VG Augsburg, Urteil vom 31.05.2013 - Au 6 K 12.30367
Fundstelle
openJur 2013, 31161
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.

Der 1991 in der Provinz ... geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger aus der Volksgruppe der Paschtunen. Nach eigenen Angaben reiste er im Oktober 2011 über den Landweg nach Deutschland ein. Am 7. November 2011 beantragte der Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 8. Dezember 2011 gab der Kläger an, er habe sich in Afghanistan zuletzt im Dorf ..., Landkreis ... in der Provinz ... aufgehalten. 2009 sei er in den Iran gegangen. Seine Eltern lebten noch in seinem Heimatdorf. Er selber sei nicht zur Schule gegangen, sondern habe bei seinen Eltern in der Landwirtschaft gearbeitet.

Zu den Fluchtgründen trug der Kläger im Rahmen der Anhörung vor, er habe einen Onkel gehabt, der bei der islamischen Partei ... gewesen sei. Dieser sei eines Tages verschwunden. Daraufhin hätten die Taliban Druck auf den Kläger und seine Familie gemacht. Der Kläger sei einen Monat bei den Taliban gewesen. Er habe dort aber nichts Gutes gelernt. Die Taliban seien brutal gewesen und hätten von ihm verlangt, dass er die Dorfbewohner zwinge, zu den Taliban zu gehen. In seinem Dorf sei Krieg zwischen den Amerikanern und den Taliban gewesen. An diesem Kampf sei er nicht beteiligt gewesen. Er sei verletzt worden und aufgrund einer ärztlichen Behandlung noch einen Monat im Dorf geblieben. Daraufhin hätten die Taliban ihn auch bedroht und behauptet, er sei ein Spion gewesen.

Das Bundesamt lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 13. September 2012 ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 2) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Ziffer 3) nicht vorliegen. Die Abschiebung nach Afghanistan wurde angedroht (Ziffer 4). Ein Zustellversuch an die Adresse der Gemeinschaftsunterkunft ... am 20. September 2012 blieb erfolglos.

Zur Begründung führte das Bundesamt aus, eine Anerkennung als Asylberechtigter scheitere daran, dass der Kläger bei der Anhörung nicht glaubhaft habe machen können, dass er im Herkunftsland asylerheblicher politischer Verfolgung ausgesetzt wäre. Aus der paschtunischen Volkszugehörigkeit folge für den Kläger nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft seien nicht gegeben, weil der Kläger eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure nicht glaubhaft gemacht habe. In den wesentlichen Punkten seiner Ausführungen hätten Details, Fakten und Hintergründe gefehlt, die Widersprüche und Ungereimtheiten seien nicht aufgelöst worden. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

Am 27. November 2012 ließ der Kläger Klage erheben mit dem Antrag,

den Bescheid des Bundesamtes vom 13.09.2012, Geschäftszeichen ..., aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG sowie das Bestehen von Abschiebungshindernissen gem. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

Gleichzeitig wurde beantragt, dem Kläger gegen die Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurde ausgeführt, der Kläger sei unverschuldet nicht in der Lage gewesen, fristgerecht gegen den Bescheid des Bundesamts Klage zu erheben. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes sei an eine frühere, längst nicht mehr zutreffende Adresse des Klägers in ... gesandt worden. In der dortigen Gemeinschaftsunterkunft lebe der Kläger bereits seit sechs Monaten nicht mehr.

Die Klage wurde damit begründet, dass die Taliban auf den Kläger Druck ausgeübt hätten. Sie hätten von ihm verlangt, Dorfbewohner zu veranlassen, sich den Taliban anzuschließen. Sie hätten ihm unterstellt, Spion der Amerikaner gewesen zu sein. Auch aufgrund seiner paschtunischen Volkszugehörigkeit müsse der Kläger mit asylrechtsrelevanten Repressalien rechnen. Unabhängig hiervon komme es nach wie vor im gesamten Afghanistan zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen. Das Verwaltungsgericht Gießen bejahe daher ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ... sei dem Kläger nicht zuzumuten. Beobachter gingen davon aus, dass 2013 ein besonders blutiges Jahr werden könne. Mangels inländischer Fluchtalternative könne sich der Kläger auch nicht anderweitig eine neue Existenz in Afghanistan aufbauen. Ihm sei daher zumindest subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu gewähren.

