LSG der Länder Berlin und Brandenburg, Urteil vom 26.11.2008 - L 7 KA 13/05
Fundstelle
openJur 2012, 9695
  • Rkr:

1. Weil der Gesetzgeber für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2003 davon ausging, dass jede Form der Wirtschaftlichkeitsprüfung von Amts wegen zu erfolgen hatte, und demnach ein Antrag in diesem Zeitraum keine Verfahrensvoraussetzung für die Festsetzung eines Arzneimittelregresses war, kann es auch nicht auf die Einhaltung einer Antragsfrist ankommen. 2. Maßgeblich für die Frage des anzuwendenden Verwaltungsverfahrensrechts ist nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Verfahrensrechts der Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgeführt wird. Materiell-rechtlich ist hingegen das zum Zeitpunkt der Arzneimittelverordnung geltende Recht anzuwenden. 3. Der Zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln war - anders als dem Urteil des 8. Senats vom 30. September 1999 ( BSGE 85, 36 - SKAT -) entnommen werden könnte - nach der Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 5. Juli 1995 (BSGE 76, 194 - Remedacen -) nicht einschränkungslos zulässig, sondern von Anforderungen abhängig, aus denen das BSG später die nunmehr maßgeblichen Voraussetzungen des Off-label-use entwickelt hat und die diesen im Kern entsprechen. 4. Der Festsetzung eines Regresses wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel kann der Einwand ersparter Aufwendungen (z.B. für Krankenhausbehandlungskosten) nicht entgegengehalten werden.5. Die Festsetzung eines Regresses wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel setzt kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. 6. Eine möglicherweise unklare Rechtslage ist nicht geeignet, Vertrauensschutz zugunsten des verordnenden Arztes zu begründen, da sie ihm nicht die Gewissheit von der Rechtsmäßigkeit seines Handelns vermitteln kann. 7. Die Anschussberufung muss sich nicht auf denselben Streitgegenstand wie die (Haupt-)Berufung beziehen, sondern kann auch Teile des erstinstanzlichen Urteils zur Prüfung des Berufungsgerichts stellen, die von der Berufung nicht erfasst werden (Abweichung von BSG, Urteile vom 10. Februar 2005, Az.: B 4 RA 48/04 R, vom 23. Juni 1998, Az.: B 4 RA 33/97 R, und vom 19. Juni 1996, Az.: 6 RKa 24/95; SozR 1750 § 522 Nr. 1 SozR Nr. 12 zu § 521 ZPO).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SozialgerichtsBerlin vom 9. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beigeladenen zu 2) wird das Urteil desSozialgerichts Berlin vom 9. Februar 2005 geändert und die Klageinsgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme deraußergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1), die diese selbstträgt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Regress wegen der Verordnung des zu den Immunglobulinen zählenden, intravenös (i.v.) zu verabreichenden Arzneimittels Polyglobin 5 % durch den Kläger in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

Der Kläger nimmt an der hausärztlichen Versorgung in B teil. Er verordnete seiner bei der Beigeladenen zu 2) krankenversicherten, 1932 geborenen Patientin H H (im Folgenden: die Versicherte) zur Behandlung der Erkrankungen metastasierendes Tubenkarzinom, Lebermetastasierung, Peritonealkarzinose, Thrombozytopenie, Leukopenie, Antikörpermangelsyndrom, Colisepsis und rezidivierende bakterielle Infektionen das Arzneimittel Polyglobin 5 %

- im Quartal II/1999in 10 Fällen- im Quartal III/1999in 4 Fällen- im Quartal IV/1999  in 3 Fällen.Dieses Arzneimittel ist nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:

Substitutionstherapie bei:

Primären Immunmangelsyndromen wie:

- Kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie

- Allgemeine, variable Immunmangelkrankheiten

- Schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten

- Wiskott-Aldrich Syndrom

Chronisch-lymphatischer Leukämie (CLL) oder Multiplem Myelom mit schwerer sekundärer Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden bakteriellen Infektionen

Kindern mit angeborenem AIDS und rezidivierenden Infektionen

Immunmodulation

- Idiopathische (autoimmune) thrombozytopenische Purpura (ITP) bei Erwachsenen und Kindern mit einem hohen Blutungsrisiko oder vor Operationen zur Korrektur der Thrombozytenzahl

- Kawasaki Syndrom (in Verbindung mit einer Acetylsalicylsäure-Therapie)

- Guillain-Barré Syndrom

Allogene Knochenmarktransplantation

Mit am 1. Dezember 2000 eingegangen Schreiben stelle die BKK Berlin - eine Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2) - einen „Antrag auf Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 der Prüfvereinbarung vom 10. Januar 1994“ wegen der oben genannten Verordnungen des Klägers. Der Prüfungsausschuss veranlasste Stellungnahmen des Klägers und setzte mit Bescheid vom 14. Juni 2001 „gemäß § 14 der Prüfvereinbarung [...] eine Schadensersatzverpflichtung für die Verordnung von Polyglobin in Höhe von DM 51.553,67 fest.“. Er legte hierbei einen Arzneimittelpreis (Brutto) von 3.209,02 DM je Verordnung, insgesamt 54.553,34 DM, zugrunde und zog hiervon einen Apothekenrabatt in Höhe von 5 % (2.727,67 DM) und von der Versicherten geleistete Zuzahlungen in Höhe von 272,00 DM ab. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2001 zurück und führte zur Begründung unter anderem aus: Da der vom Kläger angeführte Antikörpermangel nicht habe belegt werden können, sei Polyglobin nicht im Rahmen der Zulassungsindikation verordnet worden. Für eine Arzneimittelverordnung außerhalb der zugelassenen Indikation gebe es bis zum vollständigen Abschluss der klinischen Arzneimittelerprobung Phase III keine rechtliche Grundlage.

