Bayerischer VGH, Beschluss vom 20.06.2011 - 11 ZB 10.1353
Fundstelle
openJur 2012, 116210
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren und - insoweit unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 5. Februar 2010 - auch für das Verfahren im ersten Rechtszug auf jeweils 2.500,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

Nach Darstellung der Landespolizei befuhr der Kläger, der türkischer Staatsangehöriger sei, am 23. März 2009 um 7.40 Uhr den im Bereich der Torquato-Tasso-Straße in München vor der dortigen Schule durch das Zeichen 325.1 der Straßenverkehrs-Ordnung (heutiger Fassung) ausgewiesenen verkehrsberuhigten Bereich "deutlich schneller als [mit] Schrittgeschwindigkeit". Nachdem die Polizei ihn angehalten und ihn wegen der begangenen Ordnungswidrigkeit als Betroffenen belehrt habe, habe er auf die Frage, ob er wisse, was "Schrittgeschwindigkeit" bedeute, geantwortet, dass darunter 30 km/h zu verstehen seien. Der Kläger sei während der Kontrolle sehr aufgebracht gewesen, habe die ihm gegenüber tätig gewordenen Beamten immer wieder angeschrien und angegeben, an dieser Stelle stets 30 km/h zu fahren. Nach Beendigung der Kontrolle sei er trotz erfolgter Belehrung auf der Torquato-Tasso-Straße weiterhin deutlich schneller als mit Schrittgeschwindigkeit gefahren.

Auf Vorschlag der Landespolizei verpflichtete die Beklagte den Kläger durch Bescheid vom 15. Oktober 2009 wegen seines Verhaltens am 23. März 2009 zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht.

Die hiergegen gerichtete Klage des Klägers wies das Verwaltungsgericht München zunächst durch Gerichtsbescheid vom 5. Februar 2010 und sodann durch Urteil vom 28. April 2010 ab. In der dem Urteil vorausgehenden mündlichen Verhandlung hatte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten u. a. beantragt, zwei der drei Polizeibeamten, die ihn am 23. März 2009 kontrolliert hatten, zum Beweis dafür (als Zeugen) zu laden, "dass der Streitpunkt nicht in der Frage der Geschwindigkeit lag, sondern im Umgang miteinander, indem es dem Kläger nicht zugestanden wurde, nach der Art der Erzielung des Messergebnisses zu fragen und wie dieser von oben herab mit 'Du' angeredet wurde".

Der Kläger beantragt, gegen das Urteil vom 28. April 2010 die Berufung zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, diesen Antrag abzulehnen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da die Voraussetzungen der Zulassungsgründe, auf die sich der Kläger beruft, zum Teil bereits nicht in der erforderlichen Weise dargelegt wurden und sie im Übrigen nicht vorliegen.

1. Soweit sich der Kläger der Sache nach auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO bezieht, hat er in der Antragsbegründung vom 5. Juli 2010 keine konkrete tatsächliche oder rechtliche Frage benannt, der aus seiner Sicht grundsätzliche Bedeutung zukommt (vgl. zu diesem Erfordernis z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, RdNr. 54 zu § 124 a). Sein diesbezügliches Vorbringen erschöpft sich vielmehr in der unsubstantiierten Behauptung, an der bisherigen Rechtsprechung könne aus (nicht näher bezeichneten) tatsächlichen Gründen nicht festgehalten werden.

2. Aus der Antragsbegründung vom 5. Juli 2010 ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

a) Zu Unrecht macht der Kläger geltend, die Richtigkeit des gegen ihn erhobenen Vorwurfs, deutlich schneller als mit Schrittgeschwindigkeit gefahren zu sein, sei deshalb zweifelhaft, weil weder eine Geschwindigkeitsmessung stattgefunden habe noch Polizeibeamte ihm über eine bestimmte Strecke hinweg mit gleichbleibendem Abstand nachgefahren seien. Denn Zweifel daran, dass ein Polizeibeamter nicht unterscheiden kann, ob jemand in Schrittgeschwindigkeit oder mit wesentlich höherem Tempo fährt, erscheinen nicht angebracht (so ausdrücklich BayObLG vom 20.10.2000 NZV 2001, 139). Das gilt jedenfalls dann, wenn sich die polizeiliche Wahrnehmung nicht darauf bezog, ob ein Kraftfahrer mit einer bestimmten Geschwindigkeit unterwegs war, sondern wenn es - wie hier - lediglich darauf ankommt, ob sich der Betroffene eindeutig jenseits des Bereichs bewegt hat, der noch als "Schrittgeschwindigkeit" bezeichnet werden kann (vgl. zu den nach der Rechtsprechung insoweit in Betracht kommenden km/h-Werten Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, RdNr. 181 [Stichwort "Schrittgeschwindigkeit"] zu § 42 StVO).

Zweifel an der Richtigkeit der polizeilichen Darstellung sind umso weniger veranlasst, als der Kläger selbst nicht positiv behauptet, im fraglichen Bereich nur mit Schrittgeschwindigkeit gefahren zu sein. Auch der von seinem Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellte Beweisantrag zielte nicht darauf ab, den Vorwurf zu widerlegen, schneller als mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs gewesen zu sein. Vielmehr sollten lediglich einige der ihm gegenüber tätig gewordenen Polizisten zu den Begleitumständen seiner Anhaltung einvernommen werden. Wenn der Kläger nach dem Vorbringen in der Antragsbegründung bei der seinerzeitigen Kontrolle darauf hinwies, an der fraglichen Stelle werde allgemein schneller als mit Schrittgeschwindigkeit gefahren, so deutet diese Einlassung darauf hin, dass er bereits damals sein Fehlverhalten nicht als solches in Abrede gestellt (sondern er nur auf dessen Üblichkeit hingewiesen) hat.

b) Weder die Beklagte noch das Verwaltungsgericht haben die Unmutsäußerungen, die der Kläger am 23. März 2009 abgegeben hat, zum Anlass genommen, um die Anordnung der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht damit zu rechtfertigen. Diese Maßnahme wurde zum einen vielmehr damit begründet, dass beim Kläger erkennbar Fehlvorstellungen darüber bestanden, wie schnell man in einem verkehrsberuhigten Bereich als Kraftfahrer unterwegs sein darf; zum anderen rechtfertigt sie sich aufgrund des Umstands, dass er die am 23. März 2009 erfolgte Belehrung durch die Landespolizei selbst insoweit nicht zum Anlass genommen hat, sein Verkehrsverhalten an den Geboten der Rechtsordnung auszurichten, als er sich noch im Wahrnehmungsbereich der Polizeibeamten befand.

c) Soweit sich der Kläger dagegen wendet, dass die Beklagte im Bescheid vom 15. Oktober 2009 die Auffassung vertreten hat, die in verkehrsberuhigten Bereichen erlaubte Höchstgeschwindigkeit liege zwischen 4 und 7 km/h, lässt es der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich dahinstehen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Denn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils wären nur dann begründet, wenn sich zum einen auch das Verwaltungsgericht diesen Standpunkt zu Eigen gemacht hätte, und der Kläger zum anderen aufgezeigt hätte, dass von Rechts wegen auch ein höheres Tempo noch als "Schrittgeschwindigkeit" im Sinn des Zeichens 325.1 nach der heutigen Anlage 3 zur Straßenverkehrs-Ordnung verstanden werden kann. Aus den Ausführungen auf Seite 8 Mitte des Gerichtsbescheids vom 5. Februar 2010, auf dessen Begründung eingangs der Entscheidungsgründe des Urteils vom 28. April 2010 verwiesen wurde, ergibt sich jedoch, dass das Verwaltungsgericht das Gebot, Schrittgeschwindigkeit zu fahren, auch bei einem zwischen 10 und deutlich weniger als 20 km/h liegenden Tempo als eingehalten ansieht. Gegen die Richtigkeit dieser Auffassung werden in der Antragsbegründung keine Angriffe vorgebracht.

