Bayerischer VGH, Beschluss vom 19.10.2009 - 10 C 09.961
Fundstelle
openJur 2012, 103413
  • Rkr:
Tenor

Unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 20. März 2009 wird dem Kläger für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt H..., M..., beigeordnet.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage, ihm zu gestatten, in Absprache mit der Beklagten nach M... zu seinem Bevollmächtigten zur Besprechung einer Rechtsangelegenheit fahren zu dürfen.

Die Beklagte lehnte entsprechende Anträge des Klägers mit Bescheid vom 7. August 2008 ab.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 20. März 2009 die vom Kläger zugleich mit seiner Klageerhebung beantragte Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt. Ein Anspruch des Klägers, nach M... zu seinem Bevollmächtigten fahren zu dürfen, könne auch aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 102 Abs. 1 GG nicht abgeleitet werden. Die begehrte Verlassenserlaubnis sei ihm von der Beklagten zu Recht verweigert worden. Zwingende Gründe oder eine unbillige Härte im Sinne des § 12 Abs. 5 Satz 2 AufenthG bestünden nach bisherigem Sach- und Streitstand nicht. Zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland seien gegen den Kläger Maßnahmen nach § 54a AufenthG verhängt worden. Die Sicherheit des Staates und seiner Bevölkerung seien Verfassungswerte, die nur dann zurücktreten könnten, wenn der Kläger die Bereitschaft erkennen ließe, sich an die mit einer Ausnahmegenehmigung zwingend zu verbindenden Auflagen zu halten. Diese Gewähr biete der Kläger jedoch nicht. Dieser habe sich bisher nicht von der terroristischen Organisation/Vereinigung Ansar al-Islam und seinen Unterstützungshandlungen für diese Organisation distanziert.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger die Gewährung der Prozesskostenhilfe weiter. Zunächst werde klargestellt, dass er lediglich begehre, demnächst einmal in Absprache mit der Beklagten das Büro seines Bevollmächtigten in M... zur Besprechung einer Rechtsangelegenheit aufsuchen zu dürfen. Dieser vertrete ihn aktuell in mehreren beim Verwaltungsgericht anhängigen Verfahren. Dass hierzu mindestens eine persönliche Besprechung mit dem Bevollmächtigten erforderlich sei, sei wohl unstreitig. Es sei ein rechtsstaatliches Gebot, dem Kläger die freie Anwaltswahl zuzubilligen und seinen seit Mitte 2005 kontinuierlich für ihn tätigen Anwalt weiter zu bevollmächtigen. Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland stünden dem nicht entgegen. So wie der Kläger alle paar Wochen zur ärztlichen Behandlung in das Klinikum W... fahren dürfe und müsse, habe er auch ohne eine Erlaubnis an einem Gerichtstermin in M... teilgenommen (vgl. § 12 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Zudem habe er sich seit seiner Rückführung nach Deutschland zuverlässig an alle Auflagen gehalten. Damit habe er nachhaltig zum Ausdruck gebracht, dass er gewillt sei, sich an entsprechende Anordnungen oder Auflagen zu halten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet, weil der Kläger die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe gemäß § 114 Satz 1 ZPO nachgewiesen hat und seine Klage zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife auch hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Durch § 12 Abs. 5 AufenthG wird die Ausländerbehörde ermächtigt, Ausnahmen von der räumlichen Beschränkung zuzulassen, d.h. dem Ausländer das Verlassen des beschränkten Aufenthaltsbereichs zu erlauben; diese Regelung gilt auch für räumliche Beschränkungen aufgrund anderer Rechtsgrundlagen des Aufenthaltsgesetzes und damit auch für den Fall des § 54a Abs. 3 AufenthG (vgl. Heilbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: August 2009, Bd. 1, RdNr. 48 zu § 12; vgl. nunmehr auch Nr. 12.5.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zum Aufenthaltsgesetz BT-Drs. 669/09 S. 122). Erlaubnisfrei kann der Ausländer lediglich Termine bei Behörden und Gerichten wahrnehmen (§ 12 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Eine Regelung, die einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur Wahrnehmung von Terminen beim bevollmächtigten Rechtsanwalt vorsieht, wie sie in § 57 Abs. 2 und § 58 Abs. 2 AsylVfG enthalten ist, fehlt in § 12 Abs. 5 AufenthG.

Die Erlaubnis für das Verlassen ist nach § 12 Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu erteilen, wenn hieran ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde.

Das Verwaltungsgericht ist in seiner angegriffenen Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff „zwingende Gründe“ so auszulegen ist, dass es sich dabei um Gründe von erheblichem Gewicht handeln muss (vgl. Hailbronner a.a.O. RdNr. 49 und Nr. 12.5.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift a.a.O. S. 122). Weiter zutreffend hat das Erstgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH vom 15.6.2005 24 CE 05.1528 sowie vom 29.1.2008 19 ZB 07.2125 - jeweils juris -) erkannt, dass bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs auch dem sich aus Art. 19 Abs. 4 i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebenden Recht, sich von einem Anwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen und zur Gewährleistung des ungehinderten Verkehrs zwischen dem Vertretenen und seinem Bevollmächtigten diesen in dessen Kanzlei aufsuchen zu dürfen (vgl. BayVGH a.a.O.; zum Gebot eines fairen Verfahrens als allgemeines Prozessgrundrecht vgl. auch Leibholz/Rinck, GG, Kommentar, Stand: April 2009, RdNrn. 1201 ff. zu Art. 20 Abs. 3), angemessen Rechnung zu tragen ist. Letzteres gilt in gleicher Weise für die Auslegung der Tatbestandsalternative der „unbilligen Härte“, bei der persönliche Interessen des Ausländers noch stärker berücksichtigt werden können als beim Begriff des zwingenden Grundes (vgl. Nr. 12.5.2.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift a.a.O. S. 122).

Nicht zu überzeugen vermag die Auffassung des Verwaltungsgerichts, im Fall des Klägers sei eine Einschränkung der genannten verfassungsrechtlichen Rechte und damit eine Ablehnung der begehrten Verlassenserlaubnis aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt. Der Kläger ist zwar durch bestandskräftigen Bescheid der Beklagten vom 3. August 2005 wegen seiner Unterstützung einer ausländischen terroristischen Organisation/Vereinigung (Ansar al-Islam) aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat der erkennende Senat im Parallelverfahren des Klägers (Az. 10 C 09.962) auch entschieden, dass die im Bescheid vom 3. August 2005 weiter verfügten Überwachungsmaßnahmen und Anordnungen nach § 54a AufenthG nach wie vor Geltung beanspruchen und nicht etwa – wie der Kläger meint – zwischenzeitlich unverhältnismäßig geworden sind.

Schließlich verkennt der Senat nicht, dass mit der Anerkennung zwingender Gründe im Sinne des § 12 Abs. 5 Satz 2 AufenthG nicht der Zweck der aufenthaltsbeschränkenden Vorschrift (hier: § 54a Abs. 3 AufenthG) und der darauf gestützten Maßnahme unmöglich gemacht bzw. vereitelt werden darf. Letzteres ist jedoch nach Überzeugung des Senats nicht der Fall, wenn dem Kläger erlaubt wird, seinen Prozessbevollmächtigten in dessen Kanzleiräumen in M... einmal zu einem vorher mit der Beklagten abzustimmenden Termin zu besuchen. Verlassenserlaubnisse der Beklagten hat der Kläger bereits bisher regelmäßig zur Wahrnehmung von Behandlungsterminen im Universitätsklinikum W... erhalten. Dass sich der Kläger bei diesen ihm eingeräumten Ausnahmen von der räumlichen Beschränkung als unzuverlässig im Sinne der dabei zu beachtenden Auflagen erwiesen hätte, ist nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht behauptet worden. Auch ein konkreter Missbrauchsverdacht besteht insoweit nicht. Nachdem der Bevollmächtigte des Klägers diesen schon seit Jahren sowie aktuell in mehreren anhängigen Verwaltungsstreitverfahren vertritt, ist dem Kläger weder zumutbar, zu einem an seinem Aufenthaltsort K... ansässigen Rechtsanwalt zu wechseln, noch kann er auf einen bloßen telefonischen Kontakt mit seinem Bevollmächtigten verwiesen werden. Umgekehrt ist es aus den genannten Gründen auch für den Bevollmächtigten nicht zumutbar, den Kläger für ein persönliches Beratungsgespräch in dessen Gemeinschaftsunterkunft in K... aufsuchen zu müssen. Der der Beklagten oder der Allgemeinheit durch eventuelle Überwachungsmaßnahmen (z.B. in Form einer polizeilichen Begleitung) auf der Fahrt nach M... entstehende Mehraufwand kann dem Recht des Klägers auf persönlichen Kontakt mit seinem Bevollmächtigten in dessen Kanzleiräumen ebenfalls nicht entgegengehalten werden (vgl. BayVGH vom 15.6.2005 a.a.O. RdNr. 31).

Der Beschwerde war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).