OLG München, Urteil vom 18.02.2009 - 20 U 4595/08
Fundstelle
openJur 2012, 98567
  • Rkr:
Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 01.08.2008, AZ: 20 O 24649/07, wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 37.593,75 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin ist Gebäudebrandversicherer des Eigentümers des Anwesens O.strasse 38 in S., die Beklagte Haftpflichtversicherer des Mieters dieses Anwesens. Zwischen den Parteien ist ein Ausgleichsanspruch analog § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. streitig.

Am Morgen des 05.03.2003 kam es zu einem Wohnungsbrand im oben benannten Anwesen, der Ober- und Dachgeschoss weitgehend zerstörte. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nur der Mieter und sein vierjähriger Sohn im Anwesen. Der Vater ist Raucher und benutzt ein Induktionsfeuerzeug. Im Zeitpunkt der Entstehung des Brandes schlief er. Der Aufbewahrungsort des Feuerzeuges ist ungeklärt.

Auf Grund des Brandes wurde ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft S. eingeleitet, im Zuge dessen der Vater als Zeuge aussagte und ein Sachverständigengutachten zur Brandursache erholt wurde. Auf den Inhalt der Zeugenaussage (K 1) und des Gutachtens (K 3), die beigezogen und mit den Parteien erörtert wurden, wird Bezug genommen.

Die Klägerin regulierte den Brandschaden gegenüber dem Eigentümer in Höhe von EUR 75.187,50.

Sie war auf Grund der Ergebnisse im Ermittlungsverfahren der Meinung, der Brand sei durch Zündeln des vierjährigen Sohnes des Mieters entstanden. Der Mieter habe die Aufsichtspflicht für sein Kind, das in den Besitz des Induktionsfeuerzeuges gelangen konnte, fahrlässig verletzt. Auf Grund eines Regressverbotes sei ihr der Rückgriff auf den Vater des Kindes jedoch versagt. Deshalb habe sie einen hälftigen Ausgleichsanspruch analog § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. gegen die Beklagte als dessen Haftpflichtversicherer.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung.

Sie bestritt die Brandursache, das Regressverbot, eine Aufsichtspflichtverletzung und die Schadenshöhe. Selbst bei analoger Anwendung des § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. sei eine schlichte Schadensteilung nicht gerechtfertigt. I.Ü. sei sie zur Schadensdeckung nicht mehr verpflichtet, da ihr Versicherungsnehmer Obliegenheiten verletzt habe.

Ergänzend wird hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht München I hat mit Endurteil vom 01.08.2008 die Klage abgewiesen.

Es hat sich eine Überzeugung dahingehend gebildet, dass der verfahrensgegenständliche Brand vom vierjährigen Sohn des Wohnungsmieters mittels dessen Induktionsfeuerzeug verursacht worden ist. Der Mieter habe in diesem Zusammenhang seine Aufsichtspflicht gegenüber seinem Sohn grob fahrlässig verletzt, weshalb er der Klägerin regresspflichtig sei. Ein diesbezüglicher Regressverzicht der Klägerin sei nur für die Fälle anzunehmen, in denen der Mieter den Schaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht habe. Nur in diesen Fällen komme ein Ausgleichsanspruch analog § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Mieters in Betracht. Bei grobfahrlässiger Brandverursachung durch den Mieter habe sich die Klägerin aus übergegangenem Recht des Vermieters (§ 67 VVG a.F.) an den Mieter zu halten. Ihr stehe insbesondere kein Wahlrecht zu, entweder den Mieter oder die Beklagte in Anspruch zu nehmen.

Hilfsweise wird ausgeführt, dass keine für den Brand kausale Pflichtverletzung des Mieters feststellbar sei, wenn man davon ausgehe, dass dessen Sohn das Feuer nicht entfacht habe.

Ergänzend wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihr ursprüngliches Klageziel weiterverfolgt und die Verletzung materiellen Rechts sowie unrichtige bzw. unvollständige Feststellungen rügt.

Die Klägerin schließt sich ausdrücklich der Feststellung des Landgerichts an, dass der verfahrensgegenständliche Brand vom vierjährigen Sohn des Mieters mittels des Feuerzeugs des Vaters verursacht wurde. Damit habe der Mieter vorwerfbar seine Aufsichtspflicht für das Kind verletzt, aber nur fahrlässig und nicht grob fahrlässig. Das Landgericht habe bei seiner rechtlichen Würdigung zum Verschulden verkannt, dass zwischen den Parteien in erster Instanz das Fehlen der tatsächlichen Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit unstreitig war. Dessen ungeachtet seien auch keine Tatsachen feststellbar gewesen, die den Vorwurf grober Fahrlässigkeit tragen würden. Insbesondere sei unklar, wo und wie der Sohn des Mieters in den Besitz des Feuerzeugs gelangt war. Ohne Feststellungen hierzu seien keine Feststellungen zu grob fahrlässigem Verhalten des Mieters im Umgang mit seinem Feuerzeug möglich.

