OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.05.2023 - OVG 1 S 42/23
Fundstelle
openJur 2023, 5294
  • Rkr:
Verfahrensgang
Rubrum

OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG

BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. M..., die Richterin am Oberverwaltungsgericht S... und den Richter am Oberverwaltungsgericht B... am 8. Mai 2023 beschlossen:

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. Mai 2023 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 3. Mai 2023 (Abl. Nr. 20 vom 5. Mai 2023, 2140) in Bezug auf die von ihr für den 9. Mai 2023 angemeldete Versammlung wiederherzustellen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das für die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO maßgebliche Beschwerdevorbringen rechtfertigt, den angegriffenen Beschluss zu ändern.

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Allgemeinverfügung der Polizei Berlin "Beschränkung des Gemeingebrauchs von öffentlichen Flächen und der Versammlungsfreiheit am 8. Mai 2023, 06:00 Uhr bis zum 9. Mai 2023, 22:00 Uhr, in drei begrenzten Bereichen der Bezirke Treptow-Köpenick, Mitte und Pankow" vom 3. Mai 2023 (Abl. Nr. 20 vom 5. Mai 2023, 2140) zu Unrecht wiederhergestellt, soweit das Zeigen des Sankt-Georgs-Bandes, der Sankt-Georgs-Fahne, von russischen Fahnen und Flaggen sowie der Flagge der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) am 9. Mai 2023 im Bezirk Mitte, Ortsteil Tiergarten, Straße des 17. Juni, sowjetisches Ehrenmal Tiergarten und umliegende Bereiche, begrenzt durch Scheidemannstraße einschließlich nördlicher Gehweg, Kleine Querallee, Bremer Weg und Yitzhak-Rabin-Straße einschließlich westlicher Gehweg untersagt wird.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VersFG Berlin bezogene Gefahrenprognose der Polizei auch mit Blick auf die hohe Bedeutung des Versammlungsgrundrechts (Art. 8 Abs. 1 GG) und der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) nicht zu beanstanden. Danach kann eine Versammlung unter anderem beschränkt werden, wenn sie aufgrund der konkreten Art und Weise ihrer Durchführung geeignet ist, Gewaltbereitschaft zu vermitteln und dadurch einschüchternd wirkt oder in erheblicher Weise gegen das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger und grundlegende soziale oder ethische Anschauungen verstößt. Diese Voraussetzungen liegen bei summarischer Prüfung vor. Die der Allgemeinverfügung zugrunde liegende Prognose trifft zu.

Mit Recht weist die Beschwerde darauf hin, dass für die rechtliche Beurteilung der Allgemeinverfügung nicht isoliert auf die Versammlung der Antragstellerin abgestellt werden darf, sondern das weitere Veranstaltungs- und Versammlungsgeschehen an den Gedenktagen des 8. und 9. Mai 2023 vor den symbolträchtigen Ehrenmalen im Kontext des fortdauernden russischen Angriffskriegs in den Blick zu nehmen ist. Erklärtes Ziel der Allgemeinverfügung ist es, den öffentlichen Frieden zu bewahren und ein würdiges Begehen der Gedenktage zu ermöglichen (siehe etwa S. 13 der Begründung der Allgemeinverfügung). Vor diesem Hintergrund werden die Versammlungen an den genannten Orten dahingehend beschränkt, dass unter anderem das Zeigen der von der Antragstellerin begehrten Symbole untersagt ist.

Angesichts des fortdauernden Angriffskriegs gegen die Ukraine kommt auch den hier streitbefangenen Symbolen eine Bedeutung zu, die geeignet ist, Gewaltbereitschaft zu vermitteln. Denn sie können im aktuellen Kontext jedenfalls als Sympathiebekundung für die Kriegsführung verstanden werden. Der damit einhergehende "Eindruck eines Siegeszuges" beeinträchtigt die – ebenfalls durch § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VersFG BE geschützte – Würde der Opfer und gefährdet den öffentlichen Frieden. Wie der Antragsgegner zutreffend darlegt, hat sich die besondere Anspannung der Lage bereits gestern bei einem Vorfall im Bereich des Sowjetischen Ehrenmals im Tiergarten gezeigt, bei dem es zunächst zu verbalen Auseinandersetzungen und in der Folge zu körperlichen Handgreiflichkeiten zwischen pro-ukrainischen und pro-russischen Personen kam.

Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass das Zeigen der streitgegenständlichen Symbole insbesondere für vom aktuellen Kriegsgeschehen persönlich Betroffene einschüchternd wirken kann. Ebenso verletzt der damit mögliche Eindruck einer Sympathiebekundung für den Angriffskrieg in unmittelbarer Nähe zu den Ehrenmalen das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger und grundlegende ethische Anschauungen.

Die offenbar gezielte Intensivierung der russischen Luftangriffe auf die Ukraine und ihre Zivilbevölkerung am heutigen Tage (https://www.tagesspiegel.de/internationales/luftalarm-in-zwei-dritteln-des-landes-ukraine-meldet-tote-und-verletzte-durchrussische-luftangriffe-9780713.html) trägt zu einer weiteren Verschärfung der Konfliktlage bei und zeigt, dass eine Trennung des Gedenkens des Kriegsendes und des erneuten Kriegsgeschehens in der Ukraine nicht möglich ist. Die Behauptung der Antragstellerin, es gehe ihr bei der geplanten Veranstaltung ausschließlich um das würdevolle Gedenken an die russischen Gefallenen bei der Befreiung Berlins vom Faschismus, erscheint angesichts der vom Antragsgegner vorgelegten Berichtserstattung über das Auftreten der Antragstellerin in Leverkusen und Köln am Samstag, den 6. Mai 2023, ernsthaft zweifelhaft. Danach soll es sich bei der Antragstellerin um eine bekennende Unterstützerin des russischen Angriffskrieges handeln.

Die Allgemeinverfügung ist schließlich auch verhältnismäßig. Die Verwendung der Symbole ist nur im unmittelbaren Umfeld der Sowjetischen Ehrenmale beschränkt. Ein würdevolles Gedenken wird dadurch nicht verhindert. Die Untersagung gilt nicht für diplomatische Delegationen. Ausnahmen gelten ferner für Veteranen des Zweiten Weltkrieges. Ebenso wenig ist es der Antragstellerin verwehrt, die Versammlung außerhalb des engen geschützten Bereichs ohne Einschränkungen durchzuführen, wodurch der Bezug zu den Gedenkorten gewahrt werden kann (vgl. BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 11. Januar 2020 - 1 BvQ 2/20 - juris Rn. 10 ff.).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung ab.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).