AG Gemünden, Urteil vom 02.07.2010 - 17 C 256/10
Fundstelle
openJur 2012, 109749
  • Rkr:
Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 735,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.04.2010 zu bezahlen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 735,42 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um von den Klägern geltend gemachte Rechtsanwaltsgebühren.

Die Kläger betreiben in der Rechtsform einer BGB-Gesellschaft eine Rechtsanwaltskanzlei in ... W. .

Der Beklagte war seit über zwanzig Jahren bei der Fa. W. A. GmbH beschäftigt gewesen; sein Bruttogehalt betrug zuletzt 2.500,00 €. Im Dezember 2008 stellten die Verantwortlichen der Fa. W. A. GmbH einen Insolvenzantrag. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens wurde dem Beklagten der Abschluss eines dreiseitigen Vertrages mit einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft angeboten und mit Schreiben vom 16.02.2009 folgendes mitgeteilt:

"Guten Tag Herr B.,

wie auf der Betriebsversammlung am 13.02.09 informiert, erhalten Sie beiliegend einen Aufhebungsvertrag für die W. A. GmbH ... sowie einen neuen Arbeitsvertrag für die SQG-Transfergesellschaft mit Eintrittstermin 01.03.09.

Wie mündlich informiert, bitten wir Sie um Rückgabe der unterschriebenen Verträge bis spätestens Montag, den 23.02.09.

Ansonsten gehen wir davon aus, dass diese Vertragsangebote Ihrerseits nicht angenommen werden und wir gemäß Interessenausgleich somit das Kündigungsverfahren nach § 102 BetrVG für eine betriebsbedingte Beendigungsmaßnahme einleiten werden.

..."

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf die Anlage K 1 (Bl. 4 d. A.) Bezug genommen.

Am 19.02.2009 suchte der Beklagte u.a. mit den o.g. Unterlagen die Kläger in deren Kanzleiräumen auf und ließ sich dort von Herrn Rechtsanwalt H. ausführlich über die Rechtslage beraten. Herr Rechtsanwalt H. empfahl dem Beklagten im Ergebnis nach der Beratung, den Aufhebungsvertrag mit der W... A. GmbH und den dreiseitigen Vertrag mit der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft wie angeboten zu unterschreiben. Dies machte der Beklagte in der Folgezeit auch und wechselte in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft.

Allen Personen, die bei der Firma W. A. GmbH beschäftigt gewesen waren und den dreiseitigen Vertrag mit der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft nicht unterschrieben, wurde in der Folgezeit betriebsbedingt gekündigt.

Unter dem Datum des 05.03.2009 stellten die Kläger der Rechtschutzversicherung des Beklagten eine Kostenrechnung über insgesamt 961,52 € (190,00 € Erstberatungsgebühr zzgl. 618,00 € Einigungsgebühr im nicht anhängigen Verfahren (Nr. 1000 VV RVG, Satz 1,5 aus 7.500,00 € (3 Bruttogehälter à 2.500,00 €)), beide Beträge zzgl. MwSt, s. auch Anlage 3, Bl. 7 d. A.).

Die Rechtsschutzversicherung des Beklagten zahlte nur 226,10 € (Erstberatungsgebühr zzgl. MwSt.). Mit Schreiben vom 10.03.2009 wurden weitere Zahlungen abgelehnt.

Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger die Zahlung der nicht erstatteten Einigungsgebühr zzgl. MwSt. von dem Beklagten.

Die Kläger sind der Auffassung, eine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG sei vorliegend angefallen, da die Voraussetzungen der Norm erfüllt seien. In der Annahme des dreiseitigen Vertrages sei nicht ein bloßes "Anerkenntnis" oder die Akzeptanz eines "Ultimatums" zu sehen; vielmehr habe der Beklagte durch den Abschluss des Vertrages "gestalterisch" an der Beendigung seines alten Arbeitsverhältnisses und an der Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses mitgewirkt. Rechtliche Fragen, die sich bei einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht gestellt hätten, seien hinfällig geworden. Die Einigungsgebühr könne im Übrigen auch bei Erteilung eines Rates anfallen; beide Gebühren könnten nebeneinander geltend gemacht werden.

Die Kläger beantragen:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 735,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt:

Klageabweisung.

Er ist im Wesentlichen der Auffassung, dass eine Einigungsgebühr nicht angefallen sei, weil das entscheidende Kriterium des "gegenseitigem Nachgebens" nicht gegeben sei. Die Kläger hätten nicht an dem Abschluss eines "Vergleichs" mitgewirkt. Die geltend gemachte Gebühr werde der Höhe nach nicht bestritten.

Hinsichtlich des weiteren Parteivortrags wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I. Die Kläger haben als Gesamtgläubiger einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung der Einigungsgebühr in Höhe von 618,00 € zzgl. MwSt. (insgesamt 735,42 €). Die Höhe der geltend gemachten Einigungsgebühr ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Anspruch folgt aus §§ 675 BGB iVm Nr. 1000 VV RVG.

1. Unstreitig ist zwischen den Parteien ein anwaltlicher Beratungsvertrag zustande gekommen, dessen Vergütung sich nach den Vorschriften des RVG richtet.

