OLG Hamm, Urteil vom 26.01.2012 - 2 U 133/11
Fundstelle
openJur 2013, 32794
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 10.06.2011 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Der Beklagten werden die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägeirn durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der titulierten Beträge abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% der jeweils zu vollstreckenden Beträge leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin betreibt ein Stromversorgungsnetz und liefert Strom. Die Beklagte bezog Strom zunächst von der Klägerin, sodann (ab dem 01.01.07) von einem Dritten. Entsprechend den Verhältnissen haben die Parteien ihre Beziehungen durch Verträge geregelt. Soweit die Klägerin Strom geliefert hat, erfolgte das auf der Grundlage des ursprünglich geschlossenen Stromlieferungsvertrages aus dem Jahre 2000 (Stromliefervertrag vom 23./24.2000, GA64). Soweit die Klägerin (ab dem 01.01.07) ihr Netz zur Verfügung gestellt hat, erfolgte das auf der Grundlage des Netznutzungsvertrages aus dem Jahre 2007 (Netznutzungsvertrag vom 10./18.09.07, GA87, 192, 553).

Die Beklagte erzeugt den von ihr verbrauchten physikalischen Strom - teilweise - selbst. Diesen Strom erhält sie - ohne physikalische Einleitung in das Netz der Klägerin - ihm Wege kaufmännisch bilanzieller Durchleitung nach dem EEG vergütet.

Die Parteien streiten um die Vergütung des im Gegenzug kaufmännisch bilanziell bezogenen Stroms. Während die Klägerin meint, dieser bzw. die Netznutzung dafür sei nach den Vertragspreisen (Strompreis bis zum 31.12.06 / Netzentgelt ab dem 01.01.07) zu vergüten und mit ihrer Klage entsprechende Zahlung verlangt hat, vertritt die Beklagte die Auffassung, für den kaufmännisch bilanziell bezogenen Strom seien Leistungspreis und Netzentgelt nicht geschuldet.

Das Landgericht hat der Klage - soweit nicht aufgrund Zahlung zurückgenommen - stattgegeben. Wegen der dem zu Grunde liegenden Feststellungen, der in erster Instanz gestellten Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts verwiesen.

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Rechtsstandpunkt wiederholt und vertieft. Sie beantragt,

abändernd die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurück zu weisen.

Auch sie wiederholt und vertieft ihre Rechtsauffassung.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

B.

Die Berufung der Beklagen hat keinen Erfolg. Die Beklagte schuldet - wie vom Landgericht erkannt - für die Zeit des Strombezugs den vereinbarten Strompreis (Klageanträge zu 1. und zu 2.) (1.) und für die Zeit danach das vereinbarte Netzentgelt (2.)

1.

Die kaufmännisch bilanzielle Durchleitung bedeutet denknotwendig, dass die Strommenge, die auf diesem Wege in das Netz der Klägerin (fiktiv) eingespeist und nach EEG vergütet wird (EEG-Strom), anderweitig (fiktiv) bezogen (EEG-Ersatzstrom) werden muss. Diesen Strom hat die Klägerin geliefert.

Der Ersatzstrom ist nach den Vertragspreisen zu vergüten. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Landgerichts Bezug genommen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Tragender Gesichtspunkt dafür, dass die Vereinbarungen der Parteien den Preis für den Ersatzstrom erfassen, ist, dass die Parteien bei ihren Vereinbarungen nicht zwischen physikalisch geliefertem Strom und fiktiv geliefertem Strom unterscheiden haben.

Soweit die Berufung dazu geltend macht, bei Vertragsschluss im Oktober 2000 sei es nur um physikalisch zu liefernden Strom gegangen, ist das unstreitig, so dass den mit der Berufung als dazu übergangen gerügten Beweisantritten (S. 13 der Klageerwiderung = GA 112) nicht nachzugehen ist. Soweit die Berufung weiter geltend macht, bei der im Vertrag vorgesehenen Leistungserhöhung von 1.700 kW auf 2.500 kW ab Inbetriebnahme des Altholzkraftwerks der Beklagten sei es - entgegen der Annahme im Senatsurteil vom 30.06.2008 - 2 U 197/07 - nicht um EEG-Ersatzstrom gegangen, vielmehr sei eine Direkteinspeisung vorgesehen gewesen, ist auch das unstreitig. Beides gibt zu anderer Beurteilung keinen Anlass.

