Niedersächsisches OVG, Urteil vom 04.11.2002 - 9 LB 215/02
Fundstelle
openJur 2012, 38952
  • Rkr:

Der betriebswirtschaftliche Kostenbegriff erfasst den in Geld ausgedrückten tatsächlichen Verbrauch (Wertverzehr) von Gütern und Dienstleistungen innerhalb einer bestimmten Rechnungsperiode, soweit er im Rahmen der Leistungserbringung anfällt.

Wird nach dem Wiederbeschaffungszeitwert abgeschrieben, so darf der für die kalkulatorische Verzinsung maßgebliche Restwert gleichwohl auf der Grundlage fiktiver Abschreibungen nach dem Anschaffungs- und Herstellungswert ermittelt werden.

Betriebsbedingte sog. Verwaltungsgemeinkosten der an der Leistungserstellung beteiligten gemeindlichen Kern- und Querschnittsämter gehören zu den gebührenfähigen Kosten im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 NKAG; das anteilige Gehalt des Behördenleiters und Sitzungsgelder der Vertretungskörperschaft sind keine ansatzfähigen Gemeinkosten.

Geringfügig überhöhte Kostenansätze, etwa von weit weniger als 0,1 %, sind zwar rechtswidrig, führen aber nicht zur Nichtigkeit des beschlossenen Gebührensatzes.

Geldwerte Vorteile sind in der Gebührenkalkulation nicht ansatzfähig, wenn es an einem Wertverzehr in Bezug auf Güter- und Dienstleistungen fehlt.

Gründe

Mit seiner Klage hat der Kläger mehrere Kostenansätze in der Gebührenkalkulation der Beklagten angegriffen. Das Oberverwaltungsgericht hat seiner Berufung gegen die klageabweisende Entscheidung des Verwaltungsgerichts stattgegeben, weil sich auf der Kostenseite der Gebührenkalkulation zum Teil nicht ansatzfähige Kostenpositionen befänden. In den Gründen heißt es:

Im Rahmen einer Gebührenkalkulation berücksichtigungsfähige Kosten i.S. von § 5 Abs. 2 Satz 1 NKAG sind die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten. Unter diesem Kostenbegriff fällt der in Geld ausgedrückte tatsächliche Verbrauch (Wertverzehr) von Gütern und Dienstleistungen innerhalb einer bestimmten Rechnungsperiode, soweit er im Rahmen der Leistungserbringung anfällt. Geldmäßig bewertet wird also der Umstand, dass Güter ihre Fähigkeit verlieren, zur Leistungserstellung eingesetzt werden zu können (vgl. Urt. d. erkennenden Senats vom 12.9.1990 - 9 L 119/89 u.a., S. 17 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.2.1989 - 2 S 2279/87 - VBlBW 1989, 442; OVG Münster, Urt. v. 13.3.1988 - 2 A 1988/85 - ZKF 1988, 255; Schulte/Wiesemann, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2002, § 6 Rdnr. 47 m.w.N.). Kosten im betriebswirtschaftlichen Sinn sind nicht nur die tatsächlich getätigten Ausgaben, sondern auch bestimmte kalkulatorisch ermittelte Werteinbußen, so dass Zinsen auf das eingesetzte Eigenkapital der Gemeinde sowie Abschreibungen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 4 NKAG) und ferner kalkulatorische Wagniszuschläge (zu letzteren vgl. Lichtenfeld, in: Driehaus, aaO, § 6 Rdnr. 735 e) als Kosten i.S. von § 5 Abs. 2 NKAG gelten.

Der Kläger sieht einen Verstoß gegen diesen betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff zunächst in der Art und Weise, in der die Beklagte die kalkulatorischen Zinsen auf das von ihr eingesetzte Eigenkapital berechnet hat. Seine in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen greifen indessen nicht durch:

Bei der Berechnung der (kalkulatorischen) Zinsen ist nicht vom Wiederbeschaffungszeitwert, sondern vom Anschaffungs- und Herstellungswert auszugehen. Denn das Kapital, das gegenwärtig aufzuwenden wäre und daher den Wiederbeschaffungszeitwert angibt, kann schon vom Wortlaut her nicht mehr als „aufgewandtes“ Kapital angesehen werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.9.1983 - 8 B 117.82 - KStZ 1984, 11; OVG Lüneburg, Urt. v. 12.7.1984 - 3 A 5150/81 - KSTZ 1985, 195; Urt. v. 9.10.1990 - 9 L 279/89 - NST-N 1991, 18 = NVwZ-RR 1991, 381 = NdsRpfl. 1991, 95; OVG Münster - Urt. v. 5.8.1994 - 9 A 1248/92 - NVwZ 1995, 1236; Lichtenfeld, aaO, § 6 Rdnr. 735 a). Vom Anschaffungs- und Herstellungswert ist zu Beginn eines jeden Jahres das Kapital abzuziehen, das in Form von - in den Gebühren enthaltenen - Abschreibungsbeträgen bereits in die Gemeindekasse zurückgeflossen ist. Da dieses Kapital der Gemeinde wieder zur Verfügung steht, entfällt insoweit die Rechtfertigung für die weitere Erhebung kalkulatorischer Zinsen, so dass nur der Restwert, und zwar zu Beginn einer Kalkulationsperiode (vgl. Schulte/Wiesemann, aaO, § 6 Rdnr. 196 a), für die Zinsberechnung maßgeblich sein kann.

Diese Grundsätze besagen allerdings nicht, dass der Restwert immer, also auch bei der gemäß § 5 Abs. 2 Satz 5 NKAG zulässigen Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert, auf der Grundlage der tatsächlich zugeflossenen Abschreibungserlöse berechnet werden muss. Vielmehr können Abschreibungen auch dann, wenn sie nach dem Wiederbeschaffungszeitwert berechnet worden sind, bei der Ermittlung des für die kalkulatorische Verzinsung maßgeblichen Restwertes lediglich fiktiv in Höhe einer Abschreibung nach Anschaffungs- und Herstellungswerten berücksichtigt werden. Die gegenteilige, auch vom Kläger vertretene Rechtsansicht verkennt die unterschiedlichen Zielrichtungen, die mit der kalkulatorischen Verzinsung einerseits und der Abschreibung nach Wiederbeschaffungszeitwerten andererseits verfolgt werden, und würde dazu führen, dass die Vorteile, die der Gesetzgeber mit der Zulassung einer Abschreibung nach Wiederbeschaffungszeitwerten gerade herbeiführen wollte, durch die Festlegung eines geringeren Restwerts bei der kalkulatorischen Verzinsung teilweise wieder entfallen würden. Kalkulatorische Zinsen bilden den Gegenwert dafür, dass von der Allgemeinheit aufgebrachtes betriebsnotwendiges Kapital der öffentlichen Einrichtung zur Nutzung überlassen ist und andere öffentliche Vorhaben daher nicht, erst zu einem späteren Zeitpunkt oder nur aufgrund einer mit Zinsen zu vergütenden Fremdfinanzierung verwirklicht werden können. Der Gebührenzahler entrichtet durch die kalkulatorischen Zinsen also ein Entgelt dafür, dass der Steuerzahler die öffentliche Einrichtung finanziert hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.9.1983, aaO, sowie Beschl. v. 25.3.1985 - 8 B 11.84 - KSTZ 1985, 129; Lichtenfeld, aaO, § 6 Rdnr. 735). Der Abschreibungsanteil, der auf das Abstellen auf den Wiederbeschaffungszeitwert zurückzuführen ist, stellt demgegenüber keinen Rückfluss von investiertem Kapital dar, sondern soll den inflationsbedingten Werteverzehr der Anlage ausgleichen. § 5 Abs. 2 Satz 5 NKAG lässt die Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert gerade unter dem finanzwirtschaftlichen Ziel zu, die Ausstattung mit Eigenkapital zu gewährleisten bzw. zu steigern. Die Gemeinden sollen also mehr Finanzmittel erhalten als für die ursprüngliche Anschaffung und Herstellung des Abwasserbeseitigungssystems erforderlich waren, damit sie auch in Zukunft ihre öffentlichen Aufgaben erfüllen können. Demnach kann es bei dem Nebeneinander von kalkulatorischer Verzinsung und Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert nicht darum gehen, die - andere finanzwirtschaftliche Ziele verfolgende - kalkulatorische Verzinsung angesichts der Mehrerlöse, die bei einer Abschreibung nach dem Wiederbeschaffungszeitwert erzielt werden, anteilig zu kürzen. Wegen der Notwendigkeit einer Substanzerhaltung sollen diese Mehrerlöse vielmehr der Gemeinde ungeschmälert verbleiben. Dann aber kann weder ein Abzug nach Wiederbeschaffungszeitwerten generell gefordert noch der teilweise vertretenen Meinung (vgl. Schulte/Wiesemann, aaO, § 6 Rdnrn. 191 a ff.) gefolgt werden, dass die Einnahmen aus Abschreibungen nach dem Wiederbeschaffungszeitwert und die kalkulatorischen Zinsen den Betrag nicht überschreiten dürften, der bei einer Anlage am Kapitalmarkt mit Zins und Zinseszins zu erzielen wäre. Die Vorgabe eines solchen Kapitalendwertes ist vom OVG Münster (Urt. v. 1.9.1999 - 9 A 3342/98 - NVwZ-RR 2000, 383 = KStZ 2000, 90, rechtskräftig seit dem Beschl. d. BVerwG vom 10.4.2000 - 11 B 61, 62, 63/99 -) zu Recht als schon vom Ansatz her unzutreffend bezeichnet worden, weil sie der Intention des Gesetzgebers widerspreche.

