OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.03.2011 - I-24 U 95/10
Fundstelle
openJur 2012, 78854
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 1. Juni 2010 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kleve - Einzelrichter - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 26.611,21 EUR nebst Zin-sen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 4.248,85 EUR ab dem 5. Mai 2009, dem 6. Juni 2009, dem 2. Juli 2009, dem 4. August 2009, dem 2. September 2009 und dem 2. Oktober 2009 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 1.093,00 EUR zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien bleibt nachgelas-sen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Gegenseite jeweils vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung rückständiger Gewerberaummiete bzw. Nutzungsentschädigung für die Zeit von Mai bis Oktober 2009 in Anspruch.

Mit Vertrag vom 8. Oktober 2004 vermietete die Klägerin auf dem Grundstück F.-Str. Nr. in G. Gewerberäume an die Beklagte. Mietbeginn war der 1. April 2005. Unter Nr. 1 des Mietvertrags waren für die verschiedenen Räumlichkeiten jeweils einzelne monatliche Kaltmieten angegeben; die Gesamtkaltmiete betrug 3.727,06 EUR. Daneben sollte die Beklagte eine monatliche Nebenkostenvorauszahlung von EUR 825,00 leisten. Die "monatliche Belastung für den Mieter ab April 2005" ergab danach einen Betrag von EUR 4.552,06. Unter Nr. 14 des Vertrags trafen die Parteien für den Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 31. März 2005 eine Zusatzvereinbarung, wonach der Beklagten die Räumlichkeiten bereits ab Oktober 2004 zu Umbau- und Renovierungsarbeiten überlassen werden sollten. Als Überlassungsgebühr wurde ein Pauschalbetrag zuzüglich Mehrwertsteuer (nachfolgend: Umsatzsteuer) in Höhe von 16% vereinbart; hierbei handelte es sich ausweislich der Zusatzvereinbarung um "60 % des künftigen Mietpreises". Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Mietvertrag Bezug genommen.

Dem Abschluss des Mietvertrages waren umfangreiche Vertragsverhandlungen vorausgegangen, in deren Verlauf die Parteien unterschiedliche Bezeichnungen für die zu vereinbarende Miete verwendeten. In ihrem Vertragsangebot (Schreiben vom 23. August 2004) schlug die Klägerin der Beklagten einen "Netto-Mietpreis" zuzüglich Umsatzsteuer vor. Später sprach sie von einer "Kaltmiete" (Schreiben vom 14. September 2004) oder einem "angestrebten Mietpreis" (Schreiben vom 21. September 2004). Die Beklagte gab eine von ihr "angestrebte € 3.500,00 Gesamt-Kaltmiete" als Verhandlungsziel an (Schreiben vom 13. September 2004). In einer nach Vertragsschluss erstellten Zahlungsaufstellung listete sie die "Kaltmieten und NB ohne MwSt." auf (Schreiben vom 20. Oktober 2004). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schreiben der Parteien Bezug genommen.

Ab 1. April 2005 stellte die Klägerin der Beklagten monatlich eine Nettomiete von 4.551,99 EUR zuzüglich zunächst 16% und ab Januar 2007 19% Umsatzsteuer in Rechnung. Die Umsatzsteuer wurde in jeder Rechnung gesondert neben dem Nettobetrag ausgewiesen. Bis einschließlich März 2009 zahlte die Beklagte den jeweils in Rechnung gestellten Betrag, ohne Beanstandungen zu erheben. Die von ihr auf den Mietzins gezahlte Umsatzsteuer machte sie im Rahmen der Vorsteuer geltend; in welchem Umfang ist zwischen den Parteien streitig.

In den Monaten April bis einschließlich Oktober 2009 zahlte die Beklagte keine Miete. Gleichzeitig erklärte sie die Aufrechnung mit einem - zwischen den Parteien streitigen - Anspruch auf Rückzahlung in Höhe der jeweiligen Umsatzsteuer überzahlter Miete (anwaltliches Schreiben vom 3. April 2009). Mit anwaltlichen Schreiben vom 15. Juli 2009 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs fristlos. In der Folge mahnte sie die ausstehenden Mieten für Mai bis August 2009 unter Fristsetzung an (anwaltliches Schreiben vom 28. August 2009). Am 30. Oktober 2009 gab die Beklagte die Gewerberäume geräumt an die Klägerin heraus.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte schulde ab April 2005 die vertraglich vereinbarte Miete zuzüglich Umsatzsteuer. Ein dahingehender übereinstimmender Parteiwille ergebe sich zum einen aus den Vertragsverhandlungen, zum anderen aus dem Umstand, dass die Beklagte die Miete unter Hinzurechnung der Umsatzsteuer 47 Monate ohne jegliche Beanstandung gezahlt habe. Schließlich sei die Umsatzsteuer für die Beklagte ein reiner Durchlaufposten und damit eine betriebswirtschaftlich gesehen neutrale Rechnungsposition.

