VG Berlin, Beschluss vom 01.08.2022 - 1 L 193/22
Fundstelle
openJur 2022, 15024
  • Rkr:
Tenor

Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens VG 1 K 254/22 festgestellt, dass das stationsungebundene Carsharing-Angebot "S..." der Antragstellerin zu 1. und das stationsungebundene Carsharing-Angebot "W..." der Antragstellerin zu 2. vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache dem Anwendungsbereich des § 11a BerlStrG i.V.m. § 11 BerlStrG nicht unterfallen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerinnen begehren die Feststellung, dass das von ihnen angebotene Carsharing nicht dem Berliner Straßenrecht unterfällt.

Die Antragstellerinnen bieten in Berlin stationsungebundenes Carsharing ("Free Floating Carsharing") mit Pkw an. Dies bedeutet, dass sie ihren Kunden ihre Pkw ohne feste Abhol- oder Rückgabestationen zur Verfügung stellen. Die Kunden nehmen die von anderen Kunden im öffentlichen Straßenraum verkehrsüblich abgestellten Pkw in Betrieb und stellen diese nach Beendigung der Miete wieder im von den Antragstellerinnen definierten Geschäftsbereich ab. Die Kunden suchen, finden, reservieren und mieten die Pkw dabei über eine App. Diese App zeigt die per GPS lokalisierten, freien Pkw im Stadtgebiet in Echtzeit an und dient zugleich als elektronischer Schlüssel, mit dem der angemietete Pkw geöffnet und nach dem Abstellen wieder verschlossen werden kann.

Durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Anpassung straßenrechtlicher Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf das gewerbliche Anbieten von Mietfahrzeugen vom 27. September 2021 (GVBl. Nr. 73 vom 6. Oktober 2021, S. 1114) wurde der am 1. September 2022 in Kraft tretende § 11a in das Berliner Straßengesetz (BerlStrG) eingefügt. Nach dessen Absatz 1 gilt § 11 BerlStrG für die Sondernutzung öffentlicher Straßen für das gewerbliche Anbieten von Mietfahrzeugen, die selbstständig reserviert und genutzt werden können, einschließlich des Anbietens von Carsharingfahrzeugen im Sinne des § 2 Nummer 1 des Carsharinggesetzes vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2230), das zuletzt durch Artikel 328 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, nach Maßgabe der weiteren Absätze des § 11a BerlStrG. Die weiteren Absätze des § 11a BerlStrG regeln, unter welchen Voraussetzungen Sondernutzungserlaubnisse erteilt werden können, und ermöglichen die Durchführung eines Auswahlverfahrens unter mehreren Anbietern (Kontingentierung). Durch Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Anpassung straßenrechtlicher Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf das gewerbliche Anbieten von Mietfahrzeugen vom 27. September 2021 wurde zudem der Ordnungswidrigkeitenkatalog des § 28 BerlStrG ergänzt. Nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 BerlStrG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 11 Abs. 1 BerlStrG, auch in Verbindung mit § 11a BerlStrG, eine öffentliche Straße ohne die erforderliche Erlaubnis zur Sondernutzung gebraucht oder die mit der Erlaubnis erteilten Auflagen nicht erfüllt.

Die Antragstellerinnen haben am 23. Mai 2022 um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht und zwischenzeitlich auch Klage erhoben (VG 1 K 254/22), über die noch nicht entschieden ist.

Die Antragstellerinnen beantragen,

festzustellen, dass das stationsungebundene Carsharing-Angebot "S..." der Antragstellerin zu 1. und das stationsungebundene Carsharing-Angebot "W..." der Antragstellerin zu 2. vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache dem Anwendungsbereich des § 11a BerlStrG i.V.m. § 11 BerlStrG nicht unterfallen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

II.

Der Eilantrag hat Erfolg. Er ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässig und begründet.

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Er ist insbesondere statthaft und ermangelt nicht eines wegen des hier begehrten vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen qualifizierten Rechtsschutzinteresses.

Der Statthaftigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass er in der Sache auf eine vorläufige Feststellung des Gerichts zum Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses gerichtet ist. Es entspricht der überwiegenden Rechtsauffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass mit einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich auch die vorläufige Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO begehrt werden kann. Insbesondere kann die durch § 123 Abs. 1 VwGO gebotene Vorläufigkeit der vom Gericht angeordneten Maßnahme auch bei einem Feststellungsbegehren gewahrt werden (OVG Münster, Beschluss vom 22. Juni 2017 - 13 B 238/17, juris Rn. 13 mit umfangreichen Nachweisen). Zwischen den Antragstellerinnen und dem Antragsgegner steht zudem ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO im Streit. Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Gegenstand der Feststellungsklage muss ein streitiges konkretes Rechtsverhältnis sein, d.h. es muss "in Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits überschaubaren Sachverhalt streitig" sein. Unabhängig von der Frage der Konkretisierung des Rechtsverhältnisses setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis voraus, dass zwischen den Beteiligten des Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können. Es müssen sich also aus dieser Rechtsbeziehung heraus bestimmte Rechtsfolgen ergeben können, was wiederum die Anwendung von bestimmten Normen auf den konkreten Sachverhalt voraussetzt. Daran fehlt es, wenn nur abstrakte Rechtsfragen wie die Gültigkeit einer Norm zur Entscheidung gestellt werden (BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - BVerwG 8 C 19.09, juris Rn. 24). Gemessen hieran besteht ein feststellungsfähiges und bereits hinreichend konkretisiertes Rechtsverhältnis. Die Antragstellerinnen begehren entgegen der Ansicht des Antragsgegners keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle der Verwaltung und Prüfung des § 11a BerlStrG auf seine Verfassungsmäßigkeit. Vielmehr geht es ihnen um die Klärung, ob sie - wovon der Antragsgegner ausgeht (siehe nur die Aufforderung der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz vom 22. Juli 2022, Anträge auf Sondernutzungserlaubnisse zu stellen; vorgelegt als Anlage AS 15) - ab dem 1. September 2022 für ihre stationsungebundenen Carsharing-Angebote Sondernutzungserlaubnisse benötigen. Diese Frage beantwortet sich zwar danach, ob ihre stationsungebundenen Carsharing-Angebote dem Rechtsregime des § 11a BerlStrG unterfallen. Auf dessen Verfassungskonformität kommt es jedoch nicht an. Dies wäre nur dann der Fall, wenn diese Regelung bestimmen würde, dass das von den Antragstellerinnen betriebene stationsungebundene Carsharing eine Sondernutzung darstellt. Dies ist indes nicht der Fall, wie sich aus Wortlaut der Norm und der Gesetzesbegründung ergibt. § 11a Abs. 1 BerlStrG erklärt § 11 BerlStrG (die Vorschrift über Sondernutzungen) für das gewerbliche Anbieten von Mietfahrzeugen, die selbstständig reserviert und genutzt werden können, einschließlich des Anbietens von Carsharingfahrzeugen nach dem Carsharinggesetz, "für die Sondernutzung öffentlicher Straßen" für anwendbar. Schon die Aufnahme der Formulierung "für die Sondernutzung öffentlicher Straßen" in den Gesetzestext legt nahe, dass § 11a BerlStrG keine Festlegung darüber trifft, ob stationsungebundenes Carsharing eine Sondernutzung ist, sondern dies dem Rechtsanwender überantwortet. Denn wäre der Gesetzgeber von einer Sondernutzung ausgegangen, wäre die Aufnahme dieser Formulierung in den Gesetzestext schlicht überflüssig. Bestätigt wird dies durch die Gesetzesbegründung, wonach es der Gesetzgeber ausdrücklich offen lassen wollte, ob stationsungebundenes Carsharing eine Sondernutzung darstellt. Diese Rechtsfrage wird durch § 11a BerlStrG bewusst nicht entschieden. In der Gesetzesbegründung heißt es insoweit wörtlich:

