FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.12.2011 - 3 V 3699/11
Fundstelle
openJur 2012, 67567
  • Rkr:
Tenor

1. Die Vollziehung der Bescheide über die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte 2012 vom 10. Oktober 2011 11.. und 22.. wird dergestalt ausgesetzt, dass ab dem 1. Januar 2012 bis 1 Monat nach einer Entscheidung über die Einsprüche der Antragsteller gegen die beiden genannten Bescheide beim Antragsteller zu 1. vorläufig die Steuerklasse III und beim Antragsteller zu 2. vorläufig die Steuerklasse V berücksichtigt wird. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Beschwerde wird zugelassen.

Tatbestand

I. Die Beteiligten streiten im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) darüber, ob die Antragsteller, seit 2010 Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, für das Jahr 2012 (Streitjahr) die Steuerklassenkombination III/V wählen können.

Die Antragsteller sind Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Der Antragsteller zu 1. bezieht Versorgungsbezüge und erzielt daneben Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die im Jahr 2008 über 410 EUR und in den Jahren 2009 und 2010 unter 410 EUR lagen. Der Antragsteller zu 2. bezieht Altersrente in nicht bekannter Höhe, da er seit 2002 beim Antragsgegner (dem Finanzamt --FA--) steuerlich nicht mehr geführt wird; das Einkommensteuersignal für den Antragsteller zu 2. wurde gelöscht. Ob für die Antragsteller im Jahr 2012 nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine Pflichtveranlagung durchzuführen sein wird, weil sie andere Einkünfte über 410 EUR beziehen, steht danach nicht sicher fest. Jedoch geben die Antragsteller an, dass im Jahr 2012 eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durchzuführen sein wird.

Das FA lehnte den --von den Antragstellern gemeinsam gestellten-- Antrag vom 4. Oktober 2011, auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers zu 1. statt der Steuerklasse I die Steuerklasse III und auf der Lohnsteuerkarte des Antragstellers zu 2. statt der Steuerklasse I die Steuerklasse V einzutragen, durch Bescheide vom 10. Oktober 2011 ab. Über die dagegen --gemeinsam-- eingelegten Einsprüche der Antragsteller vom 14. Oktober 2011 ist noch nicht entschieden; die Einspruchsverfahren ruhen (mit Zustimmung der Antragsteller) nach § 363 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO).

Zusammen mit den Einsprüchen beantragten die Antragsteller beim FA AdV. Diese Anträge lehnte das FA durch Bescheide vom 19. Oktober 2011 und 20. Oktober 2011 ab.

Mit ihrem --gemeinsam erhobenen-- Antrag auf AdV bei Gericht verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter. Sie machen geltend, die Versagung der Zusammenveranlagung für Partner einer eingetragenen Lebensgemeinschaft sei verfassungswidrig. Sie seien nicht ledig, sondern verpartnert. Von dem her müsse ihnen, den Antragstellern, von Verfassungs wegen auch die Wahl der Steuerklassen III und V offenstehen.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß, die Vollziehung der beiden angefochtenen Bescheide vom 10. Oktober 2011 dergestalt auszusetzen, dass vorläufig angeordnet wird, für das ganze Jahr 2012 die Steuerklasse des Antragstellers zu 1. von I in III und die Steuerklasse des Antragstellers zu 2. von I in V zu ändern.

Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.

Gründe

II. Der zulässige Antrag ist ganz überwiegend begründet; im Übrigen ist er abzulehnen. Der Antrag ist zulässig und es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung steht der beantragten AdV nicht entgegen. Jedoch ist die AdV nicht für das gesamte Jahr 2012 anzuordnen, sondern nur bis 1 Monat nach Ergehen der Einspruchsentscheidung.

1. Der Antrag ist zulässig.

a) Im finanzgerichtlichen Verfahren sehen §§ 69, 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zwei Arten des einstweiligen Rechtsschutzes vor: AdV und einstweilige Anordnung, wobei die AdV vorrangig ist (§ 114 Abs. 5 FGO). Die Abgrenzung, auf welchem der beiden Wege einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren ist, erfolgt grundsätzlich danach, welche Klage im Hauptsacheverfahren zu erheben ist: Ist zutreffende Klageart in der Hauptsache die Anfechtungsklage, wird einstweiliger Rechtsschutz durch AdV gewährt, bei allen anderen Klagearten ist grundsätzlich eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO zu beantragen (Gräber/Koch, FGO, Kommentar, 7. Auflage, § 69 FGO Rz. 5 und 33; Beermann/Gosch, AO/FGO, Kommentar, § 69 FGO Rz. 16 und § 114 FGO Rz. 7; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Kommentar, § 114 FGO Rz. 22; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 114 FGO Rz 8, alle m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).

b) Das Begehren in der Hauptsache, eine Änderung der Steuerklasse vorzunehmen, ist zwar möglicherweise mit der Verpflichtungsklage geltend zu machen (so Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Januar 1983 VI B 98/82, nicht veröffentlicht --n.v.--, juris; a.A. wohl BFH-Beschluss vom 11. Mai 1973 VI B 116/72, BFHE 109, 302, BStBl II 1973, 667: Anfechtungsklage; ebenso z.B. Blümich/Thürmer, EStG/KStG/GewStG, Kommentar, § 39 EStG Rz. 42; Fissenewert in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, Kommentar, § 39 EStG Rz. 5). In diesem Fall wäre vorläufiger Rechtsschutz an sich im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu suchen (so im Ergebnis BFH-Beschluss vom 3. August 1990 VI B 136/88, BFH/NV 1991, 242).

c) Allerdings neigt der III. Senat des BFH (BFH-Beschluss vom 8. Juni 2011 III B 210/10, BFH/NV 2011, 1692) dazu, dass vorläufiger Rechtsschutz bei Ablehnung der Änderung der Steuerklasse -ebenso wie bei Ablehnung der Eintragung eines Freibetrags (hierzu z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. April 1992 VI B 152/91, BFHE 167, 152, BStBl II 1992, 752; vom 12. April 1994 X S 20/93, BFH/NV 1994, 783; vom 1. Februar 2006 X B 166/05, BFHE 212, 242, BStBl II 2006, 420; vom 23. August 2007 VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799; vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826)-- durch AdV zu gewähren ist. Dem ist beizupflichten; denn die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte sind nach § 39 Abs. 3b Satz 4 EStG gesonderte Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen. Sie bilden --jedenfalls für den Übergangszeitraum des § 52b Abs. 1 EStG noch-- die (im Falle der Antragsteller negative) Grundlage für die Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber des Antragstellers zu 1. Vorläufiger Rechtsschutz gegen Feststellungsbescheide, die Grundlagenbescheide sind, erfolgt nach der Rechtsprechung des BFH durch Gewährung von AdV (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637; vom 15. März 1995 I B 121/94, BFH/NV 1995, 975). Dem ist auch für § 39 Abs. 3b Satz 4 EStG (in Zukunft: § 52b Abs. 6 Satz 1 EStG) zu folgen.

d) Soweit die Antragsteller den Antrag gemeinsam gestellt haben, liegt eine zulässige Streitgenossenschaft (§ 59 FGO i.V.m. § 59 ff. der Zivilprozessordnung --ZPO--) vor.

2. Der Antrag ist zum überwiegenden Teil begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Eintragung der Steuerklassen III und V.

a) Nach § 69 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO soll auf Antrag eine AdV erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift nimmt der BFH an, wenn sich bei summarischer Prüfung für und gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gesichtspunkte ergeben, die zu einer Unsicherheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Rechts- oder Tatfragen führen, und wenn die nicht fernliegende -ernstliche- Möglichkeit besteht, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren obsiegen wird (BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2009 III B 233/08, juris, m.w.N.). Dabei ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. Mai 1998 III B 9/98, BFHE 186, 236, BStBl II 1998, 721; vom 16. Juni 2004 I B 44/04, BFHE 206, 284, BStBl II 2004, 882). Es genügt, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg; ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 2009 VIII B 62/09, BFHE 226, 353, BStBl II 2010, 180; vom 25. November 2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484). Ernstliche Zweifel können danach z.B. bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (BFH-Beschlüsse vom 8. September 2009 II B 63/09, BFH/NV 2010, 68; vom 29. Juli 2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449, BFH/NV 2009, 1567). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage nicht im summarischen Verfahren der AdV zu entscheiden (z.B. BFH-Beschlüsse vom 9. August 2007 V B 96/07, BFHE 217, 319, BStBl II 2007, 850; vom 21. Juli 2009 II B 8/09, BFH/NV 2009, 1845; vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826; vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322).

b) Ausgehend davon bestehen im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit.

aa) Gemäß § 52b Abs. 1 Satz 1 EStG gilt die Lohnsteuerkarte 2010 mit den eingetragenen Lohnsteuerabzugsmerkmalen auch für den Steuerabzug vom Arbeitslohn ab dem 1. Januar 2011 bis zur erstmaligen Anwendung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM). Die Eintragungen der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte 2010 (§§ 38b, 39 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG) sind --abweichend von § 39e Abs. 9 Satz 1 EStG-- zunächst auch noch für den Lohnsteuerabzug im Jahr 2012 bedeutsam; denn ein Schreiben im Sinne des § 52b Abs. 5, § 39e Abs. 10 Satz 1 EStG wurde vom BMF noch nicht veröffentlicht. Die Einführung der ELStAM wird sich vielmehr über den 1. Januar 2012 hinaus verzögern (so jedenfalls die Mitteilung des BMF vom 31. Oktober 2011, www.bundesfinanzministerium.de).

Hieraus ergibt sich gleichzeitig, dass die zeitliche Wirkung einer AdV im Hinblick auf Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte wegen § 52b Abs. 1 und 5 EStG auf den Zeitraum bis zur Einführung der ELStAM begrenzt ist. Danach sind für den Lohnsteuerabzug die ELStAM i.S. des § 39e, § 52b Abs. 5 ff. EStG und nicht mehr die Lohnsteuerkarte 2010 maßgeblich (vgl. zum Übergang zum neuen Recht und zur neuen Antragstellung: BMF-Schreiben vom 5. Oktober 2010, BStBl I 2010, 762, unter IV.2).

bb) Für die Durchführung des Lohnsteuerabzugs werden unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer in Steuerklassen eingereiht. Nach § 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a EStG gehören in die Steuerklasse III u.a. Arbeitnehmer, die verheiratet sind, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte des Arbeitnehmers keinen Arbeitslohn bezieht oder der Ehegatte des Arbeitnehmers auf Antrag beider Ehegatten in die Steuerklasse V eingereiht wird. In die Steuerklasse V gehören Arbeitnehmer, deren Ehegatte auf Antrag beider Ehegatten in die Steuerklasse III eingereiht wird (§ 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 EStG).

Diese Voraussetzungen für eine Einreihung der Antragsteller in die Steuerklassen III und V liegen im Streitfall nicht vor; denn die Antragsteller sind zwar beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und haben beide die Steuerklassenkombination III/V gewählt, aber sie sind keine Ehegatten. Die Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft werden insoweit vom Gesetz anders behandelt als verheiratete Ehegatten.

cc) Allerdings ist ernstlich zweifelhaft, ob diese Ungleichbehandlung verfassungsgemäß ist. In der Rechtsprechung der Finanzgerichte (FG) werden dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten: Während das FG München durch Beschluss vom 5. August 2010 8 V 1107/10 (EFG 2011, 67) und der 12. Senat des FG Baden-Württemberg durch Beschluss vom 8. Juni 2011 12 V 1468/11 (EFG 2011, 1619) keinen einstweiligen Rechtsschutz gewährt haben, haben das Niedersächsische FG im Beschluss vom 1. Dezember 2010 13 V 239/10 (juris; aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben durch BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1692) und der 9. Senat des FG Baden-Württemberg im Beschluss vom 16. Mai 2011 9 V 1339/11 (nicht veröffentlicht, rechtskräftig) im Verfahren der einstweiligen Anordnung ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses und damit einen Anordnungsanspruch i.S. des § 114 FGO bejaht.

Die angemeldeten ernstlichen Zweifel folgen zum Einen aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 21. Juli 2010 1 BvR 2464/07 (BFH/NV 2010, 1985: Verfassungswidrigkeit der Benachteiligung von Lebenspartnerschaften bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer) sowie zum Anderen aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 10. Mai 2011 C-147/08 --Römer-- (NJW 2011, 2187: Unionsrechtswidrigkeit der Diskriminierung von Lebenspartnerschaften bei der Berechnung von Versorgungsbezügen durch Zugrundelegung der Steuerklasse I statt III). Letztgenanntes Urteil hat für das Hauptsacheverfahren besondere Bedeutung, weil der Antragsteller zu 1. Versorgungsbezüge mit Lohnsteuerklasse III beziehen will.

c) Der BFH hat sich zu der Frage, ob diese beiden neuen Entscheidungen des BVerfG und des EuGH zu ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 5 EStG Anlass geben, noch nicht geäußert. Der BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1692 hat die materielle Rechtsfrage aus anderen Gründen offen lassen müssen. Der BFH hält aber immerhin insoweit Aussetzungen von Hauptsacheverfahren nach § 74 FGO im Hinblick auf die beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden 2 BvR 909/06 und 2 BvR 288/07 für ermessensgerecht (BFH-Beschluss vom 16. Juli 2011 III B 217/10, BFH/NV 2011, 1901).

d) Der Senat muss für die Annahme ernstlicher Zweifel nicht entscheiden, ob er selbst § 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 5 EStG für verfassungswidrig hält. Für ihn genügt derzeit die Feststellung, dass in der Finanzgerichtsbarkeit zu dieser Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und darüber unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des BVerfG und des EuGH höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde. Bereits dies genügt derzeit für die Annahme ernstlicher Zweifel; über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift ist im Hauptsacheverfahren zu befinden.

3. Die Gewährung von AdV ist auch nicht deshalb zu versagen, weil der Anspruch der Antragsteller auf Gewährung effektiven vorläufigen Rechtsschutzes hinter ein öffentliches Interesse an einer geordneten Haushaltsführung zurücktreten müsste.

a) Im Falle von ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift ist nach bisheriger Rechtsprechung des BFH wegen des Geltungsanspruchs jedes verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein (besonderes) berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich. Danach soll eine Interessenabwägung zwischen der einer AdV entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine AdV sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen geboten sein (z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104; vom 19. August 1994 X B 319/93, BFH/NV 1995, 143; vom 6. November 2001 II B 85/01, BFH/NV 2002, 508; vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 5. April 2011 II B 153/10, BFHE 232, 380, BFH/NV 2011, 1082). Jedoch lassen mehrere Senate des BFH offen, ob sie dieser vom BVerfG bestätigten (BVerfG-Beschluss vom 3. April 1992 2 BvR 283/92, HFR 1992, 726) Rechtsprechung noch folgen könnten (z.B. BFH-Beschlüsse vom 5. März 2001 IX B 90/00, BFHE 195, 205, BStBl II 2001, 405; vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367; vom 31. Januar 2007 VIII B 219/06, BFH/NV 2007, 914; vom 23. August 2007 VI B 42/07, BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799; vom 25. August 2009 VI B 69/09, BStBl II 2009, 826).

b) Der beschließende Senat lässt ebenfalls offen, ob er dieser Rechtsprechung folgen könnte. Er hat Zweifel an der Richtigkeit dieser Rechtsprechung, weil Art. 19 Abs. 4 GG auch effektiven vorläufigen Rechtsschutz garantiert und gerichtlicher Rechtsschutz in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22. September 2009 1 BvR 1305/09, DStR 2009, 2146). Genau dies steht jedoch zu befürchten, wenn Fachgerichte dem Fiskus trotz ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift die auf der Norm beruhenden Steuereinnahmen durch Versagung von AdV vorläufig belassen, obwohl man ahnt oder weiß, dass der Fiskus die über mehrere Jahre an sich nur vorläufig vereinnahmte Steuer nicht ohne Gefährdung der geordneten Haushaltsführung des Rückzahlungsjahres wird wieder in einer Summe an die Steuerpflichtigen auskehren können, wenn das BVerfG zu der Auffassung gelangen sollte, die Norm sei verfassungswidrig. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht auszuschließen, dass eine Versagung von AdV schlussendlich zu einer Weitergeltungsanordnung des BVerfG führt, die das BVerfG nicht ausgesprochen hätte, wenn die Fachgerichte zuvor AdV gewährt hätten. Zudem gefährdet die Versagung von AdV unter Berufung auf die geordnete Haushaltsführung des AdV-Jahres die geordnete Haushaltsführung des möglichen Rückzahlungsjahres.

c) Dies bedarf indes vorliegend keiner Entscheidung; denn hier ist schon gar nicht ersichtlich, dass durch die Gewährung von AdV das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung gefährdet sein könnte (vgl. Senatsbeschluss vom 12. September 2011 3 V 2820/11, www.fg-baden-wuerttemberg.de, unter Entscheidungen).

aa) Zunächst einmal hat das FA eine konkrete Gefährdung der geordneten Haushaltsführung, die das (verfassungsrechtlich geschützte) Interesse der Antragsteller an der Gewährung effektiven vorläufigen Rechtsschutzes überwiegen könnte, weder konkret dargelegt noch nachgewiesen. Eine solche Gefährdung ist auch nicht sonst ersichtlich. Die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte dürften erheblich geringer sein als z.B. im BFH-Beschluss in BFHE 218, 558, BStBl II 2007, 799 zur sog. Entfernungspauschale, bei der schon der BFH keine konkrete Gefährdung der Haushaltsführung gesehen und auch das BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008 2 BvL 2/08 (BVerfGE 122, 210, BFH/NV 2009, 338) später keine Weitergeltungsanordnung ausgesprochen hat.

bb) Der Senat trifft mit der Gewährung von AdV auch keine weitergehende Entscheidung als vom BVerfG zu erwarten ist; denn bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerden 2 BvR 288/07, 2 BvR 1981/06 oder 2 BvR 909/06 ist eine Weitergeltungsanordnung aus Sicht des beschließenden Senats nicht zu erwarten. Der BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2010, 1985 hat nämlich keine Weitergeltung für die Erbschaft- und Schenkungsteuer angeordnet, sondern --wegen der vergleichsweise geringen Zahl eingetragener Lebenspartnerschaften-- eine rückwirkende Beseitigung der Diskriminierung ab 2001 verlangt. Diese Erwägung dürfte im vorliegenden Zusammenhang wohl ebenso gelten.

c) Und zuletzt hat das EuGH-Urteil in NJW 2011, 2187 eine rückwirkende Beseitigung einer unionsrechtlich unzulässigen Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften (dort: ab Dezember 2003) verlangt, die letztlich auf der Beschränkung der Steuerklasse III auf verheiratete Arbeitnehmer (§ 38b Satz 2 Nr. 3 EStG) beruht. Für eine mögliche Unionsrechtswidrigkeit auch des § 38b EStG, z.B. im Hinblick auf Art. 10 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), gilt die zitierte BFH-Rechtsprechung ohnehin nicht, weil nach der Rechtsprechung des EuGH die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einer Vorabentscheidung für einen Mitgliedstaat ergeben können, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen des betreffenden Urteils rechtfertigen (vgl. z.B. EuGH-Urteile vom 17. Februar 2005 C-462/02 u.a., Linneweber und Akritidis, Slg 2005, I-1131, BFH/NV 2005, Beilage 2, 94, Randnr. 44; vom 3. Juni 2010 C-2/09, Kalinchev, HFR 2010, 880, Randnr. 50 ff., m.w.N.).

d) Die Hauptsache wird auch nicht sonst vorweggenommen. Zwar kommt eine Analogie zu § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG im Streitfall wohl nicht in Betracht, weil der Antragsteller zu 2. keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezieht. Auch kann im Jahr 2011 noch nicht sicher feststehen, dass für die Antragsteller im Jahr 2012 nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Veranlagung durchzuführen sein wird. Jedoch besteht zu Zweifeln an der Prognose der Antragsteller, es werde im Jahr 2012 eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durchzuführen sein, kein Anlass, nachdem der Antragsteller zu 1. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt, die für sich genommen bereits um die Grenze von 410 EUR pendeln, und die Renteneinkünfte des Antragstellers zu 2. noch hinzukommen. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der Antragsteller kann demnach eine Korrektur erfolgen, wenn das BVerfG alle drei genannten Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung annehmen bzw. diese für unbegründet erklären sollte.

4. Der beantragten AdV steht § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO nicht entgegen; denn dieser betrifft die vorliegende Konstellation nicht.

5. Allerdings befristet der Senat die AdV anders als beantragt; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Da AdV längstens bis zum bestandskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens angeordnet werden kann (Gräber/Koch, FGO, § 69 FGO Rz. 151), wird AdV nur bis 1 Monat nach Ergehen der Einspruchsentscheidung angeordnet. Ggf. ist danach (im Fall der Klage) ein neuer Antrag --beim FA-- zu stellen.

Auf die aus § 52b Abs. 1 und 5 EStG folgende zusätzliche Zeitgrenze wird ergänzend hingewiesen; zu diesem Zeitpunkt wird sich das Einspruchsverfahren in der Hauptsache erledigen, weil der Arbeitgeber danach die ELStAM anwenden muss (§ 52b Abs. 5 Satz 4 EStG) und die Lohnsteuerkarte vernichten darf (§ 52b Abs. 1 Satz 4 EStG).

6. Die AdV wird ohne Sicherheitsleistung angeordnet, weil ein -vom FA darzulegendes (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Mai 2008 IX S 26/07, BFH/NV 2008, 1498)- Sicherungsbedürfnis weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist.

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

8. Die Beschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts zugelassen.