Mit Klageschrift vom 20. August 2009 hat die Klägerin ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die näher bezeichneten Gewerberäume zu räumen und geräumt herauszugeben sowie an sie eine Nebenforderung in Höhe von 1.286,20 EUR zu zahlen. Hinsichtlich des Räumungsantrags haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2009 hat die Klägerin ihre Klage erweitert und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 32.501,71 EUR nebst Zinsen von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 5. Mai 2009 von 4.552,06 EUR sowie ab 6. Juni 2009 von weiteren 4.552,06 EUR sowie für Juli 2009 von weiteren 4.552,06 EUR sowie für August 2009 von weiteren 4.552,06 EUR sowie für September 2009 von weiteren 4.552,06 EUR sowie für Oktober 2009 von weiteren 4.552,06 EUR sowie eine Nebenforderung von 1023,16 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die seit April 2005 in Rechnung gestellten Mieten seien überhöht, da die ausgewiesene Umsatzsteuer nicht geschuldet sei. Im Mietvertrag sei vielmehr eine Bruttomiete ohne weitere Aufschläge vereinbart worden. Aus der vorvertraglichen Korrespondenz ergebe sich, dass sie, die Beklagte, für die Mietzeit ab April 2005 nicht mehr als 3.700 EUR habe zahlen wollen. Ferner behauptet die Beklagte, die ausdrückliche Angabe der Umsatzsteuer für den Zeitraum von Oktober 2004 bis März 2005 sei nur deswegen erfolgt, weil die Klägerin diese für einen Vorsteuerabzug bei eigenen Handwerkerrechnungen habe nutzen wollen. Da sie auf die Redlichkeit der Klägerin vertraut habe, sei ihr die Überzahlung ab April 2005 erst anlässlich eines Rechtsstreites über die Nebenkosten aufgefallen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Klägerin die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Nettomiete ohne Umsatzsteuer beschränke und sich danach für den Zeitraum von Mai bis Oktober 2009 eine Mietforderung nebst Nebenkostenvorauszahlungen lediglich in Höhe von 27.312,36 EUR (6 x 4.552,06 EUR) ergebe. Diese sei durch Aufrechnung der Beklagten mit einem die Klageforderung übersteigenden Rückzahlungsanspruch wegen überzahlter Miete seit April 2005 vollständig untergegangen. Die Auslegung des Mietvertrags ergebe, dass eine Vereinbarung über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Umsatzsteuer fehle. Hierfür sprächen sowohl Wortlaut und Systematik der mietvertraglichen Regelungen als auch die vorvertragliche Korrespondenz. Die "gelebte Wirklichkeit des Vertrags" stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Denn die Beklagte habe glaubhaft dargelegt, warum ihr die Überzahlung erst nach mehreren Jahren aufgefallen sei. Die Aufrechnung der Beklagten sei auch nicht durch § 814 BGB ausgeschlossen. Infolgedessen seien der Klägerin auch die Kosten für den erledigten Teil der Klage aufzuerlegen gewesen, da der Räumungsantrag mangels Zahlungsrückstands unbegründet gewesen sei.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie beanstandet die rechtliche Würdigung des Tatsachenstoffes durch das Landgericht. Das Landgericht habe insbesondere die Motive der Parteien für die Zweiteilung der Mietzeit falsch bewertet und das Verhalten der Beklagten widersprüchlich gewürdigt. Jedenfalls sei ein etwaiger Rückzahlungsanspruch der Beklagten durch § 814 BGB ausgeschlossen.

In Höhe der Nebenkostenvorauszahlungen erklärt die Klägerin den Rechtsstreit für erledigt. Im Übrigen beantragt sie,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie 26.611,21 EUR nebst Zinsen von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 5. Mai 2009 von 4.248,85 EUR sowie ab dem 6. Juni 2009 von weiteren 4.248,85 EUR sowie für Juli 2009 von weiteren 4.248,85 EUR sowie für August 2009 von weiteren 4.248,85 EUR sowie für September 2009 von weiteren 4.248,85 EUR sowie für Oktober 2009 von weiteren 4.248,85 EUR sowie Nebenforderungen von insgesamt 2.309,36 EUR zu zahlen.

Die Beklagte schließt sich der Teilerledigungserklärung der Klägerin an und beantragt im Übrigen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Die Auslegung des Mietvertrags durch das Landgericht sei zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Die Akten zu den Verfahren 3 C 139/09 Amtsgericht Kleve und 2 O 250/09 Landgericht Kleve, in denen die Auslegung des streitgegenständlichen Mietvertrags im Rahmen einer Zahlungsklage und einem einstweiligen Verfügungsverfahren von Bedeutung war, wurden beigezogen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist bis auf einen Teil der Nebenforderungen ganz überwiegend begründet.

1.

Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung von 26.611,21 EUR - Kaltmiete für die Monate Mai bis Oktober 2009 in Höhe von 3.727,06 EUR monatlich nebst Mehrwertsteuer hierauf in Höhe von 19 % - beanspruchen. Der Anspruch steht ihr bis zu der wirksamen fristlosen Kündigung (dazu unter III.a) als Miete, für die übrige Zeit als Nutzungsentschädigung gem. § 546 a BGB zu.

a)

Die Klägerin kann auf die vereinbarte Kaltmiete und die Nutzungsentschädigung Umsatzsteuer in Höhe von 19 % verlangen.

Zutreffend ist das Landgericht allerdings zunächst von dem Grundsatz ausgegangen, dass die Umsatzsteuer als rechtlich unselbstständiger Teil grundsätzlich in dem zu zahlenden Preis enthalten ist und der Vermieter ohne besondere Vereinbarung nicht berechtigt ist, zusätzlich zur vereinbarten Miete Umsatzsteuer zu verlangen (BGH NJW 2002, 2312 m.w.N.; OLG Naumburg, ZMR 2000, 291; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 10. Auflage, Rdn. 449; Schmidt-Futterer, Mietrecht, 9. Aufl. 2007, § 535 Rn. 594; Blank/Börstinghaus, Miete 3. Aufl. 2008, § 535 Rn. 514). Der zwischen den Parteien geschlossene Mietvertrag ist aber dahin auszulegen, dass die Beklagte auch schon für die ab April 2005 zu zahlende Miete und damit für die jetzt noch begehrten Mieten (Mai bis Oktober 2009) Umsatzsteuer zu entrichten hatte. Dabei sind über den Wortlaut des Vertrages hinaus die Gesamtumstände bei Abschluss und Durchführung des Vertrages zu berücksichtigen (vgl. nur BGH, NJW 2002, 1260; BGHZ 86, 41, 47).

(1) Der Wortlaut des Vertrages ist unter Berücksichtigung der Systematik der vertraglichen Regelungen nicht eindeutig. Zwar werden zunächst für die Zeit ab April 2005 unter Nr. 1. des Mietvertrages lediglich die Kaltmiete und die Höhe der Nebenkostenvorauszahlungen aufgeführt und die Gesamtsumme von 4.552,06 EUR sodann als "monatliche Belastung" des Mieters bezeichnet. Auf der anderen Seite haben die Parteien aber unter Nr. 14. den für die Zeit bis März 2005 zu zahlenden Mietzins anhand eines Prozentsatzes des "künftigen Mietpreises" errechnet und diesen einschließlich Mehrwertsteuer veranschlagt. Das lässt sich dahin interpretieren, dass auch die künftige, d.h. die ab April 2005 zu zahlende Miete nebst Umsatzsteuer zu zahlen sein sollte und nur vergessen worden ist, dies ausdrücklich zu erwähnen.

(2) Anhand der vorvertraglichen Korrespondenz der Parteien lässt sich weder die eine noch die andere von den Parteien vertretene Auslegung eindeutig bestätigen. Zwar hat die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 23. August 2004 ein Angebot unterbreitet, das ausdrücklich von einer Nettomiete ausgeht und Mehrwertsteuer berechnet. Dieses Angebot ist jedoch unstreitig nicht Vertragsgrundlage geworden. In dem folgenden Schriftwechsel haben die Parteien den Gesichtspunkt der Umsatzsteuer nicht mehr angesprochen, sondern allgemein über die von der Beklagten zu zahlende Kaltmiete verhandelt. Dass die Beklagte wiederholt ihr Bestreben deutlich gemacht hat, eine Gesamt-Kaltmiete von nicht mehr als 3.500 EUR bzw. später 3.700 EUR zahlen zu wollen, ist vor diesem Hintergrund nicht zwingend dahin zu verstehen, dass hierauf nicht noch Umsatzsteuer entfallen sollte.

Auch eine Erklärung der Tatsache, dass für die Zeit bis März 2005 ausdrücklich die Zahlung von Umsatzsteuer vereinbart worden ist, während sich eine entsprechende Regelung im Wortlaut des Vertrages für die anschließende Zeit nicht findet, lässt sich im Übrigen der vorvertraglichen Korrespondenz der Parteien nicht entnehmen. Insbesondere findet der Vortrag der Beklagten, die Differenzierung sei deshalb erfolgt, weil die Klägerin Handwerkerrechnungen für einen Vorsteuerabzug habe nutzen wollen, dort keine Stütze. Richtig ist zwar, dass die Klägerin sich an den Renovierungsarbeiten beteiligen wollte und auch beteiligt hat. Dass im Hinblick auf diese Tatsache steuerliche Erwägungen angestellt worden sind, hat die Klägerin indes entgegen den landgerichtlichen Feststellungen durchaus bestritten und lässt sich auch der vorvertraglichen Korrespondenz im Zusammenhang mit der Erörterung der Renovierungsarbeiten und der jeweiligen Zuständigkeiten nicht entnehmen. Die Klägerin hat zudem - neu, aber unbestritten - vorgetragen, der von ihr tatsächlich erbrachte Renovierungsaufwand sei nicht erheblich gewesen und habe ihr nur eine geringfügige Steuerersparnis gebracht. Auch dies spricht dagegen, dass hierin ein Motiv für eine unterschiedliche Behandlung der Umsatzsteuerfrage in der Zeit vor und nach dem 1. April 2005 lag.

Entgegen dem Landgericht ist aber der Vortrag der Klägerin, bei der Reduzierung des Mietzinses bis März 2005 habe es sich primär um ein Entgegenkommen der Klägerin gegenüber der Beklagten gehandelt, weil diese noch bis März 2005 in einem anderen Mietverhältnis gebunden gewesen sei, durchaus plausibel. Denn die Beklagte hat in dem vorvertraglichen Schriftverkehr mehrfach auf diesen Umstand hingewiesen. Daneben mag auch eine Rolle gespielt haben, dass noch Renovierungsarbeiten durchgeführt werden mussten. Die Umsatzsteuerfrage haben die Parteien indes in diesem Zusammenhang nicht erörtert.

Daraus, dass die Klägerin nichts Näheres dazu ausgeführt hat, inwieweit sie ab April 2005 von einer Option zur Vorsteuer profitiert, lässt sich schließlich nicht der Schluss ziehen, es sei keine Umsatzsteuer vereinbart worden. Es ist unstreitig, dass die Klägerin zur Mehrwertsteuer optiert hat, und es ist davon auszugehen, dass sie hierzu auch berechtigt war. Gemäß §§ 4 Nr. 12 S. 1 lit. a, 9 Abs. 1 UStG kann der vermietende Unternehmer einen steuerfreien Vermietungsumsatz in seiner Umsatzsteuererklärung als steuerpflichtig behandeln, wenn der Vermietungsumsatz an einen mietenden Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird (Optionsausübung). Das ist hier der Fall. Die Optionsausübung der Klägerin scheitert auch nicht an § 9 Abs. 2 UStG 1993 in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2310).

Dabei unterstellt der Senat die Anwendbarkeit dieser Norm zu Gunsten der Beklagten, weil über die Errichtung des gemieteten Gebäudes zeitliche Daten nicht bekannt sind. Zwar schränkt diese Bestimmung den zu erklärenden Verzicht auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze über § 9 Abs. 1 UStG hinaus weiter ein. Danach ist für den Anwendungsbereich dieser Bestimmung die Optionsausübung nur noch zulässig, soweit der die Mietnutzung in Anspruch nehmende Unternehmer das gemietete Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, wobei umsatzsteuerfreie Umsätze von unter 5% des Gesamtumsatzes außer Betracht bleiben (vgl. BMF-Schreiben v. 09. 05. 1994, BStBl 1994, I, S. 312). Dass die Beklagte umsatzsteuerfreie Geschäfte in einem größeren Umfang tätigt, ist indes nicht ersichtlich.