Auch im Falle grober Fahrlässigkeit des Mieters sei der Klägerin im Interesse sachgerechter Lösungen ein Wahlrecht zuzubilligen, entweder den Mieter oder die Beklagte analog § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. in Anspruch zu nehmen.

Die Klägerin beantragt daher,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 37.593,75 zu zahlen nebst Zinsen für das Jahr in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Auch die Beklagte schließt sich den Feststellungen des Landgerichts zur Brandursache an, sieht aber eine grob fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung des Mieters. Sie verwehrt sich dagegen, den Grad des Verschuldens in erster Instanz unstreitig gestellt zu haben.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle und die Hinweise des Senats Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Ausgleichsanspruch analog § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. gegen die Beklagte zu.

1. Die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Voraussetzungen liegen nicht vor:

Dem Gebäudeversicherer steht danach entsprechend den Grundsätzen der Doppelversicherung (analog § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.) ein Anspruch auf anteiligen Ausgleich gegen den Haftpflichtversicherer des Mieters zu, wenn der Mieter einen Schaden am Gebäude durch leichte Fahrlässigkeit verursacht hat. Dem liegt zugrunde, dass eine ergänzende Vertragsauslegung des Gebäudeversicherungsverhältnisses in diesen Fällen zu einem Regressverzicht des Gebäudeversicherers gegenüber dem Mieter führt (BGH NJW 2006, 3707).

Diese Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte liegen hier nicht vor, da der Brand nicht durch lediglich leichte Fahrlässigkeit verursacht wurde.

Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass der verfahrensgegenständliche Brand auf grober Fahrlässigkeit des Mieters beruht.

a) Das Landgericht war insoweit zur Feststellung berufen, da der Verschuldensgrad von den Parteien nicht unstreitig gestellt werden konnte, wie die Klägerin meint. Zwar ist richtig, dass die Parteien in erster Instanz übereinstimmend von leichter bzw. einfacher Fahrlässigkeit gesprochen haben. Solche Rechtstatsachen sind der Parteidisposition aber grundsätzlich nicht zugänglich, sondern nur tatsächliches Vorbringen. Zwar können Rechtsbegriffe oder Rechtsverhältnisse als inhaltlich tatsächliches Vorbringen angesehen werden, wenn sie einfach und allgemein bekannt sind (vgl. BGH NJW 1992, 906). Das ist für den vorliegenden Sachverhalt aber zu verneinen. Die Schwere der Aufsichtspflichtverletzung liegt hier keineswegs offenkundig auf der Hand, ist also keine einfache rechtliche Gegebenheit, sondern unter Abwägung aller vorgetragenen Umstände zu ermitteln.

b) Das Landgericht ist nachvollziehbar zu der Überzeugung gelangt, dass der Brand durch den vierjährigen Sohn des Mieters mittels dessen Feuerzeugs verursacht wurde, während der Vater schlief. Dem schließt sich der Senat an. Auf die Ausführungen des Landgerichts hierzu wird in vollem Umfang Bezug genommen. Die Parteien sind dem in der Berufung übereinstimmend beigetreten.

c) Der Vater hat die Aufsichtspflicht für seinen Sohn grob fahrlässig verletzt, da es dem Kind ersichtlich möglich war, das Feuerzeug ungehindert an sich zu nehmen.

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (Heinrichs in Palandt BGB 68. Aufl. § 277 Rn. 5 m.w.Nw.).

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verhaltens trägt die Klägerin. Nach zutreffender Auffassung orientiert sich bei der vorliegenden Fallgestaltung die Beweislast nicht an etwaigen mietrechtlichen Besonderheiten, sondern an der versicherungsrechtlichen Regelung des § 67 VVG a.F., so dass der Feuerversicherer dem Mieter Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles nachzuweisen hat (OLG Hamm VersR 1999, 843). Grobe Fahrlässigkeit ergibt sich hier bereits aus dem übereinstimmenden Parteivortrag.