2. Nach Nr. 1000 Abs. 1 und 2 VV RVG entsteht die Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den ein Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Die Gebühr entsteht auch für die Mitwirkung bei Vertragsverhandlungen, es sei denn, dass diese für den Abschluss des Vertrages nicht ursächlich war.

Die Voraussetzungen des Nr. 1000 VV RVG sind vorliegend erfüllt.

a) Die verfahrensgegenständliche Einigungsgebühr entsteht neben der Betriebsgebühr und schließt alle Tätigkeiten des Rechtsanwalts ein, die zu einer Einigung in Form des Abschlusses eines Vertrages geführt haben. Der Vertrag kann nach zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Grundsätzen, ausdrücklich oder konkludent, zustande gekommen sein (s. Mayer/Kroiß, RVG-Komm., 3. Aufl. 2008, Nr. 1000 VV Rn. 25). Vorliegend hat der Beklagte den Aufhebungsvertrag mit der W. A. GmbH sowie den neuen Arbeitsvertrag mit der SQG-Transfergesellschaft unterschrieben; die Verträge sind damit zustande gekommen.

27b) Durch den Abschluss der Verträge wurde auch ein Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt. An diese Voraussetzung sind keine hohen Anforderungen zu stellen (s. Mayer/Kroiß, RVG-Komm., 3. Aufl. 2008, Nr. 1000 VV Rn. 32). Ein Nachgeben ist bereits anzunehmen, wenn auch nur die geringsten Zugeständnisse seitens der Parteien gemacht werden. Hierbei ist die subjektive Sicht der Parteien entscheidend (s. Mayer/Kroiß, RVG-Komm., 3. Aufl. 2008, Nr. 1000 VV Rn. 28). Lediglich bei einem Anerkenntnis oder Verzicht ohne sonstige Regelungen entsteht die Einigungsgebühr nicht.

Zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses (Beklagter sowie ... Automotive GmbH) bestanden eine Vielzahl rechtlicher Unsicherheiten: Hätte der Beklagte den Aufhebungsvertrag und den neuen Beschäftigungsvertrag nicht unterschrieben, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit betriebsbedingt gekündigt worden. Gegen diese Kündigung hätte er - mit ungewissem Erfolg - Rechtsschutz in Form einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht suchen können. Im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits hätten sich weitere rechtliche Fragen gestellt, bspw. das Vorliegen des dringenden betrieblichen Grundes iSd § 1 Abs. 2 KSchG, Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG, "Betriebsänderung" (§ 613 a BGB).

29Diese Rechtsunsicherheiten sind durch den Abschluss der o.g. Verträge durch den Beklagten ausgeräumt worden. In dem Abschluss der Verträge lag seitens des Beklagten auch kein bloßes Anerkenntnis oder ein Verzicht. Wie die Kläger zu Recht anführen, hat der Beklagte durch den Abschluss der Verträge gestalterisch an der Beendigung seines "alten" Arbeitsverhältnisses mitgewirkt und ist gleichzeitig ein "neues" Arbeitsverhältnis eingegangen. Die Zugeständnisse beider Seiten sind insbesondere darin zu sehen, dass sowohl der Beklagte als auch die W. A. GmbH auf einen arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang verzichtet haben. Wie bereits ausgeführt, ist es nicht von Bedeutung, ob diese Zugeständnisse gering oder groß sind, so dass es vorliegend nicht auf die Erfolgschancen im Prozess vor den Arbeitsgerichten ankommt.

c) Die Kläger haben auch an dem Abschluss der Verträge iSd Nr. 1000 VV RVG mitgewirkt. Unter Mitwirkung ist jede Tätigkeit zu verstehen, die der Rechtsanwalt in Richtung einer Einigung entfaltet. Hierunter zählt auch die Beratung, wenn sie sich nicht in rechtlichen oder tatsächlichen Informationen zu einem bereits ausgehandelten Vertrag erschöpft (s. Mayer/Kroiß, RVG-Komm., 3. Aufl. 2008, Nr. 1000 VV Rn. 33). Vorliegend waren die den Klägern von dem Beklagten vorgelegten Verträge noch nicht ausgehandelt; Herr Rechtsanwalt H... hat vielmehr den Beklagten ausführlich über die weitergehende arbeitsrechtliche Rechtslage sowie seine Chancen und Risiken in einem möglichen Folgeprozess vor dem Arbeitsgericht beraten und schließlich zu einem Abschluss der Verträge geraten. Hierin ist nicht nur eine schlichte Informationsübermittlung seitens der Kläger an den Beklagten zu sehen.

Aufgrund der Beratung der Kläger entschied sich der Beklagte, die angebotenen Verträge zu unterzeichnen.

e) Der Rechtsanwalt muss nicht unmittelbar bei Abschluss des Vertrages zugegen sein, was Nr. 1000 Abs. 2 VV RVG klar stellt. Es ist daher zur Entstehung der Einigungsgebühr unerheblich, dass der Beklagte und die Gegenseite die Verträge nicht in Anwesenheit von Herrn Rechtsanwalt H... abschlossen.

Die Einigungsgebühr entsteht neben der Ratsgebühr und ist nicht auf diese anzurechnen.

f) Die Kläger haben ferner einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung der geltend gemachten Zinsen ab Rechtshängigkeit, d.h. ab dem 09.04.2010, nach §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Zitate0
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte