Zeitraum bis Ende Januar 2011 könne die Klägerin ebenfalls keine Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges verlangen. Zum einen habe die Beklagte den neuen prozessualen Vortrag zur Weiterbeschäftigung in der Kommissionierung und im Versand auf seine organisatorische Durchführbarkeit überprüfen müssen. Zum anderen habe sich die Klägerin dasjenige anrechnen lassen müssen, was sie durch anderweitige Verwendung ihrer Dienste zu erwerben böswillig unterlassen habe. Der Klägerin sei es zumutbar gewesen, das Angebot der Beklagten, in der Poststelle in A zu arbeiten, zumindest auf Zeit anzunehmen, bis der Streit über die Möglichkeit einer Beschäftigung im Lager in B geklärt gewesen wäre.Schadensersatzansprüche stünden der Klägerin ebenfalls nicht zu.Sie seien schon deshalb nicht gegeben, weil die Klägerin den Schaden – die entgangene Vergütung – durch die Ablehnung der angebotenen Beschäftigung in A überwiegend mitverschuldet habe. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen. Gegen das am 16. Mai 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. Juni 2011 Berufung eingelegt und sie mit dem am 07. Juli 2011 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin verfolgt unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihr Klagebegehren weiter. Sie behauptet, sie könne die im Kommissionierungsbereich anfallenden Tätigkeiten erledigen, wenn sie auf leichte und mittelschwere Tätigkeiten beschränkt würden. Hierfür sei lediglich eine Sortierung der Kommissionierungsaufträge erforderlich. Dann sei eine Vollauslastung möglich. Ferner behauptet sie, dass sie körperlich in der Lage sei, den Arbeitsplatz in der Packstation einschränkungslos zu verrichten, soweit ihr ein Steh-Sitz-Stuhl zur Verfügung gestellt werde. Die Verpackung erfolge auf einer ebenen Fläche, sodass ein Heben und Tragen schwerer Gewichte entfalle.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 13. April 2011 –2 Ca 487/10 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

1. an die Berufungsklägerin 1.320,19 EUR (in Worten:Eintausenddreihundertzwanzig und 19/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.Oktober 2010 zu zahlen und der Berufungsklägerin eine entsprechende Abrechnung zu erteilen;

2. an die Berufungsklägerin 2.234,17 EUR (in Worten:Zweitausendzweihundertvierunddreißig und 17/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. November 2010 abzüglich am 04. November 2010 gezahlter 287,37EUR (in Worten: Zweihundertsiebenundachtzig und 37/100 Euro) netto sowie abzüglich am 17. November 2010 erhaltener 607,99 EUR (in Worten: Sechshundertsieben und 99/100 Euro) netto zu zahlen und der Berufungsklägerin eine entsprechende Abrechnung zu erteilen;

3. an die Berufungsklägerin 2.234,17 EUR (in Worten:Zweitausend-zweihundertvierunddreißig und 17/100 Euro) brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 01.Dezember 2010 zu zahlen und der Berufungsklägerin eine entsprechende Abrechnung zu erteilen;

4. an die Berufungsklägerin 2.234,17 EUR (in Worten:Zweitausendzweihundertvierunddreißig und 17/100 Euro) brutto abzüglich netto gezahlter 210,67 EUR (in Worten: Zweihundertzehn und 67/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus der Differenz ab 21. Januar 2011 zu zahlen und der Berufungsklägerin eine entsprechende Abrechnung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, dass die Vorschläge der Klägerin für eine leidensgerechte Beschäftigung nicht hinreichend konkret gewesen seien und in keiner Weise in den erforderlichen einheitlichen Arbeitskreislauf im Logistikzentrum in B hätten integriert werden können. Insbesondere sei die Beschäftigung mit vorsortierten Aufträgen ablauftechnisch unverhältnismäßig aufwändig und könne daher nicht verlangt werden. Im Schriftsatz vom 28. Juni 2012,Seite 12 hat die Beklagte behauptet, die Klägerin benötige zirka eine Stunde pro Tag, um die Kommissionierungsbelege so zu sortieren, dass sie die Arbeit verrichten könne. Im Schriftsatz vom 16. November 2012, Seite 4 behauptet sie, eine Sortierung der Kommissionierungsaufträge in der Weise, dass lediglich Ware bis zu einem Gewicht von sieben Kilogramm zu kommissionieren sei, würde die Beschäftigung einer weiteren Person erfordern. Ferner sei die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, den Arbeitsplatz in der Packstation zu bewältigen. Im Übrigen müsse sich die Klägerin ein Mitverschulden entgegen halten lassen, da sie die Verpflichtung gehabt habe, das Beschäftigungsangebot in der Poststelle in A unter Vorbehalt anzunehmen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung am 03. Mai 2012, 18. Oktober 2012und 06. Dezember 2012 Bezug genommen.

Gründe

A.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes gemäß §§ 8 Abs.2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG statthaft sowie gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520Abs. 3 ZPO form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden.

B.

In der Sache hat die Berufung der Klägerin Erfolg. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist abzuändern. Die Klägerin kann die begehrte Zahlung nebst Zinsen für die Zeit September 2010 bis November 2010und Januar 2011 verlangen.

I.

Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 280 Abs. 1BGB.

1.

Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass sich der Anspruch nicht unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges ergibt.

a) Kann der Arbeitnehmer, dessen Tätigkeit im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschrieben ist, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 S. 1 GewO wirksam näher bestimmte Tätigkeit aus in einer Person liegenden Gründen nicht mehr ausüben,aber eine andere, im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung liegende Tätigkeit verrichten, ist das Angebot einer „leidensgerechten Arbeit“ ohne Belang, solange der Arbeitgeber nicht durch eine Neuausübung seines Direktionsrechts diese zu der im Sinne des § 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleistung bestimmt hat. Anderenfalls könnte der Arbeitnehmer den Inhalt der arbeitsvertraglich nur rahmenmäßig umschriebenen Arbeitsleistung selbst konkretisieren. Das widerspräche § 106 Abs. 1 GewO. Die Konkretisierung der Arbeitspflicht ist nach § 106 S. 1 GewO Sache des Arbeitgebers. Verlangt der Arbeitgeber eine bestimmte Arbeit in rechtlich einwandfreier Art und Weise, kommt er nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer diese Arbeit ablehnt und stattdessen eine andere, ebenfalls vertragsgemäße Arbeit anbietet.Mit der Ausübung des Direktionsrechts wird die vertraglich geschuldete Tätigkeit näher bestimmt und ist ab diesem Zeitpunkt bis zur wirksamen Neuausübung des Direktionsrecht die konkret geschuldete Leistung (vgl. BAG 19. Mai 2010 – 5 AZR 162/09– Rn. 16, zitiert nach juris).

b) Infolge dessen konnte die Klägerin die Beklagte durch das Angebot leidensgerechter Arbeit nicht in Annahmeverzug versetzen.Die zuletzt zugewiesene Arbeit konnte die Klägerin nicht erbringen und die angebotene Tätigkeit stellt nicht die geschuldete Arbeitsleistung dar.

aa) Die geschuldete Arbeitsleistung konnte die Klägerin nicht mehr voll ausüben. Die Erkrankung der Klägerin hat zur Unzumutbarkeit der ursprünglich zugewiesenen Kommissionierungstätigkeiten gemäß § 275 Abs. 3 BGB geführt.Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass Kommissionierungsaufträge mit Waren, deren Gewicht über 10Kilogramm liegen von der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht bewältigt werden können.

bb) Die Verrichtung von Kommissionierungsarbeiten mit Gegenständen, die die Gewichtsgrenze von 10 Kilogramm nicht überschreiten ist - mangels Zuweisung per Direktionsrecht - nicht geschuldet. Die inhaltlich eingeschränkte Arbeit ist eine Teilleistung und stellt im Verhältnis zur vertraglich geschuldeten Arbeit eine andere Arbeitsleistung dar. Die Arbeitsleistung ist auf eine Einheit vielfältiger Arbeitsanforderungen, die erst in ihrer Gesamtheit – in Arbeitsdauer und Arbeitsintensität wie auch in der persönlichen Ausprägung – das ausmachen, was der Arbeitnehmer als seine Arbeitsleistung zu erbringen hat (vgl. BAG20. März 1985 – 5 AZR 260/83 – Rn. 15, zitiert nach juris). Eine Bestätigung findet dies in § 266 BGB. Danach ist der Gläubiger nicht verpflichtet, eine Teilleistung entgegen zu nehmen und deren Ablehnung führt nicht zum Annahmeverzug (vgl. MK- Krämer,BGB, § 266 Rn. 18).

2.

Die Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB sind erfüllt. Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin ihre Vertragspflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. Sie war gem. § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGBIX verpflichtet, ihr nur solche Kommissionierungstätigkeiten zuzuweisen, die die Gewichtsgrenze von 10 Kilogramm nicht überschreiten.

a) Die Klägerin ist zur Ausübung derartiger Kommissionierungsarbeiten gesundheitlich geeignet.Kommissionierungsarbeiten mit Aufträgen, die es nicht erfordern,Lasten von über 10 Kilogramm zu heben, zu tragen und zu bewegen sind behindertengerecht. Das erforderliche Leistungsbild entspricht den Feststellungen der behandelnden Ärzte der Kaiserberg-Klinik in F. Danach ist häufiges und länger andauerndes Heben, Tragen,Bewegen von Lasten über 10 Kilogramm zu vermeiden. Dieses Leistungsbild ist nach dem Sachvortrag der Klägerin (Schriftsatz 11. Oktober 2011) noch aktuell. Soweit die Hausärztin in ihrer Stellungnahme vom 07. Oktober 2010 – auf die sicht die Beklagte stützt - als Gewichtsgrenze maximal 5 bis 7 Kilogramm angibt, ist dies lediglich als Empfehlung zu bewerten und damit unerheblich. Hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin sowie des positiven und negativen Leistungsbildes wird in der ärztlichen Stellungnahme auf die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung verwiesen. Nur die Gewichtsgrenze von 10Kilogramm wird nicht übernommen. Aus welchen Gründen die Annahme der Kaiserberg-Klinik in dieser Hinsicht unzutreffend sein soll,lässt sich der Stellungnahme der Hausärztin nicht entnehmen. Die Einschätzung der Kaiserberg-Klinik ist auch deshalb fachlich fundierter, weil es sich bei ihr um eine Fachklinik für Orthopädie handelt, wohin gegen die Hausärztin diese speziellen Kenntnisse nicht aufweist, da sie Fachärztin für allgemeine Medizin ist.

b) Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen,ist die Beklagte nach § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet.

aa) Grundsätzlich setzt zwar die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit des Arbeitnehmers voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitteilt, wie er sich seine weitere,die aufgetretenen Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstellt (vgl BAG 19.05.2010 – 5 AZR 162/09 – Rn 28,zit. nach juris). Diese Anforderungen gelten allerdings dann nicht,wenn der Arbeitgeber seinen Pflichten zur rechtzeitigen Beteiligung des Integrationsamtes und der Schwerbehindertenvertretung im Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX nicht nachgekommen ist. Der Arbeitnehmer kann ohne die Durchführung des Präventionsverfahrens regelmäßig nicht überschauen, welche Möglichkeiten einer behinderungsgerechten Beschäftigung in Betracht kommen. Ihm fehlen für die Beurteilung zumeist die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse. Die erforderlichen Informationen wird er regelmäßig erst im Rahmen des Präventionsverfahrens erhalten.Ziel der gesetzlichen Prävention ist nämlich die frühzeitige Klärung, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu erreichen. Die Beteiligung sachkundiger Stellen soll gewährleisten,dass alle Möglichkeiten zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fachkundig untersucht und deren technische sowie wirtschaftliche Realisierbarkeit geprüft werden.

Das Wissen, wie ein behindertengerechter Arbeitsplatz in seinem Betrieb einzurichten und auszustatten ist, kann zwar einem Arbeitgeber auch nicht unterstellt werden. Auf dieses fehlende Wissen kann sich der Arbeitgeber aber nicht berufen, wenn er seinen Pflichten gem. § 84 Abs. 1 SBG IX nicht nachgekommen ist. Die Erörterung mit den in § 84 Abs. 1 SGB IX genannten fachkundigen Stellen dient gerade dazu, dass er sich das entsprechende Wissen verschafft (vgl. BAG 04. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 –Rn. 30, zitiert nach juris). Den Arbeitgeber trifft im Rahmen des §81 Abs. 4 SBG IX eine eigene Prüfungspflicht hinsichtlich leidensgerechter Beschäftigungsmöglichkeiten. Damit ist er auch verpflichtet, die maßgeblichen Fakten und Lösungsmöglichkeiten zu erheben. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt die Darlegungslast dahingehend einzuschränken, dass der Arbeitnehmer nur das Vorliegen der Voraussetzungen von § 84 Abs. 1 oder Abs. 2SGB IX und die Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit vortragen muss, soweit ein gebotenes Präventionsverfahren nicht durchgeführt wurde. Das Fehlen eines Beschäftigungsvorschlags ist dann unschädlich (vgl. dazu auch BAG 10. Mai 2005 – 9 AZR 230/04 -; wo es als ausreichend angesehen wurde, dass der Kläger unter Hinweis auf ärztliche Bescheinigungen den äußeren Rahmen für eine Beschäftigung abgesteckt hatte (Rn. 45); ferner BAG 04. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 - ).

Diesen Anforderungen genügt das Schreiben der Klägerin vom 06.September 2010. Ihre gesundheitlichen Einschränkungen hatte sie der Beklagten mitgeteilt und die Voraussetzungen für die Durchführung des Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX lagen vor. Die Klägerin war in den Jahren 2008, 2009 und 2010 dauerhaft nicht mehr in der Lage, ihre vertraglich geschuldeten Arbeitspflichten zu erfüllen. Das begründet eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses im Sinne von § 84 Abs. 1 SGB IX. Die Beklagte hat selbst nicht behauptet, ihren Pflichten aus § 84 Abs. 1 SGB IX seinerzeit nachgekommen zu sein. Vielmehr hat sie erst am 12. November 2010das Integrationsamt eingeschaltet. Die Klägerin hat ihrerseits mit Schriftsatz vom 13. Januar 2011 den Einsatz in der Kommissionierung und im Versand in der Packstraße angesprochen.

bb) Die Umorganisation ist rechtlich möglich und für die Beklagte nicht unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen im Sinne von § 81 Abs. 4 S. 3 SGB IX verbunden.

(1) Betriebliche Gründe stehen der Zumutbarkeit nicht entgegen.Der Arbeitsplatz ist frei und die Arbeitgeberin hat Bedarf für die Kommissionierungstätigkeiten (vgl. dazu BAG 19. Mai 2010 – 5AZR 162/09 – Rn. 29, 30, zitiert nach juris). Ein schwerbehinderte Arbeitnehmer kann auch verlangen, dass er nur mit leichteren Arbeiten beschäftigt wird, sofern im Betrieb die Möglichkeit zu einer solchen Aufgabenumverteilung besteht (vgl. BAG14. März 2006 – 9 AZR 411/05 – Rn. 18, zitiert nach juris). Dazu muss der Arbeitgeber den Arbeitsablauf so umorganisieren, dass der Arbeitnehmerin aus verschiedenen Aufträgen nur die leichteren – hier: nicht über 10 Kg - zugeteilt bekommt (vgl. BAG a.a.O. Rn. 26, zitiert nach juris). Die Möglichkeit dieser Umorganisation wird von der Beklagten im Entscheidungsfall selbst nicht in Abrede gestellt.

(2) Wirtschaftliche Erwägungen greifen ebenfalls nicht durch,insbesondere ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht stark beeinträchtigt. Grundsätzlich kann davon erst gesprochen werden, wenn eine langfristige Unterschreitung der Durchschnittsleistung um mehr als ein Drittel feststellbar ist. Dem entspricht es, wenn das Bundesarbeitsgericht in anderen Fällen unterhalb einer Grenze von etwa einem Drittel liegende Vergütungseinbußen als noch hinnehmbar und nicht als eine grundlegende Störung des Leistungsgleichgewichts im geschützten Kernbereich des Arbeitsverhältnisses angesehen hat (vgl. dazu BAG11. Dezember 2003 – 2 AZR 667/02 – Rn. 92 m.w.N.). Im Streitfall liegt die Leistungsminderung bei rund 21 Prozent (= 1Std. Auftragssortierung : 4,8 Std. Arbeitszeit pro Tag). In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass die Klägerin für die Sortierung der Kommissionierungsscheine pro Arbeitstag eine Stunde aufwenden muss. Soweit die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits vorgebracht hat, sie müsse hierfür eine weitere Arbeitskraft einstellen, ist dies unerheblich. Da sich die Beklagte insoweit in Widerspruch zu dem vorangegangenen Vorbringen setzt, hätte es einer näheren Begründung bedurft, aus welchen Gründen der ursprüngliche Sachvortrag nicht mehr aufrechterhalten wird. Dies gilt umso mehr,als ihr unter Fristsetzung die Stellungnahme zum Vorbringen der Klägerin gerichtlich aufgegeben wurde.

c) Die Pflichtverletzung erfolgte auch schuldhaft. Die Beklagte hat keine Gründe dafür vorgetragen, dass sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.

d) Der Schaden der Klägerin besteht aus dem entgangenen Lohn abzüglich der Sozialleistungen für den hier streitgegenständlichen Zeitraum. Die Höhe des Schadens steht zwischen den Parteien außer Streit.

3.

Der Schadensersatzanspruch ist entgegen der Auffassung der Beklagte nicht wegen eines Mitverschuldens der Klägerin gemäß § 254BGB gemindert. Ein Verschulden am Unvermögen, die bisherige Tätigkeit auszuüben, trifft sie nicht. Die Klägerin hat auch keine Obliegenheit dadurch verletzt, dass sie der Aufforderung der Beklagten nicht nachgekommen ist, in der Poststelle in A zu arbeiten. Da das Angebot mit einer endgültigen Abänderung des Arbeitsvertrages verbunden gewesen wäre, war die Klägerin nicht verpflichtet, sich darauf einzulassen (vgl. BAG 26.09.2007 –5 AZR 870/06 – Rn 23, zit. nach juris). Sie war auch nicht – wie die Beklagte meint - gehalten, ihr Angebot unter Vorbehalt anzunehmen. Eine dahingehende Verpflichtung hat schon deshalb nicht bestanden, weil die Einschränkung ohnehin eine Ablehnung des Angebots der Beklagten bedeutet hätte (vgl. § 150Abs.2 BGB). Vielmehr wäre es Sache der Beklagten gewesen, der Klägerin eine Prozessbeschäftigung in der Poststelle in Aanzubieten.

II.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

C.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens gem. § 97ZPO zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hatte.

D.

Die Revision ist nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

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