OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.10.2010 - 11 U 29/10 (Kart)
Fundstelle
openJur 2012, 33647
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 04.03.2010 (Az.: 2-03 O 483/09) abgeändert.

Die einstweilige Verfügung der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22.10.2010 (Az.: 2-03 O 483/09) wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass wird zurückgewiesen.

Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Eilverfahren um die Vergabe der zweistelligen Second-Level-Domain „...“.

Die Verfügungsklägerin hat auf ihren am 22.10.2009 bei Gericht eingegangenen Antrag am 22.10.2009 eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit welcher der Verfügungsbeklagten untersagt wurde, den second-level-Domain-Namen „...“ unter der top-level-Domain „de“ als „...de“ zugunsten eines Dritten zu registrieren und zu konnektieren.“

Das Landgericht hat diese einstweilige Verfügung auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten vom 22.09.2009 durch Urteil vom 04.03.2010, auf dessen Inhalt wegen des erstinstanzlichen Vortrags und der Begründung verwiesen wird, bestätigt.

Das Landgericht hat einen Unterlassungsanspruch der Verfügungsklägerin aus § 12 BGB bejaht. Durch die Registrierung der Domain „...de“ für einen Dritten werde – unabhängig davon, wer einen solchen Registrierungsantrag gestellt habe – in die Namensrechte der Verfügungsklägerin eingegriffen. Die Verfügungsbeklagte hafte als Störerin. Es bestehe eine Erstbegehungsgefahr, da tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass die Verfügungsbeklagte sich in naher Zukunft rechtswidrig verhalten werde.

Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil verfolgt die Verfügungsbeklagte ihren Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 22.10.2009 und auf Zurückweisung des Verfügungsantrags in zweiter Instanz weiter.

Sie macht im Wesentlichen geltend, das Landgericht missachte die durch die Rechtsprechung des BGH entwickelten Grundsätze der Störerhaftung der Verfügungsbeklagten und die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen das bloße Registrieren einer Domain eine Rechtsverletzung darstelle. Zudem habe das Landgericht zu Unrecht eine Erstbegehungsgefahr bejaht. Die Verfügungsklägerin habe auch keinen Anspruch aus § 12 BGB bzw. §§ 14, 15 MarkenG darauf, Inhaberin der Domain „...de“ zu werden, so dass kein Anlass für eine einstweilige Verfügung zur Sicherung eines solchen Anspruchs – der inzwischen im Hauptsacheverfahren anhängig sei – bestehe. Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht unter kartellrechtlichen Gesichtpunkten.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 04.03.2010 sowie die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22.10.2010, Az.: 2-03 O 483/09 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweilige Verfügung zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und meint, sie habe einen kartellrechtlichen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf Registrierung der Domain „...de“ für sich. Sie macht Mängel des Registrierungsverfahren am 23.10.2010 geltend und ist der Auffassung, das Verhalten von Providern, die Mitglieder der Verfügungsbeklagten sind, habe dazu geführt, dass das Registrierungsverfahren „First come first served“ als Gerechtigkeitsprinzip nicht funktioniert habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache führt die Berufung auch zum Erfolg, denn die Verfügungsklägerin hat keinen Verfügungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte, es zu unterlassen, den second-level-Domain-Namen „...“ unter der top-level-Domain „de“ als „...de“ zugunsten eines Dritten zu registrieren und zu konnektieren.

1. Der Verfügungsklägerin steht kein dahingehender namens- oder markenrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Verfügungsbeklagte zu. Ein solcher Anspruch kommt nur unter dem Gesichtspunkt einer Störerhaftung der Verfügungsbeklagten in Betracht, denn durch das Registrieren und Verwalten eines Domain-Namens verletzt die Verfügungsbeklagte selbst weder unmittelbar noch mittelbar Namens- oder Kennzeichenrechte der Verfügungsklägerin (BGH, Urteil v. 17.5.2001 – I ZR 251/99 – ambiente.de, GRUR 2001, 1038, 1039; GRUR 2004, 619 – Kurt-biedenkopf.de).

Die Voraussetzungen für eine Störerhaftung der Verfügungsbeklagten liegen nicht vor. Die Haftung des Störers setzt die Verletzung von Prüfungspflichten voraus, weil die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben. Der Umfang der Prüfungspflichten bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist (BGH, wie vor, m.w.N.). Wie weit die Prüfungspflichten eines möglichen Störers reichen, ist unter Berücksichtigung der Funktion und Aufgabenstellung des als Störer in Anspruch Genommenen sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung des unmittelbar handelnden Dritten zu beurteilen (BGH, Urteil v. 17.5.2001 – I ZR 251/99 – ambiente.de, GRUR 2001, 1038, 1040 m.w.N.). Danach sind der Verfügungsbeklagten unter Berücksichtigung ihrer Funktion und Aufgabenstellung für die Phase der ursprünglichen Registrierung und mit Blick auf die Eigenverantwortung des Anmelders keine Prüfungspflichten zuzumuten (BGH, wie vor). Die Verfügungsbeklagte, die nur wenige Mitarbeiter beschäftigt, versucht das Registrierungsverfahren insbesondere dadurch effektiv zu gestalten und eine möglichst schnelle und preiswerte Registrierung zu gewährleisten, dass sie die angemeldeten Domain-Namen in einem automatisierten Verfahren allein nach dem Prioritätsprinzip vergibt, ohne dabei zu prüfen, ob an der angemeldeten Bezeichnung Rechte Dritter bestehen. Ihm muss sich grds. auch der Inhaber eines relativ stärkeren Rechts unterwerfen, der feststellt, dass sein Name oder sonstiges Kennzeichen bereits von einem Gleichnamigen als Domain-Namen registriert worden ist. Denn im Hinblick auf die Fülle von möglichen Konfliktfällen muss es im Allgemeinen mit einer einfach zu handhabenden Grundregel sein Bewenden haben (BGH, GRUR 2002, 622 – shell.de). Nur auf diese Weise war die Verfügungsbeklagte bislang in der Lage, die Registrierung einer großen Zahl von Second-Level-Domains zu bewältigen. Jede Prüfung - auch wenn sie sich auf völlig eindeutige, für jedermann erkennbare Verstöße beschränken würde - ließe sich mit dem bewährten automatisierten Verfahren nicht in Einklang bringen (BGH, wie vor).

Auch bei dem hier zu beurteilenden Verfahren zur erstmaligen Registrierung, bei dem zu einem bestimmten Stichtag in der Registrierungsdatenbank der Verfügungsbeklagten eingehende Registrierungsanträge für ein- und zweistellige Second-Level-Domains nach dem Prioritätsprinzip „First come first served“ berücksichtigt wurden, ist der Verfügungsbeklagten eine individuelle Prüfung vorrangiger Registrierungsanträge im Hinblick auf das Massenverfahren nicht zuzumuten.

Ein (vorbeugender) Unterlassungsanspruch der Verfügungsklägerin ergibt sich auch nicht daraus, dass die Verfügungsklägerin im Falle, dass die Domain „...de“ zugunsten eines Dritten registriert würde, einen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf Löschung bzw. Aufhebung dieser Domain hätte. Denn die Verfügungsbeklagte treffen auch in der Phase nach der Registrierung einer Domain nur eingeschränkte Prüfungspflichten. Danach ist die Verfügungsbeklagte nur gehalten, eine Registrierung zu löschen, wenn sie ohne weitere Nachforschungen zweifelsfrei feststellen kann, dass ein registrierter Domainname Rechte Dritter verletzt. Bei solchen offenkundigen, von dem zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten unschwer zu erkennenden Rechtsverstößen kann von der Verfügungsbeklagten erwartet werden, dass sie die Registrierung aufhebt. Ein solcher unschwer zu erkennender Rechtsverstoß ist gegeben, wenn der Verfügungsbeklagten ein rechtskräftiger gerichtlicher Titel gegen den Inhaber des Domainnamens auf Unterlassung der Bezeichnung vorliegt oder wenn die Rechtsverletzung derart eindeutig ist, dass sie sich ihr aufdrängen muss. Dies ist für den Bereich des Markenrechts nur dann zu bejahen, wenn der Domainname mit einer berühmten Marke identisch ist, die über eine überragende Verkehrsgeltung auch in allgemeinen Verkehrskreisen verfügt (BGH, Urteil v. 17.5.2001 – I ZR 251/99 – ambiente.de, GRUR 2001, 1038, 1041). Diese vom BGH aufgestellten Grundsätze dürfen nicht aufgeweicht werden (OLG Frankfurt, Urteil v. 17.6.2010, 16 U 239/09). An ihnen ist deshalb auch im vorliegenden Fall festzuhalten.

Nach diesen Grundsätzen kann nicht angenommen werden, dass die Verfügungsklägerin ohne einen rechtskräftigen Titel gegen den Inhaber der Domain einen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf Löschung bzw. Aufhebung der Domain „...de“ hätte, wenn diese Domain zugunsten eines Dritten registriert würde. Denn aus dem Vortrag der Verfügungsklägerin ergibt sich allenfalls, dass es sich bei „...“ um ein – jedenfalls in Hessen – bekanntes Akronym handelt, nicht jedoch um eine im geschäftlichen Verkehr in Gebrauch befindliche berühmte Marke oder einen berühmten Namen. Solches lässt sich auch nicht der im Berufungsverfahren als Anlage ASt 27 vorgelegten Verkehrsbefragung über die Verkehrsbekanntheit der Bezeichnung „...“ durch die ... Marktforschung vom Februar 2010 entnehmen, wonach die Bezeichnung „...“ - ohne Hinweis auf Waren oder Dienstleistungen – über einen Bekanntheitsgrad von 39,9 % bzw. 40 % in der Gesamtbevölkerung verfügt. Um die Voraussetzung eines berühmten Kennzeichens zu erfüllen, muss es sich indes um ein Kennzeichen handeln, dass über eine weit überragende Verkehrsgeltung verfügt, was nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung einen Durchsetzungsgrad von wenigstens 80 % voraussetzt und obendrein über eine einmalige, nicht durch (auch branchenfremde) Drittzeichen geschwächte Kennzeichnungs- und Werbekraft verfügt [BGH, GRUR 1991, 863 (865) – Avon vgl. auch Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 2. Aufl., § 14 Rn. 788].

2. Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte auch keinen Anspruch auf Registrierung der Domain „...de“ gemäß § 20 GWB, dessen Sicherung sie im Eilverfahren erreichen könnte.

Die Verfügungsbeklagte ist zwar nach der ständigen Rechtsprechung des Senats Normadressatin des § 20 GWB, denn sie hat eine marktbeherrschende Stellung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB, weil sie auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbewerber ist (Senat, Urteil v. 13.2.2007 – Az.: 11 U 24/06 (Kart); Urteil v. 29.4.2008, Az.: 11 U 32/04 (Kart); Urteil v. 18.05.2010 – 11 U 36/09 (Kart), jeweils zitiert nach Juris).

Die Entscheidung der Verfügungsbeklagten, zu einem bestimmten Stichtag Registrierungsanträge für ein- und zweistellige Domains nach dem Prioritätsprinzip „First come, first served“ zuzulassen, stellt eine Gleichbehandlung aller Antragsteller dar, weil jeder die gleiche Chance hat, der Erste zu sein (vgl. Senat, Urteil v. 18.05.2010 – 11 U 36/09 (Kart), zitiert nach Juris). Hieran ändert nichts, dass die Verfügungsbeklagte die Zahl der Anträge pro Minute für jeden Provider auf vier Anträge per E-Mail beschränkt hatte, um eine Überlastung des Systems zu vermeiden, denn dies betraf alle Antragsteller gleichermaßen. Ebenso führt es nicht zu einer Ungleichbehandlung durch die Verfügungsbeklagte, dass einzelne Provider den Zeitpunkt der Weitergabe an die Registrierungsdatenbank der Verfügungsbeklagten von der Höhe einer Geldleistung durch den Antragsteller abhängig gemacht haben. Für die Antragsteller, die zu einer Zahlung nicht bereit oder in der Lage waren, bestand die Möglichkeit, auf einen anderen der insgesamt 270 Provider auszuweichen. Eine Vorsortierung im Bereich der Provider ändert zudem nichts daran, dass für die Rangfolge der Eingang des Antrags bei der Registrierungsdatenbank der Verfügungsbeklagten maßgeblich geblieben ist. Eine Verpflichtung der Verfügungsbeklagten, eine Karenzzeit einzuführen und zunächst vorrangige Ansprüche zu bedienen, besteht aus kartellrechtlicher Sicht nicht, zumal die Verfügungsbeklagte – wie ausgeführt – allenfalls eine eingeschränkte Prüfungspflicht trifft und die Registrierung von Domains nicht mit der vorgeschalteten Prüfung kennzeichenrechtlicher Ansprüche belastet werden kann (BGH, Urteil v. 17.5.2001 – I ZR 251/99 – ambiente.de, GRUR 2001, 1038). Eine individuelle Prüfung vorrangiger Registrierungsanträge ist im Hinblick auf das bei der Registrierung erforderliche Massenverfahren nahezu ausgeschlossen. Die Verfügungsbeklagte verfügt hierfür weder über die personellen, noch sachlichen Mittel. Das gilt erst recht für das am 23.10.2009 eingeleitete Registrierungsverfahren. Die Verfügungsbeklagte treffen im vorliegenden Fall – entgegen der Auffassung des Landgerichts – auch nicht deshalb weitergehende Prüfungspflichten, weil sie im Rahmen des Eilverfahrens entgegenstehende Rechte unter Einschaltung eines Rechtsanwalts geprüft hat und sich deshalb nicht mehr „in einem automatisierten Verfahren“ befindet. Die entsprechenden Ausführungen der Verfügungsbeklagten erfolgten zum Zwecke der Rechtsverteidigung und nicht zwecks umfassender Recherche von Namensrechten. Träfe die Auffassung des Landgerichts zu, könnte jeder an der Eintragung einer Domain Interessierte durch Einleitung des Eil- oder Klageverfahrens eine Erweiterung der Prüfungspflichten der Verfügungsbeklagten bewirken. Dies wäre das Ende des Prioritätsprinzips.

3. Die Verfügungsklägerin kann schließlich einen Eintragungsanspruch nicht daraus herleiten, dass die Beklagte sich entschlossen hat, die zweistellige Domain „....de“ schon unmittelbar vor Beginn des neuen Registrierungsverfahrens zu registrieren. Für die Registrierung der Domain „....de“ am 23.10.2009 vor dem Startschuss zur Einführung des neuen Registrierungssystems kann sich die Verfügungsbeklagte auf sachliche Gründe berufen, weil sie nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu ihrer Haftung für kennzeichenverletzende Domains (BGH, wie vor) damit rechnen musste, dass sie aufgrund der im Zeitpunkt der Umstellung des Registrierungsverfahrens bereits rechtshängigen Klage die Domain „....de“, wäre sie am 23.10.2009 zunächst für einen Dritten registriert worden, möglicherweise wieder hätte löschen und für X ... registrieren müssen, weil es sich um eine im geschäftlichen Verkehr in Gebrauch befindliche berühmte Marke handelt. Dass die Beklagte diesen Umweg vermeiden wollte, ist nachvollziehbar und vertretbar. Die Überlegung, einen möglicherweise aussichtslosen Rechtsstreit durch freiwillige Registrierung zu beenden, stellt eine sachliche Rechtfertigung dar, die Domain noch vor dem Startschuss zu registrieren (Senat, Urteil v. 18.05.2010 – 11 U 36/09 (Kart), zitiert nach Juris; ebenso Landgericht München I, Urteil vom 10.2.2010 - 37 O 19801/09, Anlage AG34). Dass die Marke „..." in vergleichbarer Weise bekannt ist wie die Marke „...“, ist nicht ersichtlich.

Nach alledem war die einstweilige Verfügung aufzuheben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Einer Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedarf es nicht, weil das Urteil kraft Gesetzes (§ 542 Abs. 2 ZPO) nicht revisibel ist.

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