BVerfG, Beschluss vom 27.03.2000 - 2 BvR 434/00
Fundstelle
openJur 2012, 134448
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verwerfung seiner Revision gegen seine strafgerichtliche Verurteilung als offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 und Abs. 3 StPO. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der Art und Weise des Zustandekommens des Verwerfungsbeschlusses, insbesondere die Praxis des betroffenen Revisionssenats des Oberlandesgerichts, der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht vor deren Antragstellung das Ergebnis einer nach Beratung und Aktenvorlage gewonnenen "vorläufigen Bewertung" der Revisionssache mitzuteilen. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die "vorgängige Beeinflussung" des Antrags der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht durch das Oberlandesgericht als Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG.

§ 349 StPO lautet:

Verwerfung ohne Hauptverhandlung

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluss als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluss entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluss aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Gegen das Berufungsurteil des Landgerichts legte der Beschwerdeführer form- und fristgerecht Revision ein, die er mit der Sachrüge begründete. Nach Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht und Vergabe des Geschäftszeichens leitete diese die Akten ohne Antragstellung im Sinne von § 349 Abs. 2 und 3 StPO "gemäß § 347 Abs. 2 StPO" an das Oberlandesgericht weiter. Mit Verfügung vom 9. Dezember 1999 bestimmte der Vorsitzende des Strafsenats in den Akten den zuständigen Berichterstatter und ordnete die Aktenvorlage an diesen an. Unter dem 17. Januar 2000 verfügte der Berichterstatter des Strafsenats sodann die Aktenübersendung an die Generalstaatsanwaltschaft mit der schriftlichen Mitteilung, dass der Senat "nach vorläufiger Bewertung... eine Erledigung der Sache gemäß § 349 Abs. 2 StPO für möglich" halte, "sofern der dafür erforderliche Antrag (§ 349 Abs. 3 StPO) gestellt" werde.

Mit begründetem Antrag vom 19. Januar 2000 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht, die Revision des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen, und teilte ihren Antrag entsprechend § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO mit Gründen dem Verteidiger des Beschwerdeführers unter dem Hinweis mit, dass binnen zwei Wochen die Möglichkeit bestehe, eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionssenat des Oberlandesgerichts einzureichen (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO).

Mit Schriftsatz vom 4. Februar 2000 gab der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger eine schriftliche Gegenerklärung im Sinne des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO zum - "als Arbeitshypothese" unterstellten - Antrag der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht ab, in deren Rahmen er unter anderem geltend machte, dass die revisionsrechtliche Fragestellung einen Verwerfungsantrag nicht rechtfertige. Im Übrigen werde der Beschwerdeführer ohnehin Verfassungsbeschwerde einlegen, und zwar "im Hinblick auf die anwalts- und gerichtskundige Tatsache, dass der Strafsenat... jeweils die Generalstaatsanwaltschaft" anrege, "den Antrag nach § 349 Abs. 2 StPO zu stellen". Diese in der Bundesrepublik einmalige Verfahrensweise widerspreche der Vorgabe des Gesetzes und sei im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Konsequenzen dem Fall der fehlenden Antragstellung (Hinweis auf BVerfGE 59, 98 ff.) gleichzusetzen. Die ursprünglich vom Gesetzgeber als zusätzliche Sicherheit für den Beschwerdeführer gedachte Unabhängigkeit der Überzeugungsbildung bei Gericht und Staatsanwaltschaft über die offensichtliche Unbegründetheit einer Revision sei im Falle einer Antragsanregung nicht mehr gewährleistet.

Mit begründetem Beschluss vom 9. Februar 2000 verwarf das Oberlandesgericht die Revision des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 und 3 StPO als unbegründet.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil ein Annahmegrund im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht der Grundsatz der Subsidiarität (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) entgegen, der unter anderem bewirken will, dass das Bundesverfassungsgericht vor seiner Entscheidung Gelegenheit haben soll, die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Fachgerichte kennen zu lernen. Außerdem wird so sichergestellt, dass der Vorrang gewahrt bleibt, der den Fachgerichten neben der Sachverhaltsermittlung auch bei der Auslegung der einfachrechtlichen Vorschriften nach der gesetzlichen Kompetenzordnung und der größeren Sachnähe gebührt (stRspr; vgl. z.B. BVerfGE 9, 3 <7 f.>; 51, 386 <396>; 55, 244 <247>; 79, 1 <20>; zusammenfassend: Kammerbeschluss vom 15. September 1999 - 2 BvR 2360/95 - = StV 2000, S. 1 = NStZ 2000, S. 96 m.w.N.).

Dieser Vorrang ist hier beachtlich. Denn der Beschwerdeführer hätte zunächst durch die Anbringung eines bis zum Erlass der Entscheidung des Revisionsgerichts möglichen und spätestens im Zeitpunkt der Abfassung der Revisionsgegenerklärung den Umständen nach nahe liegenden Ablehnungsgesuchs (§ 24 StPO) im sachnäheren Revisionsverfahren selbst eine Klärung der mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen unternehmen müssen. Nur so wären nach Sinn und Zweck des Grundsatzes der Subsidiarität alle gegen die neben Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 59, 98 <101 ff.>) auch im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche und mit der gesetzlichen Regelung des § 349 Abs. 2 und Abs. 3 StPO kaum in Einklang zur bringende Verfahrensweise des Oberlandesgerichts (vgl. Römer, MDR 1984, S. 353 ff., insbesondere 357 f., und Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl. 1998, Rn. 1248) bestehenden prozessualen Möglichkeiten hinreichend genutzt worden, um bereits eine fachgerichtliche Klärung von Bedeutung und Tragweite der Grundrechte des Beschwerdeführers herbeizuführen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.