BayObLG, Beschluss vom 03.06.2022 - Verg 7/22
Fundstelle
openJur 2022, 15472
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Nordbayern vom 29. März 2022, Az. RMF-SG21-3194-7-2, bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu verlängern, wird in Abänderung des Senatsbeschlusses vom 17. Mai 2022 abgelehnt.

2. Die Antragstellerin erhält Gelegenheit, bis 12. Juli 2022 mitzuteilen, ob sie die sofortige Beschwerde aufrechterhält.

3. Die Beteiligten erhalten die Möglichkeit, sich bis zum 12. Juli 2022 zum Wert des Beschwerdeverfahrens zu äußern.

Gründe

A.

Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vom die Lizenzierung und Implementierung einer Software zur Therapieplanung in ihren Kliniken im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus.

Als Zuschlagskriterien legte die Antragsgegnerin in den Vergabeunterlagen fest:

"1. Zuschlagskriterien

Insgesamt können 100 Punkte erreicht werden, wobei bis zu 30 Punkte auf den Preis und 70 Punkte auf die angebotene Leistung entfallen. Die 70 Leistungspunkte unterteilen sich dabei in max. 35 Leistungspunkte für den Anforderungskatalog der Leistungsbeschreibung sowie max. 35 Leistungspunkte für das Umsetzungskonzept.

Der Bieter mit der höchsten Gesamtpunktzahl erhält den Zuschlag ...

a) Gesamtpreis (maximal 30 Preispunkte erreichbar)

Das Angebot mit dem niedrigsten Gesamtpreis ... erhält 30 Preispunkte. Alle anderen Angebote werden ... linear interpoliert. ...

b) Qualität/Leistung - Anforderungskatalog (maximal 35 Leistungspunkte erreichbar)

Von 70 maximal erreichbaren Leistungspunkten für die Qualität/Leistung können max. 35 Leistungspunkte für die Erfüllung der B-Kriterien gemäß Leistungsbeschreibung erreicht werden.

Hinweis des Auftraggebers:

Die im Lastenheft/Anforderungskatalog aufgeführten A-Kriterien sind zwingend von der angebotenen Leistung zu erfüllen. Die Nichterfüllung auch nur eines AKriteriums führt zum Ausschluss des Angebotes vom weiteren Verfahren. Eine punktemäßige Bewertung der A-Kriterien erfolgt nicht.

Bewertung der B-Kriterien:

Sämtliche B-Kriterien des Lastenhefts/Anforderungskatalogs fließen in die Berechnung der Leistungspunkte ein. Für jedes B-Kriterium werden Bewertungspunkte vergeben. Die Bewertung erfolgt für die durch den Bieter mit eingetragenem "X" in der Spalte "erfüllt/nicht erfüllt" bestätigten Anforderungen in Verbindung mit der jeweilig angegebenen Gewichtung. Alle nicht vom Bieter beantworteten bzw. bestätigten Anforderungen erhalten keine Punkte.

c) Umsetzungskonzept (maximal 35 Leistungspunkte erreichbar)

Der Auftraggeber vergibt für die Ausführungen des Bieters in Teil C je Unterkriterium zwischen 0 und 5 Punkten . Hierfür wertet der Auftraggeber das Konzept je Unterkriterium nach den dort genannten Wertungsmaßstäben aus. Dabei erfolgt eine Gesamtbewertung des Konzepts zu dem jeweiligen Unterkriterium . Die erreichte Punktzahl je Unterkriterium wird sodann - für Unterkriterium 1 mit dem Wert 3,

- für Unterkriterium 2 mit dem Wert 4 multipliziert."

Ergänzend wird auf die Vergabebedingungen, Ziffer VIII Bezug genommen. Unter Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung führte die Antragsgegnerin als Anforderung aus:

"Anwendungs-/Anzeigemöglichkeiten auf mobilen Geräten: Handy, Tablet, IOS/Android"

Die Anforderung wurde als B-Kriterium gekennzeichnet.

Bezogen auf diese Anforderung ging folgende Bieterfrage der Antragstellerin ein:

"Wie viele mobile Endgeräte sollen angebunden werden?"

Die Antragsgegnerin antwortete:

"Nach derzeitigem Stand soll für die Angebote mit 10 mobilen Endgeräten kalkuliert werden. Die Anzahl kann sich zu einem späteren Zeitpunkt verändern".

Bestandteil der Vergabeunterlagen war ferner der "EVB-IT Überlassungsvertrag Typ A". Der Vertrag sieht unter Ziffer 8 drei Möglichkeiten zum Ankreuzen vor ("Die Leistungen des Auftragnehmers weisen keine Kopier- oder Nutzungssperren auf. / Die Leistungen des Auftragnehmers weisen folgende Kopier- oder Nutzungssperren auf: ... / Die Leistungen des Auftragnehmers weisen folgende technische Merkmale nicht auf: ... "). Während in den ursprünglichen Vergabeunterlagen die Ziffer 8 nicht vorausgefüllt war, kreuzte die Antragsgegnerin in den Vergabeunterlagen für die finalen Angebote die erste Möglichkeit an. Die "Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Überlassung von Standardsoftware gegen Einmalvergütung - EVB-IT Überlassung-AGB (Typ A)" sahen unter Ziffer 3 für den Auftraggeber das Recht zur Übertragung des Nutzungsrechts auf einen Dritten vor. Nach § 1 (3) des Vertrags über die Überlassung und Pflege von Software werden allgemeine Geschäftsbedingungen des Auftragnehmers zu keinem Zeitpunkt Inhalt des Vertrags.

Nach Durchführung des Teilnahmewettbewerbs und der Verhandlungsrunde gaben auf Anforderung der Antragsgegnerin die Antragstellerin und die Beigeladene als einzige Bieter finale Angebote ab.

Im finalen Angebot der Antragstellerin ist unter Ziffer 8 des EVB-IT Überlassungsvertrags Typ A die zweite Möglichkeit angekreuzt und der Text ergänzt wie folgt:

"Die Leistungen des Auftragnehmers weisen folgende Kopier- oder Nutzungssperren auf: Nutzungssperre durch Lizenzablaufdatum..

Zudem fügte die Antragstellerin ihrem Angebot ein Begleitschreiben bei, in dem sie Preise für die angebotenen Leistungen aufführte. Ferner erklärte sie, allgemeine Geschäftsbedingungen des Auftraggebers fänden keine Anwendung und ihre ...Lizenzen seien nicht übertragbar.

Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 5. Januar 2022 (Bl. 63 ff. d. A. VK) mit, es sei beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Der Wertungspreis des Angebots der Beigeladenen sei niedriger, die Antragstellerin erfülle nach eigenen Angaben nicht alle B-Kriterien der Leistungsbeschreibung und habe im Unterkriterium 1 zum Umsetzungskonzept nur vier von fünf erreichbaren Punkten erzielt. Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass das Angebot der Antragstellerin auch bei voller Punktzahl im Leistungskriterium Umsetzungskonzept nicht das wirtschaftlichste gewesen wäre.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2022 (Bl. 59 ff. d. A. VK) rügte die Antragstellerin, es gebe an ihrem Umsetzungskonzept nichts zu bemängeln. Von den B-Kriterien der Leistungsbeschreibung habe sie nur eines nicht erfüllt. Ihr sei somit jeweils die volle Punktzahl zu erteilen. Im Übrigen werde bezweifelt, dass die Beigeladene hinreichende B-Kriterien oder auch nur alle A-Kriterien erfüllen könne. Die Software der Beigeladenen sei 17 Jahre alt.

Die Antragsgegnerin wies die Rügen mit Schreiben vom 12. Januar 2022 (Bl. 55 ff. d. A. VK) zurück.

Am 13. Januar 2022 reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Nordbayern ein (Bl. 21 ff. d. A. VK). Sie behauptet, das Angebot der Beigeladenen erfülle die A-Kriterien Ziffer 8.3.1 ("Stabilität: Das Programm muss ausgesprochen performant und störungsfrei sein") und Ziffer. 8.4.2 ("Rekonstruktion: Im Falle eines Absturzes muss eine Funktion vorhanden sein, mit welcher die Daten bis zur letzten Bestätigung wiederhergestellt werden können - maximaler Datenverlust 1 Stunde") der Leistungsbeschreibung nicht. Bei der Software handle es sich um eine Eigenentwicklung der, es sei kein kommerzielles Produkt, das den Sicherheitsanforderungen entspreche. Zudem genüge die Software der Beigeladenen nicht Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung, die durch die Antwort der Antragsgegnerin auf die Bieterfrage vom Bzum A-Kriterium geändert worden sei. Die zehn mobilen Endgeräte, mit denen nach den Angaben der Antragsgegnerin zu kalkulieren sei, bezögen sich auf Endgeräte des Klinikpersonals, nicht der Patienten. Die Beigeladene sei daher zwingend auszuschließen. Ein Ausschluss der Antragstellerin komme hingegen nicht in Betracht, insbesondere habe sie keine unzulässigen Änderungen der Vergabeunterlagen vorgenommen. Der Preisunterschied ihres Angebots zu dem der Beigeladenen könne auch nicht so gewaltig sein. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Antragstellerin ihre Ausführungen aus dem Rügeschreiben.

Die Antragstellerin hat im Verfahren vor der Vergabekammer zuletzt beantragt,

der Antragsgegnerin aufzugeben, die Angebotswertung unter Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zu wiederholen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Das Angebot der Beigeladenen sei nicht auszuschließen. Allein das Alter der angebotenen Software sei kein Ausschlussgrund. Die Beigeladene sei ein kommerziell handelndes Unternehmen, dessen Produkt auch von anderen Auftraggebern erfolgreich eingesetzt werde. Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung stelle ausweislich der Vergabeunterlagen für die finalen Angebote nur ein B-Kriterium dar. Mit der Antwort auf die Bieterfrage sei lediglich das B-Kriterium präzisiert, aber nicht in ein A-Kriterium umgewandelt worden. Im Übrigen erfülle die Beigeladene diese Anforderung, da das Programm unstreitig auf den Handys oder Tablets der Patienten laufe. Das Angebot der Antragstellerin sei wegen der Änderung von Ziffer 8 EVB-IT Überlassungsvertrag Typ A auszuschließen. Zudem habe die Antragstellerin im Angebotsschreiben die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin unzulässigerweise ausgeschlossen und Preise angegeben, die in Widerspruch zum vorgegebenen Preisblatt stünden. Auf die Leistungswertung komme es nicht an, da selbst bei voller Punktzahl für das Angebot der Antragstellerin dieses nicht das wirtschaftlichste sei. Die Vorgaben der Vergabeverordnung zur Aufklärung der Angebotspreise habe die Antragsgegnerin eingehalten.

Die Beigeladene hat an der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer nicht teilgenommen. Sie behauptet, ihr Programm erfülle die Kriterien Ziffer 8.3.1, Ziffer 8.4.2 und Ziffer. 8.2.4 der Leistungsbeschreibung. Die Software sei als kommerzielles Produkt mit allen Sicherheitsanforderungen entwickelt worden. Sie werde permanent gepflegt und weiterentwickelt. Das Programm basiere auf der Web-App-Technologie und laufe daher mit allen Betriebssystemen von Handy und Tablet. Eine zusätzliche Funktionalität als Ärzte- und Pflegekräfteapplikation sei nicht als A-Kriterium ausgeschrieben gewesen.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Er sei bereits unzulässig, soweit die Antragstellerin rüge, das Angebot der Beigeladenen genüge den A-Kriterien Ziffer 8.3.1 und Ziffer 8.4.2 der Leistungsbeschreibung nicht. Es handle sich um bloße Behauptungen ins Blaue. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag unbegründet. Das Angebot der Beigeladenen sei nicht auszuschließen. Das B-Kriterium Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung sei nicht durch die Antwort der Antragsgegnerin auf die Bieterfrage zu einem A-Kriterium geworden. Auch sei weder den Vergabeunterlagen noch dem Wortlaut der Antwort zu entnehmen, dass mit 10 mobilen Endgeräten gerade für Klinikpersonal kalkuliert werden müsse. Auszuschließen sei hingegen das Angebot der Antragstellerin wegen Abweichungen von den Vergabeunterlagen. Zudem sei das Angebot der Antragstellerin selbst bei fehlendem Ausschluss und Vergabe der Höchstpunktzahl auf alle Leistungskriterien nicht das wirtschaftlichste. Die von der Antragsgegnerin durchgeführte Preisprüfung sei nicht zu beanstanden. Auf die gerügte Leistungswertung des Angebots der Antragstellerin komme es daher nicht an.

Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Das Angebot der Beigeladenen sei auszuschließen. Angaben der Antragstellerin erfolgten nicht ins Blaue, vielmehr handle es sich um den Hinweis eines Fachunternehmens. Das Angebot erfülle zudem die Anforderungen nach Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung nicht. Es komme darauf an, ob die Verordnung und Leistungserfassung durch das Klinikpersonal mobil möglich sei. Durch die Antwort der Antragsgegnerin sei das Kriterium zum AKriterium geworden, zumal in einem Verhandlungsverfahren über den Inhalt der Angebote verhandelt werden dürfe. Das Angebot der Antragstellerin sei hingegen nicht auszuschließen. Jedenfalls sei das Vergabeverfahren aufzuheben. Aus Gründen der Fairness hätte die Antragsgegnerin die Antragstellerin darauf hinweisen müssen, dass sie wie die Beigeladene das Angebot ohne eine mobile Nutzung für das Klinikpersonal abgeben solle. Da die Vergabe nicht eilbedürftig sei, führe eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu keinem Nachteil.

Die Antragstellerin beantragt daher, unter Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer

1. der Beschwerdegegnerin aufzugeben, die Angebotswertung unter Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zu wiederholen;

2. hilfsweise, das Vergabeverfahren aufzuheben;

3. die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern, wird abgelehnt.

Die Antragsgegnerin verteidigt den Beschluss der Vergabekammer. Das Kriterium Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung sei nicht allein durch die Antwort auf die Bieterfrage zu einem A-Kriterium geworden. Die Antwort habe nur dazu gedient, den Aufwand für die Erfüllung des B-Kriteriums kalkulierbar zu machen. Hingegen sei das Angebot der Antragstellerin auszuschließen, da sie ein von den Vorgaben der Antragsgegnerin abweichendes Lizenzmodell angeboten habe. Sie habe nunmehr die Antragstellerin am 13. Mai 2022 ausdrücklich nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a) und c) GWB ausgeschlossen. Der Geschäftsführer der Antragstellerin habe mit einer Mail vom 30. März 2022 an den Vorstand der Bezirkskliniken ... versucht, die Entscheidungsfindung über die Vergabe zu beeinflussen. Die Antragstellerin habe auch keinen Anspruch auf Aufhebung des Vergabeverfahrens. Alle Bieter hätten die gleichen Informationen von der Antragsgegnerin erhalten. Eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung sei mangels Erfolgsaussichten der Beschwerde und im Hinblick auf zu befürchtende Nachteile abzulehnen. Die Therapieplanung ohne die Software sei fehleranfälliger und zeitaufwändiger.

Die Beigeladene behauptet, ihre Software laufe seit 2005, sei in 100 Rehabilitationseinrichtungen aller Größenordnungen installiert und habe am Markt einen einzigartigen Ruf bezüglich Stabilität, Performanz und Wiederherstellung der Daten. Das Kriterium Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung sei nie zu einem zwingenden Kriterium geworden, sonst hätte die Beigeladene ohne Mehrkosten auch dieses Kriterium erfüllt. Die aufschiebende Wirkung sei nicht zu verlängern, da das öffentliche Interesse an der Auftragserteilung überwiege.

B.

Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist gemäß § 173 Abs. 2 Satz 1 GWB abzulehnen. Unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen überwiegen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die mit einer weiteren Verzögerung verbundenen Vorteile. Dies gilt namentlich bei Berücksichtigung des Interesses der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben der Antragsgegnerin nach § 173 Abs. 2 Satz 2 GWB sowie der in § 173 Abs. 2 Satz 4 GWB genannten Gesichtspunkte, darunter insbesondere der Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin bleibt aller Voraussicht nach ohne Erfolg. Dem Interesse der Antragsgegnerin an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens ist damit schon aus diesem Grund der Vorrang zu gewähren (h. M., vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 3. Mai 2022, Verg 3/22, S. 10 f. - nicht veröffentlicht -; Beschluss vom 28. Mai 2021, Verg 5/21, S. 12 - nicht veröffentlicht -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. August 2018, Verg 30/18, juris Rn. 39; Vavra/Willner in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, GWB § 173 Rn. 25). Nach summarischer Prüfung erachtet der Senat die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer für zutreffend. Die Ausführungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vermögen hieran nichts zu ändern.

I. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht nach § 172 Abs. 1 bis 3 GWB eingelegt.

II. Bei der gebotenen summarischen Prüfung verbleibt die sofortige Beschwerde in der Sache ohne Erfolg. Die Beschwerdebegründung bringt keine stichhaltigen Argumente vor, die die Richtigkeit der Entscheidung der Vergabekammer in Frage zu stellen vermögen.

Dabei kann zugunsten der Antragstellerin die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags unterstellt werden. Die Rügen der Antragstellerin, soweit sie in der Beschwerde noch verfolgt werden (vgl. zur Eingrenzung des Prüfungsumfangs im Beschwerdeverfahren OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Mai 2018, VII-Verg 24/17, juris Rn. 35; Vavra/Willner in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, GWB § 172 Rn. 20; Gröning in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 172 Rn. 31), greifen jedenfalls in der Sache nicht durch.

1) Das Angebot der Beigeladenen ist bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen.

a) § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV findet vorliegend Anwendung. Zwar kann der Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren so gestalten, dass Abweichungen der indikativen Angebote von einzelnen Vergabeunterlagen, soweit es sich nicht um Mindestanforderungen handelt, erlaubt sind und Abweichungen vom gewünschten Angebotsinhalt unter Umständen in nachfolgenden Angebotsrunden beseitigt werden können (ausführlich OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Juni 2017, VII-Verg 7/17, juris Rn. 41 m. w. N.; Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VgV § 57 Rn. 37). Indessen gilt dies nicht für die finalen Angebote, über die nach § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV keine weiteren Verhandlungen mehr stattfinden.

b) Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen Nichterfüllung der Kriterien Ziffer 8.3.1 ("Stabilität: Das Programm muss ausgesprochen performant und störungsfrei sein") und Ziffer 8.4.2 ("Rekonstruktion: Im Falle eines Absturzes muss eine Funktion vorhanden sein, mit welcher die Daten bis zur letzten Bestätigung wiederhergestellt werden können - maximaler Datenverlust 1 Stunde") der Leistungsbeschreibung auszuschließen.

Insoweit handelt es sich ausweislich der Vergabeunterlagen für die finalen Angebote um A-Kriterien, deren Nichterfüllung zu einem Ausschluss des Angebots führen sollte.

Die Beigeladene hat in ihrem finalen Angebot angegeben, sie erfülle diese Kriterien. Ein Auftraggeber darf sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf das Leistungsversprechen des Bieters verlassen (BayObLG, Beschluss vom 9. November 2021, Verg 5/21, juris Rn. 107; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Mai 2020, 15 Verg 2/20, juris Rn. 37; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2020, VII-Verg 20/19, juris Rn. 70 m. w. N.). Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte, die an den Angaben der Beigeladenen Zweifel wecken könnten und die Antragsgegnerin zu einer Überprüfung der Angaben hätten veranlassen müssen, sind nicht erkennbar. Die Antragstellerin hat insoweit nur vorgetragen, das Programm der Beigeladenen stamme aus dem Jahr 2005. Zudem basiere es auf einer Eigenentwicklung der ... und sei kein kommerzielles Produkt mit allen Sicherheitsanforderungen. Es handle sich bei ihren Ausführungen auch nicht um Angaben ins Blaue, sondern basiere auf Presseveröffentlichungen und dem Hinweis eines Fachunternehmens. Indessen hat die Antragstellerin weder die Presseartikel vorgelegt noch präzisiert, welche konkrete Kritik welches Fachunternehmen an der Software der Beigeladenen geäußert hat. Die Beigeladene hingegen hat dargetan, das Programm sei seit 17 Jahren erfolgreich, werde permanent gepflegt und weiterentwickelt. Es sei eine Entwicklung der Beigeladenen als kommerzielles Produkt mit allen Sicherheitsanforderungen. Dies erscheint jedenfalls nachvollziehbar und plausibel. Allein das Alter einer Software lässt keine Rückschlüsse auf deren Qualität zu, sofern die Software stets gepflegt und weiterentwickelt wurde. Zweifel an den Angaben, es handle sich um eine kommerzielle Entwicklung, die alle Sicherheitsanforderungen berücksichtige, sind weder ersichtlich noch werden entsprechende Tatsachen von der Antragstellerin ausreichend konkret dargetan.

c) Die Beigeladene ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht deshalb nach § 57 Abs. 1 Nr. 4, § 53 Abs. 7 Satz 1 VgV auszuschließen, da sie das Kriterium Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung nicht erfüllte.

Ein Ausschluss der Beigeladenen käme nur in Betracht, wenn das Kriterium Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung ein A-Kriterium wäre. Dies ist indessen nicht der Fall.

In den ursprünglichen Vergabeunterlagen ebenso wie in den Vergabeunterlagen für die finalen Angebote vom November 2021 ist das Kriterium Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung ausdrücklich als B-Kriterium gekennzeichnet. Die Angaben der Leistungsbeschreibung konnten nicht anders verstanden werden.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Bieterfrage der Antragstellerin ("Wie viele mobile Endgeräte sollen angebunden werden?")und der Antwort der Antragsgegnerin ("Nach derzeitigem Stand soll für die Angebote mit 10 mobilen Endgeräten kalkuliert werden. Die Anzahl kann sich zu einem späteren Zeitpunkt verändern"). Grundsätzlich gehören zu den Vorgaben der Vergabeunterlagen auch die Antworten des Auftraggebers auf Bieterfragen (Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 57 Rn. 35 Fn. 61). Leistungsanforderungen können im laufenden Verfahren auch durch einen allen Bietern zugänglich gemachten Fragen- / Antwortenkatalog geändert werden (Haak/Hogeweg in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 2019, VgV § 57 Rn. 48).

Dabei sind die Antworten des Auftraggebers ebenso wie sonstige Vergabeunterlagen nach dem objektiven Empfängerhorizont eines potentiellen Bieters auszulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, juris Rn. 31). Maßgeblich ist, wie ein verständiger, sachkundiger und mit derartigen Beschaffungsvorgängen vertrauter Bieter die Vergabeunterlagen verstehen muss (zu diesem Maßstab OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 5. November 2019, 11 Verg 4/19, juris Rn. 39; Goede/Hänsel in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 29 Rn. 4).

Unter Anwendung dieser Maßstäbe wurde die Qualifizierung von Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung als B-Kriterium nicht geändert. Eine ausdrückliche Erklärung, Ziffer 8.2.4 sei nunmehr als A-Kriterium eingestuft, enthält die Antwort der Antragsgegnerin nicht. Vielmehr bezieht sich die Frage auf Ziffer 8.2.4 als BKriterium, so dass die Antwort offensichtlich Ziffer 8.2.4 als B-Kriterium lediglich präzisiert. Ein derartiges Verständnis der Antwort erscheint auch sinnvoll. Wenn ein Bieter sich dazu entschließt, das Leistungskriterium Ziffer 8.2.4, also eine mobile Nutzung, anzubieten, soll er mit zunächst 10 Geräten kalkulieren. Damit wird für alle Bieter transparenter, mit welchem Aufwand und gegebenenfalls welchen Mehrkosten sie für dieses Leistungskriterium rechnen müssen. Auf diese Weise wird einerseits die Vergleichbarkeit der Angebote, soweit sie die mobile Nutzung umfassen, verbessert und andererseits die Planungssicherheit für die Bieter erhöht. Dies ändert aber nichts daran, dass es den Bietern freigestellt bleibt, ob sie überhaupt den Zusatzaufwand und die Mehrkosten einkalkulieren möchten. Im Übrigen wäre eine Umqualifizierung von einem B-Kriterium in ein A-Kriterium eine Änderung von erheblichem Gewicht. Während die Erfüllung oder Nichterfüllung eines von insgesamt 21 B-Kriterien sich nur geringfügig in der Leistungswertung niederschlägt, führt die Nichterfüllung auch nur eines AKriteriums zwingend zum Ausschluss des Angebots. Dies spricht massiv dagegen, dass eine derart bedeutsame Umqualifizierung lediglich konkludent, ohne ausdrückliche Erklärung und expliziten Hinweis an alle Bieter, erfolgen sollte, während gleichzeitig in den Vergabeunterlagen für die finalen Angebote Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung unverändert als B-Kriterium eingestuft ist.

Zu keinem anderen Ergebnis führt der Vortrag der Antragstellerin, bei einer Präsentation ihres ursprünglichen Angebots, in dem sie mit 150 mobilen Nutzern kalkuliert habe, sei es (u. a.) darum gegangen, dass die Anzahl der Lizenzen für mobile Nutzer die Kosten treibe. So sei es zu der Bieterfrage gekommen. Vor diesem Hintergrund konnte und musste die Antragsgegnerin die Frage aber gerade so verstehen, dass die Antragstellerin einerseits das B-Kriterium erfüllen aber andererseits nicht unübersehbare Mehrkosten generieren wollte. In Kenntnis dieser Sachlage konnte die Antragstellerin die Antwort der Antragsgegnerin ebenfalls nur in dieser Weise verstehen. Die Problematik, ob Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung als A- oder als B-Kriterium zu qualifizieren ist, wird davon nicht berührt. Wenn es ihr darauf angekommen wäre, hätte die Antragstellerin ohne Weiteres fragen können, ob Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung als A-Kriterium zu verstehen bzw. ob eine mobile Nutzung zwingend anzubieten sei. Eine derartige Frage wurde von ihr aber nicht gestellt.

Ohne Erfolg rügt die Antragstellerin, die Vergabekammer habe die Natur des Verhandlungsverfahrens verkannt, in diesem bestünde eine größere Flexibilität, die auch für die Beurteilung von Antworten auf Bieterfragen zu berücksichtigen sei. Die von der Antragstellerin angeführte Flexibilität bedeutet vor allem, dass gemäß § 17 Abs. 10 VgV über den gesamten Angebotsinhalt verhandelt werden darf, allerdings mit Ausnahme der Mindestanforderungen und der Zuschlagskriterien. Zudem gilt dies nicht für die endgültigen Angebote. Wie sich daraus eine abweichende Beurteilung der Antwort der Antragsgegnerin ableiten sollte, erschließt sich nicht.

Ob das Angebot der Beigeladenen das Kriterium Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung tatsächlich erfüllt und wie dieses auszulegen ist - mobile Nutzung für Klinikpersonal und/oder mobile Nutzung für Patienten - bedarf keiner Entscheidung. Da es sich um kein A-Kriterium handelt, kommt ein Ausschluss des Angebots nicht in Betracht. Die Nichterfüllung des B-Kriteriums ist nur für die Wertung relevant, für die vorliegende Entscheidung aber ohne Bedeutung (s. unten Ziff. 2).

2) Nach summarischer Prüfung ist das Angebot der Beigeladenen das wirtschaftlichste, so dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin auch im Hinblick auf die Wertung ohne Erfolg bleibt. Zugunsten der Antragstellerin kann unterstellt werden, dass die Antragsgegnerin bei der Wertung der B-Kriterien zu Unrecht davon ausging, das Angebot der Beigeladenen erfülle Ziffer 8.2.4 der Leistungsbeschreibung. Des Weiteren kann zugunsten der Antragstellerin zugrunde gelegt werden, ihr Angebot hätte für die Bewertung sowohl der B-Kriterien als auch des Umsetzungskonzepts je die volle Punktzahl erhalten müssen. Dennoch verbleibt es nach Aktenlage aufgrund des erheblichen Unterschieds der angebotenen Preise dabei, dass die Beigeladene eine höhere Gesamtpunktzahl erzielt und ihr Angebot damit das wirtschaftlichere ist.

3) Keiner Prüfung bedarf vorliegend, ob das Angebot der Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV aufgrund etwaiger Änderungen der Vergabeunterlagen, nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV wegen unklarer Preisangaben oder ob die Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a) oder c) GWB auszuschließen war. Ist das Angebot der Antragstellerin nicht zu berücksichtigen, kann die Antragsgegnerin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das einzig verbleibende Angebot der Beigeladenen bezuschlagen. Liegt kein Ausschlussgrund vor, kommt eine Zuschlagserteilung an die Antragstellerin bei der gebotenen summarischen Prüfung dennoch nicht in Betracht, da ihr Angebot wie ausgeführt nicht das wirtschaftlichste ist.

4) Der von der Antragstellerin hilfsweise gestellte Antrag, das Vergabeverfahren aufzuheben, bleibt bei der gebotenen summarischen Prüfung ohne Erfolg.

Der Ansicht der Antragstellerin, das Verfahren sei entgegen § 17 Abs. 13 VgV unfair und intransparent gewesen, vermag der Senat nicht zu folgen. Ausgehend von den Vergabeunterlagen für die finalen Angebote und die Antwort auf die Bieterfrage wurde hinreichend deutlich, welche Leistungsanforderungen gestellt und wie diese bewertet werden sollten. Insbesondere war, wie ausgeführt, für einen verständigen und sachkundigen Bieter klar erkennbar, dass die mobile Nutzung ein Kann-Kriterium und keine Mindestanforderung darstellte. Ein Hinweis der Antragsgegnerin an die Antragstellerin, sie solle - ebenso wie die Beigeladene - keine mobile Nutzung für das Klinikpersonal anbieten, war entgegen der Ansicht der Antragstellerin weder geboten noch wäre er zulässig gewesen.

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