OLG Köln, Urteil vom 09.03.1992 - 27 U 144/91
Fundstelle
openJur 2012, 73393
  • Rkr:

1. Wird bei wiederholtem Versuch der Extraktion des Zahnes 48 mittels eines Hebelinstruments, bei der ein erheblicher knöcherner Widerstand zu erwarten war, der Nachbarzahn 47 zerstört, so spricht dies prima facie für eine zu große und damit fehlerhafte Kraftentfaltung des Zahnarztes.

2. 1500 DM Schmerzensgeld für den Verlust des Zahnes 47.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 17. Juli 1991 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 4 O 534/9O - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise wie folgt abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. November 1988 zu zahlen. Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 4/5, die Beklagte zu 1/5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nur im

erkannten Umfang begründet.

Die Beklagte haftet dem Kläger aus §§

831, 823 Abs. 1, 847 BGB auf Ersatz seines immateriellen

Schadens.

Dr. P. ist bei dem Versuch, dem Kläger

den Zahn 48 zu extrahieren, schuldhaft ein Behandlungsfehler

unterlaufen. Das steht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen

Dr. Dr. M. zur Óberzeugung des Senats fest. Der Sachverständige hat

in seinem schriftlichen Gutachten vom 5. Juli 1990 zwar die

Anwendung des von Dr. P. benutzten Hebelinstruments nicht

beanstandet. Er hat aber betont, daß schon wegen der Gefahr des

Kieferbruchs das Instrument nur mit großer Vorsicht zur

Zahnentfernung angewandt werden dürfe, wobei die Dosierung der

Kraft sich im Einzelfall an den anatomischen Gegebenheiten

orientieren müsse. Hierzu sei eine Untersuchung des Kieferknochens

und der Belastbarkeit der Nachbarzähne erforderlich. Unter

Berücksichtigung der anatomischen Verhältnisse am unteren

Weisheitszahn sei bei der Anwendung des Hebelinstruments nur ein

vorsichtiger Versuch zu unternehmen. Führe der Extraktionsversuch

gegen Erwartung in kurzer Zeit nicht zum Ziel, sollten weitere

Bemühungen zur Vermeidung schädlicher Folgewirkungen unterlassen

und der Weg der operativen Zahnentfernung eingeschlagen werden.

Eine relevante Schwächung des Zahn 47 sei nach dem Orthopantogramm

vom 17. Januar 1985 nicht erkennbar, so daß der Gebrauch des

Hebelinstruments zumindest in Kombination mit der Zange

gerechtfertigt erscheine. Der Sachverständige bezweifelt aber, ob

eine Entfernung des Zahns 48 allein durch Hebelwirkung prinzipiell

Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Aufgrund der Aufnahmen sei

anzunehmen, so führt er aus, daß ein erheblicher knöcherner

Widerstand in der durch Neigung des Zahns vorgegebenen

Luxationsrichtung vorgelegen habe. Es erscheine daher

nachvollziehbar, daß trotz Anwendung erheblicher Hebelkräfte keine

Lockerung des Zahns 48 eingetreten sei. Nach Angabe des Klägers

seien vom Beginn des Eingriffs bis zur Fraktur des Zahns 47 etwa 10

Minuten vergangen. Während dieses Zeitraums sei teilweise

erhebliche Kraft von Herrn Dr. P. angewandt worden. Trotzdem sei

offensichtlich dadurch keine bedeutende Lockerung von Zahn 48

eingetreten. In Anbetracht der Erfolglosigkeit dieses Versuchs und

der allgemein bekannten möglichen Verletzungsfolgen durch einen

erhöhten hebelnden Krafteinsatz hätte Dr. P. zu einem früheren

Zeitpunkt den Versuch der Extraktion beenden und eine operative

Zahnentfernung einleiten müssen. Zusammenfassend führt der

Sachverständige aus, in Fällen, wie dem vorliegenden, seien

Beschädigungen des Zahns 47 nicht mit letzter Sicherheit

auszuschließen. Das Risiko einer Zahnfraktur sei bei Anwendung der

entsprechenden Sorgfalt jedoch als äußerst gering

einzuschätzen.

Aufgrund dieser Ausführungen sieht der

Senat einen Behandlungsfehler als erwiesen an. Zwar steht nicht

fest, ob Dr. P. - wie der Kläger angegeben hat - 10 Minuten lang

versucht hat, den Zahn 48 zu lokkern. Der Zeuge konnte sich hieran

nicht erinnern. Er konnte nur noch angeben, daß der Zahn nicht

schon beim ersten Versuch mit dem Hebel abgebrochen ist. Doch kommt

es auf den Zeitraum auch nicht entscheidend an. Da nach dem

Sachverständigengutachten hier von vornherein ein erheblicher

knöcherner Widerstand zu erwarten war - mit dem im übrigen auch der

Zeuge selbst nach seiner Aussage gerechnet hatte -, das Risiko

einer Zahnfraktur bei Anwendung der entsprechenden Sorgfalt als

äußerst gering einzuschätzen ist, ferner bereits ein Versuch mit

dem Hebelinstrument erfolglos geblieben war und Dr. P. als

Assistenzarzt mit 25 Jahren nur über geringe Berufserfahrung

verfügte, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine zu große

und daher fehlerhafte Kraftentfaltung.

Für den Behandlungsfehler des Zeugen

Dr. P. haftet die Beklagte nach § 831 BGB. Der Vortrag der

Beklagten zum Entlastungsbeweis - Dr. P. sei fachlich qualifiziert

und fortlaufend überwacht worden - reicht in dieser Allgemeinheit

nicht aus. Daß der Kläger in der Chefarztambulanz behandelt worden

ist - wodurch eine Haftung der Beklagten ausscheiden würde (BGHZ

105, 189) -, trägt diese nicht vor. Die Beklagte kann sich auch

nicht mit Erfolg darauf berufen, Dr. P. sei bei dem Eingriff von

Dr. D. überwacht worden, der keine Veranlassung gesehen habe, durch

Hinweise oder Ratschläge den Behandlungsablauf zu ändern oder zu

korrigieren. Denn Dr. D. trifft derselbe Vorwurf wie Dr. P.. In

welcher Weise Dr. D. qualifiziert und überwacht war, trägt die

Beklagte nicht vor.

Zum Ausgleich der mit dem Verlust des

Zahnes 47 verbundenen Schmerzen und Unannehmlichkeiten durch die

Nachbehandlung erscheint ein Schmerzensgeld von 1.5OO,- DM, das der

Senat auch in ähnlich gelagerten Fällen zugesprochen hat,

angemessen.

Seinen angeblichen materiellen Schaden

hat der Klä-ger nicht nachgewiesen. Aus den von ihm vorgelegten

Rechnungen läßt sich sein Schaden nicht berechnen. Die Rechnungen

betreffen teilweise ersichtlich andere Leistungen. Die Rechnungen

des Dr. H., Direktor der Neurologischen Klinik M., vom 15. August

1986 beziehen sich auf eine neurologische Abklärung. In welchem

Zusammenhang diese mit der Beschädigung des Zahns 47 gestanden hat,

teilt der Kläger nicht mit. Dasselbe gilt für die Rechnung des Dr.

G. vom 2. Mai 1986. Darin sind die Röntgenaufnahmen der

Warzenfortsätze, der Felsenbeine und der Halswirbelsäule in

Rechnung gestellt. Auch hier fehlt es an der Darlegung des

Zusammenhangs mit der Beschädigung des Zahns 47. Die Rechnung des

Prof. Dr. K. haben zahlreiche Positionen zum Inhalt, die die Zähne

18, 28 und 38 betreffen. So ist in der Rechnung vom 14. Januar 1987

als Diagnose angegeben: Weisheitszähne 18, 28, 38 und 48 retiniert

und verlagert. Große Kiefernhöhlenperforation bei 018.

Rezidivierende Dentitio difficilis mit pericoronarem Infiltrat bei

38. Unter den einzelnen Positionen ist mehrfach die Behandlung des

Zahns 18 aufgeführt. Da bei diesem Zahn laut Diagnose eine

Kieferhöhlenperforation bestand, liegt es nahe, daß der plastische

Kieferhöhlenverschluß sich auf diesen Zahn bezog. Auch im nicht

nachgelassenen Schriftsatz vom 25. Februar 1992 geht der Kläger

hierauf nicht ein. Inwieweit die Leistungen der Rechnungen des

Prof. Dr. K. auf Zahn 48 entfallen, vermag der Senat nicht

festzustellen. Die Rechnung der medizinischen Einrichtungen der

Beklagten bezieht sich auf den stationären Krankenhausaufenthalt

des Klägers. Es liegt aber nahe, daß dieser wegen der

Kieferhöhlenperforation bei Zahn 18 und deren operativen Verschluß

notwendig war. Jedenfalls fehlt es an der Darlegung des Klägers,

der stationären Krankenhausaufenthalt sei wegen des Zahns 47

notwendig gewesen. Soweit der stationä-re Aufenthalt auf die

operative Freilegung des Zahns 48 beruhte, handelte es sich um

sogenannte Ohnehinkosten. Diese wären auch angefallen, wenn Dr. P.

den Zahn 48 operativ freigelegt hätte, anstatt zu versuchen, den

Zahn 48 mit einem Hebelinstrument zu extrahieren. Erstattungsfähig

wäre zwar die von Dr. G. angefertigte Brücke zur Óberbrückung der

Zahnlücke bei Zahn 47. Der Kläger hat den nach Abzug des

Krankenkasseanteils verbleibenden Rechnungsbetrag halbiert. Die

Rechnung weist aber außer zwei Brücken sechs provisorische Kronen

und vier Kronen auf, wobei es sich ausweislich der Rechnung jedoch

nicht nur um die Zähne 48 und 46 gehandelt hat. Daß der Kläger es

mit seiner Ersatzforderung wenig genau hält, folgt auch daraus, daß

er mit Schriftsatz vom 8. Oktober 1990 zur Begründung seiner

Forderung eine Arztrechnung vom 2. Juni 1986 vorgelegt hat, auf der

als Diagnose Otalgie (Ohrschmerz), Hörstörung vermerkt ist. Da die

Beklagte von Anfang an die Schlüssigkeit der Klage bemängelt und

der Kläger auch im Schriftsatz vom 25. Februar 1992 seinen Schaden

anhand der vorgelegten Rechnungen weitgehend nicht aufgeschlüsselt

hat, besteht kein Grund zur Wiedereröffnung der mündlichen

Verhandlung.

Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 298,

288 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen

folgen aus §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert des Berufungsverfahrens:

7.267,28 DM

Beschwer für beide Parteien unter

60.000,00 DM.

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