"Wenn im Ergebnis auch Überwiegendes dafür spricht, dass es sich bei den Angeboten von Mietfahrrädern und E-Scootern und in gleicher Weise auch von Carsharingfahrzeugen um eine Sondernutzung handelt, so obliegt diese Zuordnung jedenfalls dann nicht der Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers, wenn der Bundesgesetzgeber dies bundesrechtlich bereits dem Gemeingebrauch zugeordnet haben sollte. In diesem Fall sind die Regelungen des § 11a nur auf die verbleibenden Sondernutzungstatbestände anwendbar. Ist dies jedoch nicht der Fall, überlässt der Bundesgesetzgeber die Regelung den Ländern oder weist er ihnen diese Materie ausdrücklich zu, so finden auch die in diesem Gesetz bereits getroffenen Regelungen insoweit Anwendung. Daher steht die Anwendungsbreite der Regelung des Sondernutzungsregimes in diesem Gesetz unter dem Vorbehalt einer möglichen anderweitigen - ggf. auch künftigen - Regelung durch das Bundesrecht. Der Wortlaut der Regelung ist insoweit offen gehalten."

(Abgh-Drs. 18/3823, S. 15)

Der Zulässigkeit des Eilantrags steht schließlich nicht entgegen, dass § 11a BerlStrG erst am 1. September 2022 in Kraft treten wird (siehe Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes zur Anpassung straßenrechtlicher Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf das gewerbliche Anbieten von Mietfahrzeugen vom 27. September 2021 (GVBl. Nr. 73 vom 6. Oktober 2021, S. 1114)). Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des im Ausgangspunkt reaktiv konzipierten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG zwar grundsätzlich nicht vorbeugend ausgestaltet. Ein Abweichen von dieser Grundentscheidung kommt jedoch ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der nachträgliche Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Betroffenen verbunden wäre. Danach ist für einen vorbeugenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzbedürfnis notwendig. Dieses ist grundsätzlich zu verneinen, solange der Antragsteller in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Ein qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis ist hingegen zu bejahen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde (OVG Münster, Beschluss vom 22. Juni 2017 - 13 B 238/17, juris Rn. 24; siehe auch Glaser, in: Gärditz, VwGO, 2. Auflage 2018, § 43, Rn. 80). Eine solche Konstellation liegt insbesondere bei drohenden Sanktionen vor, die an verwaltungsrechtliche Vorfragen anknüpfen. Denn es ist nicht zumutbar, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen "von der Anklagebank herab" führen zu müssen. Der Betroffene hat ein schutzwürdiges Interesse daran, den Verwaltungsrechtsweg als sachnähere und "fachspezifischere" Rechtsschutzform einzuschlagen, wenn ihm wegen verwaltungsrechtlicher Fragen ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren droht. Es ist weder sinnvoll noch zumutbar, ihm in einem derartigen Schwebezustand die Möglichkeit der verbindlichen Klärung streitiger Fragen des öffentlichen Rechts zu verwehren (BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2016 - BVerwG 2 C 18.15, juris Rn. 20). Nach diesen Maßstäben besteht ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis. Denn eine vorsätzliche oder fahrlässige Nichtbeachtung der §§ 11a, 11 BerlStrG stellt nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 BerlStrG eine Ordnungswidrigkeit dar. Die Antragstellerinnen auf die Inanspruchnahme nachträglichen Rechtsschutzes gegen einen etwaigen Bußgeldbescheid zu verweisen bedeutete jedoch, sie dem Risiko einer Ahndung auszusetzen. Der Verweis auf die Inanspruchnahme nachträglichen Rechtsschutzes wäre daher mit unzumutbaren Nachteilen für die Antragstellerinnen verbunden.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO sind dabei die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) in gleicher Weise glaubhaft zu machen wie die Gründe, welche die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung bedingen (Anordnungsgrund). Dem Wesen und Zweck des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO entsprechend, kann das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem jeweiligen Antragsteller nicht schon das gewähren, was Ziel eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens wäre. Begehrt ein Antragsteller die Vorwegnahme der Hauptsache, kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Rechtsschutzsuchenden andernfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (st. Rspr. der Kammer, siehe nur Beschluss der Kammer vom 22. April 2022 - VG 1 L 152/22, juris Rn. 7 f.).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung der Rechte der Antragstellerinnen nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO geboten. Die Antragstellerinnen haben sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache steht dem Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen.

