LAG München, Urteil vom 11.08.2009 - 8 Sa 131/09
Fundstelle
openJur 2012, 102600
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts München vom 08.01.2009 - 23 Ca 15203/07 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere

900.- € (i. W.: neunhundert Euro) brutto

nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.10.2007 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten - soweit für das Berufungsverfahren von Interesse - darüber, ob die Klägerin trotz krankheitsbedingter Ausfallzeiten die Zahlung eines sog. Gesundheitsbonus verlangen kann.

Die am 0.0.1964 geborene Klägerin war vom 01.02.2006 bis 15.11.2008 bei der Beklagten als TeleSales Profi beschäftigt, ihr Aufgabengebiet umfasste die telefonische Akquisition und vertriebliche Betreuung im Innendienst. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Eigenkündigung der Klägerin.

Zur Vergütung vereinbarten die Parteien in § 5 ihres Arbeitsvertrages vom 01.02.2006:

„§ 5 Vergütung

Das monatliche Bruttogehalt beträgt Euro 0,00 und wird jeweils am Letzten eines Monats bargeldlos durch Überweisung auf ein Konto des Mitarbeiters, das dieser dem Arbeitgeber innerhalb einer Woche nach Vertragsschluss bekanntzugeben hat, ausbezahlt. Zusätzlich erhält der Mitarbeiter

- einen Gesundheits-Bonus bei null Krankheitstagen im Kalendermonat, pro „vollen Monat“, in Höhe von Euro 0,- brutto monatlich;

- eine projektbezogene Provision in Höhe von bis zu Euro 0,- brutto monatlich bei 100 % Zielerreichung (anhand interner Beurteilungsmatrix).

Das Grundgehalt wird jährlich überprüft. Die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft des Arbeitgebers, die persönliche Leistung des Mitarbeiters sowie eine etwaige Steigerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten sollen dabei angemessen berücksichtigt werden.

Die Zahlung etwaiger weiterer Bezüge (beispielsweise Weihnachts- oder Urlaubsgeld) erfolgt als freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Auch bei mehrmaliger Zahlung entsteht für die Zukunft kein Rechtsanspruch.“

Den Gesundheitsbonus zahlte die Beklagte jeweils im Folgemonat aus, wenn im Vormonat keine krankheitsbedingten Ausfallzeiten aufgetreten waren. In den Gehaltsabrechnungen ist er unter der Bezeichnung „Bonus (monatlich)“ aufgeführt.

Im Dezember 2006 war die Klägerin an 19 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank, im Juli 2007 an 22 Arbeitstagen. Aufgrund dessen zahlte die Beklagte in den Monaten Januar und August 2007 keinen Gesundheitsbonus. Mit Schreiben vom 16.07.2007 machte die Klägerin den im Monat Januar 2007, mit Schreiben vom 18.09.2007 auch den im Monat August 2007 nicht gezahlten Gesundheitsbonus unter Fristsetzung bis 30.09.2007 erfolglos geltend.

Mit ihrer am 08.11.2007 eingegangenen und der Beklagten am 15.11.2007 zugestellten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihr stehe der vereinbarte monatliche Gesundheitsbonus auch für die Monate Januar und August 2007 in voller Höhe zu, weil dieser arbeitsvertraglich als laufende Zusatzzahlung und nicht als Sondervergütung nach § 4 a EFZG zu sehen sei.

Die Klägerinhat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, 1.000.- € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2007 an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagtehat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, es fehle an den tatbestandlichen Voraussetzungen für den Gesundheitsbonus, weil die Klägerin in den Monaten Dezember 2006 und Juli 2007 arbeitsunfähig krank gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil vom 08.01.2009 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 100.- € brutto nebst Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.10.2007 zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat das im Wesentlichen damit begründet, der Gesundheitsbonus sei eine Sondervergütung im Sinne von § 4 a EFZG, was sich schon aus der Norm selbst ergebe. Bei einem durchschnittlichen Arbeitsentgelt von 0.- € monatlich ergebe sich eine monatliche Kürzungsmöglichkeit von 450.- €, so dass die Beklagte für die Monate Januar und August 2007 jeweils 50.- € trotz vormonatiger Erkrankung der Klägerin zahlen müsse. Ergänzend wird wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien sowie den Ausführungen des Arbeitsgerichts auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 23.01.2009 zugestellte Teilurteil hat die Klägerin am 19.02.2009 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.04.2009 mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin rügt die Einordnung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gesundheitsbonus als Sondervergütung im Sinne von § 4 a EFZG und macht geltend, diese ergebe sich entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht schon „aus der Norm selbst“. Bei dem monatlich zu zahlenden Gesundheitsbonus handle es sich nicht um eine Leistung mit Gratifikationscharakter, sondern um einen regelmäßigen Entgeltbestandteil, was sich bereits aus der Höhe der Zahlung im Verhältnis zum monatlichen Grundgehalt ergebe. Der Gesundheitsbonus stelle rund 25 % des Grundgehalts dar. Im Übrigen spreche eine Zahlungsweise, die sich im Rhythmus der Zahlungen des laufenden Arbeitsentgelts bewegt, regelmäßig für die Einordnung als laufendes und damit nicht kürzbares Entgelt.

Die Klägerinbeantragt:

Das Teilurteil des Arbeitsgerichts München vom 08.01.2009 wird bezüglich Ziffer 1.) des Tenors abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 900.- € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2007 zu zahlen.

Die Beklagtebeantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe den Gesundheitsbonus zu Recht als Sondervergütung nach § 4 a EFZG betrachtet. Dafür spreche der klare und eindeutige Wortlaut der Regelung und ändere auch der verhältnismäßig hohe Anteil der Sondervergütung an dem monatlichen Gesamt-Bruttoeinkommen der Klägerin nichts.

Ergänzend wird wegen des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz Bezug genommen auf den Schriftsatz der Klägerin vom 23.04.2009 und den Schriftsatz der Beklagten vom 07.05.2009.

Gründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO) und daher zulässig.

II.

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Trotz ihrer Arbeitsunfähigkeit in den Monaten Dezember 2006 und Juli 2007 steht ihr für diese Monate der - nach der unstreitigen tatsächlichen Handhabung in dem jeweiligen Folgemonat auszuzahlende - Gesundheitsbonus nach § 5 des Arbeitsvertrages in voller Höhe zu. Die Klägerin kann deshalb über den mangels Berufung der Beklagten vom Arbeitsgericht rechtskräftig zugesprochenen Betrag hinaus weitere 900.- € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.10.2007 beanspruchen.

1. Die Klägerin war in den Monaten Dezember 2006 und Juli 2007 jeweils an allen Arbeitstagen arbeitsunfähig krank, sodass sie nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat. Das steht zwischen den Parteien außer Streit. Nach § 4 Abs. 1 EFZG, der unabdingbar ist (§ 12 EFZG), ist ihr das bei der für sie maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Das Entgeltausfallprinzip erhält dem Arbeitnehmer grundsätzlich die volle Vergütung (BAG 14.01.2009 - 5 AZR 89/08 - DB 2009, 909 (Rn. 11)). Wäre die Klägerin in den Monaten Dezember 2006 und Juli 2007 nicht arbeitsunfähig krank gewesen, hätte sie für diese Monate - nach der unstreitigen tatsächlichen Handhabung ausbezahlt in den jeweiligen Folgemonaten Januar und August 2007 - den in § 5 des Arbeitsvertrages vereinbarten Gesundheitsbonus in Höhe von 0.- € brutto monatlich erhalten.

2. Von diesem Grundsatz lässt § 4 a EFZG eine Ausnahme zu und erlaubt, Sondervergütungen für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit in dem in § 4 a Satz 2 EFZG vorgesehenen Umfang zu kürzen.

a) § 4 a Satz 1 EFZG definiert Sondervergütungen als Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt. Diese Legaldefinition ist unpräzise und geradezu „schillernd“ (Preis, NJW 1996, 3369 (3376); HWK/Schliemann, 3. Aufl., § 4 a EFZG Rn. 2). Sie lässt offen, ob nur Einmalzahlungen gemeint sind oder auch laufende Zusatzzahlungen zum Arbeitsentgelt erfasst werden (Schmitt, EFZG, 6. Aufl., § 4a Rn. 15) und stellt letztlich nur klar, dass das laufende Arbeitsentgelt, d. h. die versprochene Vergütung für bestimmte Zeitabschnitte und die Vergütung für eine bestimmte Leistung innerhalb einer genau bemessenen Zeit von § 4 a EFZG nicht berührt wird (hM, vgl. nur BAG 25.07.2001 - 10 AZR 502/00 - AP EntgeltFG § 4 a Nr. 1; ErfK/ Dörner, 9. Aufl., § 4 a EFZG Rn. 5; Treber, EFZG, 2. Aufl., § 4 a Rn. 5 - jeweils m. w. N.).