Ist das Mietobjekt älteren Datums, also zwischen dem 11. November 1993 und dem 1. Januar 1998 errichtet oder noch früher erbaut worden, gilt gemäß der Übergangsvorschrift des § 27 Abs. 2 UStG 1993 noch § 9 Abs. 2 UStG 1980, der die Option des Vermieters zur Umsatzsteuer unter noch erheblich weniger strengen Voraussetzungen zuließ. Diese lägen hier erst recht vor.

(3) Dem am 20. Oktober 2004 und damit nach Vertragsschluss gefertigten Schreiben der Beklagten lässt sich schließlich ebenfalls nicht entnehmen, ob die Beklagte von einer Verpflichtung zur Zahlung von Umsatzsteuer ausging. Wenn dort unter der die Zahlungsverpflichtung aufschlüsselnden Tabelle aufgeführt ist "Kaltmieten und NB ohne MWSt." ist dies entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dahin interpretieren, dass diese noch aufzuschlagen sei. Umgekehrt ist das Schreiben auch für die Auffassung der Beklagten, sie habe mit dem Schreiben zum Ausdruck bringen wollen, dass nur Kaltmiete und Nebenkosten zu zahlen seien, nicht eindeutig.

(4) Lässt sich somit weder dem Wortlaut des Mietvertrages noch einer Auslegung anhand der Korrespondenz der Parteien eindeutig entnehmen, ob der Mietzins mit oder ohne Umsatzsteuer zu zahlen sein sollte, kommt dem nachvertraglichen Verhalten der Parteien bei der Umsetzung des Mietvertrages entscheidende Bedeutung zu. Dieses lässt den sicheren Schluss zu, dass auf die vereinbarte Kaltmiete nebst Nebenkosten auch in der Zeit ab April 2005 Umsatzsteuer zu zahlen sein sollte.

Zwar lässt sich aus einer ausdauernden vom Vertragsinhalt abweichenden Übung beider Parteien oder der widerspruchslosen Hinnahme des vom Vertrag abweichenden Vorgehens einer Partei durch die Gegenpartei nicht ohne Weiteres auf eine Vertragsänderung schließen (vgl. BGH, NZM 2008, 81; NZM 2008, 276). Nachträgliches Verhalten der Parteien kann auch den objektiven Vertragsinhalt nicht mehr beeinflussen. Wohl aber kann es für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten von Bedeutung sein, dies jedenfalls dann, wenn - wie hier - die vertraglichen Bestimmungen nicht eindeutig sind (vgl. BGH, NZM 2008, 81; NJW 2005, 3205 m.w.N.). Anders als in den den genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zugrunde liegenden Fallgestaltungen geht es hier nicht um die Frage, inwieweit eine Vertragsänderung durch eine abweichende Praxis oder stillschweigendes Hinnehmen einer von dem schriftlichen Vertrag abweichenden Berechnungsweise zustande kommen kann, sondern um die Auslegung des ursprünglichen Mietvertrages anhand dessen Praktizierung durch die Parteien.

Die Beklagte hat hier von Anfang an über fast vier Jahre hinweg unbeanstandet die von der Klägerin monatlich - und damit abweichend von der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Oktober 2007 - VIII ZR 279/06 -, NZM 2008, 81 f. zugrunde liegenden Fallgestaltung, in der jährlich Nebenkostenabrechnungen erteilt worden waren - erteilten Rechnungen beglichen, die erkennbar und eindeutig jeweils Umsatzsteuer auf die zu zahlende Miete auswiesen. Sie hat auch nicht widersprochen, als die Klägerin ihre Rechnungen dem zum 1. Januar 2007 geänderten Mehrwertsteuersatz angepasst hat. Die Beklagte hat schließlich zugestanden, die Rechnungen im Rahmen der Vorsteueranmeldung geltend gemacht zu haben.

Für dieses Verhalten konnte die Beklagte - unterstellt, eine entsprechende vertragliche Verpflichtung lag nicht vor - keine plausible Erklärung geben. Im vorliegenden Verfahren hat sich die Beklagte allein darauf berufen, sie habe die berechnete Umsatzsteuer gezahlt, weil sie auf die Richtigkeit der Rechnungen vertraut und den Mietvertrag erstmals im Jahr 2009 anlässlich des Rechtsstreits über die Nebenkostenabrechnungen habe rechtlich überprüfen lassen. Das ist allerdings überhaupt nicht nachvollziehbar.

Die Beklagte hatte, wie aus dem von ihrem Geschäftsführer selbst geführten vorvertraglichen Schriftwechsel deutlich hervorgeht, großen Wert auf die Höhe der von ihr zu zahlenden Miete gelegt. Angesichts dessen hätte es bei der Beklagten ab April 2005 sofort auffallen müssen, dass die ihr monatlich in Rechnung gestellte Miete deutlich über diesem Betrag lag. Sie hat aber gleichwohl über einen Zeitraum von nahezu vier Jahren Monat für Monat Rechnungen erhalten und bezahlt, die ausdrücklich und deutlich Umsatzsteuer auswiesen. Die Abweichung erschloss sich bereits bei einem schlichten Vergleich des nach Darstellung der Beklagten ausgehandelten mit dem berechneten und gezahlten Betrag; einer vertieften rechtlichen Prüfung bedurfte es hierzu nicht. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nach ihrem eigenen Vorbringen die Frage der Umsatzsteuer ausdrücklich mit der Klägerin in dem Sinne verhandelt haben will, dass wegen der bei der Klägerin anfallenden Handwerkerrechnungen diese bis März 2005 zur Mehrwertsteuer habe optieren wollen. Der Beklagten musste die Umsatzsteuerproblematik also durchaus bewusst sein. Dass sie gleichwohl den Aufschlag der Mehrwertsteuer auch ab April 2005 unbeanstandet lies, lässt sich nur so erklären, dass sie dies für vertragskonform hielt.

Für eine Auslegung des Vertrages in diesem Sinne spricht weiter, dass die Beklagte unstreitig die Rechnungen steuerlich geltend gemacht und damit die Vorteile aus der vertraglichen Umsatzsteuerverpflichtung gezogen hat. Vor diesem Hintergrund hatte sie im Übrigen durchaus auch ein Interesse an der Berechnung von Umsatzsteuer. Der Geschäftsführer der Beklagten hat zwar in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht angegeben, zu der Frage, ob die gesamte Umsatzsteuer geltend gemacht worden sei, keine präzisen Angaben machen zu können. Dass er von dem steuerlichen Vorgang gar keine Kenntnis gehabt haben will, hat er indes nicht behauptet. Der Vortrag der Beklagten, sie tätige auch umsatzsteuerfreie Geschäfte und sei daher mit einem Teil der Umsatzsteuerlast endgültig beschwert, ist zudem nicht substantiiert und wenig plausibel. Die Beklagte hätte, wozu sie im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast gehalten war, ihren Vortrag ohne weiteres durch Vorlage von Umsatzsteuererklärungen konkretisieren können. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Beklagte mindestens in der Höhe, in der sie Miete zahlt, auch umsatzsteuerpflichtige Geschäfte tätigt. Dies ist in der mündlichen Verhandlung erörtert worden, ohne dass weitergehendes Vorbringen der Beklagten erfolgt wäre.

b) Ist danach von der wirksamen Vereinbarung des Aufschlags der Umsatzsteuer auf die Kaltmiete auszugehen, so hat die Klägerin auch zu Recht ab Januar 2007 Umsatzsteuer in Höhe von 19 % berechnet und diese auf die Mieten Mai bis Oktober 2009 aufgeschlagen. Gemäß § 29 UStG kann bei langfristigen Verträgen jede Partei bei einer Änderung des Umsatzsteuersatzes die Anpassung des Vertrages verlangen, wenn nicht etwas anderes vereinbart ist. Dies ist hier nicht der Fall; die Parteien haben im Mietvertrag lediglich den bei Vertragsschluss geltenden Mehrwertsteuersatz - 16 % - angegeben. Daraus lässt sich nicht schließen, dass der Vermieter bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer ohne Abwälzung auf den zum Vorsteuerabzug berechtigten Mieter mit dem erhöhten Steuerbetrag belastet werden soll (vgl. Wolf/Eckert/ Ball, a.a.O., Rn. 454).

c) Die Klägerin kann schließlich auch auf die von der Beklagten geschuldete Nutzungsentschädigung Umsatzsteuer verlangen, weil auch insoweit steuerrechtlich ein Leistungsaustausch vorliegt (BGH, NZM 1998, 192 ff. m.w.N.; Wolf/Eckert/Ball, a.a.O. Rn. 1133)

2.

Da die Beklagte nach den vorstehenden Ausführungen schon ab April 2005 zur Zahlung der berechneten Mehrwertsteuer verpflichtet war, steht ihr der zur Aufrechnung gestellte Rückzahlungsanspruch nicht zu. Die Frage, ob einem Bereicherungsanspruch der Einwand des § 814 BGB - Kenntnis der Nichtschuld - entgegen stünde, stellt sich somit nicht.

3.

Die Klägerin kann von der Beklagten außerdem die Zahlung der ihr entstandenen Rechtsverfolgungskosten beanspruchen (§§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB), dies allerdings nur in Höhe von 653,10 EUR (Verfolgung des Räumungsanspruchs) bzw. 439,90 EUR (Verfolgung des Zahlungsanspruchs). Denn ihr steht nach dem jeweiligen Gegenstandswert nur eine 0,65 Geschäftsgebühr zu. Für die Geltendmachung des übrigen Teils der Gebühr besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, weil dieser auf die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend zu machende Verfahrensgebühr anzurechnen ist.

Nach Inkrafttreten des § 15 a RVG am 15. August 2009 hat der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Vorschrift auch auf sogenannte Altfälle mit der Folge Anwendung findet, dass gegenüber dem Gegner die volle Verfahrensgebühr auch in den Fällen festzusetzen ist, in denen schon eine Geschäftsgebühr entstanden ist (BGH, ZIP 2009, 1927; FamRZ 2010, 456; 1068; 1248). Dann besteht aber umgekehrt kein Bedürfnis, zusätzlich auch den Teil der Geschäftsgebühr zu titulieren, der in der Verfahrensgebühr durch Anrechnung aufgeht. Diese Verfahrensweise entsprach der ganz überwiegenden Praxis (vgl. etwa HansOLG, MDR 2007, 57-58; OLG Frankfurt, NJW-RR 2007, 1189; KG, JurBüro 2006, 202; OLG Stuttgart, JurBüro 2008, 23-25) vor Erlass der Entscheidung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. Januar 2008 (VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323); die Einführung des § 15 a RVG sollte der Klarstellung dienen, dass weiterhin in diesem Sinne verfahren werden solle (vgl. BGH, FamRZ 2010, 1248).

Es ergibt sich damit folgende Berechnung (wegen der Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin ohne Mehrwertsteuer, vgl. Klageschrift vom 20. August 2009, Bl. 3 GA):

Räumungsverfahren Gegenstandswert 44.724,72 EUR (12 x 3.727,06 EUR)

974,00 EUR Gebühr, x 0,65 = 633,10 EUR

Kostenpauschale 20,00 EUR

653,10 EUR

Zahlungsaufforderung Miete Mai bis August 2009 Gegenstandswert 21.667,80 EUR

(4 x 4.552,06 EUR zzgl. 19 % MwSt)

646,00 EUR Gebühr, x 0,65 = 419,90 EUR

Kostenpauschale 20,00 EUR

439,90 EUR

gesamt 1.093,00 EUR

III.

a) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 a, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Kosten des erledigten Teils des Rechtsstreits sind, soweit es die ursprünglich erhobene Räumungsklage betrifft, gem. § 91 a ZPO der Beklagten aufzuerlegen, weil die Klage ursprünglich zulässig und begründet war. Da der Beklagten kein aufrechenbarer Rückzahlungsanspruch gegen die Klägerin zustand, befand sie sich zum Zeitpunkt der Kündigung am 15. Juli 2009 mit mehr als zwei Monatsmieten in Verzug, so dass gem. § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB und auch nach Nr. 8. des Mietvertrages ein wichtiger Grund für die Kündigung vorlag.

Betreffend die zunächst eingeklagten Nebenkostenvorauszahlungen - auch insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt - waren die Klage und die Berufung ursprünglich ebenso zulässig und begründet. Erst mit Ablauf des Jahres 2010 ist Abrechnungsreife eingetreten, die die Durchsetzung von Vorauszahlungen ausschließt (vgl. Senat, ZMR 2008, 710; DWW 2004, 87). Auch insoweit hat mithin gem. § 91 a ZPO die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Ihren Vortrag, sie stütze ihre Forderung auf die Nebenkostenabrechnung für 2009, hat die Klägerin nicht aufrecht erhalten.

b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

c) Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.

IV.

Der Streitwert im Berufungsverfahren beträgt bis 30.000 EUR.

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