BVerfG, Beschluss vom 17.03.2008 - 1 BvR 96/06
Fundstelle
openJur 2012, 25742
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen nicht in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.

Art. 3 Abs. 1 GG enthält das Gebot, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (vgl. BVerfGE 71, 255 <271>). Der allgemeine Gleichheitssatz ist insbesondere dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders und nachteilig behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, welche die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 104, 126 <144 f.>) und sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (vgl. BVerfGE 102, 68 <87>; stRspr).

Von Verfassungs wegen ist es nicht zu beanstanden, dass Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ruhen, solange sich Versicherte im Ausland aufhalten. Eine Ungleichbehandlung der Personen mit Auslandswohnsitz im Vergleich zu den Personen mit Inlandswohnsitz kann sachlich gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 51, 1 <24>; 81, 208 <223 f.>). Es ist ein verfassungsrechtlich nicht zu beanstandendes Ziel nationaler Sozialpolitik, sozial relevante Tatbestände im eigenen Staatsgebiet zu formen und zu regeln (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juli 1998 - 1 BvR 810/90 -, NJW 1998, S. 2963; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. Dezember 1999 - 1 BvR 809/95 -, JURIS). Das Ruhen des krankenversicherungsrechtlichen Leistungsanspruchs beruht auf dem das System der gesetzlichen Krankenversicherung prägenden Sachleistungsgrundsatz (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Die Versicherten erhalten die medizinisch notwendigen Leistungen als Dienst- oder Sachleistung umfassend und kostenfrei (vgl. bereits BVerfGE 11, 30 <31>). Solche Leistungen können aber nur im Inland erbracht werden (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesundheits-Reformgesetz, BTDrucks 11/2237, S. 164 f.). Es ist daher sachlich gerechtfertigt, wenn das Gesetz die Erbringung von Krankenversicherungsleistungen im Ausland von besonderen Voraussetzungen abhängig macht.

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht, eine Ausnahme von der Ruhensvorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in den Fällen vorzusehen, in denen aufgrund von Art. 10 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel vom 17. Dezember 1973 (DISVA) ein Beschäftigungsverhältnis in Israel dem deutschen Sozialversicherungsrecht untersteht. Art. 10 DISVA eröffnet die Möglichkeit, sich von den Vorschriften über die Versicherungspflicht im Beschäftigungsstaat (hier: Israel) befreien zu lassen und sich den Vorschriften über die Versicherungspflicht des anderen Staates (hier: Deutschland) zu unterwerfen. Den in § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V vorgesehenen Leistungsausschluss im Fall des Auslandsaufenthalts hat die Beschwerdeführerin bei diesem gewillkürten Wechsel in die deutsche Sozialversicherung aber als geltendes Recht vorgefunden. Materiellrechtliche Besserstellungen gegenüber dem nationalen deutschen Sozialversicherungsrecht intendiert das DISVA gegenüber der Beschwerdeführerin als deutscher Staatsangehöriger nicht; sein Regelungsgehalt beschränkt sich auf die Gleichstellung und Gleichbehandlung der Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaats bei gewöhnlichem Aufenthalt im Gebiet eines Vertragsstaates (vgl. Art. 3, 4 DISVA).

Vor Art. 3 Abs. 1 GG ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen davon ausgegangen sind, die Beschwerdeführerin könne keine Ansprüche gegen ihren Arbeitgeber nach § 17 Abs. 1 SGB V geltend machen. Denn diese Vorschrift nimmt bei einer Beschäftigung im Ausland den Arbeitgeber in besonders intensiver Weise in die Pflicht. Dieser hat nicht nur den Arbeitgeberanteil am Sozialversicherungsbeitrag zu zahlen, sondern wird darüber hinaus verpflichtet, seinem Arbeitnehmer die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in grundsätzlich unbeschränktem Umfang zur Verfügung zu stellen, während er selbst gegenüber der Krankenkasse nur einen beschränkten Kostenerstattungsanspruch nach § 17 Abs. 2 SGB V hat. Das ist aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers in Bezug auf solche Arbeitnehmer gerechtfertigt, die aufgrund einer den Interessen des Arbeitgebers dienenden Entsendung künftig auf ein ihnen bislang regelmäßig unbekanntes krankenversicherungsrechtliches Leistungsangebot innerhalb eines ausländischen Systems zurückgreifen müssen. Es ist verfassungsrechtlich nichts dagegen einzuwenden, wenn die Gerichte demgegenüber bei dem von der Beschwerdeführerin verkörperten Personenkreis eine unterschiedliche Ausgangslage angenommen und deshalb § 17 Abs. 1 SGB V auf ihn nicht angewandt haben. Da er bereits dauerhaft in das soziale Sicherungssystem des Beschäftigungsstaates integriert ist und dieses nur aufgrund einer Sonderregelung des zwischenstaatlichen Rechts wieder verlässt, kann eine besondere Verantwortung des Arbeitgebers für den Krankenversicherungsschutz nicht erkannt werden. Nichts anderes gilt für den Umstand, dass der Arbeitgeber der Unterstellung unter das deutsche Sozialversicherungsrecht zugestimmt hat. Für die mit einem solchen Systemwechsel verbundenen Vor- und Nachteile ist die Beschwerdeführerin in gleicher Weise verantwortlich wie ihr Arbeitgeber.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.