1. Wird bei wiederholtem Versuch der Extraktion des Zahnes 48 mittels eines Hebelinstruments, bei der ein erheblicher knöcherner Widerstand zu erwarten war, der Nachbarzahn 47 zerstört, so spricht dies prima facie für eine zu große und damit fehlerhafte Kraftentfaltung des Zahnarztes.
2. 1500 DM Schmerzensgeld für den Verlust des Zahnes 47.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 17. Juli 1991 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 4 O 534/9O - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise wie folgt abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. November 1988 zu zahlen. Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 4/5, die Beklagte zu 1/5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die zulässige Berufung ist nur im
erkannten Umfang begründet.
Die Beklagte haftet dem Kläger aus §§
831, 823 Abs. 1, 847 BGB auf Ersatz seines immateriellen
Schadens.
Dr. P. ist bei dem Versuch, dem Kläger
den Zahn 48 zu extrahieren, schuldhaft ein Behandlungsfehler
unterlaufen. Das steht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen
Dr. Dr. M. zur Óberzeugung des Senats fest. Der Sachverständige hat
in seinem schriftlichen Gutachten vom 5. Juli 1990 zwar die
Anwendung des von Dr. P. benutzten Hebelinstruments nicht
beanstandet. Er hat aber betont, daß schon wegen der Gefahr des
Kieferbruchs das Instrument nur mit großer Vorsicht zur
Zahnentfernung angewandt werden dürfe, wobei die Dosierung der
Kraft sich im Einzelfall an den anatomischen Gegebenheiten
orientieren müsse. Hierzu sei eine Untersuchung des Kieferknochens
und der Belastbarkeit der Nachbarzähne erforderlich. Unter
Berücksichtigung der anatomischen Verhältnisse am unteren
Weisheitszahn sei bei der Anwendung des Hebelinstruments nur ein
vorsichtiger Versuch zu unternehmen. Führe der Extraktionsversuch
gegen Erwartung in kurzer Zeit nicht zum Ziel, sollten weitere
Bemühungen zur Vermeidung schädlicher Folgewirkungen unterlassen
und der Weg der operativen Zahnentfernung eingeschlagen werden.
Eine relevante Schwächung des Zahn 47 sei nach dem Orthopantogramm
vom 17. Januar 1985 nicht erkennbar, so daß der Gebrauch des
Hebelinstruments zumindest in Kombination mit der Zange
gerechtfertigt erscheine. Der Sachverständige bezweifelt aber, ob
eine Entfernung des Zahns 48 allein durch Hebelwirkung prinzipiell
Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Aufgrund der Aufnahmen sei
anzunehmen, so führt er aus, daß ein erheblicher knöcherner
Widerstand in der durch Neigung des Zahns vorgegebenen
Luxationsrichtung vorgelegen habe. Es erscheine daher
nachvollziehbar, daß trotz Anwendung erheblicher Hebelkräfte keine
Lockerung des Zahns 48 eingetreten sei. Nach Angabe des Klägers
seien vom Beginn des Eingriffs bis zur Fraktur des Zahns 47 etwa 10
Minuten vergangen. Während dieses Zeitraums sei teilweise
erhebliche Kraft von Herrn Dr. P. angewandt worden. Trotzdem sei
offensichtlich dadurch keine bedeutende Lockerung von Zahn 48
eingetreten. In Anbetracht der Erfolglosigkeit dieses Versuchs und
der allgemein bekannten möglichen Verletzungsfolgen durch einen
erhöhten hebelnden Krafteinsatz hätte Dr. P. zu einem früheren
Zeitpunkt den Versuch der Extraktion beenden und eine operative
Zahnentfernung einleiten müssen. Zusammenfassend führt der
Sachverständige aus, in Fällen, wie dem vorliegenden, seien
Beschädigungen des Zahns 47 nicht mit letzter Sicherheit
auszuschließen. Das Risiko einer Zahnfraktur sei bei Anwendung der
entsprechenden Sorgfalt jedoch als äußerst gering
einzuschätzen.
Aufgrund dieser Ausführungen sieht der
Senat einen Behandlungsfehler als erwiesen an. Zwar steht nicht
fest, ob Dr. P. - wie der Kläger angegeben hat - 10 Minuten lang
versucht hat, den Zahn 48 zu lokkern. Der Zeuge konnte sich hieran
nicht erinnern. Er konnte nur noch angeben, daß der Zahn nicht
schon beim ersten Versuch mit dem Hebel abgebrochen ist. Doch kommt
es auf den Zeitraum auch nicht entscheidend an. Da nach dem
Sachverständigengutachten hier von vornherein ein erheblicher
knöcherner Widerstand zu erwarten war - mit dem im übrigen auch der
Zeuge selbst nach seiner Aussage gerechnet hatte -, das Risiko
einer Zahnfraktur bei Anwendung der entsprechenden Sorgfalt als
äußerst gering einzuschätzen ist, ferner bereits ein Versuch mit
dem Hebelinstrument erfolglos geblieben war und Dr. P. als
Assistenzarzt mit 25 Jahren nur über geringe Berufserfahrung
verfügte, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine zu große
und daher fehlerhafte Kraftentfaltung.
Für den Behandlungsfehler des Zeugen
Dr. P. haftet die Beklagte nach § 831 BGB. Der Vortrag der
Beklagten zum Entlastungsbeweis - Dr. P. sei fachlich qualifiziert
und fortlaufend überwacht worden - reicht in dieser Allgemeinheit
nicht aus. Daß der Kläger in der Chefarztambulanz behandelt worden
ist - wodurch eine Haftung der Beklagten ausscheiden würde (BGHZ
105, 189) -, trägt diese nicht vor. Die Beklagte kann sich auch
nicht mit Erfolg darauf berufen, Dr. P. sei bei dem Eingriff von
Dr. D. überwacht worden, der keine Veranlassung gesehen habe, durch
Hinweise oder Ratschläge den Behandlungsablauf zu ändern oder zu
korrigieren. Denn Dr. D. trifft derselbe Vorwurf wie Dr. P.. In
welcher Weise Dr. D. qualifiziert und überwacht war, trägt die
Beklagte nicht vor.
Zum Ausgleich der mit dem Verlust des
Zahnes 47 verbundenen Schmerzen und Unannehmlichkeiten durch die
Nachbehandlung erscheint ein Schmerzensgeld von 1.5OO,- DM, das der
Senat auch in ähnlich gelagerten Fällen zugesprochen hat,
angemessen.
Seinen angeblichen materiellen Schaden
hat der Klä-ger nicht nachgewiesen. Aus den von ihm vorgelegten
Rechnungen läßt sich sein Schaden nicht berechnen. Die Rechnungen
betreffen teilweise ersichtlich andere Leistungen. Die Rechnungen
des Dr. H., Direktor der Neurologischen Klinik M., vom 15. August
1986 beziehen sich auf eine neurologische Abklärung. In welchem
Zusammenhang diese mit der Beschädigung des Zahns 47 gestanden hat,
teilt der Kläger nicht mit. Dasselbe gilt für die Rechnung des Dr.
G. vom 2. Mai 1986. Darin sind die Röntgenaufnahmen der
Warzenfortsätze, der Felsenbeine und der Halswirbelsäule in
Rechnung gestellt. Auch hier fehlt es an der Darlegung des
Zusammenhangs mit der Beschädigung des Zahns 47. Die Rechnung des
Prof. Dr. K. haben zahlreiche Positionen zum Inhalt, die die Zähne
18, 28 und 38 betreffen. So ist in der Rechnung vom 14. Januar 1987
als Diagnose angegeben: Weisheitszähne 18, 28, 38 und 48 retiniert
und verlagert. Große Kiefernhöhlenperforation bei 018.
Rezidivierende Dentitio difficilis mit pericoronarem Infiltrat bei
38. Unter den einzelnen Positionen ist mehrfach die Behandlung des
Zahns 18 aufgeführt. Da bei diesem Zahn laut Diagnose eine
Kieferhöhlenperforation bestand, liegt es nahe, daß der plastische
Kieferhöhlenverschluß sich auf diesen Zahn bezog. Auch im nicht
nachgelassenen Schriftsatz vom 25. Februar 1992 geht der Kläger
hierauf nicht ein. Inwieweit die Leistungen der Rechnungen des
Prof. Dr. K. auf Zahn 48 entfallen, vermag der Senat nicht
festzustellen. Die Rechnung der medizinischen Einrichtungen der
Beklagten bezieht sich auf den stationären Krankenhausaufenthalt
des Klägers. Es liegt aber nahe, daß dieser wegen der
Kieferhöhlenperforation bei Zahn 18 und deren operativen Verschluß
notwendig war. Jedenfalls fehlt es an der Darlegung des Klägers,
der stationären Krankenhausaufenthalt sei wegen des Zahns 47
notwendig gewesen. Soweit der stationä-re Aufenthalt auf die
operative Freilegung des Zahns 48 beruhte, handelte es sich um
sogenannte Ohnehinkosten. Diese wären auch angefallen, wenn Dr. P.
den Zahn 48 operativ freigelegt hätte, anstatt zu versuchen, den
Zahn 48 mit einem Hebelinstrument zu extrahieren. Erstattungsfähig
wäre zwar die von Dr. G. angefertigte Brücke zur Óberbrückung der
Zahnlücke bei Zahn 47. Der Kläger hat den nach Abzug des
Krankenkasseanteils verbleibenden Rechnungsbetrag halbiert. Die
Rechnung weist aber außer zwei Brücken sechs provisorische Kronen
und vier Kronen auf, wobei es sich ausweislich der Rechnung jedoch
nicht nur um die Zähne 48 und 46 gehandelt hat. Daß der Kläger es
mit seiner Ersatzforderung wenig genau hält, folgt auch daraus, daß
er mit Schriftsatz vom 8. Oktober 1990 zur Begründung seiner
Forderung eine Arztrechnung vom 2. Juni 1986 vorgelegt hat, auf der
als Diagnose Otalgie (Ohrschmerz), Hörstörung vermerkt ist. Da die
Beklagte von Anfang an die Schlüssigkeit der Klage bemängelt und
der Kläger auch im Schriftsatz vom 25. Februar 1992 seinen Schaden
anhand der vorgelegten Rechnungen weitgehend nicht aufgeschlüsselt
hat, besteht kein Grund zur Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung.
Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 298,
288 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen
folgen aus §§ 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Streitwert des Berufungsverfahrens:
7.267,28 DM
Beschwer für beide Parteien unter
60.000,00 DM.