BSG, Urteil vom 29.06.2011 - B 6 KA 17/10 R
Fundstelle
openJur 2012, 27209
  • Rkr:
Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. März 2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte bei ihrer Neubescheidung die Rechtsauffassung des erkennenden Senats zu beachten hat.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zuerkennung einer Erhöhung des Regelleistungsvolumens (RLV) für die Quartale II/2005 bis I/2007.

Die Klägerin ist eine aus zwei Fachärzten für Chirurgie/Gefäßchirurgie bestehende Gemeinschaftspraxis mit Sitz in F. Beide Ärzte verfügen über Genehmigungen zur Sonographie in der Gefäßdiagnostik sowie zum ambulanten Operieren. Nach dem Honorarverteilungsvertrag (HVV), den die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) mit den Krankenkassen geschlossen hatte, war die Klägerin der Honoraruntergruppe der Fachärzte für Chirurgie (B 2.3) zugeordnet. Mit Wirkung zum 1.4.2007 ist die Gemeinschaftspraxis aufgelöst.

Am 16.2.2006 beantragte die Klägerin, ihr das RLV für fachärztlich-invasiv tätige Internisten mit dem Schwerpunkt Angiologie zuzuerkennen. Mit Einführung des neuen EBM und eines geänderten HVV sei es bei den angiologisch tätigen Gefäßchirurgen zu einem dramatischen Einbruch der abrechenbaren Fallpunktzahl gekommen. Nach Rückführung von Stützungsmaßnahmen werde dies zur Existenzvernichtung führen. Während internistisch tätige Angiologen 1665 Punkte pro Fall abrechnen könnten, seien bei den Chirurgen für die identische Diagnostik nur 900 Punkte abrechenbar. Der Schwerpunkt ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit liege in der Diagnostik und Therapie der arteriellen, venösen und lymphatischen Erkrankungen. Ein wesentlicher Bestandteil der Diagnostik sei die Durchführung der Duplexsonographie. Aufgrund ihrer besonderen Praxisausrichtung sei sie mit der Fachgruppe der Chirurgen nicht vergleichbar. Von den im Quartal II/2005 angeforderten 3 045 200 Punkten würden ihr lediglich 1 437 129,90 Punkte zum oberen Punktwert vergütet. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.4.2006 ab.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.2.2007 zurück. Nach dem HVV seien für die Praxis einschließlich des Gemeinschaftspraxis-Zuschlages folgende fachgruppenspezifische Fallpunktzahlen festgelegt worden:

Primärkassen:

Ersatzkassen:

Altersgruppe

0 - 56 - 59> 60

0 - 56 - 59> 60

Fallpunktzahl

6679261187

6048311033

Im Quartal II/2005 seien 1452 Fälle mit einem Punktwert von 997,1 Punkten zugrunde gelegt worden, woraus sich ein praxisbezogenes RLV von 1 447 789,2 Punkten ergeben habe. Mit ihrer Anforderung von 3 040 200,0 Punkten habe die Klägerin dieses Volumen um 1 592 410,8 Punkte überschritten. Im Quartal III/2005 betrage das Regelleistungsvolumen bei 1277 Fällen und einem Fallpunktwert von 1003,9 Punkten 1 281 980,3 Punkte. Tatsächlich abgerechnet habe sie 2 186 195,0 Punkte. Eine Analyse der Abrechnungsunterlagen habe ergeben, dass die Klägerin Leistungen nach den Nrn 33060, 33061, 33070, 33072, 33073, 33075 und 33076 Einheitlicher Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä 2005) in größerem Umfang abgerechnet habe. Eine Ausnahmeregelung könne aber nur aus Gründen der Sicherstellung erfolgen. Eine Überprüfung der Versorgungssituation habe ergeben, dass weitere Ärzte im Planungsbereich F. über die Genehmigung zur Abrechnung der streitigen Leistungen verfügten und die Leistungen auch tatsächlich abrechneten. Ferner habe die Klägerin, da ihr Fallwert in den Quartalen II und III/2005 mehr als 5 % von den Referenzquartalen 2004 nach unten abgewichen sei, erhebliche Ausgleichszahlungen erhalten, die einer Ausnahmeregelung entgegenstünden.

Das SG hat mit Urteil vom 30.1.2008 die Klage abgewiesen. Ein zu berücksichtigender Ausnahmefall liege nicht vor. Bei der Begrenzung auf ein enges diagnostisches Leistungsspektrum, das im Wesentlichen von anderen Fachgruppen erbracht werde, sei eine Ausnahmeregelung nicht erforderlich, weil es hierdurch zu einer Verschiebung zwischen den Honoraruntergruppen käme. Der Zubilligung eines RLV in Höhe desjenigen für fachärztlich-invasiv tätige Internisten mit Schwerpunkt Angiologie stehe ferner entgegen, dass diese Gruppe auf ein anderes Leistungsspektrum als die Klägerin beschränkt sei.

Das LSG hat auf die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 17.3.2010 das Urteil des SG geändert und die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt. Die Voraussetzungen der Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV lägen nicht vor, weil eine Sicherstellungsproblematik nicht gegeben sei. Es sei nicht ersichtlich, dass ohne ihr Leistungsangebot die angiologische Versorgung der Versicherten in der Region der Praxis der Klägerin nicht mehr gewährleistet sei. Der HVV sei jedoch deshalb rechtswidrig, weil es an einer allgemeinen Härtefallregelung fehle. Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG fordere eine Ausnahme vom RLV auch dort, wo sich innerhalb einer Arztgruppe bereits vor Inkrafttreten der Regelung über die RLV Ärzte mit Leistungen in zulässiger Weise spezialisiert hätten und dieses spezifische Leistungsangebot durch das RLV der Fachgruppe nicht leistungsangemessen abgedeckt werde. Für die Frage, wann eine solche Spezialisierung vorliege, könne an die Rechtsprechung des BSG zu ähnlichen Problemlagen angeknüpft werden. Zum Merkmal der Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs als Voraussetzung für die Erweiterung eines Zusatzbudgets nach dem EBM-Ä 1997 habe das BSG ausgeführt, dies setze eine von der Typik der Arztgruppe nachhaltig abweichende Praxisausrichtung, einen besonderen Behandlungsschwerpunkt bzw eine Konzentration auf die Erbringung von Leistungen aus einem Teilbereich des Fachgebiets voraus, für das der Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei. Indizien für eine solche Spezialisierung seien ein gegenüber dem Durchschnitt der Fachgruppe signifikant erhöhter Anteil der auf den Spezialisierungsbereich entfallenden Leistungen am Gesamtpunktzahlvolumen in der Vergangenheit sowie eine im Leistungsangebot bzw in der Behandlungsausrichtung der Praxis tatsächlich zum Ausdruck kommende Spezialisierung. Im Fall der Klägerin liege ein Härtefall vor, weil das ihr zuerkannte RLV ihre besondere, vom Durchschnitt der Arztgruppe deutlich abweichende Praxisstruktur nicht berücksichtige. Bei ihr bestehe eine eindeutige Spezialisierung auf sonographische Untersuchungen zur Abklärung bestimmter Gefäßerkrankungen. Allein die sonographischen Leistungen nach den Nrn 33061 bis 33078 EBM-Ä 2005 hätten in den Quartalen II und III/2005 43,14 % bzw 38,9 % der Gesamtpunktzahl ausgemacht. Das Leistungsspektrum führe regelhaft zu einer deutlichen Überschreitung des RLV um durchschnittlich 1000 Punkte pro Fall. Das Fehlen einer Härtefallregelung werde auch nicht durch die unter zahlreichen Vorbehalten stehende Ziffer 7.5 HVV ausgeglichen, die Fallwertminderungen um mehr als 5 % im Vergleich zum Referenzquartal verhindern solle. Schließlich sei das Fehlen einer Härteregelung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung unbeachtlich.

Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Bei der Feststellung der Sicherstellungsgründe iS der Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV sei nicht auf alle atypischen Sonderfälle abzustellen, zu berücksichtigen sei vielmehr nur die konkrete Versorgungssituation im Umkreis der Praxis. Es könne nur darauf abgehoben werden, ob auch ohne das schwerpunktmäßige Leistungsangebot der zu beurteilenden Praxis die zu dem Versorgungsschwerpunkt gehörenden und prägenden Leistungen weiterhin erbracht werden könnten. Die Überprüfung der Versorgungssituation im Planungsbereich habe ergeben, dass in F.-Stadt vier Fachärzte für Chirurgie mit dem Schwerpunkt Gefäßchirurgie niedergelassen seien. Darüber hinaus seien dort acht Internisten mit dem Schwerpunkt Angiologie tätig, sodass eine Sicherstellungsproblematik nicht bestehe. Der HVV enthalte mit Ziffer 6.3 letzter Absatz und Ziffer 7.5 bereits Härtefallregelungen. Allein in den Quartalen II/2005 bis IV/2006 habe die Klägerin Ausgleichszahlungen nach Ziffer 7.5 HVV in Höhe von insgesamt 190 538,67 Euro erhalten. Ihr Honorar habe in den streitigen Quartalen auch deutlich über dem der Fachgruppe gelegen. Eine weitergehende Härtefallklausel sei von den gesetzlichen Vorgaben und den Vorgaben des Bewertungsausschusses nicht gedeckt. Nach dem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 in Teil III Nr 3.1 könnten Anpassungen des RLV nur zur Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung vorgenommen werden. Die Rechtsprechung des BSG zum Erfordernis einer allgemeinen Härteregelung sei vor der Einführung von RLV ergangen. Sie könne nur insoweit gelten, als sie nicht im Widerspruch zu den Vorgaben des Bewertungsausschusses stehe. Zwar sehe § 87b Abs 3 Satz 3 SGB V und in Umsetzung dieser Vorgaben der Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses zur Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung im Jahr 2009 in Teil F Nr 3.6 vor, dass auch Praxisbesonderheiten bei der Bestimmung des RLV zu berücksichtigen seien. Diese Regelung entfalte aber keine Rückwirkung, sodass sich aus ihr für den streitigen Zeitraum nichts herleiten lasse. Das Fehlen einer Härteregelung sei schließlich auch unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung unbeachtlich.

Die Beklagte beantragt,das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17.3.2010 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Marburg vom 30.1.2008 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Allerdings komme auch Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV als Rechtsgrundlage in Betracht. Art 12 iVm Art 3 GG gebiete eine Ausnahmeregelung, wenn sich innerhalb einer Arztgruppe bereits vor Inkrafttreten der Regelungen über die RLV Ärzte in zulässiger Weise spezialisiert hätten und dieses Leistungsangebot durch das RLV der Fachgruppe nicht leistungsangemessen abgedeckt werde. Bei beiden Ärzten seien mittlerweile ab dem Quartal I/2009 Praxisbesonderheiten anerkannt und die RLV entsprechend geändert worden.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt. Da der Senat diese Verpflichtung der beklagten KÄV aber aus anderen Gründen als das LSG bejaht, weist er die Revision mit der Maßgabe zurück, dass die Beklagte bei der Neubescheidung die Rechtsauffassung des erkennenden Senats zu beachten hat.

1. Die Klägerin ist als Gemeinschaftspraxis auch nach ihrer Auflösung weiterhin beteiligtenfähig. Diese gilt für schwebende Auseinandersetzungen um Forderungen und Verbindlichkeiten als fortbestehend (vgl BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, RdNr 11; zuletzt Urteil des Senats vom 23.3.2011 - B 6 KA 11/10 R - RdNr 33 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

Das LSG hat zutreffend ausgeführt, dass eine Beiladung der Krankenkassenverbände als Vertragspartner im Rahmen der Honorarverteilung nicht notwendig gewesen ist. Der Senat hat bereits entschieden, dass es sich bei der Beiladung der Krankenkassenverbände als Vertragspartner im Rahmen der Honorarverteilung um einen Fall der einfachen Beiladung nach § 75 Abs 1 SGG handelt, die im Ermessen des Gerichts steht (stRspr, vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 8 RdNr 12). Allein der Gesichtspunkt, dass es in einem Rechtsstreit auf den Inhalt, die Auslegung oder die Wirksamkeit einer (Honorarverteilungs-)Regelung ankommt, führt nicht dazu, dass die Entscheidung gegenüber den an der Normsetzung Beteiligten nur einheitlich ergehen kann und deren Beiladung in jedem Vergütungsrechtsstreit deshalb notwendig wird (vgl BSG SozR 3-2500 § 115 Nr 1 S 3 für die Gesamtvertragspartner; BSGE 78, 98, 99 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 35 für die Bundesmantelvertragspartner; ebenso BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 6 für den EKV-Z; BSG Urteil vom 11.5.2011 - B 6 KA 2/10 R - RdNr 11 für die Vertragspartner des EBM-Ä, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die vom Gesetzgeber mit der Neufassung des § 85 Abs 4 Satz 2 SGB V durch Art 1 Nr 64 Buchst h des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) beabsichtigte Einbindung der Verbände der Krankenkassen in die Mitverantwortung für eine leistungsgerechte Honorarverteilung (BT-Drucks 15/1525 S 101 zu Art 1 Nr 64 Buchst h <§ 85>) ändert nichts daran, dass im Honorarstreitverfahren primär über den Anspruch eines Leistungserbringers auf vertragsärztliches Honorar und nur inzident (auch) über die Geltung von Vorschriften des HVV gestritten wird. Das Unterlassen auch einer sachgerechten und naheliegenden einfachen Beiladung ist kein sachentscheidungshindernder Verfahrensmangel (vgl BSGE 95, 141 RdNr 6 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 14; BSG Urteil vom 23.3.2011 - B 6 KA 8/10 R - RdNr 11 -, insoweit nicht in SozR abgedruckt), und eine solche Beiladung kann gemäß § 168 Satz 1 SGG in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden (BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 8 RdNr 13; BSG Urteil vom 11.5.2011 - B 6 KA 2/10 R - RdNr 11 mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

2. Der in den streitbefangenen Quartalen geltende HVV entsprach mit der Einführung von RLV den Vorgaben des Bewertungsausschusses, die dieser - gemäß der ihm nach § 85 Abs 4a Satz 1 letzter Teilsatz SGB V übertragenen Aufgabe - am 29.10.2004 mit Wirkung für die Zeit ab 1.1.2005 beschlossen hatte (DÄ 2004, A 3129). Gemäß Teil III Nr 2.1 iVm Nr 3 dieses Beschlusses waren die KÄVen verpflichtet, in der Honorarverteilung RLV in der Weise festzulegen, dass arztgruppeneinheitliche Fallpunktzahlen vorzusehen waren, aus denen durch Multiplikation mit individuellen Behandlungsfallzahlen praxisindividuelle Grenzwerte zu errechnen waren, in deren Rahmen die Vergütung nach einem festen Punktwert (sogenannter Regelleistungspunktwert) zu erfolgen hatte. In der Anlage 1 zum Teil III des Beschlusses waren tabellarisch die erfassten Arztgruppen aufgeführt, die dem RLV unterlagen. Hierzu zählen auch die Fachärzte für Chirurgie.

Kernpunkte der gesetzlichen Neuregelung sind, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 17.3.2010 (BSGE 106, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 54, RdNr 14 ff) dargelegt hat, nach § 85 Abs 4 Satz 7 SGB V (in der Fassung des GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190) zwei Vorgaben, nämlich die Festlegung arztgruppenspezifischer Grenzwerte und fester Punktwerte, sowie - gemäß § 85 Abs 4 Satz 8 SGB V - für darüber hinausgehende Leistungen abgestaffelte Punktwerte. Dementsprechend sahen die hier maßgeblichen HVV, die die Beklagte und die Krankenkassen zum 1.4.2005 und für die Folgezeit bis zum 31.3.2007 geschlossen hatten, in Ziffer 6.3 HVV die Bildung fallzahlabhängiger praxisindividueller RLV auf der Grundlage arztgruppenspezifischer Fallpunktzahlen sowie in Ziffer 6.4 HVV die Bewertung der innerhalb des RLV liegenden Honorarforderungen mit einem festen Punktwert von 4,0 Cent vor. Der Senat hat bereits entschieden, dass dem Erfordernis arztgruppenspezifischer Grenzwerte auch eine Regelung genügt, die eine arztgruppeneinheitliche Festlegung nur bei den Fallpunktzahlen vorgibt, dann deren Multiplikation mit den individuellen Behandlungsfallzahlen vorsieht und so zu praxisindividuellen Grenzwerten führt (so im Übrigen die Regelung in Teil III Nr 3 des Beschlusses des BewA vom 29.10.2004; vgl BSG aaO, RdNr 15). Der Punktwert unterlag nach Punkt 2.2 der Anlage zu Ziffer 6.3 HVV einer Quotierung, soweit der zur Verfügung stehende Anteil am Verteilungsbetrag in einer Honorar(unter)gruppe zur Honorierung der angeforderten Leistungen nicht ausreichte. Die über das praxisindividuelle RLV hinausgehenden Honorarforderungen waren nach Ziffer 6.4 HVV mit einem Punktwert von mindestens 0,51 Cent zu bewerten.

3. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht die Beklagte zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Erhöhung ihres RLV verurteilt. Entgegen der Auffassung des LSG kommt als Rechtsgrundlage für eine Erhöhung des RLV aber Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV in Betracht.

a. Dem LSG ist allerdings zuzustimmen, dass die Regelung keinen allgemeinen (Auffang-) Tatbestand für alle denkbaren Ausnahmefälle enthält, sondern Anpassungen nur zur Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung zulässt. Das ergibt sich bereits hinreichend deutlich aus dem Wortlaut der Bestimmung (vgl zur Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsregelungen im EBM-Ä BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 10), wonach der Vorstand ermächtigt ist, "aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung praxisbezogene Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen gemäß Anlage zu Ziffer 6.3 vorzunehmen". Nur für eine Anpassung unter Sicherstellungsgesichtspunkten findet sich im Beschluss des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 eine Ermächtigungsgrundlage. Nach Ziffer 3.1 dieses Beschlusses können im HVV "zur Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung und zur Zielerreichung einer Maßnahme in 1. <Maßnahmen zur Steuerung arztgruppenspezifischer Auswirkungen> Anpassungen des Regelleistungsvolumens vorgenommen werden". Diese Ermächtigung richtet sich an die Vertragspartner des HVV, die im HVV abstrakt-generelle Voraussetzungen für Abweichungen vom RLV statuieren können. Da abstrakt-generell nicht alle Fälle erfasst werden können, die eine Anpassung erfordern, ist nicht zu beanstanden, dass der HVV den Vorstand der Beklagten aus Gründen der Sicherstellung der Versorgung zu Anpassungen des RLV im Einzelfall ermächtigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann der Vorstand der KÄV zu konkretisierenden Regelungen und Einzelfallentscheidungen, insbesondere zur Beurteilung der Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Freistellung von Obergrenzen, ermächtigt werden (vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 31 S 240 f mwN) .

b. Die Beklagte hat aber die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung über die Erhöhung der RLV der Klägerin zu eng ausgelegt, indem sie sich allein darauf berufen hat, dass weitere Ärzte im Planungsbereich der Praxis der Klägerin sonographische Leistungen erbringen. Das allein reicht zur Verneinung eines Sicherstellungsbedarfs iS der Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV nicht aus. Das Merkmal der Sicherstellung ist in diesem Zusammenhang nicht so eng zu verstehen, dass es nur darauf ankommt, ob ohne die Antragstellerin die qualifizierte Leistung im Planungsbereich nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht. Abgesehen davon, dass die Beklagte diesen Aspekt nicht näher geprüft, sondern allein auf die Anzahl der die Leistungen abrechnenden Ärzte abgestellt hat, greift diese Sichtweise zu kurz. Sie erlaubt bereits deswegen keine Beurteilung der Versorgungssituation, weil damit bei allen Vertragsärzten, die spezielle Leistungen anbieten, auf die jeweils anderen in der gleichen Situation verwiesen werden kann (vgl BSGE 87, 112, 119 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 139). Diese Herangehensweise eignet sich für die Beurteilung des Bedarfs für einen potentiell neu hinzutretenden Leistungserbringer, nicht aber für die Beurteilung der Versorgung durch die bereits vertragsärztlich tätigen Ärzte.

Die Formulierung "aus Gründen der Sicherstellung" ist auch nicht notwendig so zu verstehen, dass - wie etwa bei einer Zulassung wegen Sonderbedarfs - ein Versorgungsdefizit in einem bestimmten regionalen Bereich festgestellt werden muss. Zwar spricht viel dafür, einen eingeführten Begriff in verschiedenen Regelungsbereichen gleichförmig auszulegen (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 19 RdNr 16). Das muss indes nicht zwingend so sein. Im Hinblick auf unterschiedliche Zielrichtungen in verschiedenen Regelungsbereichen kann vielmehr ein jeweils eigenes Verständnis eines Begriffes angezeigt sein. So hat der Senat etwa den Praxisbesonderheiten im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine andere Bedeutung beigemessen als im Bereich der Honorarverteilung, weil sie in beiden Bereichen grundlegend unterschiedliche Funktionen erfüllen (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35). Dies trifft auch für den Gesichtspunkt der Sicherstellung der Versorgung im Zulassungsrecht einerseits, an dem die Beklagte sich orientiert, und für die Ausnahmeregelung der Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV andererseits zu. Im Bereich der Honorarverteilung sind der Beklagten schon aus verwaltungspraktischen Gründen bei der Ermittlung des Versorgungsbedarfs Grenzen gesetzt. Detaillierte Feststellungen, wie sie für die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung zu treffen sind (vgl BSGE 104, 116 = SozR 4-2500 § 101 Nr 7, RdNr 12 ff; BSG SozR 4-2500 § 101 Nr 9 RdNr 19 f, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen), können von der Beklagten im Rahmen einer Entscheidung nach Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV schon wegen der Vielzahl der zu treffenden Entscheidungen nicht gefordert werden. Andererseits kann der Sicherstellungsaspekt aber auch nicht darauf reduziert werden, dass nur ein solches Leistungsangebot unberücksichtigt bleibt, das für die Sicherstellung generell nicht sinnvoll ist. In diesem Sinn hat der Senat das Tatbestandsmerkmal der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung im Zusammenhang mit der Ausnahme von der sog Teilbudgetierung im Hinblick auf einen Versorgungsschwerpunkt gemäß dem EBM-Ä 1996 ausgelegt (BSGE 87, 112, 119 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 139 f), weil durch die Versagung von Teilbudget-Aussetzungen keine spezifische Praxisausrichtung blockiert werden könne. Die von vornherein nur für einen kurzen Zeitraum eingeführten Teilbudgets könnten ihrer Natur nach kein Mittel zu einer langfristig angelegten Steuerung der Versorgungsstruktur und zur Verlagerung von Behandlungsschwerpunkten sein. Bei den RLV handelt es sich hingegen nicht um ein nur für einen kurzen Zeitraum eingeführtes Instrumentarium. Sie zielen zwar ebenfalls nicht auf eine Steuerung der Versorgungsstruktur, sondern in erster Linie auf die Gewährleistung von Kalkulationssicherheit (vgl BSGE 106, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 54, RdNr 15). Wenn das Gesetz aber jedenfalls in den hier streitbefangenen Quartalen keine Ausnahmen zulässt, spricht das für eine restriktivere Auslegung des Merkmals der Sicherstellung der Versorgung.

Sachgerecht ist es, für die Auslegung der Nr 3.1 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 sowie der Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV die Rechtsprechung des Senats zum "besonderen Versorgungsbedarf" als Voraussetzung für eine Erweiterung von Praxis- und Zusatzbudgets, die ebenfalls im Grundsatz auf eine arztgruppeneinheitliche Festlegung angelegt waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 17 RdNr 32), heranzuziehen und weiterzuentwickeln. Zwar fassen die RLV alle Leistungen zusammen, die als typische dem Praxis- und als spezielle den Zusatzbudgets zugewiesen waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 12 RdNr 12 ff). Vergleichbar mit der Regelung in Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV ist jedoch die unter der Geltung der Praxis- und Zusatzbudgets im EBM-Ä vorgesehene Möglichkeit, im Einzelfall zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs eine Budgeterweiterung vorzunehmen. Zur Auslegung des Begriffs "besonderer Versorgungsbedarf" hat der Senat mehrfach ausgeführt, dass eine im Leistungsangebot der Praxis zum Ausdruck kommende Spezialisierung und eine von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung vorliegen müssten, die messbaren Einfluss auf den Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl hätten (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 12 RdNr 15 f; Nr 17 RdNr 36). Dabei hat er als mögliches Indiz für die Atypik im Vergleich zur Fachgruppe angesehen, dass im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt eine signifikant überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit in einem Spezialgebiet vorliegt. Zusätzlich sei erforderlich, dass die Honorierungsquote für die speziellen Leistungen überdurchschnittlich gering gewesen sei, was voraussetze, dass das Gesamtleistungsvolumen insgesamt signifikant überdurchschnittlich hoch gewesen sei. Erhebliches Gewicht kann nach dieser Rechtsprechung dem Gesichtspunkt zukommen, dass das durchschnittliche Punktzahlvolumen je Patient in dem Spezialisierungsbereich die Budgetgrenze übersteigt. Aus einer derartig dokumentierten Spezialisierung können Rückschlüsse auf die Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs gezogen werden (vgl BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 31 S 178).

Diese Kriterien sind auch unter Geltung der RLV geeignet, das Merkmal der Sicherstellung der Versorgung zu konkretisieren. Eine vom Durchschnitt abweichende Praxisausrichtung, die Rückschlüsse auf einen Versorgungsbedarf erlaubt, kann sich auch hier in einem besonders hohen Anteil der in einem speziellen Leistungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl zeigen. Zur Begründung einer versorgungsrelevanten Besonderheit genügt es allerdings nicht, lediglich ein "Mehr" an fachgruppentypischen Leistungen abzurechnen (vgl dazu Urteil des Senats vom heutigen Tag - B 6 KA 20/10 R -). Die Überschreitung des praxisindividuellen RLV muss vielmehr darauf beruhen, dass in besonderem Maße spezielle Leistungen erbracht werden. Dabei wird es sich typischerweise um arztgruppenübergreifend erbrachte spezielle Leistungen handeln, die eine besondere (Zusatz-)Qualifikation und eine besondere Praxisausstattung erfordern. Deutliches Indiz für einen solchen speziellen Leistungsbereich ist die entsprechende Ausweisung dieser Leistungen im EBM-Ä. Dort sind auch die sonographischen Leistungen als arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen aufgeführt. Soweit die Beklagte ausführt, auch diese speziellen Leistungen seien in die Berechnung der arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen eingeflossen, ist dies zwar zutreffend. Sie finden sich in den Fallpunktzahlen für Chirurgen aber nur in sehr begrenztem Umfang wieder. Sonographische Leistungen werden in erster Linie von Internisten mit Schwerpunkt Angiologie und nur von wenigen Chirurgen erbracht. Im Fall der Fachgruppe der Fachärzte für Chirurgie, der die Klägerin angehört, kommt noch hinzu, dass sie auch die Fachärzte für Kinderchirurgie, für Plastische Chirurgie, für Herzchirurgie und für Neurochirurgie und damit ein breites Leistungsspektrum umfasst. Sonographische Leistungen haben daher nur in einem Umfang Niederschlag in den Fallpunktzahlen gefunden, der einer auf diese Leistungen spezialisierten Praxis nicht gerecht werden kann.

Besonderheiten einer Praxis streiten dann für eine Ausnahme von den RLV im Interesse der Sicherstellung, wenn der Anteil der Spezialleistungen am Gesamtpunktzahlvolumen überdurchschnittlich hoch ist. Dies wird in der Regel mit einem überdurchschnittlichen Gesamtpunktzahlvolumen einhergehen. Als überdurchschnittlich ist in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Senats zur Anerkennung eines Versorgungsschwerpunktes jeweils eine Überschreitung des Durchschnitts bzw ein Anteil der Spezialleistungen von mindestens 20 % anzusehen (vgl BSGE 87, 112, 117 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 137; SozR 3-2500 § 87 Nr 31 S 178 f; SozR 4-2500 § 87 Nr 19 RdNr 17). Um einerseits von einem dauerhaften Versorgungsbedarf ausgehen zu können, andererseits aber auch Schwankungen zwischen den Quartalen aufzufangen, ist nicht auf jedes einzelne Quartal abzustellen. Ausreichend ist, dass sich die Überschreitungen als Durchschnittswert in einem Gesamtzeitraum von vier aufeinander folgenden Quartalen ergeben (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 35 zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit von SSB-Verordnungen).

Es spricht viel dafür, dass diese Voraussetzungen in den hier streitbefangenen Quartalen bei der Klägerin vorlagen. Das LSG hat für die Quartale II und III/2005 festgestellt, dass die sonographischen Leistungen einen Anteil von ca 43 % und 38 % an der Gesamtpunktzahl ausmachten. Im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt war die Leistungshäufigkeit im Spezialgebiet signifikant überdurchschnittlich. Das Leistungsspektrum der Klägerin führte zu einer deutlichen Überschreitung der durchschnittlichen Fallpunktzahl. Der Umstand, dass für beide Ärzte, die mittlerweile in Einzelpraxis tätig sind, ab 2009 eine Erhöhung der RLV-Fallwerte vorgenommen wurde, kann als Indiz für das Vorliegen von Besonderheiten auch bereits im streitigen Zeitraum gewertet werden. Die Beklagte wird hierzu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

Bei der Prüfung, ob eine Praxis in dem beschriebenen Sinne Besonderheiten aufweist, steht der Beklagten kein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Einen solchen billigt der Senat in ständiger Rechtsprechung den Zulassungsgremien bei der Entscheidung über die Zulassung wegen Sonderbedarfs, der Erteilung einer Genehmigung zum Betrieb einer Zweigpraxis und bei der Erteilung einer Ermächtigung zu (vgl aus jüngster Zeit etwa BSG SozR 4-2500 § 101 Nr 9, RdNr 18 mwN, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen). Für diese Entscheidungen ist eine Bewertung der vertragsärztlichen Versorgung in einem regionalen Bereich vorzunehmen, wobei eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen ist, die für sich und in ihrer Abhängigkeit untereinander weitgehend unbestimmt sind. Eine solche Bewertung ist aber, wie oben dargelegt, hier gerade nicht vorzunehmen. Da es vielmehr auf die ermittel- und nachvollziehbaren besonderen Verhältnisse der einzelnen Praxis im Vergleich zur Fachgruppe ankommt, besteht kein Erkenntnis- oder Einschätzungsvorrang der KÄV. Ein Beurteilungsspielraum steht der Beklagten daher insoweit nicht zu (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 19 RdNr 16 mit Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 136; Nr 31 S 176).

Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme von den RLV vorliegen, hat die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, in welchem Umfang eine Erhöhung der RLV vorzunehmen ist. Ziffer 6.3 HVV letzter Absatz begründet beim Vorliegen der in der Norm geregelten Voraussetzungen ein subjektives Recht des betroffenen Arztes bzw hier der Gemeinschaftspraxis auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der KÄV über die Änderung der RLV (vgl zur Erweiterung der Praxis- und/oder Zusatzbudgets BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 31 S 175).

c. Einer möglichen Erhöhung der RLV steht nicht entgegen, dass die Klägerin Ausgleichszahlungen nach Ziffer 7.5 HVV erhalten hat. Nach dieser Regelung wurde zur Vermeidung von Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM-Ä 2005 eine Minderung des Fallwertes im Abrechnungsquartal gegenüber dem entsprechenden Abrechnungsquartal des Vorjahres um mehr als 5 % ausgeglichen (vgl zur Unzulässigkeit der entsprechenden Begrenzung der Fallwerterhöhung BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 58 RdNr 38 ff). Derartige Zahlungen waren, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, von zahlreichen Voraussetzungen abhängig, ua auch von einem ausreichenden Honorarvolumen für diese Maßnahme. Sie sollten ohne Bezug zu einer Spezialisierung Verluste gegenüber den Referenzquartalen ausgleichen. Gegenüber der speziellen Vorschrift der Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV ist die allgemeine Ausgleichsregelung der Ziffer 7.5 HVV nachrangig. Berücksichtigung finden die nach Ziffer 7.5 HVV geleisteten Zahlungen aber im Verrechnungswege bei einer etwaigen Honorarnachzahlung, wenn sich eine Erhöhung des RLV ergibt. Insofern ist auch möglich, dass im Hinblick auf bereits gewährte Ausgleichszahlungen eine Erhöhung der Fallpunktzahl ins Leere geht.

4. Sollten trotz der oben genannten Indizien die Voraussetzungen der Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV nicht vorliegen, wäre grundsätzlich von der Beklagten weiter das Vorliegen eines Härtefalles zu prüfen. Entgegen der Auffassung des LSG ist der HVV nicht wegen Fehlens einer allgemeinen Härteklausel rechtswidrig. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung (vgl BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, RdNr 38; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 42 mwN) ausgeführt, dass im Hinblick auf den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit im Wege der ergänzenden gesetzeskonformen Auslegung eine ungeschriebene generelle Härteklausel in die Honorarverteilungsbestimmungen hineinzuinterpretieren ist, wenn ein Honorarverteilungsmaßstab (HVM) keine oder eine zu eng gefasste Härteklausel enthält. Es besteht keine Veranlassung, hiervon abzuweichen. Als maßgeblichen Gesichtspunkt für die Notwendigkeit einer Härtefallregelung hat der Senat angesehen, dass der Normgeber des HVM nicht alle denkbaren besonderen Konstellationen vorhersehen kann (vgl SozR 3-2500 § 85 Nr 27 S 196; BSGE 83, 52, 61 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 210: Honorarbegrenzung auf individueller Bemessungsgrundlage). Das gilt in gleicher Weise für die Vertragspartner des HVV. Da die generellen Vorgaben des Bewertungsausschusses damit auch nicht in Frage gestellt werden, steht die Vorrangigkeit der von ihm aufgestellten Regelungen einer ungeschriebenen Härteklausel nicht grundsätzlich entgegen.

Eine allgemeine Härteklausel ist auch unter Geltung der RLV erforderlich. Der Beklagten ist zwar zuzustimmen, dass die Rechtsprechung des Senats zum Erfordernis einer generellen Härteregelung überwiegend Vergütungssysteme betraf, bei denen die Honorierung nach einer individuellen, am Abrechnungsvolumen von Vorquartalen ausgerichteten Bemessungsgrundlage erfolgte (vgl etwa BSG aaO; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10). Auch und gerade bei einem Honorarsystem, das sich in seinen Grundlagen am Durchschnitt orientiert und damit notwendig nivelliert, ist aber zu berücksichtigen, dass in besonderen Einzelfällen Härtesituationen entstehen können. Allerdings sind die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalles hier eng zu ziehen, weil der HVV bereits in Ziffer 6.3 und Ziffer 7.5 Regelungen enthält, mit denen einerseits besondere Versorgungsstrukturen und andererseits existenzbedrohende Honorarminderungen berücksichtigt werden. Ein Härtefall kann daher nur noch im seltenen Ausnahmefall in Betracht kommen, wenn trotz dieser Mechanismen im HVV durch Umstände, die der Vertragsarzt nicht zu vertreten hat, ein unabweisbarer Stützungsbedarf entsteht. Es müssten hier sowohl die wirtschaftliche Existenz der Praxis gefährdet sein als auch ein spezifischer Sicherstellungsbedarf bestehen (vgl BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, RdNr 40; BSG, Beschlüsse vom 28.10.2009 - B 6 KA 50/08 B - RdNr 11 und vom 8.12.2010 - B 6 KA 32/10 B - RdNr 17 f). Ansonsten könnten allenfalls noch gravierende Verwerfungen der regionalen Versorgungsstruktur zur Anerkennung einer Härte führen (vgl BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 148 f: Einziger auch konventionell arbeitender Radiologe im Landkreis).

Gemessen hieran ist für die Annahme eines Härtefalls nach den bisherigen Feststellungen kein Raum. Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Klägerin ist nicht ersichtlich. Zwar hat sie in ihrem Antragsschreiben eine Existenzvernichtung angekündigt. Allein die Höhe der ihr gewährten Ausgleichszahlungen nach Ziffer 7.5 HVV lassen aber eine Existenzgefährdung nahezu ausgeschlossen erscheinen. Die der Klägerin für die streitigen Quartale zugeflossenen Ausgleichszahlungen dürften zwar ihre Verluste gegenüber den Referenzquartalen nicht vollständig ausgeglichen, wohl aber deutlich abgefedert haben. Dass sie sich für die Quartale II/2006 bis IV/2006 Rückforderungen ausgesetzt sieht, weil nach Auffassung der Beklagten im Hinblick auf einen Wegfall der im Referenzquartal erbrachten stationären Leistungen die Voraussetzungen für Ausgleichszahlungen insoweit nicht vorlagen, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Auch die bestehende Versorgungsstruktur bietet keinen Anhaltspunkt für eine Härtesituation begründende spezielle Umstände.

5. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Regelung des § 87b Abs 3 Satz 3 SGB V hier keine Bedeutung hat, weil sie keine Rückwirkung entfaltet. Danach sind nunmehr bei der Honorarverteilung seit dem 1.1.2009 Praxisbesonderheiten und damit atypische Umstände, die eine Abweichung von den generellen Verteilungsregelungen auslösen können, zu berücksichtigen (zum Begriff "Praxisbesonderheit" im Rahmen der Honorarverteilung BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35). Dass es sich dabei lediglich um eine Klarstellung handeln soll, ist nicht ersichtlich. Nach dem Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28.8.2008 (Teil F Nr 3.6, DÄ 2008, A-1993; vgl dazu auch Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Mai 2011, K § 87b RdNr 52 f) können sich Praxisbesonderheiten aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung ergeben. Dass der Gesetzgeber sich - ex nunc - zu einer ausdrücklichen Berücksichtigung atypischer Umstände veranlasst gesehen hat, bestätigt die oben dargelegte Auslegung dieser Ausnahmeregelung.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Beklagte die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).