VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.08.1992 - 1 S 1909/92
Fundstelle
openJur 2013, 8295
  • Rkr:

1. Stellt die Gemeinde ihr als Asylbewerber zugewiesenen Ausländern Wohnraum zur Verfügung, so ist in der Regel zu vermuten, daß eine öffentlich-rechtliche Gebrauchsüberlassung der Wohnräume vorliegt. Allein die Bezeichnung des entrichteten Entgelts als "Mietzins" rechtfertigt nicht, von einem privatrechtlichen Mietverhältnis zwischen dem Ausländer und der Gemeinde als Eigentümerin der Wohnung auszugehen.

Gründe

Die zulässigen Beschwerden sind nicht begründet. Auch der Senat sieht keinen Anlaß, den Antragstellern vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, denn ihre Widersprüche und eventuelle Klagen gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 11.6.1992 erscheinen wenig aussichtsreich und die privaten Belange der Antragsteller gebieten nach dem dem Senat bekannten Sachstand nicht, sie dennoch von der Vollziehung dieser Verfügung zu verschonen, bis über deren Rechtmäßigkeit rechtskräftig entschieden sein wird. Durch die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin wurde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Antragstellern aufgegeben, einen bestimmten, näher bezeichneten Raumteil in einer Wohnung, deren Eigentümerin die Antragsgegnerin ist, zu räumen sowie die Vornahme von Baumaßnahmen zur Abtrennung und Ausstattung des Raumes sowie die Zuweisung weiterer drei bis vier Personen in diese Räume unter Mitbenutzung gewisser Gemeinschaftseinrichtungen zu dulden. Der Senat teilt die Ansicht des Verwaltungsgerichts, daß mehr dafür als dagegen spricht, daß den Antragstellern lediglich ein öffentlich-rechtliches Benutzungsrecht an der Wohnung eingeräumt worden ist und kein privatrechtlicher Mietvertrag zustandegekommen sein dürfte. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Die - inzwischen als Asylberechtigte anerkannten - Antragsteller sind der Antragsgegnerin durch Verfügung des Landratsamts B- vom 17.4.1990 als Asylbewerber zugewiesen worden. Hieraus folgt die Verpflichtung der Antragsgegnerin, für die Unterbringung der Zugewiesenen Sorge zu tragen. Zwar schließt der Umstand der Verpflichtung der Gemeinde zur Unterbringung von Asylbewerbern nicht aus, daß die Gemeinde zur Erfüllung dieser Aufgabe privatrechtliche Verträge abschließt. Sie kann sich aber ebenso - und dies liegt bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben näher - hoheitlicher Handlungsformen bedienen. Letztere entsprechen der Interessenlage der zur Aufnahme von Asylbewerbern verpflichteten Gemeinde, ohne damit zugleich schutzwürdige Belange der Asylbewerber zu beeinträchtigen. Im Interesse der Gemeinde liegt es, ohne den starken Restriktionen des Mietrechts unterworfen zu sein, den Asylbewerber während seines Asylverfahrens unterbringen zu können und nach dessen Beendigung über die Wohnräume erneut, gegebenenfalls zur Beherbergung weiterer Asylbewerber verfügen zu können. Diese Möglichkeit wäre bei Abschluß eines Mietvertrages zumindest teilweise eingeschränkt. Hieraus folgt, daß der Wille der Gemeinde bei Überlassen von Wohnräumen an Asylbewerber im Regelfall nicht auf den Abschluß eines Mietvertrages gerichtet ist. Der Asylbewerber selbst hat weder während seines Asylverfahrens noch nach dessen Abschluß einen Anspruch darauf, daß ihm Wohnräume aufgrund privatrechtlicher Mietvereinbarungen überlassen werden. Er kennt vielmehr die aufgezeigte Interessenlage der Gemeinde, wonach zu vermuten steht, daß diese lediglich ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis, nicht aber ein Mietverhältnis begründen will. Aufgrund der im vorliegenden Verfahren gebotenen und allein möglichen summarischen Prüfung spricht wenig dafür, daß hier ausnahmsweise zwischen den Beteiligten ein Mietverhältnis zustandegekommen ist. Zwar wurde das Entgelt für das Nutzen der Wohnräume als "Mietzins" bezeichnet. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um den Abschluß eines Mietvertrages darzutun, zumal die von den Antragstellern unterzeichnete Inventarliste über den Hausrat in der "Asylbewerber-Wohnung" in die gegenläufige Richtung weist. Daß die Antragsgegnerin den Antragstellern die Auswahl unter zwei Wohnungen überlassen hat, gibt für die Beantwortung der Frage, ob ein öffentlich-rechtliches oder ein privatrechtliches Benutzungsverhältnis vorliegt, nichts her.

Ist von einer öffentlich-rechtlichen Gebrauchsüberlassung der Wohnräume auszugehen, so ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend hervorhebt, die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung im wesentlichen davon abhängig, ob der den Antragstellern und ihren drei Kindern verbleibende Wohnraum bezüglich seiner Größe und Ausstattungen den Mindestanforderungen entspricht, die sich aus dem Sozialstaatsprinzip und dem Gebot zur Achtung der Menschenwürde ergeben. Das Verwaltungsgericht hat dies zutreffend bejaht. Der Senat nimmt hierauf Bezug, so daß es einer weiteren Begründung nicht bedarf (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Zu Unrecht rügt die Beschwerde in diesem Zusammenhang, das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, daß nach den Umbaumaßnahmen den Antragstellern und ihren Kindern weiterhin der volle Wohnraum von 78,77 qm zur Verfügung stünde. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr dargelegt, daß etwa 68 qm verblieben und diese teilweise mit Durchgangsrechten und Nutzungsrechten Dritter belastet sind.

Daß entgegen der Ansicht der Antragsteller das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der sich voraussichtlich als rechtmäßig erweisenden Verfügung der Antragsgegnerin nicht dadurch entfallen ist, daß die Gemeinde in der Zwischenzeit versucht, weiteren Asylbewerbern Unterkünfte durch bauliche Maßnahmen zu schaffen, versteht sich von selbst.

Nachdem der Senat über die Beschwerde der Antragsteller entscheidet, ist der Antrag ihrer Prozeßbevollmächtigten im Schriftsatz vom 18.8.1992, einstweilen die Vollstreckung der Verfügung der Antragsgegnerin bis zur Entscheidung über die Beschwerde einzustellen, gegenstandslos geworden.

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