In den Akten ist eine eidesstattliche Erklärung des Klägers enthalten, nach der er zeitweise der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in ... zugewiesen war und zum 27. November 2012 schon seit circa sechs Monaten in der Gemeinschaftsunterkunft in ... lebe. Den an seine frühere Adresse in ... gerichteten Bescheid habe er nicht erhalten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 30. April 2013 der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Mit der Ladung übersandte das Gericht eine Liste derjenigen Auskünfte und Stellungnahmen, die es bei seiner Entscheidung verwerte.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

I. Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht (§ 74 Abs. 1 AsylVfG) erhoben worden. Der Kläger muss den erfolglosen Zustellversuch vom 20. September 2012 nicht gegen sich gelten lassen. Die Zustellungsfiktion nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG greift vorliegend nicht. Danach gilt, wenn eine Sendung nicht zugestellt werden kann, die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Der Ausländer muss Zustellungen unter der letzten Anschrift, in der er wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, gegen sich gelten lassen, wenn diese dem Bundesamt durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist, vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG. Die Zustellungsfiktion greift jedoch nur, wenn der Ausländer seinen Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten nicht ausreichend nachgekommen ist. Dies war vorliegend nicht der Fall. In den Akten befindet sich die Stornierungsentscheidung der Regierung von ... hinsichtlich der Zuweisung des Klägers nach ... Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass er zu keinem Zeitpunkt in der Gemeinschaftsunterkunft in ... gelebt hat. Er durfte daher davon ausgehen, dass Zustellungen an ihn nicht an die Adresse in ... durchgeführt werden. Über den Wiedereinsetzungsantrag musste daher nicht entschieden werden.

II. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, noch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Der Bescheid des Bundesamts ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Es wird Bezug genommen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) und ergänzend ausgeführt:

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG. Ein derartiger Anspruch scheitert bereits daran, dass der Kläger weder konkrete, nachprüfbare Angaben noch Nachweise für seine behauptete Einreise auf dem Luftweg vorgelegt hat. Unabhängig davon hat der Kläger eine vom afghanischen Staat ausgehende Verfolgung nicht geltend gemacht, so dass er auch aus diesem Grund keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter hat.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung des Bundesamts zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

a) Die Neuregelung des § 60 Abs. 1 AufenthG dient der Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Abl. EG Nr. L 304, S. 12 ff., im Folgenden: RL 2004/83/EG). Für die Auslegung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist der Flüchtlingsbegriff nach Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) maßgebend. Dabei kann die Verfolgung auch von Parteien oder Organisatoren, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG. Nichtstaatliche Akteure i.S. des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG können Organisationen ohne Gebietsgewalt, Gruppen oder auch Einzelpersonen sein, von denen eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ausgeht.

Nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ist die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seinen Heimatstaat jedoch unverfolgt verlassen, so kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Droht diese Gefahr nur in einem Teil seines Heimatstaates, so kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, es sei denn, es drohen dort andere nach den oben dargelegten Grundsätzen unzumutbare Nachteile und Gefahren (BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 – BVerfGE 80, S. 345 f.).

Dabei ist es stets Sache des Ausländers, seine guten Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist das Gericht der Überzeugung, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine politische Verfolgung i.S. des § 60 Abs. 1 AufenthG wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe i.S. von Art. 2 lit. c RL 2004/83/EG droht. Der Kläger hat eine politische Vorverfolgung weder durch den Staat noch durch nichtstaatliche Akteure glaubhaft gemacht. Auch unter Berücksichtigung der besonderen Beweisnot, in der sich der Kläger bei der Glaubhaftmachung seines Verfolgungsschicksals befinden mag, ist das Gericht letztlich nicht davon überzeugt, dass er seine Heimat wegen begründeter Furcht vor politischer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG verlassen hat.

Der Vortrag des Klägers enthielt wesentliche Widersprüche und Ungereimtheiten und war daher unglaubhaft. Bei seiner informatorischen Befragung durch das Gericht machte der Kläger andere Angaben als noch bei der Anhörung vor dem Bundesamt. So hatte der Kläger vor dem Bundesamt angegeben, lediglich einen Monat bei den Taliban gewesen zu sein, bei der informatorischen Befragung durch das Gericht sollten es bereits drei Monate gewesen sein. Zudem hatte der Kläger beim Bundesamt die Frage, ob er von den Taliban ausgebildet worden sei, noch verneint. In der mündlichen Verhandlung sagte er, die Taliban hätten ihn zusätzlich ein oder zwei Wochen an der Waffe ausgebildet und ihm beigebracht, wie er sich zu verhalten habe, wenn einer etwas stehle. Während er bei seiner Anhörung ausgesagt hatte, die Taliban hätten den Kläger als Spion verdächtigt, brachte er dies bei seiner informatorischen Anhörung nicht zur Sprache, sondern gab lediglich an, die Taliban hätten ihn aufgefordert, erneut mit ihnen zu kämpfen. Diese Widersprüche konnte der Kläger trotz mehrmaliger Nachfragen des Gerichts nicht zufriedenstellend erklären. Auch im Übrigen hat der Kläger auf das Gericht nicht den Eindruck gemacht, als ob er über tatsächlich selbst erlebtes berichten würde. Eine asylrelevante Vorverfolgung hat der Kläger damit nicht glaubhaft gemacht. Auch aufgrund seiner paschtunischen Volkszugehörigkeit droht dem Kläger keine Verfolgung i.S. des § 60 Abs. 1 AufenthG.

3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht insoweit Bezug auf die Begründung des angefochtenen Bescheids des Bundesamts (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Ergänzend wird ausgeführt:

Die Klage ist hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 Satz 2, Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 15 lit. c der RL 2004/83/EG nicht begründet. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2, Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 15 lit. c RL 2004/83/EG als vor § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorrangiger Anspruchsgrundlage (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07BVerwGE 131, 198/202 f.) ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn ihm dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts droht. Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten im Sinn von Art. 1 Nr. 2 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte – ZP II – oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil der Kläger bei einer Rückkehr keiner individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre (s. dazu BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07BVerwGE 131, 198/213 f.; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10NVwZ 2012, 454/455). Es fehlt an einer Verdichtung allgemeiner Gefahren in der Person des Klägers, die Voraussetzung für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist. Dafür, dass der Grad willkürlicher Gewalt in der Heimatprovinz des Klägers, ..., ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, bestehen aufgrund der derzeitigen Auskunftslage keine hinreichenden Anhaltspunkte (zu der Wahrscheinlichkeit, in der Zentralregion Opfer eines Anschlags zu werden, s. BayVGH, U.v. 1.2.2013 – 13a B 12.30045 – juris Rn. 13 ff.). Individuelle gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung allgemeiner Gefahren in der Person des Klägers führen, hat dieser nicht glaubhaft vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Der Kläger hat auch nicht glaubhaft vorgetragen, bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden erlitten oder von einem solchen bedroht worden zu sein. Die Angaben des Klägers zu den Umständen der Verletzung durch den Granatsplitter waren unglaubhaft. So hatte der Kläger zunächst angegeben, er sei im Haus von der Granate getroffen worden. Erst auf Nachfrage des Gerichts sagte er, er sei in der Nähe seines Hauses gewesen. Auf konkrete Nachfragen zu den Umständen antwortete der Kläger ausweichend.

4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich. Ergänzend zu den Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) wird noch ausgeführt:

a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60 a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).

Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (BVerwG, U.v. 19.11.1996 BVerwGE 102, 249/258 f.).

b) Eine extreme allgemeine Gefahrenlage liegt hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage in Kabul nicht vor. Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist die Sicherheitslage in Kabul unverändert stabil und deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 10.1.2012, S. 12).

c) Dem Kläger droht auch keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Kabul. In der Gesamtschau der aktuellen Auskünfte ist nicht davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer aus Europa generell in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Tod oder schwerste Gesundheitsschäden bei einer Rückführung nach Kabul erleiden müsste (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30425 – juris Rn. 32 ff.). Nach Auffassung des Gerichts kann sich deshalb zwar eine extreme Gefahrenlage in Kabul jedenfalls für besonders schutzbedürftige Rückkehrer wie alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen mit und ohne Kinder, Familien und Personen, die aufgrund besonderer persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen, ergeben. Für alleinstehende, junge und arbeitsfähige Männer aus der Bevölkerungsmehrheit ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen, ist jedoch zumindest die Möglichkeit gegeben, sich eine neue Existenz aufzubauen (BayVGH, U.v. 8.12.2011 – 13a B 11.30276 – juris Rn. 37; U.v. 15.3.2012 – 13a B 11.30439 – juris Rn. 25; U.v. 1.3.2013 – 13a B 12.30011 – UA, S. 9; U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – UA, S. 8 ff.).

Der Kläger ist volljährig und leidet nicht an gesundheitlichen Einschränkungen. Es ist daher davon auszugehen, dass es ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan gelingen wird, sein Existenzminimum notfalls durch die Annahme von Tagelöhnertätigkeiten zu sichern. Darüber hinaus leben auch die Eltern des Klägers weiterhin in seinem Heimatdorf in Afghanistan. Auch diese können den Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan unterstützen.

5. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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