d) Das an den Kläger gerichtete Verlangen, an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen, ist nicht deshalb unverhältnismäßig, weil er nach dem Bekunden seines Bevollmächtigten über den Bedeutungsgehalt des Zeichens 325.1 der Straßenverkehrs-Ordnung Bescheid weiß. Denn ausweislich der am 23. März 2009 getroffenen polizeilichen Feststellungen, deren Richtigkeit der Kläger nicht zu erschüttern vermochte, war das jedenfalls seinerzeit nicht der Fall. Angesichts der Tatsache, dass sich der Bevollmächtigte des Klägers in seinem Schreiben an die Beklagte vom 7. Oktober 2009 noch ausschließlich darauf beschränkte, das Fehlverhalten des Klägers als Bagatelle abzutun, handelte die Beklagte nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie auch nach der Mandatierung des Bevollmächtigten des Klägers darauf bestand, dass sich der Kläger einer Unterweisung durch solche Personen unterzieht, die seitens der öffentlichen Verwaltung dazu bestellt wurden, Verkehrsunterricht nach § 48 StVO zu erteilen. Eine etwaige Aufklärung des Klägers über das in verkehrsberuhigten Bereichen gebotene Verhalten durch seinen Bevollmächtigten und eine von dieser Seite auf ihn ggf. erfolgte Einwirkung mit dem Ziel rechtstreuen Verhaltens im Straßenverkehr, die nach dem Erlass des Bescheids vom 15. Oktober 2009 erfolgt wären, hätten schon deshalb außer Betracht zu bleiben, da das Ergehen dieses Bescheids den für die gerichtliche Prüfung maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt darstellt.

3. Obwohl sich der Kläger nicht ausdrücklich auf § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO berufen hat, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass durch das Vorbringen in der Antragsbegründung, mit dem die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird, die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes dargetan werden sollen.

Der Kläger sieht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ausschließlich darin, dass es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, zwei der drei Polizeibeamten, die am 23. März 2009 ihm gegenüber tätig geworden sind, als Zeugen einzuvernehmen. Auf den in der mündlichen Verhandlung am 28. April 2010 außerdem gestellten Antrag, den Lehrplan des Verkehrsunterrichts zu Beweiszwecken beizuziehen, ist er in der Begründung des Zulassungsantrags nicht zurückgekommen.

Nach § 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO ist die Berufung nur dann zuzulassen, wenn Zulassungsgründe im Sinn von § 124 Abs. 2 VwGO nicht bloß vorliegen, sondern ihre Voraussetzungen auch "dargelegt" wurden. Da der Kläger nicht gerügt hat, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, gemäß § 86 Abs. 2 VwGO über den von ihm gestellten, auf eine Zeugeneinvernahme zweier Polizeibeamter abzielenden Beweisantrag durch einen vor dem Erlass der abschließenden Entscheidung ergehenden, mit Gründen versehenen Beschluss zu befinden, ist seitens des Verwaltungsgerichtshofs nicht zu erörtern, ob im Unterbleiben einer solchen Verbescheidung des in Frage stehenden Beweisantrags ein Verfahrensfehler liegt. Dahinstehen kann deshalb u. a., ob dieser Antrag überhaupt als unbedingter Beweisantrag gestellt war (nur solche Anträge lösen die Rechtsfolge des § 86 Abs. 2 VwGO aus) oder nicht vielmehr ein bloßer Hilfsbeweisantrag vorlag, der - wie geschehen - auch erst in den Gründen der instanzbeendenden Entscheidung verbeschieden werden kann. Ebenfalls keiner Erörterung bedarf vor diesem Hintergrund die Frage, ob der Kläger nicht dadurch auf eine förmliche Verbescheidung seiner Beweisanträge verzichtet hat, dass er im unmittelbaren Anschluss an ihren mündlichen Vortrag (und noch vor ihrer Verlesung und ihrer Genehmigung durch seinen Bevollmächtigten) seinen Sachantrag gestellt, sein Bevollmächtigter ferner nicht widersprochen hat, als das Gericht im Anschluss daran die Anträge der Beklagten zu Protokoll nahm und es, nachdem es sich vergewissert hatte, dass niemand mehr das Wort wünschte, den Beschluss verkündete, eine Entscheidung werde gemäß § 116 Abs. 2 VwGO zugestellt (vgl. zu der Möglichkeit, dass ein Beteiligter das Recht auf eine mit Gründen versehene, noch vor Verfahrensabschluss erfolgende Verbescheidung eines Beweisantrags verlieren kann, wenn er eine Verfahrensgestaltung unwidersprochen hinnimmt, die erkennen lässt, dass das Gericht nicht nach § 86 Abs. 2 VwGO vorzugehen beabsichtigt, BVerfG vom 25.8.1986 NVwZ 1987, 785).

Die die unterbliebene Einvernahme zweier Polizeibeamter betreffenden Angriffe des Klägers beschränken sich darauf, geltend zu machen, dass sich das Verwaltungsgericht "damit der Möglichkeit einer eigenen Erkenntnisfindung begeben" habe. Dieses knappe Vorbringen enthält nicht nur keine Rüge der Missachtung des § 86 Abs. 2 VwGO (diese Vorschrift wird in der Begründung des Zulassungsantrags an keiner Stelle angesprochen); hierdurch wird darüber hinaus auch nicht aufgezeigt, dass die Nichterhebung des beantragten Zeugenbeweises von der Sache her im Prozessrecht keine Stütze findet (nur unter dieser Voraussetzung läge ein Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör vor). Nur ergänzend merkt der Verwaltungsgerichtshof deshalb an, dass das Verwaltungsgericht diesen Beweisantrag in den Gründen des Urteils vom 28. April 2010 zutreffend als entscheidungsunerheblich bezeichnet hat. Denn da der Kläger der polizeilichen Feststellung nicht substantiiert entgegengetreten ist, er habe denjenigen Bereich, der als "Schrittgeschwindigkeit" angesehen werden kann, eindeutig überschritten, hängt die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 15. Oktober 2009 nicht davon ab, dass die vom Kläger gefahrene Geschwindigkeit durch eine Messung ermittelt wurde. Bedurfte es aber keiner Messung (und wurde eine solche auch nicht durchgeführt), ist es rechtlich unerheblich, wenn dem Kläger keine Auskunft über die "Art der Erzielung des Messergebnisses" erteilt wurde. Da die streitgegenständliche Maßnahme nicht mit den Unmutsbekundungen des Klägers gegenüber der Polizei, sondern mit seinem vor und nach der Anhaltung an den Tag gelegten, verkehrsbezogenen Fehlverhalten sowie seiner Unkenntnis der in einem verkehrsberuhigten Bereich zulässigen Höchstgeschwindigkeit begründet wurde, kommt es ferner nicht darauf an, ob seine Unmutsäußerungen vor dem Hintergrund eines bestimmten Verhaltens der Polizeibeamten zu sehen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 3 GKG. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sich im Beschluss vom 11. Oktober 2010 (Az. 11 ZB 10.30 <juris> RdNr. 15) dafür entschieden, den Streitwert von Verfahren, die die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht im Sinn von § 48 StVO zum Gegenstand haben, in Anlehnung an die Empfehlung in Abschnitt II.46.16 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) mit 2.500,-- € anzusetzen. Soweit im Beschluss vom 28. März 2008 (Az. 11 ZB 06.499 <juris>) bei einem gleichartigen Verfahrensgegenstand ein Streitwert in Höhe von 1.000,-- € als angemessen angesehen wurde, hält der Senat hieran nicht fest.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird gemäß § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte