VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2003 - 4 S 1999/02
Fundstelle
openJur 2013, 12842
  • Rkr:

Eine aufgrund von § 577a BGB erlassene Kündigungssperrfristverordnung unterliegt nicht der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragsteller erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom 29.02.2000 eine Wohnung  in dem Anwesen xxx xx, xxx xx x in xxx-xxx. Am 18.07.2000 wurden sie als Eigentümer im Wohnungseigentumsgrundbuch eingetragen. Bereits vor dem Erwerb durch die Antragsteller war die Wohnung vermietet. Das Wohnungseigentum wurde nach der Überlassung der Wohnung an die Mieter begründet.

Am 29.08.2002 haben die Antragsteller das Normenkontrollverfahren eingeleitet und beantragt,

die Zweite Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg über einen erweiterten Kündigungsschutz bei umgewandelten Mietwohnungen vom 11.12.2001 für nichtig zu erklären.

Zur Begründung tragen sie vor, sie beabsichtigten, ihre Wohnung so bald wie möglich selbst zu nutzen und das bestehende Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zu kündigen. Durch die Zweite Verordnung der Landesregierung über einen erweiterten Kündigungsschutz bei umgewandelten Mietwohnungen vom 11. Dezember 2001 (GBl. S. 686, im Folgenden: Zweite Kündigungssperrfristverordnung) sei jedoch für das gesamte Gebiet der Stadt Mannheim die gesetzliche, dreijährige Kündigungssperrfrist des § 577 a Abs. 1 BGB auf zehn Jahre verlängert worden. Die Verordnung greife in ihr durch Art. 14 GG geschütztes Eigentumsrecht ein, weil sie im Falle der Gültigkeit dieser Verordnung erst zum 18.07.2010 die Möglichkeit hätten, das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zu kündigen. Dass die gesetzliche Kündigungssperrfrist noch nicht abgelaufen sei, stehe der Antragsbefugnis nicht entgegen. Der Verwaltungsrechtsweg sei gegeben. Die Möglichkeit des Amtsgerichts, nach einer Kündigung des bestehenden Mietverhältnisses inzident die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Verordnung zu prüfen, schließe die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs zur Normenkontrolle nicht aus. Die angegriffene Verordnung habe auch keinen rein ordnungswidrigkeitsrechtlichen Inhalt. Mit Ausnahme der Inzidentprüfung bestehe keine Überprüfungsmöglichkeit der Zivilgerichte. Für den örtlichen Mietspiegel habe das Bundesverwaltungsgericht die Unzulässigkeit der Feststellungsklage damit begründet, dass die Aufstellung und Veröffentlichung eines örtlichen Mietspiegels schlicht verwaltende Tätigkeit ohne bindende Außenwirkung sei. Nach Einführung des qualifizierten Mietspiegels in § 558 d BGB gehe die gesamte mietrechtliche Literatur davon aus, dass ein solcher Mietspiegel verwaltungsgerichtlich überprüfbar sei. Für die streitgegenständliche Verordnung könne nichts anderes gelten. Der Erlass einer Rechtsverordnung sei eine der Landesregierung und damit der öffentlichen Verwaltung zugewiesene Aufgabe, habe bindende Außenwirkung und greife erheblich in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrecht der Eigentümer von Mietwohnungen ein.

Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Stadt Mannheim in die Zweite Kündigungssperrfristverordnung lägen nicht vor, denn die ausreichende Versorgung der Mannheimer Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingung sei im Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsverordnung nicht gefährdet gewesen. Die Verwendung abweichender Berechnungsgrundlagen im Fall der Stadt Mannheim verstoße gegen den Gleichheitssatz. Letztlich habe die Landesregierung nur dem Drängen der Stadt nachgegeben, ohne eine eigenständige Beurteilung vorzunehmen. Als unverhältnismäßig sei es anzusehen, dass die Zweite Kündigungssperrfristverordnung nicht auf einzelne Stadtteile beschränkt und die Kündigungssperrfrist nicht auf weniger als die höchstmöglichen zehn Jahre festgesetzt worden sei.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der Antrag sei unzulässig. Die angegriffene Verordnung unterfalle nicht der Gerichtsbarkeit des Verwaltungsgerichtshofs, weil der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht gegeben sei. Aus den in der Verordnung enthaltenen Regelungen könnten sich keine verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten entwickeln. Die Verordnung habe ausschließlich für die Bemessung der zivilrechtlichen Kündigungssperrfrist Bedeutung. Außerdem sei die Antragsbefugnis der Antragsteller nicht ausreichend dargelegt, da der Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrages nicht genannt worden sei. Zudem seien die Antragsteller allenfalls insoweit von der Rechtsverordnung betroffen, als die Stadt Mannheim dort aufgeführt worden sei. Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller sei zu hinterfragen, weil in der Zeit, als sie ihre Wohnung erworben hätten, die erste Kündigungssperrfristverordnung vom 16.12.1996 und damit bereits eine zehnjährige Kündigungssperrfrist gegolten habe. Abgesehen davon seien die Antragsteller von der angegriffenen Rechtsverordnung noch nicht nachteilig betroffen, da die gesetzliche Kündigungssperrfrist noch nicht abgelaufen sei.

Hinsichtlich der Feststellung, ob die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einem Gebiet gefährdet sei, habe die Landesregierung einen erheblichen Beurteilungsspielraum, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sei. Bei der Bestimmung der Gebiete, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet sei, sei eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, in die eine Vielzahl von Aspekten einfließe. Die Verordnung sei auf Städte begrenzt worden, die im Verdichtungsraum lägen, denen oberzentrale Funktionen oblägen oder in denen sich eine der großen Universitäten des Landes befänden. Mannheim weise darüber hinaus eine besondere Einkommens- und Sozialstruktur auf. Der Landesregierung sei es nicht verwehrt gewesen, die jeweilige Beurteilung der einzelnen Städte stärker in den Abwägungsprozess mit einzubeziehen, soweit der Wohnungsversorgungsgrad - wie im Fall der Stadt Mannheim - zwischen 90 und 93 % der Haushalte liege. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei dadurch Rechnung getragen worden, dass die Geltungsdauer der Verordnung auf fünf Jahre befristet worden sei. Von der Befugnis, nur bestimmte Teile einer Gemeinde in den Geltungsbereich einer Verordnung einzubeziehen, sei kein Gebrauch gemacht worden, weil innerhalb der Städte in der Regel keine ausreichend klaren Differenzierungskriterien zur Verfügung stünden.

Dem Senat liegen die Akten des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg (2 Hefte) vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 47 Abs. 5 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Der Normenkontrollantrag ist unzulässig.

Nach § 47 Abs. 1 VwGO entscheidet der Verwaltungsgerichtshof "im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit" über die Gültigkeit der dort genannten Rechtsvorschriften. Dieses Erfordernis ist nur dann erfüllt, wenn Rechtsstreitigkeiten, die aus dem Vollzug der zur Überprüfung gestellten Vorschrift entstehen können, in die Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichte fallen würden (BVerwG, Beschluss vom 27.07.1995, NVwZ 1996, 63, 65; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.7.1968, NJW 1968, 2076; Senatsbeschluss vom 07.12.1988, VBlBW 1989, 302, 303). Der Zweck dieser gesetzlichen Einschränkung ist darin zu sehen, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht eine Rechtsvorschrift mit allgemein verbindlicher Wirkung (§ 47 Abs. 6 Satz 2 VwGO) für ungültig erklären können soll, wenn für Rechtsstreitigkeiten aus der Anwendung derselben die Gerichte anderer Gerichtsbarkeiten zuständig sind (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.7.1968, a.a.O.). So liegt es hier.

Rechtsstreitigkeiten, die sich aus der Anwendung der Zweiten Kündigungssperrfristverordnung ergeben können, fallen ausschließlich in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Denn die angefochtene Verordnung hat ausschließlich mietrechtlichen Charakter. Bei den sich aus dem Vollzug der angefochtenen Verordnung ergebenden Rechtsstreitigkeiten handelt es sich um Kündigungsprozesse, bei denen die Frage der Wirksamkeit einer mietrechtlichen Kündigung im Mittelpunkt steht. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten können sich aus der Anwendung der angefochtenen Verordnung nicht ergeben.

Auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, wonach die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Inzidentkontrolle eine Normenkontrolle nicht ausschließe (OVG Lüneburg, Urteil vom 24.10.1979, DVBl 1980, 369), können sich die Antragsteller nicht mit Erfolg berufen. Denn diese Entscheidung betraf einen Bebauungsplan, der die Grundlage bildet für Erlaubnisse und Eingriffe, die sowohl in der Verwaltungs- als auch - beispielsweise im Hinblick auf geplante Enteignungen - in der Zivilgerichtsbarkeit judiziert werden können. Das Oberverwaltungsgericht hatte diesbezüglich die Frage aufgeworfen, ob in einem derartigen Fall die Zulässigkeit einer zivilrechtlichen Inzidentkontrolle die daneben grundsätzlich bestehende eigene Kontrollbefugnis ausschließe. Diese Frage hat es zu Recht verneint. Die hier vorrangig zu prüfende Voraussetzung, ob hinsichtlich der angefochtenen Rechtsvorschrift überhaupt eine eigene Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofs besteht, war in dem der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg zugrunde liegenden Fall eines Bebauungsplans nicht grundsätzlich zweifelhaft.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.01.1996 (BVerwGE 100, 262) zur (Un-)Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines örtlichen Mietspiegels, führt ebenfalls nicht zu einer anderen Entscheidung. Denn aus der vom Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung vertretenen Auffassung, Klagebegehren, mit denen abstrakt die Gültigkeit einer behördlichen Äußerung ohne Bindungswirkung festgestellt werden solle, seien generell unstatthaft, lässt sich nicht der Umkehrschluss herleiten, eine abstrakte Normenkontrolle sei immer dann statthaft, wenn der angefochtenen Rechtsvorschrift - wie im vorliegenden Fall - verbindliche Außenwirkung zukommt, ohne dass es darauf ankäme, ob die angefochtene Rechtsvorschrift im Übrigen der Gerichtsbarkeit des Normenkontrollgerichts unterfällt.

Die Zulässigkeit der Normenkontrolle lässt sich entgegen der Ansicht der Antragsteller auch nicht mit der Erwägung begründen, § 577 a BGB weise den Erlass der Rechtsverordnung den Landesregierungen und damit der öffentlichen Verwaltung zu. Denn der Umstand allein, dass der Gesetzgeber den Erlass einer Norm an ein Organ der öffentlichen Verwaltung delegiert, besagt noch nicht, dass die aus der Anwendung dieser Norm entstehenden Rechtsstreitigkeiten öffentlich-rechtlicher Natur sind. So können Bußgeldbescheide, die sich auf verordnungs- oder satzungsrechtliche Regelungen über Ordnungswidrigkeiten stützen, nur vor den ordentlichen Gerichten angefochten werden, obwohl die Regelungen von Stellen der öffentlichen Verwaltung erlassen wurden und Außenwirkung haben (z.B. abfallrechtliche Satzungen, vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27.07.1995, a.a.O.). Die bereits erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.01.1996 (a.a.O.) besagt insoweit nichts Gegenteiliges.

Die Frage, ob dem durch das Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1149) in § 558 d BGB eingeführten qualifizierten Mietspiegel angesichts der gesetzlichen Vermutungswirkung verbindliche Wirkung zukommt und eine abstrakte Normenkontrolle daher eröffnet wäre (vgl. dazu Palandt, BGB, 62. Aufl., § 558 d RdNr. 7 m.w.N.), ist für das vorliegende Verfahren nicht relevant. Allerdings dürften insoweit Zweifel bestehen, weil das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 26.01.1996 auch darauf hingewiesen hat, dass die Frage der richtigen Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmieten nicht dem öffentlichen Recht zuzuordnen und eine abstrakte verwaltungsgerichtliche Kontrolle örtlicher Mietspiegel angesichts ihrer Anwendung hauptsächlich in zivilgerichtlichen Verfahren generell nicht sinnvoll sei (BVerwG, Urt. v. 26.01.1996, a.a.O., S. 265, 273). Selbst wenn man diese Frage jedoch bejahen würde, wäre damit für den vorliegenden Fall nichts gesagt. Denn die hier angefochtene Kündigungssperrfristverordnung und örtliche Mietspiegel sind selbst dann nicht vergleichbar, wenn man Letzteren eine bindende Wirkung zuerkennt. Im Gegensatz zu der im vorliegenden Verfahren angegriffenen Rechtsverordnung sind nämlich auch in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallende Streitigkeiten denkbar, bei denen es auf die Anwendung eines örtlichen Mietspiegels ankommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.01.1996, a.a.O., S. 273). Dies gilt beispielsweise für Verfahren betreffend die Rechtmäßigkeit einer Fehlbelegungsabgabe (vgl. OVG Münster, Urt. v. 25.06.2001, NVwZ 2002, 365) oder einer Zweitwohnungsteuer (OVG Koblenz, 26.04.2002 - 6 A 11634/01) sowie für Verfahren nach dem Bundessozialhilfegesetz (vgl. OVG Münster, Urt. v. 14.09.2001, NVwZ-RR 2002, 441). Derartige Verfahren gibt es hinsichtlich der angefochtenen Verordnung nicht.

Die Annahme der Unzulässigkeit einer abstrakten Normenkontrolle widerspricht auch nicht dem Anliegen des Art. 19 Abs. 4 GG, lückenlosen und umfassenden Rechtsschutz zu gewähren. Denn die Antragsteller haben die Möglichkeit, die Gültigkeit der angefochtenen Verordnung in einem Kündigungsprozess vor den ordentlichen Gerichten im Wege der Inzidentkontrolle überprüfen zu lassen. Der - nach Auffassung der Antragsteller - unzureichende Rechtsschutz innerhalb des zu beschreitenden Rechtswegs vermag die Zuständigkeit einer anderen, von der Entscheidung gerade ausgeschlossenen Gerichtsbarkeit nicht schon deshalb zu begründen, weil diese (möglicherweise) umfassendere Rechtsschutzmöglichkeiten aufweist. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet den Rechtsweg nur im Rahmen der jeweils geltenden Prozessordnung, deren Ausgestaltung dem einfachen Recht überlassen ist (Senatsbeschluss vom 07.12.1988, a.a.O., S. 304).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.