OLG Hamm, Urteil vom 10.12.2007 - 3 U 216/06
Fundstelle
openJur 2013, 23957
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 17.08.2006 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die am ...1997 geborene Klägerin begehrt den Ersatz materieller und immate­rieller Schäden nach einer bei ihrer Geburt erlittenen Schulterdystokie, die zu einer Plexusparese und damit einer eingeschränkten Einsatzfähigkeit des rechten Arms geführt habe. Sie wirft dem Beklagten zu 2., der als niedergelassener Gynäkologe die Schwangerschaft betreute, eine unzureichende Aufklärung ihrer Mutter über Geburtsalternativen und die Wahl des Entbindungskrankenhauses sowie eine fehler­hafte Schätzung des erwarteten Geburtsgewichts vor. Hinsichtlich der Beklagten zu 1. und 3. rügt sie ebenfalls eine unterlassene Aufklärung über die Möglichkeit einer Sectio, zudem behauptet die Klägerin eine unzureichende Befunderhebung bei der Aufnahme ihrer Mutter in den Kreißsaal und ein fehlerhaftes Geburtsmanagement bei der Überwindung der Schulterdystokie.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des erstinstanzlichen Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen im Urteil der 4. Zivilkam­mer des Landgerichts Arnsberg Bezug genommen.

Das Landgericht hat Beweis durch Zeugenvernehmung über die Umstände der Geburt erhoben und ein schriftliches Sachverständigengutachten des Facharztes für Gynäkologie Prof. Dr. y eingeholt, das dessen Oberarzt Dr. M vor der Kammer mündlich erläutert hat. Es hat sodann die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte zu 2. habe sowohl am 10. als auch am 16.01.1997 mit der Mutter der Klägerin über die Alternative einer Sectio gesprochen. Dies ergebe sich aus der Dokumentation des Beklagten und dessen Anhörung. Die Mutter der Klägerin habe hingegen Erinnerungslücken. Zwar sei die Gewichtsermittlung vom 16.01.1997 fehlerhaft. Dies sei jedoch für den weiteren Verlauf nicht ursächlich, da der Beklagte auch bei einer zutreffenden Gewichts­ermittlung nicht mehr habe unternehmen müssen als geschehen. Auch eine verspä­tete bzw. unterlassene Anmeldung der Mutter in einer Geburtsklinik sei nicht ursäch­lich geworden, da die Mutter in keine der nach Auffassung des Beklagten in Betracht kommenden Kliniken gegangen sei. Schließlich könne eine Kausalität etwaiger Fehler für die Beeinträchtigungen der Klägerin auch deswegen nicht festgestellt wer­den, weil nicht feststehe, dass die Plexusläsion auf der vaginalen Geburt bzw. der Schulterdystokie beruhe.

Hinsichtlich der Beklagten zu 3. sei eine erneute Aufklärung über eine mögliche Sectio nicht erforderlich gewesen, weil die Mutter schon seitens des Beklagten zu 2. voraufgeklärt gewesen sei. Es stehe auch nicht fest, dass sich die Mutter bei einer erneuten Aufklärung für eine Sectio entschieden hätte. Es sei nicht fehlerhaft, dass die Beklagte zu 3. nicht das Gewicht selbst noch einmal mittels Sonografie geschätzt habe. Fehler bei der Entwicklung des Kindes bzw. der Überwindung der Dystokie seien nicht gegeben. Eine Passivlegitimation der Beklagten zu 1. sei nicht dargelegt.

Mit der form- und fristgerechten Berufung wendet sich die Klägerin gegen diese Bewertung und trägt weiterhin vor, der Beklagte zu 2. habe durch seine als grob fehlerhaft anzusehende Gewichtsschätzung dazu beigetragen, dass die Beklagte zu 3. keine Sectio als mögliche Alternative angeboten habe. Wegen dieser unterlas­senen Aufklärung seitens der Beklagten zu 3. trotz relativer Indikation einer Schnitt­geburt hafte auch diese. Eine Aufklärung am 18.01.1997 sei auch trotz der Schmer­zen unter der Geburt noch möglich gewesen. Wäre ihre Mutter ordnungsgemäß auf­geklärt worden, dass sie die Klägerin auch per Kaiserschnitt zur Welt bringen könne, so hätte sie sich hierfür entschieden bzw. wäre zumindest in einen echten Entschei­dungskonflikt geraten. Die Plexusparese beruhe auch auf der vaginalen Geburt. Die Beklagte zu 1. hafte neben den anderen Beklagten als Krankenhausträger, obwohl sie die Klinik erst nach der Geburt der Klägerin gekauft habe, da sie die entspre­chende Verbindlichkeit im Kaufvertrag übernommen habe.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemes­senes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 65.000,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunk­ten über dem Basiszins seit dem 01.03.2001 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin allen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr in der Vergangenheit entstanden ist und künftig noch entstehen wird durch die fehlerhafte (vor-) geburtliche Betreuung in der Zeit vom 10.01. bis 18.01.1997, soweit die An­sprüche nicht auf Dritte oder sonstige Leistungserbringer übergegangen sind oder noch übergehen werden;

3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin einen weiteren, derzeit nicht absehbaren immateriellen Folgeschaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte oder sonstige Leistungs­erbringer übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil und halten eine Haftung nach wie vor für nicht gegeben. Die Beklagte zu 1., die in der Berufungsinstanz erstmals einen Aus­schnitt aus dem Krankenhausübernahmevertrag vom 15.03.2002 vorgelegt hat, hält an dem Einwand der fehlenden Passivlegitimation fest.

Der Senat hat die Klägerin und deren Mutter angehört und sich einen eigenen Ein­druck über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin verschafft. Er hat auch die Beklagten zu 2. und 3. angehört und den Sachverständigen Prof. Dr. y zu seinem Gutachten vernommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters zur mündlichen Verhand­lung vom 10.12.2007 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Klägerin stehen keine Ansprüche gegen die Beklagten wegen einer fehlerhaften Behandlung gemäß §§ 823 Abs. 1, 847, 831 BGB a.F. bzw. einer positiven Vertragsverletzung der mit der Mutter der Klägerin geschlossenen Behandlungsverträge mit Schutzwirkung für die Klägerin i.V.m. § 278 BGB zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme können weder haftungsrelevante Behandlungsfehler noch eine unzureichende Aufklärung, die sich auf das weitere Geschehen ausgewirkt hätte, festgestellt werden.

1.

Haftung des Beklagten zu 2.

Die Klägerin hält mit der Berufung ihre Vorwürfe gegen den Beklagten zu 2. lediglich insoweit aufrecht, als sie ihm vorhält, das erwartete Geburtsgewicht falsch berechnet zu haben. Eine Haftung des Beklagten zu 2. folgt indes nicht aus den Schätzungen des Geburtsgewichts vom 10.01. und 16.01.1997. Insoweit hat der Beklagte anhand der Ultraschallaufnahmen Gewichte von 3.680 g und ca. 3.400 g prognostiziert. Das tatsächliche Geburtsgewicht der Klägerin betrug dagegen 4.500 g. Der Sachverstän­dige hat hierzu festgestellt, der Beklagte zu 2. habe die der Berechnung zugrunde liegenden Werte wie Kopf- und Abdomendurchmesser am 16.01. korrekt und ins­gesamt jedenfalls innerhalb der üblichen Fehlertoleranz erfasst, was angesichts der durch die Adipositas der Mutter erschwerten Messbedingungen beachtlich sei. Anhand der bestimmten Werte sei jedoch falsch gerechnet worden, ohne dass hier­für eine Ursache erkennbar sei. Der Sachverständige hat unter Heranziehung der gemessenen Parameter ein erwartetes Geburtsgewicht von 3.914 g errechnet.

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Senatstermin eine Tabelle nach Hansmann vorgelegt hat, der er ein Gewicht von über 4.000 g entnimmt, ist dies nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht von besonderer Aussagekraft, da sich mit der Tabelle nicht genauer als mit den gängigen vom Sachverständigen benutzten Computerformeln rechnen lässt. Auch der Klägervertreter geht in seiner Berufungsbegründung davon aus, dass bei den hier gemessenen Werten das Nomogramm nach Hansmann nicht aussagekräftig ist.

Damit wichen die vom Beklagten zu 2. ermittelten Werte um bis zu ca. 500 g von denjenigen ab, die sich bei korrekter Berechnung ergeben hätten. Dies bewertet der Sachverständige nachvollziehbar als einfachen Fehler, da Ungenauigkeiten und Rechenfehler in einem Fehlerbereich wie hier vorkommen könnten und jedenfalls nicht gänzlich unverständlich seien. Auch objektiv nicht erklärbare scheinbar rück­läufige Messwerte seien aufgrund der üblichen Schwankungen der Bemessungen nicht außergewöhnlich. Ein grober Fehler liege daher keinesfalls vor. Dem schließt sich der Senat an. Zwar erscheint die unzutreffende Berechnung des Beklagten im Ergebnis als fehlerhaft, erreicht jedoch nicht das Ausmaß eines nicht mehr verständ­lichen Fehlers, der schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Eine Ursächlichkeit des Fehlers für das weitere Geschehen kann anhand der Ausfüh­rungen des Sachverständigen ausgeschlossen werden. Ein anhand der gemessenen Werte zutreffend errechnetes Geburtsgewicht von 3.914 g hätte den Beklagten zu 2. zu keinen zusätzlichen Maßnahmen veranlassen müssen. Insbesondere hätte es in Verbindung mit den Risikofaktoren (Rezidivgefahr, Adipositas der Mutter) nichts an der lediglich relativen Indikation einer Sectio geändert. Dass der Beklagte zu 2. jedoch seinen ihm daraus obliegenden Aufklärungs- und Beratungspflichten nach­gekommen ist, steht anhand der schlüssigen und insoweit bindenden Beweiswür­digung des Landgerichts fest und wird auch mit der Berufung hingenommen. Damit hat sich die Gewichtsabweichung nicht auf das weitere Verhalten des Beklagten zu 2. ausgewirkt.

Darüber hinaus kann aber auch ausgeschlossen werden, dass die inkorrekte Ge­wichtsermittlung in anderer Weise Auswirkungen auf das weitere Geschehen hatte. Zwar wäre auch eine Zurechnung des Verhaltens nachbehandelnder Ärzte im Sinne einer haftungsbegründenden Kausalität denkbar, wenn es auf der im Mutterpass festgehaltenen Gewichtsangabe beruhte. Ein solcher Zusammenhang liegt jedoch nicht vor. Soweit die Klägerin behauptet, der von ihr als fehlerhaft gerügte Entschluss der Beklagten zu 3., ihrer Mutter nicht alternativ zur vaginalen Geburt eine Sectio anzubieten, beruhe zumindest auch auf den Gewichtsangaben des Beklagten zu 2., trifft dies nicht zu. Die Beklagte zu 3. hat vielmehr im Senatstermin glaubhaft erklärt, sie habe deshalb nicht über die Sectio aufgeklärt, weil nach ihrer Einschätzung die Zeit gefehlt habe. Der Muttermund sei bereits weit geöffnet gewesen. Die Gewichts­angaben im Mutterpass hätten dagegen keine Rolle gespielt. Auch der Sachverstän­dige hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Schätzdifferenz insoweit ohne Bedeutung war, weil - so oder so - ex ante keine Anhaltspunkte für eine Makrosomie vorlagen und das Schätzgewicht auch nicht gravierend von der Vor­geburt im Jahre 1994 abwich.

Damit besteht zwischen dem Irrtum des Beklagten zu 2. und den weiteren Abläufen kein ursächlicher Zusammenhang. Seine fehlerhafte Gewichtsbestimmung ist somit folgenlos geblieben, weshalb eine daraus resultierende Haftung für etwaige Schäden der Klägerin nicht gegeben ist.

2.

Haftung der Beklagten zu 3.

Auch gegenüber der Beklagten zu 3. stehen der Klägerin Schadensersatzansprüche nicht zu.

a.

Befunderhebung

Die Beklagte zu 3. hat es nicht fehlerhaft unterlassen, medizinisch gebotene Befunde zu erheben. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang rügt, bei Aufnahme ihrer Mutter in den Kreißsaal sei eine Sonografie erforderlich gewesen, trifft dies nicht zu. Der Sachverständige hat hierzu schon in seinem schriftlichen Gutachten erklärt, dass eine Sonografie außerhalb des Routinescreenings in Übereinstimmung mit den Leit­linien nur indiziert ist, wenn bestimmte Risikofaktoren oder Verdachtsdiagnosen vor­liegen, wie z.B. ein Verdacht auf vorzeitige Plazentaablösung oder Cervixinsuffizienz. Im Senatstermin hat der Sachverständige als Beispiel für die Indikation einer Ultra­schalluntersuchung fehlende Kindsbewegungen oder ausbleibende Wehen genannt. Solche Faktoren lagen hier sämtlich nicht vor. Vielmehr durfte die Beklagte zu 3. davon ausgehen und tat dies auch, dass außer einer vorangegangenen Schulter­dystokie bei der älteren Schwester der Klägerin keine nennenswerten Besonder­heiten gegeben waren. Letztgenannter Umstand indiziert jedoch trotz der Rezidiv­gefahr keine Sonografie, da mittels Ultraschall kein Aufschluss über eine erneut bevorstehende Dystokie zu gewinnen ist. Da erst zwei Tage zuvor die letzte Ultra­schalluntersuchung erfolgt war, bestand für die Beklagte zu 3. kein entsprechender Anlass (vgl. OLG München GesR 2007, 108: kein Befunderhebungsfehler bei Gewichtsschätzung wenige Wochen vor der Geburt).

Auch die im Mutterpass vermerkten Schwankungen der Gewichtsschätzungen sei­tens des Beklagten zu 2. machten eine erneute Sonografie nicht erforderlich. Zwar war erkennbar, dass diese nicht exakt sein konnten, da das geschätzte Gewicht von 3.680 g am 10.01.1997 auf ca. 3.400 g am 16.01.1997 zurück gegangen war. Dies war jedoch nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht ungewöhnlich, da jede Gewichtsmessung mit einer gewissen Unsicherheit von bis zu 20 % behaftet ist, zumal angesichts der erheblichen Adipositas der Mutter der Klägerin erschwerte Bedingungen vorlagen. Anhaltspunkte für ein makrosomes Kind gab es nicht. Zudem stand die Geburt unmittelbar bevor. Deshalb bedurfte es keiner erneuten Sonografie bei der Aufnahme der Mutter der Klägerin in den Kreißsaal.

Darüber hinaus wäre auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktions­pflichtiger Befund zu erwarten gewesen. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, er gehe nicht davon aus, dass angesichts der vorliegenden Wehentätigkeit und des bereits nach unten verlagerten Kindes noch brauchbare Ergebnisse zu erzielen gewesen seien. Vielmehr sei anzunehmen, dass eine Sonografie im Hinblick auf eine Schätzung des Geburtsgewichts erfolglos geblieben wäre, da eine Ultraschallunter­suchung unter der Geburt in der Regel mit erheblichen Ungenauigkeiten verbunden ist (so auch OLG München GesR 2007, 108).

b.

Aufklärung über die Alternative einer Sectio

Eine Haftung der Beklagten zu 3. unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Aufklärung über eine Behandlungsalternative scheidet im Ergebnis ebenfalls aus. Allerdings dürfte im Grundsatz von einem Versäumnis der Beklagten auszugehen sein, welches sich aber nicht ausgewirkt hat, weil die Mutter der Klägerin bereits über ausreichende Vorkenntnisse verfügte.

Wie sich aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, war eine Sectio zwar nicht aufgrund des erwarteten Gewichts, aber wegen der um das 7-fache erhöhten Rezidivgefahr einer Dystokie jedenfalls relativ indiziert. Nach der Aufnahme der Klä­gerin in den Kreißsaal um 6.25 Uhr wäre noch bis zur vollständigen Eröffnung des Muttermundes um 7.35 Uhr ausreichend Zeit gewesen, das Kind per Kaiserschnitt zu entbinden. Ergänzend ist die Amniotomie um 6.45 Uhr zu berücksichtigen, die mut­maßlich zur Beschleunigung des Geburtsvorgangs beigetragen hat. Deren Einfluss dürfte allerdings, wie der Sachverständige vor dem Senat erklärt hat, bei der zum dritten Mal gebärenden Mutter der Klägerin nicht sehr groß gewesen sein. Der Sach­verständige hat insoweit, ohne sich festlegen zu wollen, eine Verkürzung des Ge­burtsvorgangs um ca. 30 Minuten für möglich gehalten.

Somit hatte die Beklagte zu 3. mindestens 70 Minuten zur Vorbereitung und even­tuellen Durchführung einer Sectio Zeit. Da diese relativ indiziert war und somit als Alternative ernsthaft in Betracht kam, hätten der Mutter der Klägerin die Vorzüge und Nachteile einer Schnittentbindung dargestellt werden müssen, um diese in die Lage einer eigenverantwortlichen Entscheidung zu versetzen. Denn eine Unterrichtung über eine alternative Schnittentbindung ist nach ständiger Rechtsprechung dann erforderlich, wenn bei normaler vaginaler Geburt ernst zu nehmende Gefahren für das Kind drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnitt­entbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt (vgl. etwa BGH NJW 2004, 3703).

Hinsichtlich des Umfangs der Aufklärung dürfen allerdings angesichts der Umstände keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Der Sachverständige hat allenfalls eine "massiv eingeschränkte" Aufklärung in ihren Grundzügen für notwendig gehal­ten, da sowohl die unmittelbar bevorstehende Geburt als auch die schmerzhafte Wehentätigkeit keine umfassende Aufklärung mehr zugelassen hätten. Die Situation sei in keiner Weise vergleichbar mit einem Aufklärungsgespräch, dass bei einer Vor­stellung mehrere Tage vor dem Geburtstermin möglich und  erforderlich gewesen wäre. Es hätte daher der Beklagten zu 3. lediglich oblegen, die Vorteile und Risiken einer Sectio sowohl in Bezug auf die Gefahr einer Schulterdystokie als auch die durch die Adipositas der Mutter gesteigerten Risiken eines Kaiserschnitts in ihren Grundzügen darzustellen. Dabei ging es darum, der Mutter die eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen, welcher Entbindungsart sie den Vorzug geben wollte. Dies steht auch im Einklang mit den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zu den Aufklärungspflichten in der Geburtshilfe, die auch den Umfang der erforderlichen Aufklärung von der zur Verfügung stehenden Zeit abhängig machen, so dass sich der Arzt um so kürzer fassen darf, je mehr die Zeit drängt.

Indem die Beklagte zu 3. eine solche Aufklärung gänzlich unterließ, handelte sie fehlerhaft.

Dabei ist auch trotz der o.g. erschwerenden Umstände nicht ersichtlich, dass ein einigermaßen sinnvolles Aufklärungsgespräch nicht mehr möglich gewesen wäre. Der Senat bezieht sich insoweit auf die Entscheidung des BGH vom 16.02.1993 (NJW 1993, 2372), wonach eine sinnvolle Aufklärung nicht mehr möglich ist, wenn bereits heftige Presswehen eingesetzt haben oder starke Schmerzen eine freie Ent­scheidung der Patientin nicht mehr zulassen. Dies kann vorliegend nach dem Ergeb­nis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, was sich zu Lasten der insoweit beweispflichtigen Beklagten auswirkt. Die Tante der Klägerin, die Zeugin L, hat insoweit zwar starke Schmerzen der Mutter der Klägerin geschildert. Nach den Aus­sagen der Hebammen X und X2 dürfte aber davon auszugehen sein, dass die Schmerzen nicht über das bei einer Geburt übliche Maß hinausgegangen sind. Die Zeuginnen haben diesbezüglich keine Auffälligkeiten beschrieben und eine in Bezug auf die Schmerzäußerungen normale Geburt wiedergegeben. Damit kann jedenfalls ein Zustand der Mutter der Klägerin, der eine Aufklärung über die beiden Entbindungsalternativen in Grundzügen nicht mehr ermöglicht hätte, nicht positiv festgestellt werden.

Es ist gleichfalls nicht feststellbar, dass die behaupteten Sprachschwierigkeiten die Beklagte zu 3. an einer Aufklärung gehindert hätten. Der Senat hat sich im Termin davon überzeugt, dass mit der Mutter der Klägerin eine Verständigung ohne weiteres möglich ist. Zwar hat die Beklagte zu 3. erklärt, die Sprachkenntnisse seien 1997 schlechter gewesen. Dies konnte der Beklagte zu 2. jedoch nicht bestätigen. Da­gegen spricht auch der Umstand, dass die Mutter der Klägerin nach ihren Angaben in Deutschland aufgewachsen ist.

Das Versäumnis der Beklagten zu 3. hat sich indes nicht ausgewirkt, da die Mutter der Klägerin bereits ausreichend voraufgeklärt war. Die Aufklärungspflicht des nach­behandelnden Arztes entfällt, wenn der Patient bereits voraufgeklärt oder sonst aus­reichend informiert ist, auch wenn dies dem Nachbehandler unbekannt ist (BGH  VersR 1963, 659; BGH VersR 1983, 957; BGH NJW 1987, 2923; BGH VersR 1994, 1302; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 2. Aufl. 1999, § 64 Rn. 15). Wie die Klägerin mit der Berufung nicht mehr in Frage stellt, hat der Beklagte zu 2. am 10.01. und 16.01.1997 die erforderliche Beratung und Aufklärung hinsichtlich der Be­handlungsalternative einer Sectio durchgeführt. Das Landgericht hat hierzu fest­gestellt, dass der Beklagte zu 2) mit der Mutter der Klägerin die Möglichkeit einer Schnittentbindung als Alternative zur natürlichen Geburt - auch und gerade zur Ver­meidung einer erneuten Schulterdystokie - erörtert habe. Diese Feststellung nimmt die Klägerin hin. Der Beklagte zu 2. im Rahmen seiner erneuten ausführlichen An­hörung im Senatstermin hierzu erläutert, gerade die Rezidivgefahr habe bei den Ge­sprächen über Art und Ort der Entbindung im Vordergrund gestanden, während eine Sterilisation von ihm nur angesprochen worden sei, um ein weiteres Argument in die Entscheidungsfindung einzubringen. Er habe mehrfach zur Geburt in einer Entbin­dungsklinik geraten und alle medizinisch relevanten Aspekte wie Thromboserisiken, Wundheilungsstörungen, erhöhte Risiken wegen der Adipositas usw. angesprochen. Dabei habe er den Schwerpunkt auf die Wiederholungsgefahr einer Dystokie gelegt, die in allen Gesprächen mit den Eltern der Klägerin im Vordergrund gestanden habe.

Die Klägerin hat dies im Senatstermin, nachdem der Umstand der erfolgten Aufklä­rung in der Berufungsinstanz dem Grunde nach unstreitig geworden ist, hinsichtlich der vorgeschlagenen Geburtsklinik und der Hinweise auf das Rezidivrisiko ausdrück­lich bestätigt. Sie habe auch die Risiken des Kaiserschnitts gekannt. Sie habe gerade nach einem Kaiserschnitt verlangt, weil sie gewusst habe, dass hierdurch die Gefahr einer Wiederholung verringert wurde. Soweit sie indes bestreitet, hierüber seitens des Beklagten zu 2. im Einzelnen aufgeklärt worden zu sein, ist dies zur Überzeugung des Senats widerlegt. Insoweit bestehen keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit der nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Beklagten zu 2., die teilweise ausdrücklich zugestanden, teilweise durch die Dokumentation ("Cave! Schulterdystokie", "T2 sive I") indiziell gestützt werden, zumal an den Beweis der Voraufklärung keine unbillig scharfen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. BGH VersR 1984, 538). Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Beklagte zu 2. die besondere Gefahr einer Wiederholung des vorangegangenen Geburts­schadens ausdrücklich für nachbehandelnde Ärzte dokumentiert haben sollte, ohne die nächstliegende Möglichkeit zur Verringerung des Risikos anzusprechen. Damit geht der Senat davon aus, dass die Mutter der Klägerin bei ihrer Aufnahme in das Krankenhaus wenigstens in Grundzügen über die relative Indikation einer Sectio sowie deren Vor- und Nachteile aufgeklärt war, wobei der Schwerpunkt auf der Ver­meidung einer erneuten Dystokie lag.

Der Sachverständige hat insoweit die Anforderungen an Art und Umfang der Auf­klärung, die zum einen vom Beklagten zu 2. und zum anderen seitens der Beklagten zu 3. geschuldet war, als in der konkreten Situation vergleichbar und den Inhalt der vermittelten Aufklärung als ausreichend bezeichnet. Der Inhalt des Gesprächs sei der gleiche. Es handele sich in beiden Fällen um identische Pflichtenkreise. Während der Beklagte zu 2. als betreuender Gynäkologe nur eine Art Basisaufklärung ge­schuldet habe, sei der Umfang der der Beklagten zu 3. obliegenden Aufklärung auf­grund der begonnenen Geburt stark eingeschränkt gewesen. Deshalb reiche das seitens der Beklagten zu 2. mitgeteilte Wissen aus. Ergänzende Tatsachen habe die Beklagte zu 3. nicht mehr erklären müssen.

Da sich die Mutter der Klägerin somit im Besitz sämtlicher Informationen befand, die ihr seitens der Beklagten zu 3. im Kreißsaal hätten vermittelt werden müssen, besaß sie die erforderliche Vorkenntnis, weshalb sich die unterlassene Aufklärung nicht ausgewirkt haben kann. Die Klägerin ist folglich auch mit dem Einwand ausgeschlos­sen, das Verhalten ihrer Mutter sei dadurch in irgend einer Weise beeinflusst worden. Für den behaupteten Entscheidungskonflikt ist damit kein Raum.

c.

Geburtsmanagement

Die Vorwürfe der Klägerin, die Beklagte zu 3. habe bei der Entwicklung des Kindes gegen den gebotenen fachärztlichen Standard verstoßen und dieser sei auch nicht gewährleistet gewesen, weil der Oberarzt nicht gerufen worden sei, sind unbegrün­det.

Die Beklagte zu 3. befand sich im 5. Jahr ihrer Facharztausbildung und hatte, wie sie im Senatstermin unwidersprochen erklärt hat, bereits bei 1 -2 vorangegangenen Ge­burten Erfahrung mit dem hohen Schultergradstand gemacht. Mehr aus eigener Er­fahrung erworbene Vorkenntnis wäre auch von einem Facharzt nicht zu erwarten, da der hohe Schultergradstand aufgrund seiner Seltenheit nicht trainiert werden kann. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, es habe nicht der Hinzuziehung eines Oberarztes bedurft. Die Beklagte zu 3. habe das Kind innerhalb von zwei Minuten entwickelt, was angesichts der schwierigen Situation nicht zu beanstanden sei. Er habe angesichts der durchgeführten Maßnahmen zur Entwicklung des Kindes keine Zweifel daran, dass vorliegend der Facharztstandard gewahrt gewesen sei und auch ein Oberarzt nichts zugunsten der Klägerin habe ändern können. Dem schließt sich der Senat an. Das Geburtsprozedere war in jeder Beziehung fachgerecht:

Die Beklagte zu 3. hat nach dem Auftreten der Dystokie zunächst das Manöver nach Martius durchgeführt, indem sie den Kopf des Kindes aus der 1. Hinterhauptslage nach links überdrehte. Dann unternahm sie zweimal die Technik nach Mc Roberts in Verbindung mit suprasymphysärem Druck. Anschließend drehte sie das Kind zurück nach rechts. Zuvor hatte sie zur Entlastung einen mediolateralen Dammschnitt ge­legt. Der Sachverständige hat sämtliche dieser Maßnahmen als ordnungsgemäß und dem geburtshilflichen Standard des Jahres 1997 entsprechend bezeichnet, für den es keine Leitlinien gibt, weil diese erst 1998 veröffentlicht wurden. Es gibt weder aus der umfassenden Dokumentation noch sonst Anhaltspunkte für ein unsachgerechtes Ziehen am Kopf des Kindes oder andere kontraindizierte Maßnahmen. 

Danach kann ein fehlerhaftes Vorgehen der Beklagten zu 3. bei der Geburt der Klä­gerin nicht festgestellt werden. Sie haftet der Klägerin somit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Somit ist unerheblich, ob die Beeinträchtigungen der Klägerin Folge der vaginalen Geburt sind, mögen auch - wie der Sachverständige auf Befragen be­kräftigt hat - ernsthaft und deshalb praktisch vernünftige Zweifel an einer Ursächlich­keit der Schulterdystokie für die Plexusparese nicht bestehen.

3.

Haftung der Beklagten zu 1.

Da nach o.g. Ausführungen der Beklagten zu 3. keine haftungsrelevanten Versäum­nisse vorgeworfen werden können, kommt auch eine Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 1. als Krankenhausträger schon dem Grunde nach nicht in Betracht. Es kann daher dahinstehen, ob etwaige Ansprüche der Klägerin von der Schuldüber­nahme der Beklagten zu 1. im Kaufvertrag über das Krankenhaus vom 15.03.2002 erfasst wären.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Be­deutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheit­lichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 ZPO).