VG Berlin, Urteil vom 19.09.2011 - 85 K 4.11 OB
Fundstelle
openJur 2012, 15943
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird mit folgender Maßgabe abgewiesen:

Der Zeitraum der Beförderungssperre wird auf sechs Monate abgekürzt.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der im Jahr 196... in B... geborene Kläger ist seit 1994 Beamter auf Lebenszeit mit dem Dienstgrad Polizeiobermeister (letzte Beförderung: 2003). Er gehört der Bundespolizei – bis 2005 Bundesgrenzschutz – seit 1983 an. Er war zeitweilig als Sicherheitsbeamter bei Auslandsvertretungen zum Auswärtigen Amt abgeordnet. Im Jahr 2001 wurde er als Kontroll- und Streifenbeamter zur Bundespolizeiinspektion F... versetzt. Dort war er Schießausbilder und EBF-Trainer. In den Jahren 2003 und 2004 war er mehrfach als Sicherungsbeamter zur Bundespolizeidirektion Frankfurt Flughafen abgeordnet. Zum 1. März 2011 wurde er zur Bundespolizeidirektion Sankt Augustin versetzt; er verrichtet Dienst als Kontroll- und Streifenbeamter bei der Bundespolizeiinspektion K....

Der Kläger ist seit dem Jahr 2000 geschieden und unterhaltspflichtig für einen 1991 geborenen Sohn. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse sind geordnet. Er bezieht Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 8.

Er ist disziplinarrechtlich oder strafrechtlich nicht vorbelastet. Seine dienstlichen Leistungen wurden für den Zeitraum 2002 bis 2004 mit der Gesamtnote 8 (übertrifft die Anforderungen durch überwiegend herausragende Leistungen), 2004 bis 2006 mit der Gesamtnote 7 (übertrifft die Anforderungen durch häufig herausragende Leistungen) und zuletzt 2006 bis 2008 mit der Gesamtnote 6 (entspricht den Anforderungen in jeder Hinsicht mit gelegentlich herausragenden Leistungen) beurteilt.

Im Oktober 2004 fand eine Schießausbildung der Dienstgruppe 4 der BGSI F... statt. Der Kläger erhielt 16 Schuss Munition „Action 4“. Er lud seine beiden Magazine abwechselnd mit dieser Munition und privat von ihm erworbener Munition „Luger“ 9mm x 19 Weichkern S&B. Er wollte dadurch das Verhalten beider Munitionen vergleichen. Die verbliebenen 8 Patronen „Action 4“ und eine Patrone „Luger“ bewahrte er in seinem Waffenschließfach auf.

Zwischen dem 16. Februar und dem 24. März 2005 befand sich der Kläger wegen Urlaubs bzw. Erkrankung nicht im Dienst. Am 17. März 2005 fand in der BGSI F... eine routinemäßige Vollzähligkeitsüberprüfung von Munition statt. In dem Zusammenhang wurde auch das Waffenschließfach des Klägers geöffnet. Dabei wurde festgestellt, dass sich 8 Patronen „Action 4“ zu viel in seinem Schließfach befanden und zusätzlich eine Patrone „Luger“ 9mm x 19 Weichkern S&B. Seine Dienstwaffe Nr. 5... befand sich nicht in dem Schließfach. Der Kläger war seit November 2003 nicht mehr berechtigt, die ihm dienstlich zugewiesene Waffe außerhalb des Dienstes zu tragen. Über den Umgang mit Dienstwaffen war der Kläger turnusmäßig, zuletzt am 8. Januar 2005, schriftlich belehrt worden, u.a. auch darüber, dass bei Abwesenheit von mehr als einer Woche die Dienstwaffe am Dienstort zu hinterlegen war.

Daraufhin leitete der Leiter der BGSI F... am 15. April 2005 das Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein und setzte dieses im November 2005 im Hinblick auf ein wegen unerlaubten Waffenbesitzes eingeleitetes Strafermittlungsverfahren aus. Nachdem die Staatsanwaltschaft Cottbus das Strafverfahren im November 2006 gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt hatte (1...), setzte der Dienstvorgesetzte des Klägers das Disziplinarverfahren fort und unterrichtete den Kläger mit Schreiben vom 5. Dezember 2006 darüber.

Am 11. Dezember 2006 erschien der Kläger gegen 12 Uhr zum HOT-Training in der V. Dienstgruppe des Einsatzabschnitts F.... Dabei nahm die Zeugin PK’ in z.A. Z... bei ihm Alkoholgeruch wahr. Daraufhin wurden mit Einverständnis des Klägers mit einem Gerät der Firma Dräger Typ 7410, Geräte Nr. 0251, zwei Atemalkoholkontrollen durchgeführt. Diese ergaben folgende Ergebnisse:

 Messung Ergebnis13:15 Uhr  0,52 ‰13:25 Uhr  0,52 ‰Eine weitere Atemalkoholmessung lehnte der Kläger ab. Das genannte Atemalkoholmessgerät war am 25. Oktober 2006 zuletzt kalibriert worden.

Daraufhin dehnte die Beklagte das Disziplinarverfahren mit Schreiben vom 27. Dezember 2006 unter Hinweis auf die Alkohol-Feststellungen erneut aus. Mit Schreiben an den Kläger vom 5. Februar 2007 dehnte der Dienstvorgesetzte das Disziplinarverfahren weiter auf die unbefugte Lagerung der Dienstwaffe (s.o.) und mit Schreiben vom 10. September 2007 auf den Verdacht aus, in der Zeit vom 15. Januar bis 30. März 2007 während seiner Abordnung als Einsatztrainer an die Fortbildungsstätte des Bundespolizeiamts Frankfurt/Oder in F... Dienstzeiten in den von ihm eingereichten Dienstbucheinlegeblättern unkorrekt eingetragen zu haben. Ein wegen dieses Sachverhalts gegen den Kläger eingeleitetes Strafermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder mit Verfügung vom 2. April 2008 mangels Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein (2...).

Mit Schreiben vom 2. Dezember 2009 gab der unmittelbare Dienstvorgesetzte das Disziplinarverfahren an die Bundespolizeidirektion Berlin ab.

Mit Disziplinarverfügung vom 14. Juni 2010 kürzte die Beklagte die Dienstbezüge des Klägers um 1/20 auf die Dauer von 12 Monaten. Als Dienstvergehen wird dem Kläger darin zur Last gelegt:

1. Am 17. März 2005 eine nicht zugelassene Patrone „Luger“ 9 mm S&B besessen und seine Dienstwaffe unerlaubt außerhalb des Dienstes aufbewahrt zu haben.

2. Am 11. Dezember 2006 im Dienst unter Alkoholeinfluss gestanden zu haben.

3. In der Zeit vom 15. Januar bis zum 30. März 2007 während seiner Abordnung als EBF-Trainer zur Fortbildungsstätte in F... in 34 Fällen den Beginn bzw. das Ende der Dienstzeit zu seinen Gunsten falsch erfasst und sich damit zu Unrecht ein Zeitguthaben von 41,5 Stunden verschafft zu haben.

Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser die Vorwürfe pauschal bestritt, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2011, zugestellt am 15. Februar 2011, zurück.

Zur Begründung seiner am 15. März 2011 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Klage trägt der Kläger vor: Hinsichtlich der waffenrechtlichen Vorwürfe sei das Strafverfahren gemäß § 153 StPO eingestellt worden. Am 11. Dezember 2006 habe er eine Erkältung gehabt, wegen der er ab 12. Dezember 2006 bis 12. Januar 2007 krankgeschrieben worden sei. Um Hustenreiz und Halsschmerzen zu lindern, habe er DrofA Kräuter-Hustentropfen und Halsschmerztabletten (Knufinke Anginetten/Dolo Dobendan) genommen sowie eine Rachenspülung vorgenommen. Seinen Dienst habe er an jenem Tag um 7:45 Uhr angetreten. Außer der Beamtin Z... habe kein Kollege ihn auf Atemalkoholgeruch angesprochen. Die Fortbildungsstätte habe er möglicherweise nicht dort, wo der Pförtnerdienst tätig war, betreten. Er habe sogar mehr Stunden geleistet, als er eingetragen habe. Teilweise sei er gegangen und umgehend zurückgekommen, ob immer ein Pförtner dagewesen sei, sei nicht dokumentiert. Ihm sei ein massiver Schaden entstanden, weil eine im Jahr 2004 vorgesehene Beförderung nicht stattgefunden habe.

Der Kläger beantragt,

die Disziplinarverfügung vom 14. Juni 2010 und den Widerspruchsbescheid der Bundespolizeidirektion Berlin vom 9. Februar 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft die Ausführungen in der Disziplinarverfügung und im Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus: Das Erreichen der festgestellten Atemalkoholkonzentration durch Einnahme von Medikamenten sei kaum möglich. Selbst wenn eine solche Alkoholisierung möglich wäre, würde dies an dem Nachweis der Alkoholisierung nichts ändern. Seine Vortrag, die Fortbildungsstätte an Stellen betreten oder verlassen zu haben, an denen der Pförtner sein Kommen und Gehen nicht habe bemerken können, überzeuge nicht. Die Liegenschaft habe nur einen Zu-/Ausgang.

Mit Beschluss vom 9. Juni 2011 hat die Kammer den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachstands und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, den Disziplinarvorgang der Beklagten, insbesondere die angefochten Disziplinarverfügung sowie die genannten Strafakten verwiesen, die vorgelegen haben und deren Inhalt – soweit wesentlich – Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Gründe

Das Verwaltungsgericht Berlin ist örtlich zuständig. Nach § 52 Nr. 4 Satz 2 VwGO ist, wenn der Kläger keinen dienstlichen Wohnsitz oder keinen Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde hat, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat, örtlich das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Behörde ihren Sitz hat. Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Klageerhebung keinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizeidirektion Berlin (mehr); denn er war mit Wirkung vom 1. März 2011 in den Zuständigkeitsbereich der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin versetzt worden, in deren Bereich er auch schon vorher wohnhaft war.

Die Klage, über die gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Bundesdisziplinargesetz (BDG) i.V.m. § 6 VwGO der Vorsitzende als Einzelrichter zu entscheiden hatte, ist unbegründet.

Die angefochtene Disziplinarverfügung und der Widerspruchsbescheid der Bundespolizeidirektion Berlin sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 3 BDG i.V.m. § 113 Abs. 1 VwGO). Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der Disziplinarverfügung (§ 60 Abs. 3 BDG).

Der Kläger hat sich eines einheitlich zu würdigenden Dienstvergehens gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) schuldig gemacht, indem er wiederholt Dienstpflichten verletzt hat.

Vorwürfe zu 1.

Der Sachverhalt wird von dem Kläger nicht in Abrede gestellt. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass die ermittelnde Behörde im Verwaltungsverfahren gegen die Verpflichtung aus § 24 Abs. 4 Satz 1 BDG verstoßen hat, dem Kläger Gelegenheit zu geben, an der Vernehmung der Zeugen S... und S..., die die Öffnung des Waffenschließfachs durchgeführt haben, teilzunehmen und hierbei sachdienliche Fragen zu stellen. Der Kläger hat nicht vorgetragen, was er die Zeugen hätte fragen wollen. Weder in seiner Klagebegründung noch in der mündlichen Verhandlung hat er ein Beweisthema angesprochen und auch keinen Beweisantrag gestellt. Im Verwaltungsverfahren hatte er ausdrücklich auf eine nochmalige Vernehmung der Zeugen verzichtet.

Der Kläger hat sich zugleich achtungs- und vertrauensunwürdig verhalten i.S.v. § 54 Satz 3 BBG a.F. (jetzt gleichlautend § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG), indem er durch den waffenrechtlich unerlaubten privaten Erwerb von Munition eine Straftat begangen hat (§ 52 Abs. 2b WaffG). Dabei handelte der Kläger vorsätzlich. Als Schießausbilder waren ihm die waffenrechtlichen Vorschriften bekannt.

Der Kläger verstieß gegen die Pflicht aus § 55 Satz 2 BBG a.F. (neu § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG), wonach Beamte die allgemeinen Richtlinien ihrer Vorgesetzten zu befolgen haben, indem er die ihm dienstlich zugewiesene Schusswaffe entgegen dem Erlass BMI BGS II 1 – 652 076/3 vom 15. August 2003 während seiner Abwesenheit von der Dienststelle nicht in seinem Waffenschließfach aufbewahrte. Durch eine Änderung des Waffenrechts im November 2003 hatte er die zuletzt im Jahr 2000 beantragte und ihm erteilte Erlaubnis verloren, die Dienstwaffe außerhalb des Dienstes zu tragen und in seiner Wohnung aufzubewahren. Insoweit handelte er zumindest fahrlässig. Außerdem hätte er die Dienstwaffe schon wegen Urlaubs und Krankheit auf der Dienststelle deponieren müssen. Über diese Verpflichtung ist er am 8. Januar 2005 zuletzt schriftlich belehrt worden. Unabhängig davon gehörte dieses Wissen zum Kernbestand der Aufgaben eines Schießausbilders. Die Disziplinarkammer geht deshalb insoweit von Vorsatz aus.

Vorwurf zu 2.

Indem der Kläger am 11. Dezember 2006 Alkohol zu sich genommen hatte, hat er erneut seine Verpflichtung aus § 55 Satz 2 BBG a.F. verletzt, von seinen Vorgesetzten erlassene allgemeine Richtlinien zu befolgen – hier über das absolute Alkoholverbot im Dienst (GSPO StB 4 11 01 00 vom 27. Februar 2001).

Die Disziplinarkammer ist mit der für eine Überzeugungsbildung erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass der Kläger am 11. Dezember 2006 zum Zeitpunkt der Atemalkoholkontrolle um 13:15 Uhr und 13:25 Uhr alkoholisiert war. Dies ergibt sich aus den protokollierten Messergebnissen. Vernünftige Zweifel daran hat auch die mündliche Verhandlung nicht ergeben.

Die Zeugin Z... hat bei dem Kläger zudem Alkoholgeruch in der Atemluft wahrgenommen. Es bedurfte keiner Aufklärung, ob anderen Kollegen bis zu diesem Zeitpunkt keinen Alkoholgeruch wahrgenommen hatten. Denn die Wahrnehmung von Alkoholgeruch kann subjektiv unterschiedlich ausfallen. Das Ergebnis der Atemalkoholmessung bestätigt jedenfalls den dazu Anlass bietenden alkoholisierten Eindruck von dem Kläger.

An der Aussagekraft des Ergebnisses der zweimaligen Atemalkoholmessung besteht kein Zweifel. Zwar stellt das verwendete Gerät der Firma Dräger aus der Reihe 7410 kein bauartzugelassenes, geeichtes Atemalkoholmessgerät dar, dessen Messergebnis im Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren unter Einhaltung bestimmter Einsatzvoraussetzungen Beweiskraft besitzt und dort ohne Sicherheitsabschlag verwertbar wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2001 – 4 StR 507/00 – bei juris). Vielmehr handelt es sich um ein sog. Vortestgerät. Dessen Messgenauigkeit vermag bei entsprechendem Wert jedoch zuverlässig und anerkannt z.B. im Straßenverkehr Anlass für die Anordnung einer Blutprobe zu geben. Die Ergebnisse solcher Messungen lassen eine orientierende Einschätzung der Alkoholisierung zu (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 31. Mai 2001 – AN 10 S 01.00695 – bei juris). Dabei handelt es sich nach Überzeugung der Disziplinarkammer um mehr als eine begründete Vermutung. Jedenfalls in einem Fall wie dem Vorliegenden, in dem es weitere typische Anzeichen für Alkoholisierung gibt und sonst nichts gegen das Messergebnis spricht, erbringt auch die Messung mit einem Dräger-Vortestgerät der Reihe 7410 hinreichende Sicherheit für eine Alkoholisierung.

Für die Zuverlässigkeit des von diesem Gerät angezeigten Messergebnisses spricht Folgendes: Der Hersteller gibt nach der Gebrauchsanleitung bei einer errechneten Blutalkoholkonzentration von 0 bis 1 ‰ eine Messgenauigkeit von ± 0,05 ‰ an. Bei einem Ergebnis von > 1 ‰ wird eine Spanne von ± 5 % vom Messwert genannt. Er gibt eine Drift der Empfindlichkeit typischerweise mit 0,8 % vom Messwert/Monat an (Seite 27 der Gebrauchsanweisung 1-127-96). Bei einer Validierung im Rahmen einer Forschungsarbeit ergab sich in der Praxis sogar eine geringere Abweichung als diese garantierte Messgenauigkeit (vgl. Birgit Steffin: Neuroendokrine Parameter zur Erfassung der akuten Alkoholtoleranz beim Menschen 2006, Seite 40, im Internet u.a.: http://edoc.ub.uni-muenchen.de/4758). „Drift“ der Empfindlichkeit des Sensors versteht die Disziplinarkammer als Abweichung des angezeigten Messergebnisses von dem mit der Kalibrierung eingestellten Richtwert. Das bedeutet, es kann (typischerweise) in jedem Monat ein um 0,8 % geringerer Messwert angezeigt werden als bei aktueller Kalibrierung angezeigt würde. Deshalb soll alle sechs Monate eine Kalibrierung vorgenommen werden, bei der die Messung praktisch wieder auf den Richtwert „justiert“ wird. Hier war dies nicht einmal sieben Wochen vor der Messung geschehen.

Konkrete Zweifel an der Richtigkeit der Messergebnisse, die für den vorliegenden Fall Bedeutung haben könnten, werden nicht dargelegt. Umstände, die eine das Messergebnis verfälschende Wirkung ausgelöst haben könnten, sind auch sonst nicht erkennbar. Zwar kann sog. „Querempfindlichkeit“ auf andere Substanzen als Alkohol auch nach Herstellerangaben funktionsbedingt nicht völlig ausgeschlossen werden. Diese Herstellerangaben besagen aber auch, dass die wesentlichsten in diesem Bereich vorkommenden Querempfindlichkeiten untersucht worden seien und das Gerät 7410 in den relevanten Konzentrationen z.B. keine Querempfindlichkeiten zu Aceton, Ammoniak und Kohlendioxid aufweise.

Da es nicht um den Nachweis einer genau bestimmen Blutalkoholkonzentration ging, war eine Blutprobe nicht notwendig. Sie wäre gegen den Willen des Klägers auch nicht zulässig gewesen, jedenfalls unter solchen Umständen hier nicht verwertbar, weil dieser sich im Disziplinarverfahren nicht selbst belasten muss.

Keiner Vertiefung bedarf, dass die Atemalkoholmessung in mg/l erfolgt und bei Anzeige eines Promillewerts im Gerät eine Umrechnung stattfindet. Es handelt sich also nur um eine errechnete Blutalkoholkonzentration. Das dabei eingestellte Umrechnungsverhältnis von 1:2100 gilt als wissenschaftlich gesichert (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2001 – 4 StR 507/00 – Rdn. 17, bei juris). Das Gerät 7410 der Firma Dräger ist auf diesen Umrechnungswert eingestellt. Das ergibt sich aus den Technischen Angaben in der Gebrauchsanleitung. Dabei werden 0,48 mg/l dem Wert 1,00 ‰ (Seite 27 „alt“) bzw. 1,44 mg/l dem Wert 3,00 ‰ (Seite 26 „alt“) gegenübergestellt; das entspricht jeweils einer Umrechnung von (ungefähr) 1:2100. In der überarbeiteten Gebrauchsanweisung wird dies auf Seite 28 („neu“) ausdrücklich angegeben. Hinzu kommt, dass die Relation zwischen Atemalkohol- und Blutalkoholkonzentration nicht konstant ist; Studien an Hand zeitgleicher Messung von BAK- und AAK-Werten gelangten insoweit zu dem Ergebnis, dass der in § 24a Abs. 1 StVG gewählte Umrechnungsfaktor (von 1:2000) tatsächlich im Mittel 1:2311 beträgt (vgl. BGH a.a.O. Rdn. 22). Vorliegend wäre danach der ermittelte Atemalkoholwert zum wahren Blutalkoholwert eher niedriger. Wie ausgeführt kommt es auf die exakte BAK-Bestimmung in dem vorliegenden Zusammenhang aber nicht.

Selbst wenn die Disziplinarkammer der Ansicht der Beklagten folgen würde, statt 0,05 ‰ müssten immer 0,3 ‰ abgezogen werden – was sie nach dem Stand der Technik der Gegenwart nicht für erforderlich hält – würde sich noch immer ein Wert von 0,22 ‰ ergeben (vgl. zum Sicherheitsabzug von 0,3 ‰ bei Verwendung von Prüfröhrchen , die seit 1995 durch das Atemalkoholmessverfahren mit Alcotest 7410 abgelöst wurden, aus der älteren Rechtsprechung die Nachweise bei Claussen, DöD 1984, S. 233 [237] Fn. 31 ). Auch danach wäre der Vorwurf der Alkoholisierung und damit der Dienstunfähigkeit nicht entkräftet. Denn es besteht ein absolutes Alkoholverbot im Dienst.

Es kommt letztlich nicht darauf an, wie der Kläger den festgestellten Alkohol aufgenommen hat. Seine Einlassung, er habe an dem fraglichen Tag mehrmals Kräuter-Hustentropfen der Firma DrofA und Halstabletten zu sich genommen, vermag allerdings die festgestellte Alkoholmenge, selbst wenn man diese nur als Annäherungswert betrachtet, nicht zu erklären. Die Hustentropfen enthalten nach Herstellerangaben 50 Vol % Alkohol, bei Einnahme von 60 Tropfen würden dem Körper bis zu 0,96g Alkohol zugeführt. Da 0,5 ‰ etwa 60g Alkoholaufnahme entsprechen (Größe und Gewicht des Klägers mit etwa 1,75 Meter und 70 kg angenommen), müsste der Kläger an dem Vormittag mehr als 60mal 60 Tropfen Hustensaft zu sich genommen haben, was lebensfremd ist. Nach Gebrauchshinweisen soll ein Erwachsener 5 bis 6mal täglich 60 Tropfen zu sich nehmen.

Von Mundrestalkohol nach Einnahme von Hustentropfen kann keine Rede sein. Der Anstieg der Atemalkoholkonzentration durch Alkoholsubstanzen, den die Atemluft zusätzlich zu dem Alkohol aus der Lunge aus dem oberen Mund-Rachenraum aufnimmt, geht innerhalb weniger Minuten vollständig zurück. Deshalb empfiehlt der Hersteller, vor der Messung eine Kontrollzeit von mindestens 10 Minuten einzuhalten. Der Kläger hat nicht angegeben, innerhalb dieser Kontrollzeit zwischen der ersten und der zweiten Messung weitere alkoholhaltige Substanzen geschluckt zu haben.

Das Fehlverhalten wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Kläger durch die Einnahme der Medikamente seine Dienstfähigkeit erhalten wollte. Unter Alkoholeinfluss ist er als Polizeivollzugsbeamter nicht dienstfähig, unabhängig davon, wie es zu der Alkoholaufnahme kam.

Der Beamte hat schuldhaft, und zwar zumindest fahrlässig gehandelt.

Vorwurf zu 3.

Der Kläger hat sich desweiteren dadurch achtung- und vertrauensunwürdig innerhalb des Dienstes verhalten, dass er während seiner Abordnung als EBF-Trainer dreimal den Beginn und 30mal das Ende seiner Dienstzeit zu seinen Gunsten falsch in seinen Dienstbucheinlegeblättern eingetragen und sich so zu Unrecht ein Zeitguthaben von 41,5 Stunden verschafft hat. Diese Daten ergeben sich aus einem Vergleich der Dienstbucheintragungen, die der Kläger vorgenommenen hat, mit den von dem Pförtnerdienst der Fortbildungseinrichtung vorgenommenen Eintragungen im Anwesenheitsbuch. Alle Lehrgangsteilnehmer und auch der Kläger als Lehrgangsleiter mussten sich beim Kommen und Gehen beim Pförtner melden. Blieb das aus, wurde dort keine Eintragung vorgenommen.

