AG Hamburg-Bergedorf, Urteil vom 07.12.2020 - 410d C 197/20
Fundstelle
openJur 2022, 11165
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung hiermit angedrohten Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft für die Beklagte an den Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist, es zu unterlassen, zu Werbezwecken mit dem Kläger per E-Mail Kontakt aufzunehmen und/oder aufnehmen zu lassen, ohne dass die ausdrückliche Einwilligung des Klägers vorliegt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.

3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500,00 €, für die Beklagte ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für die Beklagte vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 750,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger, ein Rechtsanwalt, verlangt von der Beklagten die Unterlassung der unerbetenen Kontaktaufnahme per E-Mail zu Werbezwecken sowie Zahlung von Schadensersatz wegen Versendung einer unerbetenen E-Mail-Werbung.

Am 18.05.2020 um 11:26 Uhr erhielt der Kläger unter der E-Mail-Adresse seiner Kanzlei, [...], von der Beklagten eine E-Mail. Darin teilte die Beklagte mit, dass sie über ihre Internetseite www.beratungsflat.de telefonische Rechtsberatung durch Rechtsanwälte anbiete und dass sie dazu mit Anwälten kooperiere, die für diese telefonische Beratung von der Beklagten vergütet werden. Am Schluss der E-Mail fragte die Beklagte, ob der Kläger Interesse daran hätte, telefonische Rechtsberatungen über die Internetseite der Beklagten anzubieten und fordert ihn auf, sich in diesem Fall bei ihr zu melden.

Die Adresse zur Versendung der E-Mail entnahm die Beklagte der Kontaktseite des Internetauftritts des Klägers unter [...]. Neben den Kontaktdaten, einschließlich der E-Mail-Adresse des Klägers, findet sich auf dieser Seite der Hinweis, dass der Kläger in aller Regel werktags zwischen 12:00 und 19:00 Uhr erreichbar sei; in jedem Fall aber via Telefax oder E-Mail. Weiter unten auf der Kontaktseite findet sich, vom übrigen Text durch zwei durchgezogenen Linien abgetrennt und in Fettdruck der Hinweis, dass der Verarbeitung oder Nutzung der Daten für Zwecke der Werbung oder der Markt- oder Meinungsforschung auf jeglichem Kommunikationsweg widersprochen wird und dass keinerlei Werbezusendungen oder Werbeanrufe erwünscht sind. In Normalschrift wird weiter ausgeführt, dass die Nutzung der im Rahmen des Impressums oder vergleichbarer Angaben veröffentlichten Kontaktdaten, einschließlich der E-Mail-Adressen durch Dritte zur Übersendung von nicht ausdrücklich angeforderten Informationen nicht gestattet sei und rechtliche Schritte vorbehalten werden.

Mit E-Mail vom 18.05.2020, 11:47 Uhr forderte der Kläger die Beklagte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 500,- € bis zum 18.06.2020 auf. Mit Schreiben vom 16.06.2020 verweigerte die Beklagte, die Abgabe der Unterlassungserklärung sowie die Zahlung.

Der Kläger behauptet, dass er Arbeitszeit aufwenden muss, um unerwünschte E-Mails auszusondern und er als Rechtsanwalt aus Haftungsgründen nicht ohne Weiteres Spamfilter einsetzen könne. Er ist der Ansicht, durch die unrechtmäßige Nutzung seiner Daten massiv in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden zu sein. Durch die E-Mail sei er belästigt worden, was einen Schaden darstelle.

Der Kläger beantragt,

1. der Beklagtenseite bei Meidung eines für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung hiermit angedrohten Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft für die Beklagte an den Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist, zu untersagen, zu Werbezwecken mit dem Kläger per E-Mail Kontakt aufzunehmen und/oder aufnehmen zu lassen, ohne dass seine ausdrückliche Einwilligung vorliegt,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen angemessenen immateriellen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, den Betrag von 500,- € jedoch nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.05.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, es handele sich bei der von ihr versendeten E-Mail vom 18.05.2020 nicht um Werbung, sondern um eine alltägliche Nachfrage nach Rechtsberatung. Ferner habe der Kläger durch die Veröffentlichung der E-Mail-Adresse auf seiner Internetseite in die Kontaktaufnahme eingewilligt, zumal die Anfrage zur Übernahme von Rechtsberatung zur üblichen Tätigkeit des Klägers gehöre. Die Versendung der E-Mail stelle keinen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung dar. Es fehle zudem an einer konkreten Beeinträchtigung des Klägers durch die Zusendung einer einzigen E-Mail.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nur hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs begründet.