a) Die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Das stationsungebundene Carsharing unterfällt dem Anwendungsbereich des § 11a BerlStrG i.V.m. § 11 BerlStrG nicht, da es sich nicht um eine Sondernutzung handelt.

Nach § 11 Abs. 1 BerlStrG ist jeder Gebrauch der öffentlichen Straßen, der über den Gemeingebrauch hinausgeht, eine Sondernutzung. Der Gemeingebrauch ist nach § 10 Abs. 2 Satz 1 BerlStrG der widmungsgemäße Gebrauch der öffentlichen Straßen für den Verkehr. Zur Bestimmung des von § 10 Abs. 2 Satz 1 BerlStrG geregelten Gemeingebrauchs ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Bundesrecht heranzuziehen. Das Straßenverkehrsrecht, das den Inhalt des Gemeingebrauchs mitbestimmt, gehört zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes (Art. 72 Abs. 1, 74 Nr. 22 GG), die Länder sind nach Art. 70 GG für das Straßenrecht zuständig. Der Bund hat von seiner Gesetzgebungsbefugnis durch den Erlass des Straßenverkehrsgesetzes sowie durch die auf Grund der Ermächtigung des § 6 dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, insbesondere durch die Straßenverkehrs- Ordnung (StVO), Gebrauch gemacht. Danach bestimmt, wenn die Straße straßenrechtlich einem öffentlichen Verkehr - wie etwa dem unbeschränkten Kraftfahrzeugverkehr - gewidmet ist, für den Bereich dieses Verkehrs - einschließlich des ruhenden Verkehrs - das bundesrechtlich abschließend geregelte Straßenverkehrsrecht, inwieweit eine zulässige Teilnahme am Straßenverkehr vorliegt. Insoweit ist der in § 7 FStrG sowie landesstraßenrechtlich geregelte Inhalt des Gemeingebrauchs bundesverkehrsrechtlich mitbestimmt. Demnach ist auch das Parken von Kraftfahrzeugen, das § 12 Abs. 2 StVO als verkehrsüblichen und gemeinverträglichen Vorgang des ruhenden Verkehrs geregelt hat, hinsichtlich seiner Zulässigkeit ausschließlich nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Es setzt als lediglich vorübergehende Unterbrechung des fließenden Verkehrs voraus, dass das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen und betriebsbereit ist. Nur wenn und solange diese objektiven Merkmale der Zulässigkeit und Möglichkeit jederzeitiger Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs nicht gegeben sind oder das Kraftfahrzeug zu einem anderen Zweck als dem der späteren Inbetriebnahme abgestellt ist, kann eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Sondernutzung der Straße vorliegen, die bei fehlender Erlaubnis straßenrechtlich begründete Eingriffe möglich macht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - VII C 76.68, juris Rn. 10 f.; Urteil vom 3. Juni 1982 - BVerwG 7 C 73.79, juris Rn. 11). Nach diesen Maßgaben handelt es sich beim stationsungebundenen Carsharing um erlaubnisfreien Gemeingebrauch. Denn das Parken der von den Antragstellerinnen vermieteten Pkw stellt, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, eine nach § 12 StVO zulässige Teilnahme am Straßenverkehr dar. Die zum stationsungebundenen Carsharing eingesetzten Pkw werden auch nicht zu einem anderen Zweck als dem der späteren Inbetriebnahme abgestellt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht für abgestellte Mietwagen bereits entschieden. Es kommt nicht darauf an, von wem der Mietwagen in Bewegung gesetzt wird. Aus welchen Gründen und durch wen die Mietwagen gefahren werden, ist straßenverkehrsrechtlich gleichgültig. Der Vermieter nutzt den öffentlichen Straßengrund auch nicht gleichsam als "Lagerplatz" für eine "Ware", die in seinem Gewerbebetrieb vermietet werden soll. Denn der Vermieter tut nichts anderes, als zum Verkehr zugelassene und betriebsbereite Kraftfahrzeuge bei objektiv gegebener und gewollter Möglichkeit jederzeitiger Inbetriebnahme auf der Straße aufzustellen und damit von dem gemäß § 12 Abs. 2 StVO zulässigen Verkehrsvorgang des Parkens Gebrauch zu machen. Dass dies im Zusammenhang mit der Kraftfahrzeugvermietung geschieht, ist unschädlich. Das gewerbliche Instrument der Vermietung und das deshalb veranlasste Bereitstellen der Kraftfahrzeuge auf der Straße dienen lediglich dazu, die von vornherein bezweckte Wiederinbetriebnahme der Kraftfahrzeuge als Verkehrsmittel zu erreichen; es vermag diesen Verkehrszweck selbst nicht zu verdrängen (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1982 - BVerwG 7 C 73.79, juris Rn. 13). Diese Erwägungen treffen nach Ansicht der Kammer auch auf das stationsungebundene Carsharing zu. Sowohl bei Mietwagen als auch bei stationsunabhängigen Carsharingfahrzeugen erfolgt der Abstellvorgang auf öffentlichen Parkflächen vorrangig mit dem Ziel der späteren Wiederinbetriebnahme durch einen (anderen) Kunden (Hellriegel/Heß, NZV 2021, 557, 558). Auch aus der Art und Weise des Vertragsschlusses über die Anmietung von Carsharingfahrzeugen lässt sich kein überwiegender gewerblicher Zweck herleiten. Der Mietvertrag über die Nutzung von stationsunabhängigen Carsharingfahrzeugen kommt über die Handy-App des Carsharinganbieters zustande, indem der Kunde sich in der App ein verfügbares Fahrzeug in seiner Nähe anzeigen lässt, es daraufhin reservieren und sodann nutzen kann. Dieser Vorgang kann an einem beliebigen Standort erfolgen. Dass der Mietvertragsschluss nicht im öffentlichen Straßenraum stattfindet, weil Kunden zuerst das Fahrzeug reservieren und sich dann zu diesem begeben, dürfte in der Praxis sogar den Regelfall darstellen. Damit wird aber die Gewerbefläche für den Mietvertragsschluss räumlich nicht auf Flächen des öffentlichen Straßenraums verlagert. Dem parkenden Fahrzeug selbst kommt im Übrigen kein eigener rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zu (Hellriegel/Heß, NZV 2021, 557, 559; Kaufmann, NVwZ 2021, 745, 748).

Soweit vertreten wird, dass es sich bei StVO-konform abgestellten Mietfahrrädern um eine Sondernutzung handele, überzeugt dies einerseits nicht, da die Überlegung, dass sich die Wiederinbetriebnahme eines abgestellten Mietfahrrads dem - verkehrsfremden - Zweck unterordne, zuvor mit Hilfe eben dieses Fahrrads eine Vereinbarung über dessen Anmietung zu treffen (OVG Münster, Beschluss vom 20. November 2020 - 11 B 1459/20, juris Rn. 38), in der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine Stütze findet (so auch Kaufmann, NVwZ 2021, 745, 748; Hellriegel/Heß, NZV 2021, 557, 559; Koschmieder/Huß, NZV 2021, 407, 410; für die Einstufung von Free-Floating-Systemen als Gemeingebrauch auch Linke, NZV 2021, 347). Andererseits ist diese Rechtsprechung nicht auf stationsungebundenes Carsharing übertragbar, da sich die der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster zugrunde liegende Anmietung eines Fahrrads von der Anmietung eines Carsharingfahrzeugs der Antragstellerinnen unterscheidet, denn der Mietvertragsschluss im letztgenannten Fall findet - wie gezeigt - regelmäßig außerhalb des öffentlichen Straßenraums statt. Dies liegt bei den Mietfahrrädern anders. Hier ist das im öffentlichen Straßenraum abgestellte Fahrrad unentbehrlich ist für den Abschluss des ihn betreffenden Mietvertrags. Dieser kann überhaupt nur zustande kommen, wenn die entsprechende "Hardware" - das Mietfahrrad mit Radnummer und bedienbarem Display - und die notwendige "Software" - der mittels der App des Anbieters oder fernmündlich per Handy übermittelte Öffnungscode - unmittelbar zur Hand sind (OVG Münster, Beschluss vom 20. November 2020 - 11 B 1459/20, juris Rn. 38). Weitere Unterschiede liegen darin, dass es sich bei den von den Antragstellerinnen eingesetzten Pkw um Serienmodelle handelt. Sie unterscheiden sich daher nicht - abgesehen von einem Werbeaufdruck - von privat genutzten Pkw; auch der Abstellvorgang ist äußerlich kein anderer (so auch Hellriegel/Heß, NZV 2021, 557, 559). Die Mietfahrräder, zu denen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster erfolgte, sind hingegen schon äußerlich von herkömmlich genutzten Fahrrädern verschieden (Kaufmann, NVwZ 2021, 745, 749). Schließlich wohnt den auf dem Gehweg abgestellten Mietfahrrädern ein größeres (Stolper-)Risiko für Fußgänger inne, welches ein Regulierungsbedürfnis rechtfertigt, aber bei StVO-konform abgestellten Carsharingfahrzeugen gänzlich fehlt (Hellriegel/Heß, NZV 2021, 557, 560).

b) Die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser folgt daraus, dass nach der Rechtsauffassung des Antragsgegners das von den Antragstellerinnen angebotene Carsharing bereits ab dem 1. September 2022 eine erlaubnispflichtige Sondernutzung darstellt, die dem Rechtsregime der §§ 11, 11a BerlStrG unterfällt. Die unveränderte Fortsetzung des stationsungebundenen Carsharings der Antragstellerin stellt nach der gesetzlichen Regelung in § 28 Abs. 1 Nr. 3 BerlStrG ab diesem Zeitpunkt eine Ordnungswidrigkeit dar. Ausgehend hiervon kann Eilrechtsschutz nicht mit dem Verweis auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens versagt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2003 - 1 BvR 2129/02, juris Rn. 14; VG Berlin, Beschluss vom 5. Juni 2014 - VG 10 L 224.14, juris Rn. 45). Zudem benötigen die Antragstellerinnen angesichts dessen, dass infolge einer Änderung des rechtlichen Rahmens - kein erlaubnisfreier Gemeingebrauch, sondern erlaubnispflichtige Sondernutzung - nicht unerhebliche unternehmerische Dispositionen vorzunehmen wären, zeitnah Klarheit über die Rechtslage.

c) Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache steht der einstweiligen Anordnung nicht entgegen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen wird mit der tenorierten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen. Denn dies ist nicht erst dann der Fall, wenn sich die einstweilige Anordnung gemessen am in der Hauptsache Erstrebten als rechtlich oder faktisch endgültig darstellt (so aber Hong, NVwZ 2012, 468, 471 f.). Vielmehr ist auch eine vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache eine Vorwegnahme im Rechtssinn. Sie vermittelt dem Antragsteller für die Dauer des Klageverfahrens bereits die Rechtsposition, die er in der Hauptsache erst anstrebt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. September 2008 - 13 ME 90/08, juris Rn. 3). Die Vorwegnahme der Hauptsache ist hier jedoch zulässig. Einerseits bestehen hohe Erfolgsaussichten für die Antragstellerinnen im Hauptsacheverfahren. Andererseits kann den Antragstellerinnen aus den o.g. Gründen nicht zugemutet werden, das Hauptsacheverfahren abzuwarten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 39 ff., 52 f. GKG.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte