Bayerischer VGH, Beschluss vom 18.10.2013 - 12 C 13.1520
Fundstelle
openJur 2013, 40766
  • Rkr:

Anrechnung von selbst bezogenem Kindergeld bei Vorausleistungen nach § 36 BAföGBerechnung des Zuschusses zu angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 27 Abs. 3 SGB IIUnzulässigkeit der „Doppelanrechnung“ von Kindergeld (verneint)Umdeutung eines Klageantrags von einer Anfechtungs- in eine Verpflichtungsklage

Tenor

Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Klägerin beansprucht Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für eine auf die Erhöhung von Vorausleistungen zur Ausbildungsförderung gerichtete Klage.

Auf ihren Antrag vom 14. November 2012 hin bewilligte der Beklagte Ausbildungsförderung ab November 2012 bis einschließlich Juli 2013 für den Besuch einer Berufsfachschule für Altenpflegehilfe zunächst in Höhe von 152 EUR unter Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs gegenüber ihrem Vater in Höhe von 312,52 EUR. Da der Vater jedoch tatsächlich keinen Unterhalt leistete, beantragte die Klägerin am 28. Januar 2013 zusätzlich Vorausleistungen nach § 36 BAföG. Zugleich gab sie an, dass das Kindergeld in Höhe von 184 EUR direkt an sie ausbezahlt wird.

Nachdem die beantragten Vorausleistungen zunächst nicht zur Auszahlung gelangten, ließ die Klägerin Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht Bayreuth stellen, mit dem sie über die bewilligte BAföG-Leistung von 152 EUR hinaus die Zahlung des als Einkommen angerechneten Unterhaltsbetrags von 312,52 EUR im Wege der Vorausleistung begehrte.

Weiterhin bewilligte das Jobcenter des Landkreises Bamberg mit Bescheid vom 20. Dezember 2012 der Klägerin für die Monate November und Dezember 2012 als Zuschuss zu angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 27 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) einen Betrag in Höhe von 148 EUR, ab dem 1. Januar 2013 in Höhe von 156 EUR:

In der Folge änderte nach einem entsprechenden Hinweis des Verwaltungsgerichts der Beklagte den Förderbescheid am 28. Februar 2013 dahingehend ab, dass der Klägerin zusätzlich zur BAföG-Leistung von 152 EUR für November und Dezember 2012 Vorausleistungen in Höhe von 149 EUR, ab dem 1. Januar (bis 31. Juli 2013) in Höhe von 141 EUR bewilligt wurden. Insoweit erklärten die Beteiligten das vorläufige Rechtsschutzverfahren für erledigt. Den weitergehenden Antrag der Klägerin lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. März 2013 (Az.: B 3 E 13.125) ab. Auf die Entscheidungsgründe des Beschlusses wird Bezug genommen.

Nunmehr erhob der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 4. April 2013 gegen den (Abhilfe-)Bescheid vom 28. Februar 2013 Klage und beantragte die Aufhebung des Bescheids, zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Klageverfahren. Er macht hierzu geltend, sowohl bei der Ermittlung der Höhe der Vorausleistungen wie auch bei der Ermittlung des Zuschusses zu angemessenen Unterkunftskosten nach § 27 Abs. 3 SGB II, mithin doppelt, sei der Klägerin das Kindergeld in Höhe von 184 EUR als Einkommen angerechnet worden. Diese mehrfache Anrechnung des Kindergelds sei rechtswidrig. Tatsächlich bestehe auf Seiten der Klägerin ein entsprechender Bedarf. Mithin müsse auch der Differenzbetrag zum nicht geleisteten Unterhalt des Vaters in Höhe von 171, 20 EUR im Wege der Vorausleistung vom Beklagten übernommen werden.

Mit Beschluss vom 17. Juni 2013 (Az.: 3 K 13.238) lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels entsprechender Erfolgsaussichten der Klage ab. Einer isolierten Klage auf Anfechtung des Bewilligungsbescheids vom 28. Februar 2013 fehle ersichtlich das Rechtsschutzinteresse. Selbst bei einer Umdeutung der Klage in eine Versagungsgegenklage besäße diese keine Erfolgsaussichten, da die vom Klägerbevollmächtigten bemängelte Doppelanrechnung von Kindergeld, wie sich bereits aus den Gründen des Beschlusses vom 4. März 2013 ergebe, nicht vorliege.

Mit ihrer gegen diesen Beschluss eingelegten Beschwerde verfolgt die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren weiter. Zur Begründung trägt ihr Bevollmächtigter vor, es treffe nicht zu, dass für die erhobene Klage kein Rechtsschutzinteresse mehr bestehe. Der gestellte Klageantrag wäre jedenfalls „erweiternd als Fortsetzungsklage“ auszulegen gewesen. Im Übrigen werde an der Auffassung festgehalten, dass der Klägerin im vorliegenden Fall zu Unrecht Kindergeld doppelt als Einkommen angerechnet worden sei. Diesen Sachverhalt habe das Verwaltungsgericht bereits im Rahmen des Eilverfahrens vollkommen unberücksichtigt gelassen. Der Beklagte verweist demgegenüber auf die für zutreffend erachteten Gründe des Beschlusses vom 4. März 2013 im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat, hat keinen Erfolg.

1. Dabei kann zunächst dahinstehen, ob es die gerichtliche Fürsorgepflicht im Rahmen des § 88 VwGO bei einer von einem Rechtsanwalt erhobenen Anfechtungsklage tatsächlich verlangt, diese in eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage umzudeuten (vgl. hierzu Rennert in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 88 Rn. 9), zumal der Bevollmächtigte der Klägerin ausweislich der Beschwerdebegründung augenscheinlich an einem Anfechtungsbegehren festhält, sofern mit der angemahnten Auslegung des Klageantrags als „Fortsetzungsklage“ eine Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO gemeint sein soll. Welcher Verwaltungsakt sich indes wann erledigt haben und worin das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehen soll, legt der Bevollmächtigte der Klägerin nicht dar; es erschließt sich dem Senat auch sonst nicht.

2.Indes fehlen dem im wohlmeinenden Interesse der Klägerin als Verpflichtungsklage ausgelegten Klagebegehren die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Erfolgsaussichten.

2.1 Die Bewilligung von Vorausleistungen nach § 36 Abs. 1 BAföG dient der Abwendung einer Ausbildungsgefährdung (vgl. BVerwG, U.v. 23.2.2010 – 5 C 2.09BVerwGE 136, 109 Rn. 25), die beispielsweise dadurch eintreten kann, dass ein Elternteil des Auszubildenden Unterhalt, der als Einkommen bei der Berechnung der Höhe der Förderleistungen berücksichtigt worden ist, tatsächlich nicht leistet. In diesem Zusammenhang sind jedoch das an den Auszubildenden selbst ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 184 EUR (vgl. BayVGH, B.v. 6.7.2009 – 12 CE 09.1359, 12 C 09.1361 – juris; B.v. 2.12.2009 – 12 ZB 09.2266 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 2.11.2012 – 1 K 2105/12 – juris) wie auch Leistungen Dritter an den Auszubildenden (VG Düsseldorf a.a.O; vgl. ferner Humborg in Rothe/Blanke, BAföG, § 36 Rn. 9.4, 9.5) bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Eine Anrechnung des Kindergelds setzt jedoch voraus, dass dieses dem Auszubildenden auch tatsächlich zur Verfügung steht. Wird Kindergeld hingegen anderweitig auf Sozialleistungen angerechnet, darf es dem Anspruch auf Vorausleistungen nach § 36 Abs.1 BAföG nicht bedarfsmindernd entgegengehalten werden. Insoweit trifft die Annahme des Bevollmächtigten der Klägerin zu, dass eine „Doppelanrechnung“ des Kindergelds unzulässig ist.

2.2 Eine Doppelanrechnung liegt im Fall der Klägerin jedoch, wie das Verwaltungsgericht bereits im Beschluss vom 4. März 2013 zutreffend ausgeführt hat, nicht vor. Denn entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin werden bei der Berechnung des Zuschusses für angemessene Unterkunft und Heizung nach § 27 Abs. 3 SGB II nicht 184 EUR Kindergeld, sondern für November und Dezember 2012 nur 20 EUR und ab Januar 2013 nur 12 EUR angerechnet, mit der Folge, dass der jeweilige Restbetrag, 164 EUR bzw. 172 EUR, bei der Berechnung der Vorausleistungen nach § 36 Abs. 1 BAföG bedarfsmindernd berücksichtigt werden kann.

Ausgangspunkt für die Berechnung des Zuschusses nach § 27 Abs. 3 SGB II (zu den Einzelheiten der Berechnung vgl. Frank-Schinke, Leistungen für Auszubildende nach dem neuen § 27 SGB II, ZfF 2011, 121 ff.) bilden dabei die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die das zuständige Jobcenter gemäß dem von der Klägerin vorgelegten Mietvertrag mit 300 EUR ansetzt (vgl. Berechnungsbogen Bl. 60, 61 der Verfahrensakte des Eilverfahrens; Stichpunkt „GesamtKdU“). In der Folge berücksichtigt das Jobcenter bei der Ermittlung des ungedeckten Bedarfs der angemessenen Unterkunftskosten den im Fördersatz des § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG enthaltenen „Unterkunftsanteil“ der Ausbildungsförderung (vgl. hierzu Frank-Schinke, a.a.O, S. 124 f.), der aktuell 132 EUR beträgt. Daraus ergibt sich ein Förderhöchstbetrag (im Berechnungsbogen als „nicht über Ausbildungsförderung gedeckter KdU-Bedarf“ bezeichnet) im Rahmen des § 27 Abs. 3 SGB II in Höhe von 168 EUR (zur Begrenzung der Förderung nach § 27 Abs. 3 SGB III vgl. BSG, U.v. 22.3.2010 – B 4 AS 69/09 R – FEVS 62, 53, Leitsatz). Tatsächlich erhielt die Klägerin indes 148 EUR bzw. ab Januar 2013 156 EUR als Zuschuss zu ihren Unterkunftskosten. Daraus folgt, dass sie aus eigenen Mitteln, im vorliegenden Fall dem Kindergeld, für den nicht durch Förderleistungen gedeckte Anteil der Unterkunftskosten 20 EUR bzw. 12 EUR aufwenden musste. Demzufolge steht der jeweilige Restbetrag in Höhe von 164 EUR bzw. 172 EUR der Klägerin zur Verfügung und kann demnach bedarfsmindernd bei der Berechnung der Vorausleistungen in Abzug gebracht werden. Die vom Bevollmächtigten der Klägerin gerügte „Doppelanrechnung“ des Kindergelds liegt also nicht vor, wie das Verwaltungsgericht im Eilbeschluss vom 4. März 2013 bereits zutreffend festgestellt hat (vgl. S. 7 f. des Entscheidungsumdrucks). Die gleichwohl erhobene Verpflichtungsklage besitzt daher keine Erfolgsaussichten. Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.

3. Einer Kostenentscheidung bedarf es vorliegend nicht, da das Verfahren nach § 188 Satz 2, 1 VwGO gerichtskostenfrei ist und im Beschwerdeverfahren nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO Kosten nicht erstattet werden. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.