VG Karlsruhe, Beschluss vom 09.12.2008 - A 4 K 3916/08
Fundstelle
openJur 2012, 61061
  • Rkr:

Der Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 VwGO gegen eine Abschiebungsanordnung nach Österreich steht § 34 a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen. Denn diese Vorschrift ist verfassungsgemäß restriktiv dahin auszulegen, dass sie Sachverhalte nicht erfasst, in denen der Ausländer sich gegen die Modalitäten des Vollzugs der Aufenthaltsbeendigung mit humanitären und persönlichen Gründen wendet oder Einwendungen für eine individuelle Gefährdung im Drittstaat geltend macht.

Im Fall der Zuständigkeit eines anderen Staates für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27 a AsylVfG besteht ausnahmsweise eine umfassende Zuständigkeit des Bundesamtes für alle der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gesichtspunkte, also für zielstaatsbezogene Aspekte und sonstige der Abschiebung entgegenstehende inländische Vollzugshindernisse.

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Österreich bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Asylverfahren des Antragstellers zu unterlassen und der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Österreich aufgrund der Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.11.2008 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Asylverfahren des Antragstellers nicht durchgeführt werden darf.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Nachdem die Antragsgegnerin nicht die zuständige Abschiebebehörde ist, war der Antrag des Antragstellers sachdienlich (vgl. § 88 VwGO) dahingehend auszulegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) dazu verpflichtet wird, alle Maßnahmen zu ergreifen, dass der Antragsteller nicht entsprechend der Abschiebungsanordnung nach Österreich abgeschoben wird.

Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist als Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Ihm fehlt nicht deshalb das notwendige Rechtsschutzbedürfnis, weil dem Antragsteller die Abschiebungsanordnung nach Österreich noch nicht zugestellt wurde. Ihm ist es nämlich nicht zuzumuten, mit einer Antragstellung zuzuwarten, bis die Abschiebungsanordnung zugestellt ist, da ansonsten bei der dann unmittelbar stattfindenden Abschiebung die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG ggf. unzumutbar erschwert wäre (vgl. VG Saarlouis, Beschl. v. 23.07.2008 - 2 L 446/08 -; VG Gießen, Beschl. v. 25.04.2008 - 2 L 201/08.GI.A -, InfAuslR 2008, 327).

Der Zulässigkeit des Antrages steht auch § 34 a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen, wonach die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf. Denn diese Vorschrift ist verfassungsgemäß restriktiv dahin auszulegen, dass sie Sachverhalte nicht erfasst, in denen der Ausländer sich gegen die Modalitäten des Vollzugs der Aufenthaltsbeendigung mit humanitären und persönlichen Gründen wendet oder Einwendungen für eine individuelle Gefährdung im Drittstaat geltend macht (vgl. VG Stuttgart, Beschl. v. 16.10.2008 - 6 K 3489/08 -; VG Saarlouis, Beschl. v. 23.07.2008, a.a.O.; VG Gießen, Beschl. v. 25.04.2008, a.a.O., jeweils unter Hinweis auf BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 -, BVerfGE 94, 49).

Dass nach der sich im Falle der Stellung eines Asylantrages aus § 5 Abs. 1 Satz 1, § 24 Abs. 2 AsylVfG, § 71 Abs. 1 AufenthG ergebenden Aufgabenverteilung das Bundesamt zielstaatsbezogene Aspekte und die Ausländerbehörde sonstige der Abschiebung entgegenstehende Vollzugshindernisse zu untersuchen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. 11.1997 - 9 C 13.96 -, BVerwGE 105, 322; Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58.96 ,- BVerwGE 105, 383), steht dem nicht entgegen. Denn im Fall der Zuständigkeit eines anderen Staates für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27 a AsylVfG besteht ausnahmsweise eine umfassende Zuständigkeit des Bundesamtes für alle der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gesichtspunkte. Das Bundesamt trifft nach § 27 a AsylVfG die Entscheidung, dass der Asylantrag unzulässig ist, teilt dem Ausländer nach § 30 Abs. 6 AsylVfG mit, welcher Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ordnet gem. § 34 a AsylVfG die Abschiebung in diesen Staat an. Dieses Verfahren ist auf eine zügige Durchführung der Abschiebung gerichtet, damit die Konzeption der Drittstaatenregelung nach Art. 16 a Abs. 2 GG nicht leer läuft (vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 28.09.2005 - 11 A 3134/04 -). Die Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG setzt zudem tatbestandsmäßig voraus, dass die Abschiebung in den sicheren Drittstaat (in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht) durchgeführt werden kann. Für eine umfassende Prüfungskompetenz des Bundesamtes spricht auch, dass nach allgemeinen Grundsätzen die Abschiebungsanordnung - im Gegensatz zur Abschiebungsandrohung - voraussetzt, dass einer Abschiebung keine Gründe entgegenstehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.08.1986 - 1 C 34.83 -, NVwZ 1987, 57). Diese Ansicht entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 14.05.1996, a.a.O.), welches ausdrücklich darauf hinweist, dass gegen den Vollzug der Abschiebungsanordnung gerichtete humanitäre und persönliche Gründe nicht im Hinblick auf Art. 16 a Abs. 2 GG ungeprüft bleiben dürfen, und der Literatur (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 26 a Rn. 49 und § 34 a Rn. 15, 64; Marx, AsylVfG, § 34 a AsylVfG, Rn. 72). Die Auffassung, dass inländische Vollstreckungshindernisse von der hierfür zuständigen Ausländerbehörde bei der Abschiebung zu berücksichtigen seien (vgl. VG Gießen, Urt. v. 22.08.2003 - 2 E 2152/03.A -; VG Frankfurt a.M., Beschl. v. 01.08.2002 - 5 G 2082/02.A(3) -, AuAS 2002, 201), vermag vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und den unterschiedlichen Voraussetzungen von Abschiebungsandrohung und Abschiebungs-anordnung nicht zu überzeugen.

Vorliegend hat sich der Antragsteller auf inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse berufen, die als Duldungsgründe nach § 60 a Abs. 2 AufenthG hier - ausnahmsweise - in die sachliche Prüfungskompetenz des Bundesamtes fallen, auf die das Bundesamt bislang jedoch nicht in der gebotenen Weise eingegangen ist. Entgegen den Ausführungen in der Antragserwiderung ergibt sich aus den Bescheinigungen des Fachzentrums für Psychologie und Heilkunde in Kamen vom 18.09.2008 und 29.11.2008 durchaus, dass dem Antragsteller bei einer Trennung von seinem Bruder als vertrauter Bezugsperson aufgrund einer Abschiebung nach Österreich erhebliche Lebens- und Leibesgefahren infolge spontaner Suizidhandlungen drohen.

Bei der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und angezeigten summarischen Prüfung bestehen daher erhebliche Bedenken gegen die vom Bundesamt beabsichtigte Abschiebungsanordnung, weshalb dem Antrag des Antragstellers auf Abschiebungsschutz mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Inhalt stattzugeben war. Im Hauptsacheverfahren wird das Bundesamt Gelegenheit haben festzustellen, ob die vom Antragsteller für den Fall seiner Abschiebung geltend gemachten Gesundheitsgefahren tatsächlich als Duldungsgründe den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach Österreich hindern (zur Pflicht, ein (amts-)ärztliches Gutachten einzuholen, vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.11.2008 - 11 S 2862/08 - u. Beschl. v. 06.02.2008 - 11 S 2439/08 -, VBlBW 2008, 309).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).