AG Lörrach, Beschluss vom 25.10.2006 - 25 UR II 3/06
Fundstelle
openJur 2012, 65622
  • Rkr:

Auch wenn die Wahrnehmung von Rechten nicht mutwillig iSd § 1 Abs.1 Nr.3 BerHG ist, setzt die Bewilligung von Beratungshilfe die Erforderlichkeit der Hilfe und damit ein allgemeines Rechtsschutzinteresse voraus. Erforderlich ist die Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten nur, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls Anlass zu der Befürchtung geben, der Hilfsbedürftige werde ohne diese Hilfe nicht imstande sein, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen.

Tenor

Die als Erinnerung gemäß § 6 Abs. 2 Beratungshilfegesetz auszulegende sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe abweisenden Beschluss des Amtsgerichts Lörrach vom 22.08.2006 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Empfänger von Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid der GAL L. vom 12.06.2006 wurden für ihn für den Zeitraum 01.07.2006 - 31.12.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts u.a. auf der Grundlage des pauschalierten Regelsatzes von 345,00 EUR/mtl. festgesetzt. Der Antragsteller ließ sich deshalb anwaltlich durch seine jetzigen Verfahrensbevollmächtigten beraten, die für ihn Widerspruch gegen den Bescheid mit der Begründung eingelegt haben, der angegebene Regelsatz decke das sozio-kulturelle Existenzminimum nicht ab und verstoße daher gegen das Sozialstaatsprinzip und die Menschenwürde. Hierfür hat der Antragsteller am 14.08.2006 die nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe beantragt.

In einem vorangegangenen Verfahren (UR 66/06) war dem Antragsteller bereits am 03.02.2006 Beratungshilfe bewilligt worden. Grundlage der damaligen Entscheidung war ein Widerspruch gegen den vorangegangenen Arbeitslosengeld II-Bescheid, gegen den er mit im Wesentlichen gleicher Begründung wie im vorliegenden Verfahren Widerspruch eingelegt hatte.

Im vorliegenden Verfahren hat der zuständige Rechtspfleger den Antrag auf nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe am 22.08.2006 mit der Begründung abgelehnt, es läge Mutwillen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG und Identität mit dem vorangegangenen Verfahren vor. Der Antragsteller hat hiergegen - anwaltlich vertreten - sofortige Beschwerde eingelegt und die Ansicht vertreten, es läge weder Verfahrensidentität noch Mutwillen vor.II.

Der als Erinnerung nach § 6 Abs. 2 BerHG statthafte und zulässige Rechtsbehelf hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der als sofortige Beschwerde bezeichnete Rechtsbehelf des Antragstellers vom 22.08.2006 ist als Erinnerung nach § 6 Abs. 2 BerHG auszulegen. Eine Auslegung als Erinnerung nach §§ 55 Abs. 4, 56 RVG scheidet aus, nachdem die nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe schon dem Grunde nach zurückgewiesen worden ist (vgl. AG Koblenz JurBüro 2003, 369; LG Berlin Rpfleger 1996, 464 ff; Hellstab Rpfleger 2006, 252 f; RVGreport 2005, 2 ff; Schoreit/Dehn, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe, 8. Aufl., § 6 Rdn 3 mwN). Im Rahmen eines Verfahrens auf Bewilligung von Beratungshilfe ist gegen den zurückweisenden Beschluss des nach § 24a Abs. Nr. 1 RPflG zuständigen Rechtspflegers (lediglich für das Festsetzungsverfahren besteht gem. § 55 Abs.4 RVG die Zuständigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftstelle) daher nur die unbefristete Erinnerung nach § 6 Abs. 2 BerHG statthaft. Über diese entscheidet der Richter am Amtsgericht - nach vorheriger Abhilfeentscheidung des Rechtspflegers (§ 11 Abs. 2 Satz 2 RpflG) - endgültig (OLG Stuttgart MDR 84, 153; BayObLG NJW - RR 1994, 831 f; OLGR Karlsruhe 2003, 148f; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe , 4. Aufl., Rdn 991 f), Die Staatskasse ist am Verfahren nicht beteiligt (AG Freiburg JurBüro 1987, 614 ff - die VwV des Justizministeriums Baden Württemberg vom 04.02.2005, GOBezRev, hat insoweit keine Änderung gebracht).

2. Die Erinnerung ist jedoch unbegründet.

a) Allerdings besteht zwischen der streitgegenständlichen Angelegenheit und derjenigen des vorausgegangenen Beratungshilfeverfahrens UR 66/06 keine Identität. Es handelt sich nicht um eine Angelegenheit im Sinne des Beratungshilfegesetzes.

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob der Begriff der Angelegenheit im Sinne des § 2 Abs. 2 BerHG nach dem Lebenssachverhalt oder nach dem gebührenrechtlichen Begriff der Angelegenheit bestimmt werden soll (AG Brandenburg NJOZ 2006, 668 ff; Enders JurBüro 2005, 294; Kalthoener Rdn 1012 ff). Da durch das Beratungshilferecht die Vergütung des Rechtsanwalts anderweitig geregelt wird, ist mit der zutreffenden Ansicht (Kindermann FGR 2005, 390, 393) darauf abzustellen, dass im Beratungshilfegesetz kein anderer Begriff der Angelegenheit zugrunde zu legen ist als im RVG. Da dem vorausgegangenen Beratungshilfeverfahren und dem vorliegenden zwei verschiedene ALG II-Bescheide für unterschiedliche Bewilligungszeiträume zugrunde lagen und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein einheitlicher Auftrag bezüglich beider ALG II-Bescheide erteilt worden ist oder die Ansprüche gemeinsam behandelt werden sollten (eine andere Fallkonstellation - unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zweier Bescheide - betreffen die Entscheidungen LG Göttingen Rpfleger 2002, 160; AG Osnabrück FamRZ 99, 392), liegen abweichende Gegenstände und damit unterschiedliche Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne vor. Es liegen damit auch mehrere Angelegenheiten im Sinne der Beratungshilfe vor.

b) Die Wahrnehmung der Rechte - hier entsprechende Beratung und Einlegung eines Widerspruches gegen den ALG II-Bescheid vom 12.06.2006 - war auch nicht mutwillig im Sinne des § 1 Abs. 1 Ziffer 3 BerHG. Die Wahrnehmung der Rechte wäre nämlich nur dann mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise wahrnehmen würde (vgl. zu § 114 ZPO: OLG Nürnberg FamRZ 1995, 371; KG MDR 2004, 710). Hiervon kann vorliegend jedoch nicht ausgegangen werden. Die Beratungshilfe dient im übrigen nämlich auch gerade dazu, den Antragsteller über die Erfolgsaussichten zu unterrichten. Auf die Erfolgsaussichten selbst kommt es im Regelfall nicht an. Es kommt damit auch nicht auf die Entscheidung der umstrittenen Rechtsfrage an, ob der Begriff der Mutwilligkeit im Beratungshilfegesetz mit demjenigen der Mutwilligkeit im Sinne von § 114 ZPO gleichzusetzen ist (Schoreit/Dehn § 1 BerHG Rdn 100 mwN auch zur Gegenansicht).

c) Beratungshilfe ist allerdings Hilfe für die Wahrung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens (Legaldefinition in § 1 Abs. 1 BerHG). Deren Bewilligung setzt daher denknotwendig voraus, dass Hilfe überhaupt erforderlich ist. Sinn der Beratungshilfe ist es nämlich, die Chancengleichheit bei der Rechtsdurchsetzung für einkommensschwache Bevölkerungskreise, die sich Rechtsrat und Rechtsvertretung auf eigene Kosten nicht leisten können, zu verbessern. Diesen sollen auch außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens dieselben Möglichkeiten offen stehen, über ihre Angelegenheit rechtlich durch Anwaltsberatung aufgeklärt zu werden und auch gegebenenfalls vertreten zu werden. Zwar setzt der Begriff Hilfe bei teleologischer Auslegung deren Erforderlichkeit nicht voraus. Jedoch ist nach dem Sinn und Zweck von Beratungshilfe im Sinne des Beratungshilfegesetzes unter dem Begriff Hilfe immer eine notwendige, erforderliche Hilfe zu verstehen (AG Koblenz Rpfleger 1996, 164 f). Die Bewilligung von Beratungshilfe hat daher zur Voraussetzung, dass Hilfe überhaupt erforderlich ist und damit ein allgemeines Rechtsschutzinteresse besteht (Kalthoener Rdn 960). Fehlt es hieran, etwa weil es dem Antragsteller zuzumuten ist, seine Rechte selbst wahrzunehmen, kann Beratungshilfe nicht bewilligt werden (iE ebenso LG München JurBüro 1984, 447, 449; AG Geldern JurBüro 1987, 142; AG Ulm, Rpfleger 1987, 461; AG Westerburg Rpfleger 1998, 478, die die Frage der Notwendigkeit der Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe allerdings unter dem Begriff der Mutwilligkeit im Sinne des § 1 Abs.1 Nr. 3 BerHG bzw. der anderen Möglichkeit im Sinne des 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG fassen, was systematisch problematisch ist, vgl. Kalthoener Rdn. 958; Schoreit/Dehn § 1 BerHG Rdn. 40; Meyer Rpfleger 1988, 109).

Für die Entscheidung der Frage, ob Hilfsbedürftigkeit im soeben genannten Sinne besteht oder bestanden hat, erscheint es nahe liegend, die Kriterien der Rechtsprechung zur Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO entsprechend heranzuziehen. Erforderlich ist daher die Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls Anlass zu der Befürchtung geben, der Hilfsbedürftige werde ohne diese Hilfe nicht imstande sein, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen.

Nach diesen Grundsätzen war der Antragsteller zur Wahrnehmung seiner Rechte auf Hilfe im Sinne des § 1 Beratungshilfegesetz nicht angewiesen. Nachdem ihm aufgrund der anwaltlichen Beratung hinsichtlich des vorausgegangenen ALG II-Bescheides die Problematik erläutert worden war (hierfür ist Beratungshilfe gewährt worden) und der anschließende ALG II-Bescheid keine neuen Gesichtspunkte enthielt, hätte er ohne weiteres auch gegen diesen Bescheid Widerspruch einlegen können und sich zu dessen Begründung auf die Begründung des vorangegangenen Widerspruchs beziehen oder diesen wiederholen können. Hierzu bedurfte der Antragsteller keiner (erneuten) anwaltlichen Hilfe.

Die Erinnerung war daher zurückzuweisen.