b) Unter den gesetzlichen Begriff der Sondervergütung fallen grundsätzlich auch Anwesenheitsprämien, die den Anreiz erzeugen sollen, die Zahl der berechtigten oder unberechtigten Fehltage im Bezugszeitraum möglichst gering zu halten (BAG 25.07.2001, aaO., Rn. 15 und 21.01.2009 - 10 AZR 216/08 - NZA-RR 2009, 385 (Rn. 36); ErfK/Dörner, aaO., Rn. 8; MünchKommBGB/Müller-Glöge, 5. Aufl., § 4 a EFZG Rn. 8 - jeweils m. w. N.). Um eine solche Anwesenheitsprämie handelt es sich bei dem in § 5 des Arbeitsvertrages vereinbarten Gesundheitsbonus, weil dessen Zahlung voraussetzt, dass der Arbeitnehmer im Zahlungsmonat „null Krankheitstage“ hat, also an keinem Arbeitstag des Monats arbeitsunfähig krank war. Für die Anwendbarkeit von § 4a EFZG ist es unerheblich, ob rechtstechnisch die Kürzung einer Sondervergütung oder eine Anspruchsvoraussetzung geregelt wird, die zu demselben Ergebnis wie eine Kürzungsregelung führt     (ganz hM, vgl. nur ErfK/Dörner, aaO., Rn. 3; MünchKommBGB/Müller-Glöge, aaO., Rn. 11). Der völlige Wegfall der Leistung im Falle eines Krankheitstages ist eine Kürzung auf null (BAG 25.07.2001, aaO., Rn. 17).

33c) Die Leistung einer Anwesenheitsprämie ist nicht an bestimmte Zahlungsmodalitäten gebunden, sie kann als Prämie für jeden einzelnen Tag, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeit aufnimmt, bezahlt werden, als Einmalleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt, z. B. am Jahresende oder vierteljährlich (zur quartalsweisen Zahlung: BAG 25.07.2001, aaO.). Wird allerdings - wie hier - eine Anwesenheitsprämie monatlich, also im Rhythmus der Zahlungen des laufenden Arbeitsentgelts geleistet, muss durch Auslegung der jeweiligen Vereinbarung ermittelt werden, ob es sich um laufendes Arbeitsentgelt handelt, das der Unabdingbarkeit der Entgeltfortzahlungspflicht unterliegt, oder um eine Sondervergütung im Sinne des Gesetzes. Dabei spricht die Zahlung der Anwesenheitsprämie im Rhythmus des laufenden Arbeitsentgelts regelmäßig für die Einordnung als laufendes und damit nicht kürzbares Entgelt (ErfK/Dörner, aaO., Rn. 8; Treber, aaO., Rn. 8; wohl auch BAG 21.01.2009, aaO., Rn. 36; ein „indizielles Übergewicht“ der Periodizität der Zahlung einer Anwesenheitsprämie ablehnend MünchKommBGB/Müller-Glöge, aaO., Rn. 8; vgl. auch Schmitt, aaO., Rn. 16, der unter Sondervergütungen nur Einmalzahlungen, aber keine laufenden Zusatzzahlungen zum Arbeitsentgelt in Form von laufenden Anwesenheitsprämien versteht; - jeweils m. w. N.).

d) Für die Einordnung des Gesundheitsbonus als laufendes Arbeitsentgelt spricht neben der Indizwirkung der Zahlungsweise auch die arbeitsvertragliche Vereinbarung der Parteien. Der Gesundheitsbonus soll zwar als Leistungsvoraussetzung „null Krankheitstage“ haben, wird aber unter der Überschrift „Vergütung“ in unmittelbarem Zusammenhang mit dem „monatlichen Bruttogehalt“, das 0.- € betragen soll, geregelt, wenn es in § 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrages heißt, „zusätzlich erhält der Mitarbeiter“ einen Gesundheitsbonus und eine projektbezogene Provision. Demgegenüber spricht § 5 Abs. 3 des Arbeitsvertrages von „weiteren Bezügen“, deren Zahlung als freiwillige Leistung des Arbeitgebers erfolge, auf die auch bei mehrmaliger Zahlung für die Zukunft kein Rechtsanspruch entstehen soll. Gerade die Differenzierung in § 5 Abs. 1 und Abs. 3 des Arbeitsvertrages spricht für die rechtliche Einordnung aller in § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrages vorgesehenen Leistungen als laufendes Arbeitsentgelt im Sinne von versprochener monatlicher Vergütung für die monatliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Die dabei verfolgte Absicht, einen nicht unerheblichen Teil des monatlichen laufenden Arbeitsentgelts (nämlich rund 20 %) davon abhängig zu machen, dass der Arbeitnehmer an keinem einzigen Arbeitstag eines Monats infolge Krankheit arbeitsunfähig ist, verstößt allerdings gegen die zwingenden Regelungen der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG.

3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 288 Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat die Beklagte wegen der Zahlung des Gesundheitsbonus mit Schreiben vom 18.09.2007 unter Fristsetzung bis zum 30.09.2007 gemahnt.

III.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte nach § 91 Abs. 1 ZPO, über die erstinstanzlichen Kosten wird das Arbeitsgericht in seinem Schlussurteil mit zu entscheiden haben.

IV.

Da die rechtliche Einordnung einer monatlich zu zahlenden Anwesenheitsprämie über den entschiedenen Fall hinaus grundsätzliche Bedeutung hat, war die Revision zuzulassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

       Dr. Biebl                  Ries                   Schweikl