Mit seiner Klage zum Sozialgericht hat der Kläger vorgebracht, eine rechtliche Grundlage für das von den Prüfgremien gewählte Verfahren existiere nicht. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei ein Regress wegen einer unzulässigen Arzneimittelverordnung kategorial von einer Schadenersatzverpflichtung wegen eines sonstigen Schadens im Rahmen der Bundesmantelverträge zu unterscheiden. Das gegen ihn durchgeführte Prüfverfahren könne nicht als Verfahren auf Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 der Prüfvereinbarung (PV) angesehen werden. Von der in § 106 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) eröffneten Möglichkeit der Einführung eines weiteren Prüfverfahrens, mit dem Verordnungsregresse wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln im Einzelfall festgesetzt werden können, hätten die Vertragspartner im Bereich der Beigeladenen zu 1) keinen Gebrauch gemacht. Aber auch für den Fall, dass das vorliegende Prüfverfahren § 14 Abs. 1 PV unterfalle, sei zumindest die Antragsfrist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 PV von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts nicht eingehalten. Wegen § 6 Abs. 1 der Vereinbarung über die Übermittlung von Daten im Rahmen der Arzneimittelabrechnung gemäß § 300 SGB V sei davon auszugehen, dass die zeitlich letzte Arzneimittelverordnung im Dezember 1999 eingelöst und spätestens Ende Januar 2000 mit der Beigeladenen zu 1) abgerechnet worden sei, so dass ein Antrag auf Feststellung eines sonstigen Schadens nur bis Ende Juli 2000 zulässig gewesen wäre. Die Rechtsprechung des BSG stehe einer solchen Fristenregelung nicht entgegen. Der Bescheid des Beklagten sei auch formell rechtswidrig, weil nicht nur in der maßgeblichen Sitzung des Beklagten, sondern bereits in der Sitzung des Prüfungsausschusses vom 14. Juni 2001 ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz geführt habe, obwohl ein alternierender Vorsitz geboten gewesen wäre. Im Übrigen seien die von der Beigeladenen zu 2) aufgeführten Arzneimittelverordnungen auch materiell rechtmäßig. Die Wirksamkeit und auch Unbedenklichkeit der Anwendung von Immunglobulinen sei in zahlreichen klinischen Studien bereits nachgewiesen worden. Die Vergabe von Polyglobin sei nicht erst dann indiziert, wenn ein Antikörpermangelsyndrom laborchemisch nachgewiesen sei. Es bestehe auch keine Norm, die dem Arzt die Pflicht auferlege, vor jeder Vergabe von Immunglobulin eine laborchemische Untersuchung zu erbringen. Die Vergabe von Polyglobin an die Klägerin sei indiziert gewesen, da sie an einem sekundären Antikörpermangelzustand gelitten, aufgrund ihrer Erkrankung ein hohes Blutungsrisiko bestanden habe und eine Therapie viraler und bakterieller Infektion erforderlich gewesen sei. Polyglobin sei daher im Rahmen der Zulassung verordnet worden. Ungeachtet dessen hätten auch die vom BSG aufgestellten Kriterien für einen Off-label-use vorgelegen: Es liege eine schwerwiegende Erkrankung vor, ohne dass eine therapeutische Alternative bestehe. Aufgrund der von ihm eingereichten wissenschaftlichen Veröffentlichungen habe er von einem zulässigen Off-label-use ausgehen dürfen.

Unabhängig von der Verordnungsfähigkeit der oben genannten Arzneimittel sei die angegriffene Entscheidung des Beklagten aber auch deswegen rechtswidrig, weil eine für die Feststellung eines sonstigen Schadens im Bereich der Beigeladenen zu 1) erforderliche schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten nicht vorliege. Darüber hinaus sei der Beigeladenen zu 2) kein Vermögensschaden entstanden. Denn das rechtmäßige Alternativverhalten des Klägers in Form einer Einweisung der Versicherten ins Krankenhaus hätte die Krankenkasse nicht weniger belastet, sondern höhere Kosten verursacht.

Mit Urteil vom 9. Februar 2005 hat das Sozialgericht Berlin den Beklagten unter Abänderung seines Beschlusses vom 12. Dezember 2001 verpflichtet, den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 14. Juni 2001 insoweit aufzuheben, als er das Quartal II/1999 betrifft; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bzgl. des Quartals II/1999 sei die Antragsfrist versäumt worden. Bezüglich der Quartale III/1999 und IV/1999 sei die Antragsfrist gewährt. Ein indikationsgerechter Einsatz im Rahmen der zugelassenen Indikationen sei nicht nachgewiesen. Dass die Voraussetzungen für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz (Off-label-use) nach den Kriterien des BSG vorlägen, könne ebenfalls nicht festgestellt werden.

Im Rahmen seiner am 15. April 2005 eingelegten Berufung gegen das ihm am 17. März 2005 zugestellte o.g. Urteil wiederholt der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend vertritt er die Auffassung, die Verordnung von Polyglobin habe der Gewährleistung einer Chemotherapie gedient und sei zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig und indiziert gewesen. Die vom BSG in seinem Urteil vom 19. März 2002 (erstmals) aufgestellten Voraussetzungen für einen nur eingeschränkt zulässigen Off-label-use habe er bei seinen Verordnungen in den Quartalen III/1999 und IV/1999 noch nicht kennen können; die Rechtmäßigkeit dürfe daher nicht an diesen Voraussetzungen geprüft werden. Vielmehr habe er auf das Urteil des BSG vom 15. Juli 1995 - Remedacen - vertrauen dürfen, demzufolge auch indikationsfremde Verordnungen zu Lasten der Krankenkassen zulässig seien. Im Hinblick hierauf habe das BSG in seiner Entscheidung vom 30. September 1999 (SozR 3-2500 § 27 Nr. 11 - SKAT -) einem Versicherten im Rahmen eines Erstattungsanspruches nach § 13 Abs. 3 SGB V Vertrauensschutz gewährt, obwohl es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln ausgegangen sei. Auch bei Rechtsprechungsänderungen seien daher Aspekte des Vertrauensschutzes zu beachten. Ein Fall der echten Rückwirkung liege vor.

Die Verordnung von Polyglobin sei auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – (Beschluss vom 6. Dezember 2005, Az.: 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25) sowie das diese Entscheidung umsetzende Urteil des BSG vom 4. April 2006 (Az.: B 1 KR 7/05 R - Tomudex -) wegen der für die Versicherte bestehenden Lebensgefahr zulässig gewesen. Der im Beschluss vom BSG vom 31. Mai 2006 (Az.: B 6 KA 53/05 B) aufgezeigte Weg, im Rahmen von § 29 Bundesmantelvertrag - Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 15 Abs. 1 Arzt-Ersatzkassenvertrag (EKV-Ä) eine Vorabprüfung durch die Krankenkasse zu veranlassen, sei nicht gangbar gewesen. Bis zu dieser Entscheidung des BSG sei allgemeine unbestrittene Auffassung, insbesondere auch bei den Krankenkassen, gewesen, dass aufgrund des so genannten Konkretisierungskonzeptes (BSG, Urteil vom 15. Dezember 1993, Az.: B 4 RK 5/92) der Vertragsarzt über die Leistungspflicht einer gesetzlichen Krankenkasse für eine bestimmte Arzneitherapie verbindlich entscheide. Komme der Vertragsarzt bei seiner Prüfung der Rechtmäßigkeit des Off-label-use zum Ergebnis, eine Leistungspflicht der Krankenkasse bestehe nicht, komme eine Verordnung auf „Kassenrezept“ nicht in Betracht, da keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht. Konsequenter Weise sei in diesem Fall eine Kontaktaufnahme mit der gesetzlichen Krankenkasse rechtlich auch nicht vorgesehen. Die vom BSG vorgeschlagene Vorabprüfung durch die Krankenkasse sei dem Kläger aber auch faktisch nicht möglich gewesen, wie sich den Angaben eines Mitarbeiters der AOK Berlin - Herr J – während des Erörterungstermins vom 2. Juni 2006 im Rechtsstreit L 7 KA 1040/05 vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ergebe. Herr J habe erklärt, eine Krankenkasse sei nach § 29 BMV-Ä nicht berechtigt, eine konkrete ärztliche Verordnung im Einzelfall zu genehmigen. Denn hierdurch würde die Krankenkasse in einen konkreten Behandlungsfall eingreifen und anstelle des Arztes eine bestimmte medizinische Verantwortung übernehmen. Wenn ein Arzt um eine Genehmigung einer Verordnung bei der AOK Berlin nachgesucht hätte, hätte diese eine solche Genehmigung aus prinzipiellen Gründen nicht erteilt. Die AOK Berlin hätte allerdings möglicherweise eine Zusicherung abgegeben können, dass im Falle einer bestimmten Verordnung kein Regress vorgenommen werde.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Februar 2005 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 12. Dezember 2001 auch insoweit aufzuheben, als darin eine Schadenersatzverpflichtung für die Verordnung von Polyglobin 5 % in den Quartalen III/99 und IV/99 festgesetzt wurde, sowie die Anschlussberufung zurückzuweisen,

hilfsweise

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Februar 2005 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 12. Dezember 2001 auch insoweit aufzuheben, als darin eine Schadenersatzverpflichtung für die Verordnung von Polyglobin 5 % in den Quartalen III/99 und IV/99 festgesetzt wurde, und den Beklagten zu verpflichten, seinen Widerspruch gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 14. Juni 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 2) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen sowie unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 9. Februar 2005 die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Der Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene zu 1) hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Die Beigeladene zu 2) vertritt im Rahmen ihrer am 28. November 2006 erhobenen Anschlussberufung die Auffassung, die Regressfestsetzung sei auch für das Quartal II/1999 formell und materiell rechtmäßig.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlungen war, verwiesen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zurückzuweisen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2) hat hingegen Erfolg.

I. Zulässig, aber unbegründet ist die Berufung des Klägers. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist.

Rechtsgrundlage des Bescheids vom 12. Dezembers 2001 sind § 106 Abs. 2 und 3 SGB V in der bis zum 30. Dezember 2001 geltenden, hier maßgeblichen Fassung i.V.m. § 14 („Prüfung in besonderen Fällen / sonstiger Schaden“) der zwischen der Beigeladenen zu 2) und den (Landes-)Verbänden der Krankenkassen im Land Berlin abgeschlossenen Prüfvereinbarung (PV) vom 10. Januar 1994.

Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird geprüft durch

1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),

2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).

Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 4, 1. Halbsatz SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.

Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 14 PV folgendes:

„1. Der Prüfungsausschuss entscheidet auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Unterschiedliche vertragliche Regelungen (Bundesmantelvertrag, Arzt-/Ersatzkassenvertrag) finden Anwendung.

2. Der Antrag ist zu begründen und muss innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts beim Prüfungsausschuss vorliegen. Bei nicht verordnungsfähigen Präparaten beginnt die Frist mit dem Eingang der sortierten Rezepte bei der jeweiligen Krankenkasse. Die Krankenkasse muss dem Antrag alle zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und die Nachweise zur Schadenshöhe beifügen sowie die Höhe des Schadens benennen.

3. Hält die KV Berlin Regressansprüche gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln, die von der Versorgung ausgeschlossen sind, für berechtigt, wird sie den Vertragsarzt entsprechend informieren und den jeweiligen Schadensbetrag bei Einverständnis des Vertragsarztes einbehalten und an die Krankenkasse abführen.

4. Der Antrag kann sich nur auf den Zeitraum der letzten, dem Antrag vorausgegangenen 2 Kalenderjahre erstrecken.

5. Ein Antrag ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag DM 100,00 nicht übersteigt. Dies gilt nicht für Anträge betreffend ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen.“

1) Der Bescheid des Beklagten ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Dass im vorliegenden Fall der Vorsitzende sowohl des Prüfungsausschusses als auch des Beschwerdeausschusses von den Krankenkassen gestellt wurde, widerspricht weder § 106 Abs. 3 SGB V in der zum 30. Dezember 2001 geltenden Fassung noch § 4 Abs. 4 PV. Diese Konstellation ergibt sich zwangsläufig aufgrund der Zeitverschiebung zwischen den Entscheidungen des Prüfungs- und des Beschwerdeausschusses. Hierdurch werden Vertragsärzte nicht benachteiligt, weil die entgegengesetzte Konstellation - sowohl im Prüfungsausschuss als auch im Beschwerdeausschuss führt ein Vertreter der Ärzte den Vorsitz - ebenso häufig auftritt. Im Übrigen ist - worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat - Gegenstand der gerichtlichen Prüfung nur der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses, so dass es auf formelle Fehler im Verfahren vor dem Prüfungsausschuss nicht ankommt.

2) Der Senat kann offenlassen, ob der Antrag der Beigeladenen zu 1) die in § 14 Nr. 2 PV geregelte Antragsfrist wahrt. Denn zumindest für den hier streitgegenständlichen Zeitraum verstieß eine Antragsfrist im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung gegen höherrangiges Recht.

Zwar ist der Beklagte bei Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung grundsätzlich an die Bestimmungen der PV gebunden. Bei der auf der Grundlage von § 106 Abs. 3 Sätze 1 und 3 SGB V abgeschlossenen PV handelt es sich um einen Normvertrag auf der Ebene des Gesamtvertrags. Zu den wesentlichen Merkmalen eines solchen Normvertrages gehört es, dass seine Regelungen für die von ihm betroffenen Beteiligten verbindlich sind. Nur soweit die Vorschriften in der PV gegen höherrangiges Recht verstoßen, insbesondere mit den bundesrechtlichen Vorgaben zur effektiven Überwachung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Leistungserbringer nicht vereinbar sind, sind sie nach den allgemeinen Regeln der Normenhierarchie nichtig und damit auch für den Beklagten nicht maßgeblich (BSG Urteil vom 23. Februar 2005, Az.: B 6 KA 72/03 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 8; SozR 3-2500 § 106 Nr. 33, 51 und 53).