Entscheidend ist nach wie vor, dass die Parteien ursprünglich und insbesondere bei ihrer Preisvereinbarung für 2006 vom 30.11. / 19.12.05 [GA50], dessen Inhalt die Klägerin nach telefonischer Vereinbarung vom 05.12.05 bereits mit Schreiben vom 06.12.05 [GA54] bestätigt hatte, nicht zwischen physikalischem Strom und Ersatzstrom unterschieden haben, obwohl die Klägerin zu der Zeit, nämlich ab Inbetriebnahme des Altholzkraftwerkes im Oktober 2005, bereits Ersatzstrom lieferte, weil sie den im Altholzkraftwerk erzeugten Strom mittels kaufmännisch bilanzieller Durchleitung, § 4 EEG 2004, abnahm. Dass der Ersatzstrom zu vergüten ist, ergibt sich aus der Natur der kaufmännisch bilanziellen Durchleitung und steht zwischen den Parteien - dem Grunde nach - auch außer Streit. Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte den von ihr erzeugten Strom mittels kaufmännisch bilanzieller Durchleitung nach § 4 EEG 2004 angeboten hatte und mithin Ersatzstrom beziehen musste und bezog, konnte die Beklagte das Preisangebot nicht anders verstehen, als dass die Klägerin auch den Ersatzstrom zu den Vertragspreisen liefern wollte. Die Klägerin konnte die Annahme der Beklagten nicht anders verstehen, als dass sie den bezogenen Ersatzstrom zu Vertragspreisen vergüten wollte. Anderenfalls - so die Beklagte den Ersatzstrom nicht nach Vertragspreisen vergüten wollte - hätte sie das im Zuge des Angebots der kaufmännisch bilanziellen Durchleitung und im Zuge der Preisverhandlungen für 2006 erkennbar machen - also reden - müssen.

Geredet hat die Beklagte, was eine andere Vergütung für den bilanziell zu beziehenden Strom angeht, nicht, jedenfalls berichtet sie nichts darüber. Soweit sie in erster Instanz geltend gemacht hat, sie habe die Rechnungen gekürzt, wäre das für ein Verständnis dahin, dass sie die Vertragspreise für Ersatzstrom - für die Klägerin erkennbar - nicht akzeptieren wollte, dann von Bedeutung, wenn die Rechnungskürzung vor oder zeitgleich zu den Preisverhandlungen erfolgt wäre. Das ist nicht der Fall. Der gekürzte Betrag für die Oktoberrechnung ist bei der Klägerin nach dem Erkenntnis des vorangegangenen Verfahrens am 23.12.05 eingegangen. Anderes trägt die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht vor.

Soweit die Berufung meint, diese Wertung sei nicht gerechtfertigt, weil die Parteien nur eine Preisanpassung für physikalisch gelieferten Strom gewollt hätten, nicht aber eine Änderung des Vertragsgegenstandes, ist dem nicht zu folgen. Gegenstand des Vertrages ist die Lieferung von Strom. An diesem Vertragsgegenstand ändert sich nichts, wenn Strom einvernehmlich nicht physikalisch, sondern fiktiv geliefert wird. Schon deshalb ist die in diesem Zusammenhang weitervertretene Auffassung der Berufung, das vertraglich vereinbarte Schriftformerfordernis sei nicht gewahrt, unzutreffend. Im übrigen sind Stromlieferungsvertrag und die ihm folgenden Preisabreden schriftlich getroffen und der Auslegung fähig, die wie gefunden ausfällt.