Die Parteien tragen vor, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten das Feuerzeug zur Tatzeit, während er schlief, jedenfalls so verwahrte, dass es seinem Sohn ersichtlich ungehindert zugänglich war (Schriftsatz der Klägerin vom 10.11.2008, Seite 7, und Schriftsatz der Beklagten vom 18.12.2008, Seite 2). Diese Feststellung drängt sich an Hand des weiteren Geschehensablaufes auf. Der Zeugenaussage des Mieters im Ermittlungsverfahren ist zu entnehmen, dass er Raucher war und das von ihm benutzte Feuerzeug am Boden liegend vor seinem weinenden Sohn auffand, nachdem der Brand bereits ausgebrochen war. Daraus hat das Landgericht den in der Berufung nicht angegriffenen Schluss gezogen, dass das Kind den Brand mit diesem Feuerzeug verursacht hat. Dem schließt sich der Senat an. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass kleine Kinder wie der Sohn des Mieters einen starken Nachahmungstrieb haben und insbesondere Feuer einen besonderen Reiz auf sie ausübt (vgl. hierzu auch BGH NJW 83, 2821 und OLG Koblenz NJW 2004, 3047). So ist es naheliegend, dass das Kind das von ihm beobachtete Verhalten des Vaters beim Anzünden einer Zigarette in unbewachten Augenblicken wird nachahmen wollen, sofern ihm die erforderlichen Gegenstände, insbesondere ein Feuerzeug zugänglich sind. Deshalb erfordert hier die Aufsichtspflicht ein besonders hohes Maß an Sorgfalt und Umsicht. Die Möglichkeit einer Besitzerlangung durch Kinder im häuslichen Bereich ist im Rahmen des Zumutbaren zu unterbinden oder jedenfalls zu erschweren. Dazu gehört vor allem, Feuerzeuge immer so zu verwahren, dass Kinder im Alter des Sohnes des Mieters sie nicht ohne weiteres erblicken und erreichen können. Eine sichtbare und weitgehend unbewachte Aufbewahrung bildet für Kinder einen Anreiz, sie an sich zu nehmen. Der Aufsichtspflichtige hat dann ganz naheliegende Gefahren grob fahrlässig missachtet.

33So liegt der Fall hier. Es kann dahinstehen, wo das Feuerzeug in concreto lag. Jedenfalls war es nicht nur nicht weggeschlossen, was auch nicht behauptet wird, sondern von dem Kind ohne weiteres erreichbar. Dadurch, dass die Eltern nicht sicher gestellt haben, dass es dem Kind unmöglich ist, mit dem Feuerzeug zu spielen, haben sie die nach den Umständen gebotene Sorgfalt in außergewöhnlich hohem Maße verletzt. Auch in subjektiver Hinsicht liegt ein unentschuldbares Fehlverhalten vor, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt, denn die oben genannten Fakten sind jedem, der mit Kindern zu tun hat, bekannt. Mithin liegt grob fahrlässiges Verhalten des Mieters vor.

342. Eine analoge Anwendung des Ausgleichsanspruch gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. auch auf grob fahrlässig verursachte Schäden bzw. die Gewährung eines Wahlrechts zwischen der Inanspruchnahme des Schädigers oder dessen Haftpflichtversicherers ist zu verneinen.

Für eine solche Lösung spräche, dass der Haftpflichtversicherer auch im Falle grober Fahrlässigkeit gemäß § 152 VVG a.F. grundsätzlich leisten muss und der nachträgliche Wegfall der Leistungspflicht wegen Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers für den Ausgleichsanspruch unbeachtlich ist (vgl. BGH IV ZR 273/05 RZ 25). Das bedeutet, dass auch bei grober Fahrlässigkeit die faktische Doppelversicherungssituation genauso besteht wie bei einfacher Fahrlässigkeit, also durchaus an einen Gesamtschuldnerregress gedacht werden kann.

36Dem ist aber entgegenzuhalten, dass anders als im Fall der leichten Fahrlässigkeit einer Inanspruchnahme des Mieters durch den Gebäudeversicherer aus übergegangenem Anspruch des Eigentümers (§ 67 VVG a.F.) kein Regressverzicht entgegensteht, also insoweit kein Bedürfnis besteht, dem Gebäudeversicherer zumindest den teilweisen Rückgriff auf den Haftpflichtversicherer zuzugestehen. Es bestehen daher bereits Zweifel an einer Lücke in der gesetzlichen Regelung, die grundsätzlich Voraussetzung für eine Analogie wäre. Auch im Rahmen dieses Regressanspruches gegen den Mieter kann der Sachversicherer gemäß § 67 VVG a.F. im Vollstreckungswege (Pfändung- und Überweisung) auf den Deckungsanspruch des Mieters gegen seinen Haftpflichtversicherer zugreifen und sich somit eines liquiden Schuldners versichern. Allein die mögliche Abkürzung und Vereinfachung des Rechtsweges durch den direkten Durchgriff auf den Haftpflichtversicherer rechtfertigt die Ausweitung der zu § 59 VVG a.F. entwickelten Analogie nicht (im Ergebnis so auch J. Felsch in „Die neuere Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Haftpflichtversicherung“, r + s 2008, 265, 277).

3. Angesichts der in der Berufung nicht mehr in Zweifel gezogenen Brandursache bedarf die Hilfsbegründung des Landgerichts keiner weiteren Erörterung.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr.10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichtes. Der Senat wendet gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den Einzelfall an. Von den dort gebildeten Grundsätzen zur Möglichkeit der analogen Anwendung von § 59 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. - beschränkt auf eine bestimmte Fallkonstellation - wurde gerade nicht abgewichen.