52§ 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V beinhaltet eine Ermächtigungsgrundlage auch für Regresse wegen der unzulässigen Verordnung von Arzneimitteln (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2001 - B 6 KA 19/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Während jedoch gemäß § 106 Abs. 5 Satz 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung der Prüfungsausschuss (nur) auf Antrag über einen Verstoß des Vertragsarztes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot entschied und gemäß § 106 Abs. 3 Satz 3, 2. Halbsatz SGB V in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung in den Prüfvereinbarungen auf regionaler Ebene auch festzulegen ist, dass der Prüfungsausschuss (ab 1. Januar 2008: die Prüfungsstelle) auf Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), der Krankenkasse oder ihres Verbandes Einzelfallprüfungen durchführt, ging der Gesetzgeber für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2003 davon aus, dass jede Form der Wirtschaftlichkeitsprüfung von Amts wegen zu erfolgen hatte (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2005, Az.: B 6 KA 63/04 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de; Engelhard, in: Hauck/Noftz SGB V § 106 Rd. 528). War demnach ein Antrag im fraglichen Zeitraum keine Verfahrensvoraussetzung, kann es auch nicht auf die Einhaltung einer Antragsfrist ankommen.

Dem steht die Rechtsprechung des BSG nicht entgegen. Dieses hat zwar in Prüfvereinbarungen Antragsfristen für die Einleitung des Verfahrens gebilligt (Urteil vom 27. Juni 2001, Az.: B 6 KA 66/00 R). Der Entscheidung lag jedoch ein Sachverhalt zugrunde, für den § 106 SGB V sowohl bezüglich des Zeitraums der zu prüfenden Quartale als auch bezüglich des Zeitpunkts der Entscheidung des Beschwerdeausschusses ein Antragserfordernis vorsah.

54Gegen dieses Ergebnis kann nicht eingewandt werden, Prüfgegenstand seien Arzneimittelverordnungen aus dem Jahre 1999, die noch unter Geltung des gesetzlichen Antragserfordernisses geprüft werden müssten. Maßgeblich für die Frage des anzuwendenden Verwaltungsverfahrensrechts ist der Zeitpunkt, zu dem die Wirtschaftlichkeitsprüfung durchgeführt wird. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Verfahrensrechts, dass neue Bestimmungen auch für schwebende Verfahren gelten, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, mithin auch für die Geltendmachung und Durchsetzung materiellrechtlicher Ansprüche, die schon vor der Änderung des Verfahrensrechts entstanden sind (BSG, Urteil vom 21. Juni 1995, Az.: 6 RKa 54/94, BSGE 76, 149; BSG SozR 3-4100 § 152 Nr. 8 m.w.N.; s.a. Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs Verwaltungsverfahrensgesetz, 7.A., § 96 Rd. 1). Materiell-rechtlich ist hingegen das zum Zeitpunkt der Arzneimittelverordnung geltende Recht anzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 9. April 2008, Az.: B 6 KA 34/07 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de).

3) Zu Recht hat der Beklagte gegen den Kläger einen Schadensersatz i.S.v. § 14 Abs. 1 PV wegen Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt festgesetzt.

a. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerseite dient § 14 PV nicht nur als Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines sonstigen Schadens. Der Wortlaut von Ziff. 2 Satz 2, 3 und 5 Satz 2 dieser Vorschrift belegt, dass der Prüfungsausschuss auch zur Festsetzung von Regressansprüchen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel ermächtigt wurde.

b. Ein Schaden i.S.v. § 14 PV ist der Beigeladenen zu 1) dadurch entstanden, dass der Kläger in den Quartalen III/99 und IV/99 in insgesamt 7 Fällen Immunglobuline für die Versicherte verordnete, obwohl hierfür keine Leistungspflicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestand.

aa. Gemäß §§ 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der 1999 geltenden, hier maßgeblichen Fassung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandsmitteln, Harn- und Blutteststreifen. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bezogen auf die Arzneimitteltherapie bedeutet dies, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben muss, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Es fehlt deshalb an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist ( BSGE 93, 1 mit Nachweisen zur ständ. Rspr.).

Das vom Kläger verordnete Immunglobulin ist als Serum Fertigarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und 3 Arzneimittelgesetz (AMG). Als solches hat es eine Zulassung gemäß § 21 Abs. 1 AMG. Die streitgegenständlichen Verordnungen des Klägers für die Versicherte bewegten sich jedoch außerhalb der von der Zulassung umfassten Anwendungsgebiete. Denn er hat - so seine ausdrückliche Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - bei der Versicherten keine idiopathische thrombozytopenische Purpura festgestellt. Offen bleiben kann, ob das vom Kläger bei der Versicherten diagnostizierte Antikörpermangelsyndrom laborchemisch nachgewiesen war oder nachgewiesen werden musste. Denn die zulassungskonforme Anwendung von Polyglobin 5 % beim Vorliegen eines Antikörpermangelsyndroms (Immunmangelsyndrom) setzt entweder ein primäres, d. h. die Grunderkrankung oder die auslösende Krankheitsursache bildendes Immunmangelsyndrom oder - bei sekundärem Immunmangelsyndrom - Grunderkrankungen wie eine chronisch-lymphatische Leukämie oder ein Multiples Myelom voraus, was unstreitig bei der Klägerin nicht vorlag. Für das Vorliegen einer der anderen von der Zulassung umfassten Indikationen fehlen jegliche Anhaltspunkte.

bb. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (seit dem Urteil vom 19. März 2002, BSGE 89, 184) kann ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist, und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Zweifellos handelte es sich in den streitgegenständlichen Behandlungsfällen um schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankungen. Es kann dahinstehen, ob und inwieweit in diesem Krankheitsstadium eine andere Therapie zur Verfügung stand. Jedenfalls fehlt es an dem Nachweis, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht bestand, dass mit der Verabreichung von Immunglobulin ein Behandlungserfolg hätte erzielt werden können. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten ließen, dass das bzw. die Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könnten. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und deshalb in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG a.a.O.).

Diese Voraussetzungen lagen und liegen bzgl. der Verordnung von Polyglobin 5 % für die Behandlung der bei der Versicherten vorliegenden Erkrankungen nicht vor. Der Kläger hat während des gesamten Verfahrens keine einzige wissenschaftliche Arbeit benannt, die auf der Grundlage einer kontrollierten, randomisierten Doppelt-Blind-Studie einen Nachweis für einen positiven Einfluss von Polyglobin 5 % auf eine der bei der Versicherten vorliegenden Erkrankungen nachweisen konnte. Der wiederholte Verweis auf die von der Bundesärztekammer (zuletzt in der 3. überarbeiteten und erweiterten Auflage von 2003) veröffentlichten „Leitlinie zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten“ bestätigt in seinem Kapitel 14 (nach der von der Klägerseite zitierten früheren Auflage offensichtlich Kapitel 11) unter Ziffer 14.5.2 („Indikation für normale Immunglobuline zur intravenösen Injektion (ivIg)“) vielmehr die Rechtsauffassung der Beklagten und der Beigeladenen zu 2). Denn an dieser Stelle der Leitlinien werden lediglich Anwendungshinweise für den Einsatz von Immunglobulinen innerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete erteilt. Auch in Abschnitt 14.5.2.5 („Nicht zugelassene Indikation“) wird keine der Erkrankungen der Versicherten erwähnt. Eine Empfehlung der Bundesärztekammer zur Anwendung von Polyglobin 5 % für einen Off-label-use in einem im vorliegenden Fall relevanten Bereich liegt daher gerade nicht vor.

Die weiteren vom Kläger eingereichten medizinischen Veröffentlichungen betreffen entweder nicht die aus seiner Sicht bei der Versicherten durch Immunglobulin beeinflussbaren Erkrankungen (sekundäres Antikörpermangelsyndrom) oder sie belegen für sich genommen (noch) keinen Konsens in den einschlägigen Fachkreisen.

63cc. Für die Zeit vor Erlass des Urteils des BSG vom 19. März 2002 (Off-label-use) ergab sich die Leistungspflicht der Beigeladenen zu 2) für die zulassungsüberschreitende Anwendung von Polyglobin 5 % und somit die Verordnungsfähigkeit dieses Arzneimittels auch nicht aus Vertrauensschutzgesichtspunkten. Soweit der 8. Senat des BSG in seinem Urteil vom 30. September 1999 (BSGE 85, 36 – SKAT –) die Rechtsauffassung vertritt, bis zur Veröffentlichung seiner Entscheidung habe man wegen des Urteils des 1. Senats des BSG vom 5. Juli 1995 (BSGE 76, 194 – Remedacen –) darauf vertrauen dürfen, dass auch indikationsfremde Arzneimittelverordnungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zulässig seien, teilt der Senat diesen Standpunkt nicht. In dem vom 1. Senat des BSG entschiedenen Fall machte eine heroinabhängige Versicherte einen Kostenerstattungsanspruch für selbstbeschaffte, ihr im Zeitraum Oktober 1989 bis April 1990 ärztliche verordnete Remedacen-Kapseln geltend. Fraglich war insbesondere, ob dieses Arzneimittel ungeachtet der in der Zulassung genannten Indikationen schon vor In-Kraft-Treten der Richtlinien des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen zur Methadon-Substitutionsbehandlung am 1. Oktober 1991 zur Drogensubstitution eingesetzt werden durfte. Zwar findet sich in der Entscheidung des 1. Senats die Formulierung, es spiele „rechtlich keine Rolle, dass Remedacen für die Anwendung bei akutem oder chronischem Reizhusten zugelassen worden ist und nicht als Substitutionsmittel bei Drogenabhängigkeit“. Nicht zuletzt wegen der vom 1. Senat des BSG hierzu verfassten Leitsätze, welche nur die Themen „Drogensubstitution“ und „neue Behandlungsmethoden“ erwähnen, konnte dieser Entscheidung nach Auffassung des Senats jedoch nicht die allgemeine Aussage entnommen werden, die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln sei in jeder Hinsicht erlaubt. Denn der 1. Senat des BSG hat auch in diesem Fall die Leistungspflicht der Krankenkassen für eine Behandlungsmethode, die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht empfohlen worden war, davon abhängig gemacht, dass sich die Wirksamkeit der neuen Behandlungsmethode aufgrund wissenschaftlich geführter Statistiken in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen nachweisen ließ und gegen die Qualität der Methode – auch unter Berücksichtigung eventueller Nebenwirkungen – keine durchgreifenden Bedenken bestanden (Leitsatz 2 der Entscheidung des 1. Senats). Der zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln war danach auch nach der Entscheidung des 1. Senats des BSG nicht einschränkungslos zulässig, sondern von Voraussetzungen abhängig, aus denen das BSG später die nunmehr maßgeblichen Voraussetzungen des Off-label-use entwickelt hat und die diesen im Kern entsprechen.

dd. Eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 1) ergibt sich auch nicht aus Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 115, 25). Aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip folgt regelmäßig kein verfassungsmäßiger Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung. Es bedarf allerdings einer besonderen Rechtfertigung, wenn dem Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten werden. Darüber hinaus sind auch die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten. Diese Grundsätze können in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten. Übernimmt der Staat mit dem System der gesetzlichen Krankenversicherung Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit der Versicherten, so gehört die Vorsorge in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung unter den genannten Voraussetzungen zum Kernbereich der Leistungspflicht und der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten Mindestversorgung ( BVerfG a.a.O.). Zugleich ist es dem Gesetzgeber jedoch nicht verwehrt, zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen. Konkret in Bezug auf Arzneimitteltherapien hat das Bundesverfassungsgericht bereits früher auf das in § 12 Abs. 1 SGB V enthaltene Wirtschaftlichkeitsgebot hingewiesen, welches die finanziellen Grenzen markiert, die der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung von der Belastbarkeit der Beitragszahler und der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft gezogen werden. Danach ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Leistung im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts verknüpft und deshalb verneint wird, weil das Arzneimittel nicht oder noch nicht zugelassen ist ( BVerfG, NJW 1997, 3085). Denn das Arzneimittelrecht schließt neben der Unbedenklichkeit auch die Prüfung der Qualität und der Wirksamkeit des jeweiligen Arzneimittels mit ein ( § 1 AMG). Daher ist die Rechtsprechung des BSG zum Off-label-use aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Auch bei einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage liegt somit kein Verfassungsverstoß vor, wenn die Leistungspflicht einer Krankenkasse im Rahmen der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Arzneimittels mit der Begründung verneint wird, nach den vorliegenden Erkenntnissen lägen keine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse vor, aus denen sich hinreichende Erfolgsaussichten für den begehrten Off-label-use ableiten ließen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2008, Az.: 1 BvR 1665/07, veröffentlicht in Juris).

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Versicherte an lebensbedrohlichen Erkrankungen (metastasierendes Tubenkarzinom, Lebermetastasierung und Peritonealkarzinose) litt. Zur Behandlung dieser Krankheiten sollte Polyglobin jedoch nach dem klägerischen Vorbringen nicht eingesetzt werden. Dass die vom Kläger angegebenen, nach seiner Auffassung mit Polyglobin zu behandelnden Erkrankungen – das sekundäre Antikörpermangelsyndrom bzw. die chronisch thrombozytopenische Purpura – zu einer Lebensgefahr der Versicherten führten, ist ebenso wenig ersichtlich oder vorgetragen wie eingeschränkte Therapiemöglichkeiten dieser beiden Krankheiten aufgrund der o.g. lebensbedrohlichen Erkrankungen. Die o.g. Rechtsprechung des BVerfG ist daher auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

66ee. Ein Schaden i.S.v. § 14 PV ist schließlich auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Beigeladenen zu 2) – wie der Kläger meint - im Falle rechtmäßigen Alternativverhaltens höhere Kosten (z.B. durch dann erforderlich Krankenhausbehandlung) entstanden wären. Schadensmindernde Vorteile muss sich der Geschädigte bei der Ermittlung des eingetretenen Vermögensschadens grundsätzlich nur entgegenhalten lassen, wenn die Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes entspricht (normativer Schadensbegriff; vgl. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (MüKo) / Oetker § 249 Rd. 228 m.w.N.). Ob das der Fall ist, ist unter Berücksichtigung rechtlicher Wertungen außerhalb des Schadenersatzrechts zu bestimmen. Maßgeblich ist hierbei, dass die für die Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit maßgebenden Rechtsvorschriften (auch) dazu bestimmt sind, die Funktionsfähigkeit des kassenärztlichen Systems als Ganzes zu sichern, und dass dieser Zweck nicht durch die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze unterlaufen werden darf. Diese Rechtsprechung ist auf Fälle des Schadenersatzes wegen unrechtmäßig veranlasster Leistungen zu übertragen. Eine andere Bewertung würde es z.B. ermöglichen, dass nicht zugelassene Ärzte Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen veranlassen, ohne hierzu berechtigt und ohne an die für zugelassene Kassenärzte geltenden gesetzlichen und vertraglichen Einschränkungen gebunden zu sein (BSG Urteil vom 21. Juni 1995, Az.: 6 RKa 60/94, SozR 3-2500 § 95 Nr. 5; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: L 4 KA 14/04, veröffentlicht in Juris). Der Festsetzung eines Schadens kann deshalb der Einwand ersparter Aufwendungen im Ergebnis nicht entgegengehalten werden.

67c. Der streitgegenständliche Regressanspruch setzt kein Verschulden des Klägers voraus. Ein Verschulden als Tatbestandsmerkmal verlangen zum einen weder § 14 PV – es sei denn, es sei dem Begriff der Außerachtlassung der der nach den Umständen erforderlichen Sorgfalt immanent -, noch die den Begriff des sonstigen Schadens im Zusammenhang mit der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel erwähnenden § 48 Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 44 Abs. 1 EKV-Ä. Zum anderen aber – und dies ist entscheidend – kommt es für die Festsetzung eines Regresses wegen Verstößen gegen die AMR bzw. wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel nach der Rechtsprechung des BSG (Beschluss vom 30. Mai 2006, Az.: B 6 KA 14/06 B, veröffentlicht in Juris; Urteil vom 20. Oktober 2004, Az.: B 6 KA 65/03 R, SozR-4-2500 § 106 Nr. 7; Urteil vom 28. April 2004, Az.: B 6 KA 24/03 R, USK 2004-129; Urteil vom 21. Mai 2003, Az.: B 6 KA 32/02 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 1; vgl. auch Wenner Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, S. 319) auf ein Verschulden des Arztes nicht an.

Dies entspricht dem hohen Stellenwert, der dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Instrument der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Rahmen der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung zukommt. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat eine wichtige Ausprägung durch die Regelungen über die Wirtschaftlichkeitsprüfung in § 106 Abs. 1 SGB V erfahren. Diese verpflichten die Träger der gemeinsamen Selbstverwaltung zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung. Schon das Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) hat die Notwendigkeit wirtschaftlicher Leistungserbringung für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der GKV hervorgehoben und eine strikte Verpflichtung der Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Behandlung durch die (zahn)ärztlichen Leistungserbringer normiert; diese hat der Gesetzgeber in der Folgezeit mit Änderungen des § 106 SGB V durch das GSG von 1992 und durch das Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 2626) fortgeschrieben. Den hohen Rang der Wirtschaftlichkeitsprüfung hat der Gesetzgeber mit verschiedenen Regelungen deutlich gemacht. Er hat dem in § 12 Abs. 1 SGB V normierten Gebot, dass die Leistungserbringer unwirtschaftliche Leistungen nicht bewirken dürfen, zusätzlich durch § 2 Abs. 1 Satz 3, § 70 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2, § 75 Abs. 1 SGB V Ausdruck verliehen (BSG Urteile vom 21. Mai 2003, Az. B 6 KA 32/02 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 1, und vom 28. April 2004, Az.: B 6 KA 24/03 R, USK 2004-129, jeweils m.w.N.)

Im Übrigen sind Regresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel auch ihrem Gegenstand nach von Schadensregressen anderer Art zu unterscheiden. Bei Verordnungsregressen besteht der zu ersetzende Schaden der Krankenkasse darin, dass sie an Apotheken Geldbeträge für Arzneien gezahlt hat, welche dem Versicherten gegen Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung ausgehändigt wurden und aushändigt werden durften. Der typische Schadensregress außerhalb des Verordnungsverhaltens ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass das Verhalten des Arztes (z.B. ein Behandlungsfehler oder eine falsche Bescheinigung) Folgekosten der Kasse ausgelöst hat (z.B. aufwändige Nachbehandlungen, Leistungen wegen Mutterschaft). Der hier zu ersetzende Schaden ist der Struktur nach einem Mangelfolgeschaden nach bürgerlichem Recht vergleichbar. Der "Schaden", der durch einen Verordnungsregress auszugleichen ist, entspricht dagegen demjenigen, der durch eine unwirtschaftliche Verordnungsweise i.S.v. § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V verursacht wird. Der Unterschied besteht allein darin, dass ein Regress wegen unzulässiger Verordnungen an einzelne Verordnungen des Arztes gegenüber bestimmten Patienten und nicht an sein Verordnungsverhalten in einem bestimmten Zeitraum insgesamt anknüpft.

d. Auch sonstige Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes oder der Grundsatz von Treu und Glauben stehen – entgegen der klägerischen Auffassung – der Festsetzung eines Regresses im vorliegenden Fall nicht entgegen.

Vertrauensschutz setzt einen gegenüber dem betroffenen Arzt gesetzten besonderen Vertrauenstatbestand voraus (Engelhard, a.a.O., Rd. 356). Hinsichtlich der rückwirkenden Korrektur von Honorarbescheiden hat das BSG in der bloßen Duldung einer objektiv fehlerhaften Abrechnungspraxis durch eine Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung keinen Vertrauenstatbestand gesehen (BSG SozR 4-2500 § 106a Nr. 1; s. auch SozR 4-2500 § 95 Nr. 8). Selbst wenn in der Vergangenheit entsprechende Verordnungen des Arzneimittels Polyglobin für die Versicherte unbeanstandet geblieben wären, wäre dies nach diesen Maßstäben unbeachtlich.

72Auch eine möglicherweise unklare Rechtslage – sie sei trotz der unter I. 3) b. ee. dargestellten Rechtsauffassung des Senats zugunsten des Klägers unterstellt – ist nicht geeignet, Vertrauensschutz zugunsten des verordnenden Arztes zu begründen, da sie ihm nicht die Gewissheit von der Rechtmäßigkeit seines Handelns vermitteln kann. Er kann in dieser Situation allenfalls hoffen, dass sich die von ihm vertretene Ansicht als die zutreffende erweisen wird. Der Kläger hatte aber ebenso in Erwägung zu ziehen, dass sich die andere Ansicht durchsetzen könnte und sich seine Verordnung als unzulässig erweisen werde. Bei unklarer Rechtslage hat jeder Vertragsarzt die Möglichkeit, das Präparat auf Privatrezept zu verordnen und so den Kostenträger in die Lage zu versetzen, eine Entscheidung über seine Leistungspflicht zu treffen (vgl. zu dieser Vorgehensweise: BSG, Beschluss vom 31. Mai 2006, Az.: B 6 KA 53/05 B, veröffentlicht in Juris). Dem steht § 29 Abs. 1 Satz 2 BMV-Ä bzw. § 15 Abs. 1 Satz 2 EKV-Ä – nach diesen Vorschriften ist die Genehmigung von Arzneimittelverordnungen durch die Krankenkasse unzulässig – nicht entgegen. Denn diese Vorschriften betreffen offensichtlich nur vertragsärztliche Arzneimittelverordnungen, wie sich insbesondere aus § 29 Abs. 9 bis 11 BMV-Ä bzw. § 15 Abs. 8 bis 10 EKV-Ä ergibt.

Bei einer vertragsärztlichen Verordnung hat die Krankenkasse in jedem Fall gegenüber dem Versicherten die Kosten zu übernehmen; sie hat in diesem Fall nur die Möglichkeit, ihre fehlende Leistungspflicht im Wege des Regresses gegenüber dem Arzt geltend zu machen. Der Arzt übernimmt daher mit einer vertragsärztlichen Versorgung die Verantwortung dafür, dass das Arzneimittel zum Leistungsspektrum der GKV zählt. Wenn sich der Kläger dafür entschieden hat, die Verordnungen zu Lasten der Beigeladenen zu 1) vorzunehmen, so hat er auch für diese objektiv fehlerhaften Verordnungen einzustehen.

Dass die Krankenkassen im Jahre 1999 möglicherweise einen Antrag eines Vertragsarztes auf „Genehmigung“ eines Off-label-use nicht in der Sache beschieden hätten – wie der Kläger vorbringt –, steht dem o.g. Ergebnis nicht entgegen. Denn zum einen hat Herr J– der Mitarbeiter der AOK Berlin, auf dessen Angaben sich der Kläger beruft – zugleich zu erkennen gegeben, dass der Kläger ggf. eine Zusicherung, keinen Regressantrag bezüglich des Off-label-use zu stellen, hätte erhalten können. Zum anderen hätte der Kläger eine Vorabprüfung durch die Krankenkasse auch dadurch erreichen können, dass er – entsprechend der Regelung in § 29 Abs. 9 BMV-Ä und § 15 Abs. 8 EKV-Ä für die Verordnung von Arzneimitteln, die von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen sind – dem Patienten ein Privatrezept ausstellt und es diesem überlässt, sich bei der Krankenkasse um Erstattung der Kosten zu bemühen (BSG a.a.O.).

Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt nichts anderes. Die Klägerseite meint, die Beklagte habe ihre Befugnis, die Festsetzung eines Regresses zu beantragen, dadurch verwirkt, dass sie wegen vom Kläger veranlassten Verordnungen von Polyglobin in den Jahren 1997 und 1998 keinen Antrag gestellt habe. Eine Verwirkung liegt hier insbesondere deswegen nicht vor, weil insoweit zu einer längeren Untätigkeit des Inhabers eines Rechts (hier: der Beigeladenen zu 1) – sog. Zeitmoment – besondere Umstände hinzutreten müssen – sog. Umstandsmoment –, die bei der Gegenpartei (hier: dem Kläger) einen Vertrauenstatbestand geschaffen haben (MüKo / Roth § 242 Rd. 306 m.w.N.). An letzterem fehlt es jedoch schon nach dem oben Gesagten.

II. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2) zulässig und begründet.

771) Die Anschlussberufung ist gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 524 Zivilprozessordnung (ZPO) grundsätzlich auch im sozialgerichtlichen Verfahren statthaft (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer Sozialgerichtsgesetz, 9.A., § 143 Rd. 5 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 10. Februar 2005, Az.: B 4 RA 48/04 R, vom 23. Juni 1998, Az.: B 4 RA 33/97 R, und vom 19. Juni 1996, Az.: 6 RKa 24/95, alle veröffentlicht in Juris; SozR 1750 § 522 Nr. 1; SozR Nr. 12 zu § 521 ZPO; ebenso Leitherer a.a.O. Rd. 5d m.w.N.) ist die (unselbständige, d.h. erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegte) Anschlussberufung jedoch nicht eigentlich ein Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich ein Beteiligter innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers an dieses Rechtsmittel anschließe. Sie biete die Möglichkeit, die vom Berufungskläger angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts auch zu seinen - des sich Anschließenden - Gunsten ändern zu lassen und könne sich daher zu Lasten des Berufungsgegners wie eine reformatio in peius auswirken. Daher müsse sie sich auf denselben Streitgegenstand wie die Berufung beziehen. Insbesondere könnten mit ihr nicht Teile des sozialgerichtlichen Urteils zur Prüfung des Berufungsgerichts gestellt werden, die von der Berufung nicht erfasst werden.

Diesen Standpunkt teilt der Senat nicht. Gemäß § 524 Absätze 1 und 2 Satz 1 ZPO in der seit dem 01. Januar 2002 geltenden Fassung kann sich der Berufungsbeklagte der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht. Sie ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist. Mit der durch § 524 ZPO eröffneten Anschließung soll dem, der eine (Haupt-)Berufung nicht einlegen will oder kann, die Möglichkeit gegeben werden, der (Haupt-)Berufung mit einem Antrag entgegenzutreten, "der deren Antrag gewissermaßen aufbricht" (Bundesverwaltungsgericht – BVerwG –, Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 35 S. 6 zur Anschlussrevision). Die Anschließung lässt die Bindung des Gerichts an das Begehren des Berufungsführers ( § 153 Abs. 1, § 123 SGG) entfallen und gestattet dem Rechtsmittelgericht eine Entscheidung zu dessen Ungunsten; das Rechtsmittelgericht wird durch die Anschlussberufung vom Verbot einer reformatio in peius freigestellt (Bernsdorff, in: Hennig, Sozialgerichtsgesetz, § 143 Rd. 22), das anderenfalls eine Abänderung zum Nachteil des Berufungsführers verbietet (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer Sozialgerichtsgesetz, 9.A., § 157 Rd. 1a). Die Anschließung ermöglicht dem an sich "friedfertigen" Rechtsmittelbeklagten auch dann noch selbst in den Prozess einzugreifen, wenn das Rechtsmittel des Gegners erst kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist eingelegt wird und er deshalb eine eigene Berufung nicht mehr führen kann (Gesichtspunkt der Waffengleichheit und Billigkeit). Sie dient überdies der Prozesswirtschaftlichkeit. Sie soll zum einen vermeiden, dass eine Partei, die sich mit dem erlassenen Urteil zufrieden geben will, nur wegen eines erwarteten Rechtsmittelangriffs des Gegners vorsorglich selbst Rechtsmittel einlegt. Zum anderen soll die Anschließung einen möglichen Rechtsmittelführer vor der leichtfertigen Einlegung von Rechtsmitteln warnen, weil er jederzeit mit der Anschließung des Gegners und damit mit der Verschlechterung seiner Position durch das Urteil im nachfolgenden Rechtszug rechnen muss. Die Anschließung ist also dazu bestimmt, überflüssige Rechtsmittel zu verhindern (BVerwGE 100, 104; 116, 169; BGHZ 88, 360; Rosenberg/Schwab, 15. Aufl., § 138 I 2; Stein/Jonas/Grunsky, 21. Aufl., § 521 Rd. 2; Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung/Rimmelspacher, § 521 Rd. 2ff).

Mit dem damit umrissenen Sinn und Zweck des § 524 ZPO ist die entgegenstehende Ansicht, die im Ergebnis die Zulässigkeit einer Anschlussberufung weitgehend von einer Identität der Gegenstände von (Haupt-)Berufung und Anschlussberufung abhängig macht, nicht vereinbar (Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 127 Rd. 6b; Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., Rd. 10; Rimmelspacher, a.a.O., Rd. 14). Alleiniges Ziel der Anschließung ist und muss sein, den Berufungsantrag "aufzubrechen", also über dessen Gegenstand hinauszugehen (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. A., § 127 RdNr. 9). Andernfalls würde der Anwendungsbereich einer Anschlussberufung weitgehend eingeschränkt. Denn der Teil des Urteils, der den Berufungskläger belastet und von diesem angefochten wird, kann (und wird sinnvollerweise) nicht Gegenstand der Anschließung sein, weil insoweit ein bloßer Antrag auf Zurückweisung der Berufung ausreicht; der Teil, der den Berufungskläger begünstigt, kann mangels Beschwer nicht Gegenstand der (Haupt-) Berufung sein und müsste bei Zugrundelegung der Ansicht des Berufungsgerichts deshalb als Gegenstand der Anschließung ausscheiden. Vor diesem Hintergrund könnte durch eine Anschließung - soweit nach allgemeinen Vorschriften zulässig - allenfalls noch eine Einbeziehung neuer Streitgegenstände in das Berufungsverfahren erreicht werden. Für eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Anschlussberufung fehlt es an einem dies rechtfertigenden Grund (BVerwG a.a.O.)

Die anderslautende Rechtsauffassung des BSG erscheint auch deswegen wenig überzeugend, weil für das parallele Rechtsmittel der Anschlussrevision eine Beschränkung auf den der Berufung zugrunde liegenden Streitgegenstand gerade nicht gefordert wird, sondern es genügen soll, wenn sich die Anschlussrevision im „Rahmen des gesamten Streitgegenstandes“ bewege (BSG SozR 4-1500 § 144 Nr. 4; ebenso Leitherer, a.a.O., § 160 Rd. 3e).

Dass die Berufungen des Klägers und der Beigeladenen zu 2) unterschiedliche Streitgegen-stände betreffen – Schadensersatzverpflichtungen aufgrund von Arzneimittelverordnungen in den Quartale III/1999 und IV/1999 einerseits, eine Schadensersatzverpflichtung aufgrund von Arzneimittelverordnungen im Quartal II/1999 andererseits – tangiert die Zulässigkeit der Anschlussberufung somit nicht. Die Anschlussberufung ist auch nicht an eine Frist gebunden. Die in § 524 Absätze 2 Sätze 2 und 3, 3 ZPO enthaltenen formellen Voraussetzungen für eine Anschlussberufung kommen wegen der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens nicht zur Anwendung (BSGE 28, 31; Leitherer a.a.O. Rd. 5f).

2. Die Anschlussberufung ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kommt es auf eine Antragsfrist nicht an. Auch die sonstigen Voraussetzungen für einen Regress wegen der Verordnung des im Quartal II/99 für die Versicherte nicht verordnungsfähigen Arzneimittels Polyglobin 5 % liegen vor. Insofern verweist der Senat in vollem Umfang auf das unter I. Gesagte.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2, § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

Die Revision wurde wegen Abweichungen von Urteilen des BSG zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).