Soweit die Berufung meint, gegen das gefundene Ergebnis spreche, dass der Ursprungsvertrag Strom aus dem Mittelspannungsnetz zum Gegenstand habe, der vom Zähler 24427 erfasst werde, und dass die Leistungsgrenze mit 1.700 kW vereinbart sei, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Dass nur der physikalisch gelieferte Strom über den Zähler 24427 erfasst wird, ergibt sich ebenso wie die vereinbarte Leistungsgrenze aus den tatsächlichen Umständen. Fiktiv gelieferter Strom kann naturgemäß nicht über den Zähler, über den die Klägerin physikalischen Strom geliefert hat, erfasst werden, sondern kann es nur, indem seine Menge der über den Zähler 24567 gemessenen, von der Beklagten erzeugten Strommenge, gleichgesetzt wird. Die Leistungsgrenze folgt daraus, dass die Klägerin physikalisch keine höhere Leistung zur Verfügung stellen wollte. Entsprechend lässt sich auch aus dem Umstand, dass die Leistungsgrenze nicht (durch Zuschlag der Leistung der Heizkraftwerke der Beklagten) erhöht wurde, nichts für die Auffassung der Beklagten, der Stromlieferungsvertrag erfasse den Ersatzstrom nicht, gewinnen.

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass kraft Preisvereinbarung auch das im Preis enthaltende Netzentgelt geschuldet ist. Soweit die Berufung dazu geltend macht, dass Landgericht habe zu Unrecht auf Einspeisung abgestellt, kommt es deshalb nicht darauf an. Im übrigen ist die Auffassung der Berufung insoweit richtig, als nach § 15 I 3 StromNEV für Einspeisungen keine Netzentgelte zu entrichten sind. Hier geht es indessen nicht um eine Einspeisung, sondern, was den Bezug von Ersatzstrom betrifft, um eine Entnahme. Insoweit wird auf den den Parteien bekannten und in diesem Verfahren überreichten [GA 507ff] Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 08.12.10 - VI Kart 18/10 (V) - verwiesen, dessen Gründen der Senat in vollem Umfang folgt.

Ohne Erfolg rügt die Berufung schließlich Verstöße gegen § 36 EnWG, § 307 BGB und § 242 BGB.

Was die Berufung mit ihrem Vorbringen, es liege ein Verstoß gegen § 36 EnWG vor, rügen will, ist unklar. Das Landgericht, das nach Auffassung der Berufung in diesem Zusammenhang verkannt hat, dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Ersatzbelieferung nicht bestehe, hat auf diese Vorschrift - die nach dem insoweit zutreffenden Vortrag der Berufung im Verhältnis der Parteien keine Anwendung findet - nicht abgestellt. Die Pflicht zur Stromlieferung an die Beklagte folgt aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Liefervertrag.

§ 307 BGB ist nicht anwendbar, weil die Parteien ihre Preisabreden individuell vereinbart haben und es damit an allgemeinen Geschäftsbedingungen, § 305 BGB, fehlt. Preisabreden unterliegen zudem nicht der Inhaltskontrolle, Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 307 BGB Rz. 47 m.w.Nw.

Soweit die Berufung meint, es fehle, was die Preisbestandteile Leistungspreis und Netzentgelt angeht, an einer Gegenleistung, weshalb ein Verstoß gegen § 242 BGB vorliege, trifft das nicht zu. Der Bezug des Ersatzstroms erfolgt insgesamt kaufmännisch bilanziell, also insgesamt fiktiv. Das Argument der Beklagten, sie erhalte nichts, trifft also und so gesehen nicht nur für den Leistungspreis und das Netzentgelt, sondern auch für die übrigen - von der Beklagten anerkannten - Preisbestandteile wie Arbeitspreis und Umlagen zu. Gründe für eine Differenzierung sind nicht ersichtlich. Fehlt es aufgrund kaufmännisch bilanzieller Durchleitung - die die physikalische Lieferung ersetzt - nicht an einer Lieferung von Ersatzstrom, mangelt es weder insgesamt noch in Teilen an einer Gegenleistung.

Klar stellend ist zu bemerken, dass die Beklagte nicht, wie vom Landgericht ausgeführt, nur die Preisbestandteile EEG-Umlage, KWK-Umlage und Leistungspreis nicht gezahlt hat, sondern die Rechnung für November zur Gänze nicht beglichen hat. An der Höhe der Forderung der Klägerin ändert das indessen nichts. Aufrechenbare Ansprüche wegen Überzahlungen stehen der Beklagten nach dem oben Ausgeführten nicht zu.

Soweit das Landgericht Zinsen - auch soweit die Klägerin diese berechnet [K6, K7 = GA78ff] und als Summe (8.706,61 €) in ihren Antrag einbezogen hat - zugesprochen hat, ist nichts erinnert und ist auch nichts zu erinnern.

2.

Das vertraglich vereinbarte Netzentgelt hat das Landgericht der Klägerin im Ergebnis zu Recht zugesprochen.

Soweit das Landgericht auch diesem Zusammenhang darauf abgestellt hat, dass die Parteien nicht zwischen Strom und Ersatzstrom differenziert haben, begegnet der daraus gezogene Schluss, der Preis sei für beides vereinbart, insoweit Bedenken, als die Parteien zur Zeit des Abschlusses des Netznutzungsvertrages - anders als beim unter 1. behandelten Strombezug - der jeweils anderen Seite bekanntermaßen unterschiedliche Standpunkte vertraten. Die Klägerin wollte, was ihre Rechnungsstellung zeigt, die Netznutzung für den Ersatzstrom vergütet wissen. Die Beklagte vertrat, was ihre Rechnungskürzungen und ihr Vorbringen im seinerzeit laufenden Vorprozess - das dortige landgerichtliche Urteil datiert vom 10.09.07 und war mittels Berufung angegriffen - zeigt, den Standpunkt, dass Netzentgelt für Ersatzstrom nicht geschuldet sei. Das führt dazu, dass die Parteien die zwischen ihnen bekanntermaßen streitige Frage, ob Netznutzungsentgelt für Ersatzstrom geschuldet wird, in dem von ihnen geschlossenen Netznutzugsvertrag mangels ausdrücklicher Regelung dazu, also des offenen und bekannten Streitpunktes, scheinbar offen gelassen haben.

Angesichts dessen, dass sich die Parteien, was die Netznutzung angeht, mit Abschluss des Netznutzungsvertrages offenbar binden wollten, kann die trotz Streits fehlende Differenzierung zwischen der Netznutzung für Strom und Netznutzung für Ersatzstrom indessen nur so verstanden werden, dass die Parteien die Frage, ob Netzentgelt auch für Ersatzstrom geschuldet wird, nach der von Gesetzes wegen gegebenen Rechtslage beurteilt wissen wollten. Die Frage ist aus den Gründen des genannten Beschlusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu bejahen, weil auch die kaufmännisch bilanzielle Entnahme eine Entnahme im Sinne des § 17 II StromNEV darstellt.

Soweit die Berufung dagegen anführt, Netzentgelte seien nur für den jeweiligen Anschluss geschuldet, ist das zutreffend, § 17 II StromNEV. Indessen bezieht die Beklagte den Ersatzstrom - wenn auch nur fiktiv im Wege kaufmännisch bilanzieller Durchleitung - über den Anschluss der Klägerin. Aus den § 17 I 2 StromNEV und § 2 Nr. 13 StromNEV lässt sich für die Frage, ob Entnahmen im Sinne des § 17 II StromNEV auch solche im Wege kaufmännisch bilanzieller Durchleitung sind, nichts herleiten, weil den Regelungen die Messung physikalisch gelieferten Stroms zu Grunde liegt.

Schuldet die Beklagte für den kaufmännisch bilanziell bezogenen Strom Netzentgelt, gilt das in gleicher Weise für die Konzessionsabgabe.

Soweit das Landgericht Zinsen zugesprochen hat, ist auch hier nichts erinnert und nichts zu erinnern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO