LG Hannover, Urteil vom 20.01.2009 - 62 c 69/08
Fundstelle
openJur 2012, 48493
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Neustadt a. Rbge. vom 27.08.2008 aufgehoben.

Die Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse ebenso wie die notwendigen Auslagen der Angeklagten zur Last.

Gründe

I.

Mit Anklage vom 29.04.2008 hat die Staatsanwaltschaft Hannover gegen die Angeklagte vor dem Amtsgericht Neustadt a. Rbge. Anklage erhoben und ihr zur Last gelegt,

in Bad L.

am 19.01.2008 gegen 16.06 Uhr

als strafrechtlich verantwortliche Jugendliche

entgegen § 17 a Abs. 2 Nr. 1 des Versammlungsgesetzes an einem Aufzug unter freiem Himmel in einer Aufmachung teilgenommen zu haben, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet war, die Feststellung der Identität zu verhindern,

indem sie als Teilnehmerin einer Demonstration auf der Bahnhofstraße ihr Gesicht verbarg, indem sie eine Baseball-Kappe sowie eine schwarze Sonnenbrille aufsetzte und zusätzlich ein schwarzes Tuch bis unter die Nase ins Gesicht zog.

Das Amtsgericht Neustadt/Rbge. hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 27.08.2008 wegen „Verstoßes gegen das Vermummungsverbot“ schuldig gesprochen und gegen sie 5 Hilfsdienste zu 40 Stunden nach Weisung der Jugendgerichtshilfe verhängt. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Angeklagten, die in der Sache Erfolg gehabt hat.

II.

1. Die Angeklagte lebt bei ihren beiden Eltern. Das Verhältnis zu beiden Elternteilen ist gut. Sie ist derzeit Schülerin einer 13. Klasse des Gymnasiums, das sie seit der 6. Klasse besucht. Die schulische Laufbahn gestaltete sich bisher reibungslos. Geschwister hat die Angeklagte nicht. Sie möchte nach Erlangung des Abiturs Medizin studieren.

2. Die Angeklagte ist politisch engagiert im Kampf gegen Neonazis. Infolgedessen kam es in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2007 zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit Schlägern der rechten Szene, u. a. ..., in deren Folge die Angeklagte u. a. eine Schwellung ihres linken Auges davontrug.

Am 14.06.2007 veröffentlichte die „...“ ein Bild der Angeklagten im Internet, das sie mit einem Baseballcap und Sonnenbrille und vor der Brust verschränkten Armen zeigt, während sie einen Kapuzenpulli trägt. Sie blickt direkt in Richtung des Fotografierenden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Bilder wird auf Bl. 41 d. A. Bezug genommen.

Am 14.06.2007 erhielt die Angeklagte eine E-mail von ..., in der er die Angeklagte verhöhnte, indem er ihr zu verstehen gab, dass das auf der Internetseite der „... “ im Internet veröffentlichte Bild auf einem Server in Paraguay hinterlegt sei und daher eine straf- und/oder zivilrechtliche Verfolgung ihres Rechtes am eigenen Bild schwer wäre. Des Weiteren erklärte er in dieser E-mail, die Angeklagte wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz angezeigt zu haben und insoweit als Beweise ihm zugesandte Videos an die Polizei zu senden. Des Weiteren stellte er in Aussicht, „auf einen Kaffee rum“ zu kommen und sie zu „trösten“.

Am 09.01.2008 schließlich verteilten Anhänger der rechten Szene vor dem Haus der Angeklagten und bei deren Nachbarn ein mit „Vorsicht Rotfaschistin ...“ überschriebenes Flugblatt, in dem darin aufgefordert wird, sich ihr in den Weg zu stellen und keine Räume mehr für „gewalttätige Linksfaschisten“ in der Wohnwelt zu lassen. Außerdem wurde die Angeklagte in diesem Flugblatt mehrerer Straftaten bezichtigt. so heißt es in dem Flugblatt u.a.:

„In unmittelbarer Nähe zu Ihnen ( ... ), wohnt die selbsternannte Antifaschistin .. .

[...]

Am 31.12.2007 zog sie zusammen mit rund 200 weiteren Krawallmachern aus Hannover und dem Umland durch die Nordstadt der Landeshauptstadt und beschädigten dabei fast 100 Fahrzeuge im Migrantenviertel. Zuvor griff die Gruppe um ... im Zuge einer Demonstration mehrere Polizeibeamten mit Feuerwerkskörpern an.

[...]

Am 10.10.2007 griff sie zusammen mit 7 weiteren bewaffneten männlichen Personen in Wunstorf zwei vermeintliche Andersdenkende an und verletzte diese erheblich am Rücken und Hinterkopf.

Im Zuge einiger Demonstrationen im letzten Jahr beteiligte sie sich an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Gegen die Schülerin sind derzeit mehrere Strafverfahren bei der Polizei anhängig. Unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung.

Im Kampf gegen den politischen Gegner scheint ihr jedes Mittel Recht zu sein. Unter anderem bedrohte sie Kleinkinder ihnen zu zeigen was man mit einem „Gürtel und einem Lötkolben so alles machen kann“

[...]

Dieser neuen Form von schwarzgekleideten RAF-Terroristen gilt es sich in den Weg zu stellen!

[...]

Keine Räume mehr für gewalttätige Linksfaschisten in der Wohnwelt!!!“

Unter der Internetseite ..., einer Internetseite der „... “ rühmten sich die Aktivisten dieser Flugblattaktion. U.a. heißt es dort:

„Aktuelles

Mittwoch - Januar - 09.01.2008 -

...: Gelungene Outingaktion in .../... W. WICHTIG!

Seit Monaten werden Aktivisten aus Sch. und N. von bekannten Antifaschisten bedroht, beleidigt und um die nächtliche Ruhe durch Telefonterror und Klingelstreichen gebracht. Selbst Sachbeschädigungen an Häusern und Autos von Aktivisten musste man hinnehmen. Der antifaschistische Pöbel schreckte noch nicht einmal davor zurück die Kinder der Betroffenen zu bedrohen.

[...]

Mit dem Vorhaben die Nachbarn von Hauptakteurin ... (...) über ihr Treiben zu informieren, fuhr man in den frühen Abendstunden des 05.01.2008 ausgestattet mit Flugblättern nach W. Im ... angekommen begannen die Aktivisten damit die Bevölkerung über Machenschaften der w. Linksfaschisten aufzuklären. Es wurden etliche Flugblätter verteilt und Gespräche mit Nachbarn von ... geführt. Ein Großteil kannte die junge Frau und war entsetzt über ihr Treiben. ...selber war auch vor Ort. Sie stand vermummt an ihrer Haustür und schrie hysterisch rum, dass sie die Polizei verständigt habe. Diese traf auch ein, zu dem Zeitpunkt waren allerdings schon sämtliche Informationsblätter verteilt.

[...]“

Abschließend kann man sagen, dass es eine gelungene Aktion der Kameraden war. Es ist an uns die Verbrechen der Antifaschisten an die Öffentlichkeit zu tragen, was uns im Falle von ... auch gelungen ist. Gegen rotfaschistischen Terror! Immer und überall!“

Am 19.01.2008 gegen 16.06 Uhr befand sich die Angeklagte im Demonstrationszug gegen Neonazis in Bad L. in der ...Straße in Höhe des Cafés ... und in einer Entfernung von 20 bis 30 m vom Café .... Letzteres ist bekannt als Treffpunkt von Angehörigen der sog. rechten Szene. Als die Angeklagte sich in Höhe des Cafés ... befand, wurde sie von dem Zeugen Polizeikommissar ... gefilmt, wie sie eine Sonnenbrille und ein Baseballcap mit der Aufschrift „Lonsdale“ tragend und einen Schal über ihren Mund gezogen dort stand und nach einer kürzeren Ansprache über den in wenigen Metern Entfernung vor ihr befindlichen Lautsprecherwagen an den Kameraleuten - immer noch vermummt - weiterzog.

Die Kammer konnte nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die Angeklagte die Vermummung erst kurz bevor sie gefilmt wurde, angelegt hatte und diesem Hinweise auch über Lautsprecher vorausgegangen waren, Demonstrationsteilnehmer würden von Mitgliedern der sog. rechten Szene aus dem Bereich des Cafés ... heraus fotografiert und gefilmt. Die Kammer konnte des Weiteren nicht mit einer für die Verurteilung erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die Angeklagte mit dem Bedecken weiter Teile ihres Gesichts lediglich verhindern wollte, dass die Mitglieder der sog. rechten Szene und Gegner der Demonstration, an der sie teilnahm, Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht anfertigen könnten, um diese dann zwecks weiterer Diffamierungen zu verwenden. Vielmehr erscheint die Möglichkeit als naheliegend, dass es ihr darum ging, zu verhindern, dass Mitglieder der rechtsradikalen Szene in den Besitz von Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht gelangen und durch die Vermummung den Anreiz, sie zu fotografieren, vermindern wollte.

Während der Demonstration fotografierte ein älterer Herr mit Bart, der Gerüchten zufolge nach ebenfalls der rechten Szene angehörte, mit einer Kamera und zwei Beobachter der Demonstration mit Handys in den Demonstrationszug hinein. Diese Fotografierenden befanden sich im Bereich des Cafés ....

Am 23.01. schließlich erfolgte ein Internet-Auftritt der rechten Szene mit Fotos der Angeklagten, die ihre Verletzungen nach der Auseinandersetzung mit ... am 11.10.2007 zeigen, nachdem diese von dem Rechner der Angeklagten mittels eines sog. „Trojaners“ von ihrer Festplatte heruntergeladen wurden. Die Verfasser dieses Internet-Auftritts brüsteten sich damit, dass sie die Fotodateien mittels sogenannter „Trojaner“ erlangten hatten und damit, ... geschlagen zu haben. So heißt es dort u.a.:

„Zu Hause Zoff mit der Mutter, in der Freizeit Observation und „Nahkampf“? ..., Antifaschistin aus dem niedersächsischen W., über die wir bereits einmal das Vergnügen hatten zu berichten. So wird sich der eine oder andere Leser möglicherweise erinnern, dass es in der Nacht vom 10. zum 11. Oktober zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen zwei Aktivisten der ... sowie acht mit Schlagstöcken bewaffneten linken Zeitgenossen kam. [...] Zwar zogen sich die beiden Nationalisten - darunter ... - Blessuren zu, die Gegenseite jedoch nicht minder - trotz Überzahl und Schlagstöcken. Mit unter den Antifaschisten besagte Dame ....

Dass man angesichts solcher Damen bei Auseinandersetzungen auch nicht davor zurückschreckt die guten Sitten und Manieren mal zu vergessen, liegt in der Natur der Sache. Konnten wir zum damaligen Vorfall lediglich ein altes Archivphoto präsentieren, so ist es um einiges erfreulicher, dass wir nunmehr sozusagen nachträglich Bilder von der „Zeit danach“ präsentieren können, [...]“

III.

Die Angeklagte hat sich zunächst über ihren Verteidiger dahin eingelassen, dass sie am 19.01.2008 an einer Demonstration in Bad L. gegen die Verfestigung von Neonazistrukturen im ... teilgenommen habe. Im Bereich des dortigen Cafés „...“ sei ein Redebeitrag gehalten worden, in dem darauf hingewiesen worden sei, dass es sich bei dem Café um einen Treffpunkt von Neonazis handele. Bereits zuvor sei über Lautsprecher davor gewarnt worden, dass aus dem Bereich dieses Cafes aktuell Neonazis versuchen würden, in die Demonstration hinein zu fotografieren, bzw. Aufnahmen von einzelnen Teilnehmern zu machen. Auch sie selbst habe an dem Café Angehörige der rechten Szene wahrgenommen. Um eine erneute Publikation von Fotos ihrer Person im Internet zu verhindern, habe sie sich im Bereich des Cafés eine Sonnenbrille aufgesetzt und sich auch teilweise ihr Halstuch ins Gesicht gezogen. Hingegen hätte sie keinen Grund gesehen, sich gegenüber der Polizei zu vermummen. Auch habe sie die Vermummung erst nach der Warnung vor fotografierenden Neonazis vorgenommen.

Weiter erklärte sie, seit Mitte 2007 von Anhängern der Neonazi-Szene massiv bedroht, angegriffen und terrorisiert zu werden. Dabei sei sie tätlichen Übergriffen, Telefonanrufen und massiven Bildveröffentlichungen im Internet ausgesetzt. Begonnen hätten diese Tyranneien nach erstmaliger Veröffentlichung eines Bildes von ihr im Internet. Gerade die Sch. Neonazi-Szene würde sich regelrecht auf einzelne Leute „einschießen“, die dann immer wieder Bloßstellungen, Drohanrufe und ähnliches hinzunehmen hätten. Die Leute würden auch vor tätlichen Angriffen nicht zurückschrecken. Dies gelte insbesondere für ... und .... Letzterer sei auch schon wegen Körperverletzung mit Todesfolge vorbestraft und sei darauf stolz. Sie halte es nicht für zumutbar, sich durch solche Bedrohungen von ihrem Demonstrationsrecht abhalten zu lassen. Sie hätte sich jedoch durch die Tat schützen müssen. Andere Mittel hätten ihr nicht zur Verfügung gestanden. Dies insbesondere deshalb, weil ihre Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Hannover wegen vorangegangener Bedrohungen und Bildveröffentlichungen im Internet mit Einstellungen der Ermittlungsverfahren unter Verweisung auf den Privatklageweg geendet hätten.

Diese Erklärung ihres Verteidigers hat sie sich ausdrücklich zu eigen gemacht und auf Nachfrage des Gerichts, sie sei auf dem Video der Polizei in genau dem gleichen Outfit zu sehen wie auf den bereits am 14.06.2007 von der ... veröffentlichten Fotos, erklärt, es sei ihr nicht darum gegangen, von den Rechtsradikalen nicht identifiziert zu werden. Sie habe jedoch verhindern wollen, dass diese Fotos von ihr mit unvermummtem Gesicht erhalten würden, in deren Besitz sie bis zu dem Einbruch auf ihrem Rechner am 23.01.2008 noch nicht gewesen seien.

Die Kammer hält die Richtigkeit dieser Einlassung der Angeklagten für wahrscheinlich. Was die von ihr geäußerte Annahme, sie könne Ziel von Fotografierenden der rechten Szene in dem Demonstrationszug sein, angeht, spricht für deren Richtigkeit bereits die Äußerung des Zeugen PK ..., es sei üblich bei Demonstrationen von „rechts“ wie von „links“, dass die jeweiligen politischen Gegner in die Demonstrationszüge hineinfotografieren würden. Der Zeuge stand während der Demonstration neben dem Filmenden PK ....

Dass im konkreten Fall auch tatsächlich Fotos von dem Demonstrationszug angefertigt wurden, ergibt sich zudem aus der insoweit glaubhaften und nachvollziehbaren Bekundung des .... Dieser war als freier Journalist und Berater gegen rechte Gewalt eines Vereins in Sachsen-Anhalt als Begleiter der Demonstration mit dem Ziel des Anfertigens von Fotos unterwegs. Dieser hat in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung glaubhaft bekundet, im Bereich des Cafés ... hätten ein älterer Herr, von dem er gerüchteweise wisse, dass dieser der rechten Szene angehöre, mit einer Kamera und 2 weitere Beobachter des Demonstrationszuges mit Handys fotografiert. Die Kammer zweifelt nicht an der Richtigkeit dieser Bekundungen, zumal der Zeuge auf weitere Nachfragen, ob denn über Lautsprecher Durchsagen und entsprechende Warnungen an die Demonstrationsteilnehmer erfolgt seien, angegeben hat, daran erinnere er sich nicht. Seine Aufmerksamkeit sei jedoch auch nicht durchweg auf die Demonstration gerichtet gewesen. Vielmehr habe er u. a. auch von einem Kollegen gehört, ein Beobachter der Demonstration im Bereich des Cafés ... habe den Hitler-Gruß gezeigt. Insoweit sei seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Beobachter vor dem Café ... gerichtet gewesen. Aus dieser in sich glaubhaften Bekundung ergibt sich, dass der Zeuge ... keine Begünstigungstendenzen hinsichtlich der Angeklagten aufgewiesen hat. Zugleich ergibt sich aus dieser Bekundung ebenso wie aus den insoweit übereinstimmenden Bekundungen der Polizeikommissare ... und ..., dass derartige Lautsprecherdurchsagen nicht ausgeschlossen werden können. Insoweit haben die Polizeibeamten ... und ... ergänzend angegeben, ihrer Einschätzung nach würden die Einsatzleiter bei solchen Lautsprecherdurchsagen auch nichts Weiteres veranlassen, um bspw. den Bereich, von dem aus fotografiert würde, zusätzlich abzusichern o. ä. Von daher ist nachvollziehbar, dass die Polizisten, soweit sie als Zeugen vernommen wurden, sich nicht an derartige Lautsprecheraussagen erinnert haben, solche jedoch auch nicht ausschließen konnten.

Hinsichtlich des objektiven Tatgeschehens, wie es festgestellt wurde, beruht die Überzeugung der Kammer zudem auf dem in Augenschein genommenen vom Zeugen PK ... angefertigten Videofilm auf der CD in Hülle Bl. 12 d. A., auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Die Tatsache, dass die Kammer nicht ausschließen konnte, dass die Angeklagte erst kurz vor ihrer Filmung durch den Zeugen PK ... ihr Gesicht vermummte, beruht neben ihrer dahingehenden Einlassung auf dem Umstand, dass die Zeugen ... und ... übereinstimmend angegeben haben, zu Beginn habe der Demonstrationszug des Öfteren angehalten werden müssen, um die Teilnehmer zu veranlassen, ihre teilweise angelegte Vermummung zu entfernen. Daraus ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass erst nach Beherzigung des Vermummungsverbotes des § 17a Abs. 2, Nr. 1 Versammlungsgesetz der Demonstrationszug bis in Höhe des Cafés ... vorstoßen konnte und daher auch die Angeklagte zuvor ihre Vermummung abgelegt hatte.

Angesichts der bis zum Tatzeitpunkt bereits gegen die Angeklagte gerichteten Angriffe seitens der rechtsradikalen Szene in Form des Internet-Auftritts vom 14.06.2007 mit Veröffentlichung ihres Fotos, wie durch Inaugenscheinnahme von Bl. 41 d.A. erwiesen ist, der körperlichen Auseinandersetzung in der Nacht vom 10. auf den 11.10.2007, die aus dem auszugsweise verlesenen Inhalt des Auszugs der Internetseite auf Bl. 72 d.A. zur Überzeugung der Kammer feststeht, der von ... . an sie gerichteten E-mail, deren Existenz und festgestellter Inhalt sich zur Überzeugung der Kammer aus der Verlesung von Bl. 42 d.A. - einem Ausdruck dieser E-mail - ergibt und der in der Nachbarschaft ihres Wohnhauses verteilten Flugblätter, deren festgestellter Inhalt sich zur Überzeugung der Kammer aus der Verlesung von Bl. 43 d.A. ergibt und der anschließenden festgestellten Verlautbarung über diese Flugblattaktion im Internet am 09.01.2008, wie sich zweifelsfrei aus der Verlesung des Ausdrucks dieser Publikation auf Bl. 44 f. d.A. ergibt, erscheint es der Kammer plausibel, dass die Angeklagte mit der Vermummung nicht verhindern wollte, durch Polizeibeamte identifiziert zu werden, sondern Fotos von rechtsradikalen Elementen zwecks weiterer Verwendung gegen sie im Internet oder auf andere Weise zu verhindern. Dagegen spricht zur Überzeugung der Kammer auch nicht, dass die „...“ am 14.06.2007 bereits im Besitz eines Fotos, das die Angeklagte zwar mit Sonnenbrille und Baseballcap, jedoch ohne Schal vor dem Mund zeigt, verfügte. Zum einen erschwerte der vorgehaltene Schal vor dem Mund ihre Identifizierung, wenn auch nicht wesentlich, so doch zusätzlich. Zum anderen war das Foto auf der Internetseite der ... so, dass es ihren gesamten Oberkörper und den Kopf abbildete. Es wäre nicht auszuschließen, dass schärfere und detailliertere Fotos, insbesondere von ihrem Gesicht, bei der Demonstration angefertigt worden wären. Insbesondere war aufgrund des bereits am 14.06.2007 veröffentlichten Fotos in den einschlägigen Kreisen der Anreiz zur Aufnahme der Angeklagten in vermummtem Zustand wesentlich geringer als dies der Fall gewesen wäre, wäre sie nicht vermummt gewesen.

Für die Richtigkeit der Einlassung der Angeklagten, ihre Absicht sei es nicht gewesen, ihre Identifizierung durch die Polizei zu verhindern, spricht, dass ihr nicht zu widerlegen ist, die Vermummung erst kurz vor der Filmaufnahme vorgenommen zu haben und die mangels entgegenstehender Anhaltspunkte anzunehmende friedliche Teilnahme der Angeklagten während der gesamten Demonstration. Insoweit hätte sie keinerlei Grund gehabt, ihre Identität vor den Strafverfolgungsbehörden zu verheimlichen.

IV.

49Von dem Vorwurf des Verstoßes gegen § 27 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 17 a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz war die Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Es fehlt an der nach § 27 Abs. 2 Ziffer 2 Versammlungsgesetz geforderten Absicht, die Feststellung der Identität zu verhindern. Zwar ist dem Wortlaut des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz nach nur allgemein gefordert, dass die Vermummung den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern. Jedoch ist nach dem Sinn und Zweck des Vermummungsverbotes gem. § 17 a Abs. 2 Nr. 1 Versammlungsgesetz erforderlich, dass die Identifizierung durch die Strafverfolgungsbehörden verhindert werden soll (so auch Amtsgericht Rothenburg/Wümme in NSDZ 2006, 358, Amtsgericht Tiergarten, Urteil vom 21.04.2005, Az. 256 Cs 81 Js 1217/04 (947/04), zitiert nach Juris). Diese Absicht ist der Angeklagten gerade nicht nachzuweisen gewesen.

50Die Auslegung des § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz im o. g. Sinne ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend. Würde die Vorschrift nicht in dem genannten Sinne teleologisch reduziert werden, so würde die Strafvorschrift de facto zu einer Bestrafung der Teilnahme an einer genehmigten Versammlung und damit einem Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit i. S. d. Art. 8 Abs. 1 GG führen. Das systematische Hineinfotografieren in Demonstrationszüge des jeweiligen politischen Gegners würde so nämlich dazu führen, dass im Falle nachfolgender Repressalien mit Hilfe dieser Fotos die Demonstrationsteilnehmer vor der Alternative stünden, entweder Repressalien seitens der politischen Gegner hinzunehmen oder aber eine Bestrafung seitens der Strafverfolgungsbehörden wegen Verstoßes gegen das sog. Vermummungsverbot. Die einzig noch verbleibende Alternative bestünde in einem Verzicht auf Teilnahme an einer solchen Demonstration. Damit aber würde die Gefahr bestehen, dass politische Demonstrationen linker und rechter Gruppierungen auf Dauer de facto durch das systematische Fotografieren in diese Demonstrationszüge hinein durch politische Gegner unterbunden würden, gegen das es - so lange der Gesetzgeber das Fotografieren von Demonstrationszügen und einzelner Demonstrationsteilnehmer während der Demonstration sowie die Verwendung oder Weitergabe solcher Fotos nicht sanktioniert - keinen anderen Schutz als die Vermummung geben kann. Letztlich würde so die strafrechtliche Verfolgung von Vermummungen einzig mit dem Ziel, das Anfertigen von Fotos des jeweiligen politischen Gegners zu verhindern dazu führen, dass sich die Strafverfolgungsbehörden unwillentlich zum Werkzeug der jeweiligen politischen Gegner machen, deren Ziel das Verhindern solcher Demonstrationen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO.

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