Diese Feststellungen vermochte der Kläger mit der Einlassung, er habe die Fortbildungseinrichtung möglicherweise nicht immer dort verlassen bzw. betreten, wo der Pförtnerdienst tätig gewesen sei, nicht überzeugend in Zweifel zu ziehen. Der Mitteilung der Beklagten im Schriftsatz vom 7. Juni 2011, die Liegenschaft habe nur einen Zu-/Ausgang, ist er nicht entgegengetreten. Anlass, darüber Beweis zu erheben, hat die Disziplinarkammer unter diesen Umständen nicht gesehen.

Insoweit handelte der Kläger schuldhaft und vorsätzlich.

Ob eine Disziplinarmaßnahme und gegebenenfalls welche Disziplinarmaßnahme nach Art und Höhe bei einem Dienstvergehen angemessen ist, bestimmt die Disziplinarkammer nach pflichtgemäßem Ermessen unter angemessener Berücksichtigung der Schwere des Dienstvergehens, des Persönlichkeitsbilds des Beamten bzw. der Beamtin und des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG). Als maßgebendes Kriterium ist zunächst die Schwere des Dienstvergehens richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Für die endgültige Bestimmung der Disziplinarmaßnahme ist dann entscheidend, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Juni 2008 – 1 D 2.07 – bei juris Rdn. 57 ff m.w.N.).

Ausgehend von diesem Maßstab ist eine Kürzung der Dienstbezüge im Umfang von zwölf Monaten angemessen.

Setzt sich das Dienstvergehen aus mehreren Pflichtverletzungen zusammen, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung. Das Schwergewicht liegt hier auf dem Erschleichen von Zeitausgleich.

Ausgehend von diesem Maßstab ist eine Kürzung der Dienstbezüge (§§ 5 Abs. 1 Nr. 3; 8 BDG) erforderlich.

Die Pflicht zur Dienstleistung ist die elementare Pflicht des Beamten. Sie ist Ausfluss des Dienst- und Treuegedankens, wie er auf der Grundlage des Art. 33 Abs. 4 und 5 GG im Begriff des Beamtenverhältnisses als eines öffentlichen Dienst- und Treueverhältnisses normativ verankert ist. Wer sich als Beamter Zeiten einer Abwesenheit vom Dienst als Dienstzeiten registrieren lässt, hat deshalb grundsätzlich eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen. Die Größe des auf diese Weise erlangten Zeitvorteils ist dabei von eher untergeordneter Bedeutung, vielmehr wiegt der Vertrauensbruch, den ein Beamter mit einem solchen Verhalten begeht, in der Regel schwer.

Die Schwere einer solchen Verfehlung zeigt sich in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte darin, dass – je nach Bedeutung des Einzelfalls – eine Entfernung aus dem Dienst durchaus in Betracht kommen kann. Regelmäßig wird bei der Manipulation an Zeiterfassungsgeräten an eine Degradierung zu denken sein, denn das Vertrauen des Dienstherrn, das dieser in die korrekte Betätigung der Zeiterfassungsgeräte setzt und setzen muss, wird durch ein solches Verhalten enttäuscht, die Basis für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des öffentlichen Dienstes erheblich erschüttert. Wer seine Anwesenheit im Dienst dokumentiert, ohne anwesend zu sein, gibt den Kollegen ein schlechtes Beispiel, denn solche Offensichtlichkeiten können diesen auf Dauer nicht verborgen bleiben. Auch wenn solche Manipulationen in der Regel von den Kollegen nicht gemeldet werden, mag sich der eine oder andere veranlasst fühlen, ähnlich „locker" mit seiner eigenen Anwesenheitspflicht zu verfahren.

Zusammenfassend ist also zu bemerken, dass Manipulationen bei der Zeiterfassung keine „Kavaliersdelikte" sind, sondern Dienstpflichtverletzungen, die zu einer ernsthaften Belastung des Vertrauensverhältnisses führen (vgl. Verwaltungsgericht München, Urteil vom 8. März 2000 – M 13 D 99.3589 – bei juris Rn. 55ff).

Eine Täuschung über die geleistete Arbeitszeit im Umfang von rund 41,5 Stunden in einem Zeitraum von drei Monaten wiegt disziplinarrechtlich schwer und erfordert eine Kürzung der Dienstbezüge. Der Kläger hat sich praktisch eine Woche Zeitguthaben verschafft, ohne diese Zeit tatsächlich nachweislich erarbeitet zu haben. Dass er tatsächlich mehr Stunden als eingetragen gearbeitet haben will, kann er nicht gegenrechnen. Diese Angaben sind nicht überprüfbar. Grundlage sind allein die Dienstbucheinträge.

In einem Fall, in dem der Beamte in einem Zeitraum von sieben Monaten in 18 Fällen insgesamt 39,5 Stunden Zeitausgleich genommen, aber nicht von seinem Zeitausgleichkonto abgezogen hatte und ein deswegen eingeleitetes Strafverfahren gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 5.000 DM eingestellt worden war, hat die Disziplinarkammer eine Gehaltskürzung für die Dauer von zwölf Monaten verhängt (Gerichtsbescheid vom 21. April 2004 – VG 80 A 37.02 –). Hier kommen ein Alkoholverstoß und zwei Verstöße gegen den Umgang mit Waffen und Munition hinzu, die das Gewicht des Dienstvergehens weiter erhöhen. Insgesamt ergibt sich daraus das Bild eines Polizeivollzugsbeamten, der seine eigenen Belange denen seines Dienstherrn wiederholt vorangestellt hat. Freiheiten, die sich ihm dienstlich boten, hat er in seinem Interesse missbraucht. Dabei wiegt besonders schwer, dass er während des laufenden Disziplinarverfahrens weitere Dienstpflichten und im Jahr 2007 den schwerwiegendsten Verstoß beging. Dies erfordert eine spürbare Pflichtenmahnung. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger durchweg ordentliche dienstliche Leistungen erbracht hat und weder strafrechtlich noch disziplinarische vorbelastet ist. Allerdings sind seine dienstlichen Leistungen seit 2004 kontinuierlich zurückgegangen. Mangels rechtzeitiger Fortbildung wurde ihm 2010 die Berechtigung als Schießausbilder entzogen.

Wegen der weiteren Begründung wird auf die zutreffende Würdigung in den angefochtenen Bescheiden Bezug genommen.

Die Höhe der Kürzung der monatlichen Dienstbezüge berücksichtigt die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers zutreffend.

Mit Rücksicht auf die Verzögerungen, die im Disziplinarverfahren eingetreten sind und dessen Dauer verlängert haben, hat die Disziplinarkammer von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Dauer der Sperrwirkung, die eine Kürzung der Dienstbezüge gesetzlich zur Folge hat, auf sechs Monate zu verkürzen (§ 8 Abs. 4 BDG). Obwohl die disziplinarischen Ermittlungen bereits im April 2008 beendet waren, ist erst im August 2009 der Abschlussbericht erstellt worden. Nach Abgabe des Verfahrens an die Bundespolizeidirektion dauerte es sechs Monate bis zum Erlass der Disziplinarverfügung. Das Widerspruchsverfahren dauerte nochmals mehr als sechs Monate. Es liegt damit eine sachlich nicht begründete Verzögerung des 2005 eingeleiteten Disziplinarverfahrens von etwa zwei Jahren vor. Arbeitsüberlastung oder Krankheitszeiten von Bearbeitern etwa würde keinen zureichenden Grund i.S.v. § 62 Abs. 2 Satz 1 BDG darstellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 3 BDG i. V. m. § 167 VwGO, § 708 Nr. 11.

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