Nach alledem ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte zwar nach dem Wiederbeschaffungszeitwert abgeschrieben, den für die kalkulatorische Verzinsung maßgeblichen Restwert aber auf der Grundlage fiktiver Abschreibungen nach dem Anschaffungs- und Herstellungswert, also der nicht indexierten Abschreibungen, ermittelt hat. Keinen rechtlichen Bedenken unterliegt ferner, dass die Beklagte auf der Kostenseite ihrer Gebührenkalkulation „persönliche Ausgaben“ und „Gemeinkosten“ in Höhe von etwa 250.000,- DM berücksichtigt hat. Bei diesen betriebsbedingten sog. Verwaltungsgemeinkosten handelt es sich um die anteiligen Kosten, die dadurch entstanden sind, dass an der Leistungserstellung, hier der Abwasserbeseitigung, auch die Kern- und Querschnittsämter der Stadtverwaltung (hier das Bauamt, die Finanzverwaltung, die Hauptverwaltung, das Rechnungsprüfungsamt und sonstige Einrichtungen der Verwaltung) beteiligt waren. Insoweit liegen ansatzfähige Kosten i.S. von § 5 Abs. 2 Satz 1 NKAG vor, weil die zu Gunsten des Abwasserbeseitigungssystems erbrachten Sach- und Dienstleistungen der Stadtverwaltung einen Wertverzehr bedeuten, der der öffentlichen Einrichtung Abwasserbeseitigung als betriebsbedingt zugerechnet werden muss (ebenso z.B. OVG Münster, Beschl. v. 17.9.1985 - 2 B 1595/85 - ZKF 1985, 277; Schulte/Wiesemann, aaO, § 6 Rdnr. 170 m.w.N.).

Rechtswidrig ist es allerdings, dass die Beklagte für die Inanspruchnahme ihrer Gemeindeorgane 4.100,- DM in die Gebührenkalkulation eingestellt hat. Nach der herrschenden Meinung (z.B. VGH Mannheim, Beschl. v. 27.2.1996 - 2 S 1407/94 - NVwZ-RR 1996, 593 = VBlBW 1996, 382; Schulte/Wiesemann, aaO, § 6 Rdnr. 171), der sich der Senat anschließt, gehören das anteilige Gehalt des Behördenleiters und Sitzungsgelder der Vertretungskörperschaft nicht zu den ansatzfähigen Gemeinkosten, weil deren Tätigkeiten Teil der allgemeinen Verwaltung sind und daher über den allgemeinen Haushalt finanziert werden müssen. Der somit fehlerhafte Ansatz von 4.100,-- DM führt indessen allein noch nicht zur Unwirksamkeit des von der Beklagten beschlossenen Gebührensatzes. Bei Gesamtkosten der Abwasserbeseitigung in Höhe von 7.750.000,- DM hat er eine ungerechtfertigte Überhöhung der angesetzten Kosten von lediglich weit weniger als 0,1 % zur Folge. Derart geringfügige Überschreitungen wirken sich auf die Rechtsstellung des Gebührenpflichtigen praktisch nicht nachteilig aus, weil sie eine nennenswerte Erhöhung des Gebührensatzes nicht bewirken. Zu Gunsten der abwasserbeseitigungspflichtigen Kommune ist andererseits zu berücksichtigen, dass kleinere Unzulänglichkeiten bei einer Gebührenkalkulation angesichts der Vielzahl der zu bewertenden Positionen häufig nur schwer vermeidbar sind. Sie können nicht nur in einer sachlich nicht mehr vertretbaren (Teil-)Prognose, sondern auch - wie hier - in der Berücksichtigung von aus Rechtsgründen nicht ansatzfähigen Kosten liegen. Bei dieser Interessenlage legt es das gewichtige Allgemeininteresse an einer effektiven und zügigen Refinanzierung öffentlicher Ausgaben nahe, bei geringfügig überhöhten Kostenansätzen, wie hier von weit weniger als 0,1 %, nicht von der Gesamtnichtigkeit des Gebührensatzes auszugehen, sondern die Kostenüberschreitung als noch rechtlich unbeachtlich anzusehen (so schon für einen um weniger als 0,3 % überhöhten Beitragssatz Urt. des Senats v. 26.2.2002 - 9 KN 3294/01 -).

Eine Nichtigkeit der streitigen Gebührensätze der Beklagten ergibt sich aber aus dem Kostenansatz von 764.200,- DM für einen „geldwerten Vorteil“. Diese Position beruht nach den Angaben der Beklagten in der Berufungsverhandlung auf folgendem Sachverhalt: Im Kalkulationszeitraum betrieb der Landkreis Hannover auf einem der Beklagten gehörenden Grundstück eine Abfallbeseitigungsdeponie. Die Beklagte verbrachte ihren Klärschlamm dorthin, und zwar kostenlos, weil der Landkreis wegen der Nutzungsüberlassung vertraglich auf die Erhebung der sonst für angelieferten Klärschlamm berechneten Gebühr von 491,- DM pro Tonne verzichtet hatte. Die Beklagte meint, bei der Anlieferung ihres Klärschlamms auf eine andere Deponie hätten mindestens 190,- DM pro Tonne gezahlt werden müssen, was zu ansatzfähigen Gesamtkosten in Höhe von 764.200,- DM führe. Die Beklagte hält diesen Betrag also für in der Gebührenkalkulation berücksichtigungsfähig, weil bei einer anderen Gestaltung des Sachverhalts, nämlich einer kostenpflichtigen Entsorgung des Klärschlamms, Ausgaben in dieser Höhe entstanden wären. Ihrer insoweit geäußerten Ansicht, dass „jede Art von geldwertem Vorteil“ ansatzfähig sei, kann nicht gefolgt werden. Der betriebswirtschaftliche Kostenbegriff stellt nicht auf geldwerte Vorteile für die Gebührenschuldner, sondern - wie dargelegt - auf einen Wertverzehr in Bezug auf Güter und Dienstleistungen ab. An dem tatsächlichen Verbrauch von Gütern oder Dienstleistungen fehlt es aber, wenn Klärschlamm - wie hier auf der Abfallbeseitigungsdeponie des Landkreises Hannover - kostenlos entsorgt wird. Kosten, die nicht entstanden sind, bei einer anderen Entsorgungsform aber entstanden wären, sind rein fiktiv und im betriebswirtschaftlichen Sinn deshalb unbeachtlich (vgl. z.B. VGH Mannheim, Urt. v. 16.2.1989, aaO sowie Schulte/Wiesemann, aaO, § 6 Rdnrn. 184 und 491 b).