Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 10.01.2005 - 9 LA 310/04
Fundstelle
openJur 2012, 42426
  • Rkr:

Die positive Darstellung in einem Flächennutzungsplan lässt keineswegs den Schluss auf die Vereinbarkeit eines Wohnbauvorhabens mit allen anderen in § 35 Abs. 3 BauGB genannten Belangen zu.

Die Anschlussbebauung von der bebauten Ortslage aus in den Außenbereich hinein ist in der Regel ein Vorgang der - siedlungsstrukturell unerwünschten - Zersiedlung.

Gründe

Der Kläger, der Eigentümer der beiden südlich des F.-Weges in C. liegenden Flurstücke D. und E. mit einer Gesamtgröße von 8.324 m² ist, begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheides für einen Wohnhausneubau mit 240 m² Wohnfläche sowie einer Doppelgarage und einem weiteren Nebengebäude. Das Wohnhaus soll auf dem hinteren, 3.324 m² großen Flurstücks E. errichtet werden. Die Zufahrt zum nördlich liegenden F. -Weg ist über das bewaldete, ca. 5.000 m² große und unmittelbar an den F. -Weg angrenzende Flurstück D. geplant. Die eigentliche Ortsrandlagenbebauung von C. liegt südlich des vorgesehenen Bauplatzes. Über den von der G. -Straße (Landesstraße H.) westlich abzweigenden F. -Weg sind mehrere, von mit mehr oder weniger großem öffentlichen Verkehr verbundene Baulichkeiten beiderseits des F. -Weges zu erreichen, so zunächst das Schützenhaus mit einem Schießstand, dann eine Tennisanlage, sodann das Hallen- und Waldbad und schließlich ein Campingplatz. Der Flächennutzungsplan der Samtgemeinde I. stellt für das unmittelbar an den F. -Weg angrenzende Flurstück D. Waldgebiet dar und für das für die Bebauung vorgesehene Flurstück E. Dorfgebiet (MD). Sowohl der beigeladene Flecken C. als auch die Samtgemeinde I. haben nicht nur zu dem Bauvorhaben ihr Einvernehmen erklärt, sondern sich auch in umfänglicher Art und Weise für die Zulassung des Vorhabens eingesetzt.

Mit Bescheid vom 17. Juli 2002 hat der Beklagte u. a. nach Beteiligung seines Landschafts- und Naturschutzamtes die Bauvoranfrage gleichwohl mit der Begründung abgelehnt, dass die zur Genehmigung gestellte Bebauung öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtige. Das Bauvorhaben sei mit der aus der Grundkonzeption des Flächennutzungsplanes der Samtgemeinde I. ersichtlichen geordneten städtebaulichen Entwicklung nicht vereinbar. Die vorhandene Zuwegung werde nicht über Bauflächen, sondern durch einen hochwertigen Eichenwald geführt, was zu einem nicht hinnehmbaren Eingriff in Natur und Landschaft führe. Die Bebauung der hofnahen Wiese, die zwar im Flächennutzungsplan als Dorfgebiet dargestellt werde, führe zu einer Beeinträchtigung des Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft.

Die vom Kläger erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht nach Ortsbesichtigung durch den Berichterstatter mit Urteil vom 7. September 2004 abgewiesen. Dabei ist das Verwaltungsgericht in seinem Urteil ebenfalls von der Außenbereichslage des Baugrundstückes ausgegangen. Das damit nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vorhaben könne nicht zugelassen werden, weil dadurch die öffentlichen Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und - mit der geplanten Zufahrt - des Naturschutzes und der Landschaftspflege beeinträchtigt würden. Wegen der verwaltungsgerichtlichen Ausführungen wird auf das Urteil Bezug genommen.

Der dagegen gerichtete Zulassungsantrag des Klägers, mit dem ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts geltend gemacht werden (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), hat keinen Erfolg.

5An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht schon dann vor, wenn überhaupt nur Gründe, ja nicht einmal, wenn sogar gewichtige Gründe gegen die Richtigkeit der Entscheidung angeführt werden können, so dass der Ausgang des Verfahrens als offen bezeichnet werden kann, sondern erst dann, wenn der Erfolg der Berufung wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 - NdsRpfl 1999, 87 = NVwZ 1999, 431 = NdsVBl 1999, 93). Hier spricht nichts für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Obsiegens des Klägers in einem erst zuzulassenden Berufungsverfahren. Die vom Senat vorzunehmende Bewertung und Gewichtung der von der zur Genehmigung gestellten Bebauung berührten öffentlichen Belange führen zur Unzulässigkeit des Wohnbauvorhabens. Auf der Grundlage des Inhalts der dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgänge und der daraus entnehmbaren Kartenlage teilt der Senat das auf der Grundlage der vom Berichterstatter des Verwaltungsgerichts durchgeführten Ortsbesichtigung gefundene Ergebnis, dass ein Wohnhaus auf dem Flurstück E. mit der Zufahrt über das Waldflurstück D. jedenfalls den öffentlichen Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft und den des Naturschutzes und der Landschaftspflege beeinträchtigt. Die das anstehende Verfahren kennzeichnenden Besonderheiten führen nicht zu einer gegenteiligen Beurteilung.

6Das gilt zunächst insoweit, als der Flächennutzungsplan der Samtgemeinde I. für das rückwärtige Baugrundstück, also das Flurstück E., Dorfgebiet darstellt. Zum einen gilt diese grundsätzlich auch eine Wohnbebauung eröffnende Darstellung nur für das Flurstück E., nicht dagegen auch für das „Zuwegungs“-Flurstück D.. Grundsätzlich kann die mit einem Vorhaben verbundene Frage der Zuwegung nicht losgelöst vom Bauvorhaben selbst gesehen bzw. gelöst werden. Ob insoweit ein Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplanes besteht, kann aber aus anderen Gründen offen bleiben. Denn die Darstellung „Dorfgebiet“ für das Baugrundstück führt nicht zur Zulässigkeit des geplanten Wohnbauvorhabens. Zwar ist insoweit zunächst richtig, dass die in einem Flächennutzungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Vorstellungen einer Gemeinde für ein Genehmigungsverfahren mehr als eine nur unverbindliche Äußerung darstellen. So bringt eine Gemeinde durch den Flächennutzungsplan in einem gesetzlich geregelten Verfahren ihren planerischen Willen zum Ausdruck, der von der Genehmigungsbehörde grundsätzlich hingenommen werden muss (BVerwG, Urt. v. 29.4.1964 - I C 30.62 - DVBl 1964, 527 = BVerwGE 18, 247). Die positive Darstellung in einem Flächennutzungsplan lässt aber keineswegs den Schluss auf die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit allen in § 35 Abs. 3 BauGB genannten öffentlichen Belangen zu. Ihr kommt allenfalls Indizwirkung für tatsächliche, die Kraft öffentlicher Belange abschwächende Umstände zu (BVerwG, Urt. v. 25.1.1985 - 4 C 29.81 - NVwZ 1985, 747 = DÖV 1985, 832 = BRS 44 Nr. 87; Beschl. v. 4.7.1990 - 4 B 103.90 - NVwZ 1990, 962). Die durch ein Vorhaben berührten anderen öffentlichen Belange werden in ihrer Bedeutung für die Zulässigkeitsprüfung keinesfalls durch eine Übereinstimmung des beabsichtigten Vorhabens mit den Darstellungen eines Flächennutzungsplanes entkräftet (BVerwG, Urt. v. 10.8.1990 - 4 C 3.90 - DVBl 1990, 1182 = BauR 1991, 51 = BRS 50 Nr. 2). Positive Darstellungen eines Flächennutzungsplanes sind vielmehr generell nicht geeignet, die Zulässigkeit eines nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilenden Vorhabens insgesamt zu begründen, wenn dieses Vorhaben andere öffentliche Belange beeinträchtigt (BVerwG, Urt. v. 10.5.1968 - IV C 18.66 - DVBl 1968, 880 = BRS 20 Nr. 88).

Die mit dem Zulassungsantrag dann weiter in den Vordergrund gestellte Erwägung, dass der hier zur Beurteilung anstehende Teil des Außenbereichs von C. bereits erheblich durch Baulichkeiten vorbelastet ist, nämlich durch den Campingplatz, das Hallenbad, die Tennisanlagen und die Schießsportanlagen, führt ebenfalls nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Richtig ist zwar, dass in den Fällen, in denen eine nicht unerhebliche Anzahl von Landschaftseingriffen bzw. Landschaftseinbrüchen festzustellen ist, gerade der Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft einer Bestätigung durch die vorhandenen Gegebenheiten im Einzelfall bedarf (vgl. insoweit etwa BVerwG, Urt. v. 24.8.1979 - 4 C 8.78 - BauR 1980, 49 = BRS 35 Nr. 69). Es geht also nicht an, in derartigen Fällen die Beantwortung der Frage der Beeinträchtigung des Belanges der natürlichen Eigenart dann kurzerhand und ohne nähere Begründung zu bejahen bzw. zu verneinen. Ein solcher Fall liegt hier aber auch gar nicht vor. Die im Zulassungsantrag aufgeführten Einbrüche liegen nämlich zum einen nördlich des F. -Weges, so die Schießsport- und Tennisanlage, zum anderen aber - wie das Hallenbad und der Campingplatz - dann weiter entfernt. Der hier vorrangig maßgebliche Bereich ist aber der südlich an den F. -Weg angrenzende Waldstreifen sowie dann der daran anschließende Wiesenstreifen, den das Verwaltungsgericht auf S. 7 des Urteilsabdruckes auch als eine Wiese und ein Waldstück im Anschluss an eine frühere Hofstelle ausdrücklich anführt. Die örtlichen Gegebenheiten legen hier eine „kleinteiligere“ Beurteilung, als im Zulassungsantrag angeführt, nahe. Von Bedeutung ist dabei nicht nur der wiesenartige Auslauf der Ortsrandlagenwohnbebauung von L., sondern insbesondere der prägende Charakter des Waldstreifens südlich des F. -Weges.

8Abschließend weist der Senat noch auf die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 1985 (4 C 29.81, aaO) niedergelegten einschlägigen Erwägungen hin. Zunächst wird in den Leitsätzen angeführt: „Ein Wohnhaus, das in der landwirtschaftlich genutzten Dorfrandlage des Außenbereichs errichtet werden soll, beeinträchtigt in der Regel die natürliche Eigenart der Landschaft. Ein Vorhaben ist nicht schon deshalb siedlungsstrukturell unbedenklich, weil es an einem aus der bebauten Ortslage in den Außenbereich führenden Weg liegt, der asphaltiert und mit Versorgungsleitungen (hier: Wasser, Kanalisation) ausgestattet ist“. Sodann wird zu dem weiteren Belang des „Ausuferns der bebauten Ortslage“ das Folgende erläutert: „Auch eine - durch verbindliche Bauleitplanung nicht geordnete - Ausweitung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils in den Außenbereich hinein ist ein Vorgang der städtebaulichen unerwünschten, unorganischen Siedlungsweise, die zu vermeiden ein öffentlicher Belang i. S. d. § 35 Abs. 2 und 3 BBauG ist (vgl. Urt. v. 13.2.1976 - 4 C 72.74 - (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 123)). Deshalb lässt z. B. § 34 Abs. 2 BBauG ohne Planung nur eine Abrundung von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen zu, und dies auch nur unter der Voraussetzung einer noch feststellbaren prägenden Wirkung der vorhandenen Bebauung für die Abrundungsflächen und nur nach Maßgabe einer - aufsichtsbehördlich zu genehmigenden - Satzung. ... Die Anschlußbebauung von der bebauten Ortslage aus in den Außenbereich hinein ist ... in der Regel ein Vorgang der - siedlungsstrukturell unerwünschten - Zersiedlung, wenn nämlich - wie hier - das Vorhaben konkret geeignet ist, Nachfolgebebauung nach sich zu ziehen. In einem solchen Fall erfordern es die öffentlichen Belange, den ersten Ansätzen entgegenzutreten“. Auch im vorliegenden Fall liegt die Gefahr von Nachfolgebebauungen nahe, die das Gebot unterlaufen würden, die städtebauliche Entwicklung, zumindest was die Bebauung bislang unbebauter Flächen (Außenbereich) betrifft, durch Bebauungspläne zu ordnen und zu lenken.