1.

Der Kläger hat einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB auf Unterlassung der Zusendung ungenehmigter Werbenachrichten an seine E-Mail-Adresse durch den Beklagten.

Auch die nur einmalige Zusendung von E-Mails mit werbendem Inhalt an einen Rechtsanwalt, der aus berufsrechtlichen Gründen seine E-Mail sorgfältig lesen muss, stellt einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die E-Mail vom 18.05.2020 als Werbung zu qualifizieren. Werbung ist jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern (vgl. Art. 2 lit.a der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung) (BGH, Urteil vom 20.05.2009 – I ZR 218/07). In der E-Mail vom 18.05.2020 macht die Beklagte auf ihre Geschäftstätigkeit, nämlich die Vermittlung von telefonischer Rechtsberatung über eine Internetseite, aufmerksam, was bereits als Werbung im vorstehenden Sinne anzusehen ist (BGH, aaO, Rn. 13). Es handelt sich nicht um eine Nachfrage nach Rechtsberatung beim Kläger. Denn die streitgegenständliche E-Mail bezieht sich nicht auf ein konkretes Mandat, welches vom Kläger übernommen werden soll, sondern enthält eine allgemeine Anfrage, ob der Kläger die Dienstleistungen der Beklagten, nämlich die Vermittlung von Mandanten über die Internetseite der Beklagten, in Anspruch nehmen möchte. Dabei ist es unerheblich, dass der Kläger die Vermittlungstätigkeit der Beklagten nicht hätte vergüten müssen. Denn die Beklagte beabsichtigte den Kläger mit der streitgegenständlichen E-Mail dazu zu animieren, seine Beratung über ihre Internetseite anzubieten, um dadurch jedenfalls mittelbar den Absatz ihrer eigenen Dienstleistung zu fördern (BGH, Urteil 12.09.2013 - I ZR 208/12, Rn. 17f.).

Eine Einwilligung des Klägers lag nicht vor. Es gab zwischen den Parteien weder einen vorherigen Kontakt noch eine anderweitige ausdrückliche Einwilligung. Die Beklagte entnahm die E-Mail-Adresse vielmehr der Internetseite des Klägers, obwohl der Kläger dort explizit der Kontaktierung per Werbe-E-Mail widersprochen hat. Der Widerspruch ist deutlich vom übrigen Text hervorgehoben. Daher durfte die Beklagte aufgrund des Umstandes, dass der Kläger auf der Internetseite eine Kontaktaufnahme per E-Mail anbietet, die Einwilligung des Klägers auch nicht vermuten.

Die für einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderliche konkrete Wiederholungsgefahr liegt vor. Dafür reicht bereits eine beeinträchtigende Verletzungshandlung, da diese die tatsächliche Vermutung künftiger weiterer Verletzungshandlungen begründet. Die Wiederholungsgefahr wird erst durch die Abgabe einer Unterlassungserklärung ausgeschlossen. Die Beklagte hat trotz der Aufforderung des Klägers keine Unterlassungserklärung abgegeben.

2.

Ein Anspruch auf Schadensersatzspruch steht dem Kläger weder aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO noch einem sonstigen Rechtsgrund zu.

Die Zusendung der streitgegenständliche E-Mail trotz des ausdrücklichen Werbewiderspruchs des Klägers verstößt zwar gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 DSGVO. Dieser Verstoß allein ist aber nicht ausreichend, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen.

Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO besteht ein Schadensersatzanspruch nur dann, wenn wegen des Verstoßes auch ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist. Für den immateriellen Schaden gelten die im Rahmen von § 253 BGB entwickelten Grundsätze. Insbesondere ist der Kläger insoweit darlegungs- und beweisbelastet.

Auch wenn nach dem Wortlaut des Art. 82 DSGVO keine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegen muss, so reicht nicht bereits der Verstoß gegen die DSGVO selbst zur Begründung eines Schmerzensgeldanspruches (LG Hamburg, Urteil vom 04.09.2020 – 324 S 9/19). Der Verstoß muss nach dem Wortlaut des Art. 82 DSGVO vielmehr eine Rechtsverletzung nach sich ziehen, die als immaterieller Schaden, entsprechend der in Erwägungsgrund 75 der DSGVO aufgelisteten Beispiele, qualifizierte werden kann.

Schmerzensgeld soll einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden schaffen (Palandt/Grünberg, 79. Auflage, § 253, Rn. 4). Dabei sind bei der Bemessung des Schmerzens die Kriterien des Art. 83 Abs. 2 DSGVO heranzuziehen, also insbesondere die Art, Schwere und Dauer des Verstoßes (BeckOK DatenschutzR/Quaas, 34. Ed. 1.11.2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 31). Es muss also eine objektiv benennbare Beeinträchtigung des Geschädigten vorliegen, die über den bloßen Ärger oder die individuell empfundene Unannehmlichkeit des Verstoßes hinausgeht, welche dann durch die Zahlung von Schmerzensgeld ausgeglichen werden muss (AG Frankfurt a. M. Urt. v. 10.7.2020 – 385 C 155/19 (70); LG Hamburg, Urteil vom 04.09.2020 – 324 S 9/19; AG Hannover, Urteil vom 09.03.2020 – 531 C 10952/19; LG Frankfurt/M., Urteil vom 18.09.2020 – 2-27 O 100/20; LG Köln, Urteil vom 07.10.2020 – 28 O 71/20).

Der Kläger beruft sich vorliegend darauf, einen immateriellen Schaden dadurch erlitten zu haben, dass er durch die einmalige unrechtmäßige Nutzung seiner Daten belästigt worden sei. Eine konkrete Beeinträchtigung, die über den als Belästigung empfundenen Verstoßes selbst, also die Zusendung der E-Mail, hinausging, ist darin nicht zu sehen. Es fehlt somit an einem über die Rechtsverletzung hinausgehenden konkreten Schaden des Klägers.

Das Gericht sieht keinen Bedarf für ein Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUVEG, dessen Einleitung im Ermessen des Gerichts steht.

Für andere deliktische Ansprüche besteht eine Sperrwirkung der DS-GVO (Sydow, a.a.O., 2. Aufl., Art. 82 Rn. 27).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht für den Kläger auf § 709 ZPO und für die Beklagte auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird insgesamt auf 750,- €, 250,- € für den Unterlassungsantrag und 500,- € für den Schadensersatzanspruch, festgesetzt. Für das Verfahren zum Verbot ungebetener E-Mails gibt es keinen Regelstreitwert. Die Bemessung des Streitwertes ist nicht an einem volkswirtschaftlichen Gesamtschaden zu orientieren, sondern an den Nachteilen, die dem Kläger entstehen könnten, wenn die Beklagte das beanstandete Verhalten künftig fortsetzen würde (OLG Hamm, Urteil vom 17.10.2013 - 6 U 95/13). Diese Nachteile sind an dem Aufwand des Klägers zu messen, weitere E-Mails der Beklagten zu erhalten und löschen zu müssen. Der damit verbundene Zeitaufwand ist - trotz der besonderen beruflichen Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts- vorliegend als geringfügig einzustufen. So lagen zwischen dem Eingang der E-Mail der Beklagten und dem Versand der Abmahnung durch den Kläger auch nur 21 Minuten. Eine spezial- oder eine generalpräventive Funktion kommt der Streitwerthöhe nicht zu (vgl. BGH Beschluss v. 30.11.2014 zum Az.: VI ZR 65/04).