OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.03.2022 - 11 Verg 10/21
Fundstelle
openJur 2022, 8136
  • Rkr:

1. Auch von einem fachkundigen und erfahrenen Bieter darf nicht ohne Weiteres erwartet werden, dass er im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB weiß, dass eine bestimmte Vorgabe im Leistungsverzeichnis, die für das Hauptangebot gilt, als konkludent aufgestellte Mindestanforderung für Nebenangebote auszulegen ist.

2. Eine bestimmte Vorgabe im Leistungsverzeichnis, die für das Hauptangebot gilt, ist nicht ohne Weiteres als Mindestanforderung für Nebenangebote auszulegen. Gegen eine Auslegung der Vorgabe als Mindestanforderung für Nebenangebote kann sprechen, dass eine Mehrzahl von Bietern, die sich am Vergabeverfahren beteiligten, Nebenangebote abgaben, die diesen Vorgaben nicht entsprachen.

3. Lässt der öffentliche Auftraggeber nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A Nebenangebote zu, hat er nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebote genügen müssen. Diese Bestimmung schützt die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen werden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab. Für eine unbenannte, nicht näher determinierte und damit intransparente Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten lässt § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A zum Schutz der Bieter keinen Raum.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen der Beschluss der 1. Vergabekammer des Landes Hessen vom 18.11.2021 (69d - VK - 03/2021) aufgehoben.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, das streitgegenständliche Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor Angebotswertung zurückzuversetzen und die Angebotswertung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.

Der hilfsweise gestellte Antrag der Beigeladenen, das Vergabeverfahren in den Stand vor der Veröffentlichung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, wird als unzulässig verworfen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Kosten der Antragstellerin.

Die Hinzuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter im Verfahren vor der Vergabekammer wird für die Antragstellerin für notwendig erklärt.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu EUR 440.000 festgesetzt.

Gründe

I.

Das Nachprüfungsverfahren betrifft die Vergabe der "Errichtung einer vollständig neuen Infrastruktur und öffentlichen Erschließung" in einem künftig zu schaffenden Wohnviertel in Stadt1.

Die Antragsgegnerin ist eine juristische Person des Privatrechts, ihre 100%ige Muttergesellschaft ist ebenfalls eine juristische Person des Privatrechts ("A AG"). Deren Mehrheitsgesellschafterin (B AG), die 85,42% der Anteile der Antragsgegnerin hält, wird zu 94,99% von der Stadt Stadt1 gehalten (Bl. 202 d. VergKA).

Mit Vorabinformation vom 4.9.2020 (Anlage Ast 1, Bl. 22ff. Vergabekammer Akte, nachfolgend VergKA) schrieb die Antragsgegnerin die Vergabe europaweit aus; der Auftrag sollte in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vergeben werden. Der geschätzte Auftragswert beträgt nach der dortigen Ziff. II.1.5 EUR 7 Mio. netto. Als Zuschlagskriterien waren unter Ziff. II.2.5 der Vorabinformation der Preis und das Kriterium "Leistungsfähigkeit, gemäß Kriterienkatalog" mit je 50% vorgesehen. Das Zuschlagskriterium "Leistungsfähigkeit" sollte nach Auskunft der Antragsgegnerin vom 1.12.2020 (Anlage Bf2, Bl. 61 d.A.) und dem Hinweis, dass die Leistungsfähigkeit bereits im Teilnahmewettbewerb geprüft worden sei, bei der Angebotswertung keine Rolle mehr spielen.

Unter Ziff. V.4.3 der Bekanntmachung wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass dann, wenn eine Mitteilung des Auftraggebers ergeht, der Rüge nicht abhelfen zu wollen, der Bieter wegen der Nichtbeachtung der Vergabevorschriften ein Nachprüfungsverfahren nur innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang vor der Vergabekammer beantragen kann. Nach Ablauf der Frist sei der Antrag unzulässig (§ 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB).

Die Vergabeunterlagen verweisen im Hinblick auf Frost- und Schottertragschichten von Trag- und Deckschichten grundsätzlich auf die zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTF T-StB), in der Form, dass deren Vorgaben einzuhalten sind; die Leistungsbeschreibung (HLV) sah bei bestimmten Positionen (Bl. 8 d. hiesigen Akte) die Verwendung "natürliche Gesteinskörnungen" vor. Das Leistungsverzeichnis (nachfolgend auch "LV") stellt hinsichtlich der Oberfläche der Betonfertigteile der Sitzringe folgende Anforderungen: "Als Sichtbeton, mit besonderen Anforderungen .... .".

Nach Ziff. II.2.10 der Vorabinformation waren Varianten/ Alternativangebote zulässig, nach Ziff. 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe nach Formblatt 211 EUR (Anlage Ast 2, Bl. 26ff. VergKA) waren Nebenangebote für die gesamte Leistung nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zugelassen. In den Teilnahmebedingungen für die Vergabe von Bauleistungen (Formblatt 212 EU, Anlage Ast 3, Bl. 32ff. VergKA) heißt es in Ziff. 4.1: "Nebenangebote müssen die geforderten Mindestanforderungen erfüllen. Dies ist mit der Angebotsabgabe nachzuweisen." Explizit waren in den Vergabeunterlagen keine Mindestanforderungen für Nebenangebote festgelegt.

Die Antragstellerin, eine Bietergemeinschaft, bekundete ihr Interesse am Auftrag und reichte am 21.10.2020 einen Teilnahmeantrag und am 22.12.2020 ein Hauptangebot ein zu einem Angebotspreis von EUR 8.738.505,81 brutto. Sie reichte zudem ein 1. Nebenangebot (Anlage Ast 5, Bl. 46ff. VergKA) ein, bei dem eine Frostschutzschicht bzw. eine kombinierte Frost- und Schottertragschicht aus Recycling Material (nachfolgend auch "RC-Material") erstellt werden sollte und das eine Preisreduktion von EUR 121.679,64 vorsah. Sie reichte zudem ein 2. Nebenangebot ein, das alternative Straßenausstattungen und Markierungen und eine Preisreduktion von EUR 75.718,76 vorsah sowie ein 3. Nebenangebot, das alternativ für ein zu schaffendes Sitzmöbel aus Sichtbeton für das Quartierscareé einheitlich eine mittlere Sitzbreite von 40 cm und eine Preisreduktion von EUR 131.573,60 vorsah.

Die Beigeladene reichte ein Hauptangebot mit einem Preis von EUR 8.826.980,01 ein sowie ein Nebenangebot, das eine Preisreduktion um EUR 222.720 vorsah. Bei dem Nebenangebot heißt es in der Beschreibung "Alternativ zur ausgeschriebenen Gestaltung bieten wir ihnen die Betonfertigteile mit geschliffener oder gestrahlter Oberfläche an." Bei der Aufstellung der einzelnen Positionen der Leistungsbeschreibung hierzu heißt es jeweils "jedoch in geschliffener Oberfläche".

Das von der Antragsgegnerin beauftragte Planungsbüro nahm eine vorläufige Prüfung und Wertung der Angebote vor. Nach dem dortigen Vermerk vom 11.1.2021 ("Angebotsprüfung und Angebotswertung") heißt es zum Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin: "Da von Seiten AG kein RC-Material erwünscht, wird das NA Nr. 1 nicht gewertet." Auftraggeberin ("AG"), auf die sich der Vermerk bezieht, ist die Stadt Stadt1, in deren Auftrag das Wohnviertel erstellt werden soll. Zum Nebenangebot Nr. 3 der Antragstellerin heißt es: "Da mit einheitlicher Breite das Erscheinungsbild stark vom Entwurfsgedanken abweichen würde, wird das NA Nr. 3 ebenfalls nicht gewertet." ...

Zum Nebenangebot der Beigeladenen heißt es: "Alternativ zum LV wird die Oberfläche der Betonfertigteilte ... nicht schalungsglatt, sondern geschliffen oder gestrahlt angeboten." .... "Eine Oberflächenqualität in geschliffen/ gestrahlt kann als gleichwertig angesehen werden. Bei Wertung des NA wandert der Bieter in der Rangfolge von Platz 2 auf Platz 1".

Am Ende heißt es unter der Überschrift "Vergabevorschlag": "Die beiden wirtschaftlichsten Bieter, [die Antragstellerin und die Beigeladene] werden am Freitag, 15.1.2021 zu einem Bietergespräch ... geladen. Nach diesen Gesprächen wird es eine erneute Prüfung und Wertung der Angebote der beiden Bieter geben, aus welchen dann der Vergabevorschlag resultiert.".

Mit Email vom 12.1.2021 wurde die Antragstellerin zum Aufklärungsgespräch eingeladen. Dort heißt es: "Es werden neben den Punkten im anhängenden Protokoll auch folgende Punkte besprochen, auf die Sie sich bitte vorbereiten: ...

... - Erläuterungen zu den Nebenangeboten".

Am 15.1.2021 fand ein Aufklärungsgespräch zwischen Vertretern der Antragstellerin und der Antragsgegnerin statt, in dem die Antragsgegnerin der Antragstellerin unstreitig mitteilte, dass sie beabsichtige, die Nebenangebote 1 und 3 abzulehnen. Ob in diesem Gespräch auch bereits eine endgültige Ablehnungsentscheidung getroffen und/oder eine solche der Antragstellerin mitgeteilt wurde, ist streitig. Das von den Vertretern der Antragstellerin und der Antragsgegnerin unterzeichnete Protokoll (Anlage Ast 6, Bl. 54ff. d. VergKA= Bl. 264ff. VergKA) enthält in Ziff. 11 folgenden Vermerk: "Nebenangebot 1 (Recyclingmaterial) wird abgelehnt" sowie "Nebenangebot 3 (Sitzbreite) nicht gleichwertig, wird abgelehnt.".

Im Aufklärungsgespräch mit Vertretern der Beigeladenen am 15.1.2021 übergaben die Vertreter der Beigeladenen eine Fotografie, die die bearbeitete Oberfläche zeigte (Bl. 407 d. A.).

Nach dem Bietergespräch erstellte das Planungsbüro unter dem 19.1.2021 den Vergabevermerk, in dem es zum Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin heißt: "Im Nebenangebot gibt es keinerlei Hinweise auf Gleichwertigkeit des Baustoffs, wie zB Güteüberwachung des RC-Materials, Belastung nach C oder LAGA-Bauschutt. Daher kann nicht von einer Gleichwertigkeit ausgegangen werden. Nach VHB 212 EU Pkt. 4.4 ist das Nebenangebot von der Wertung auszuschließen. Im Aufklärungsgespräch vom 15.1.2021 wurde die [Antragstellerin] über die Nichtberücksichtigung des Nebenangebots informiert. Von Seiten der [Antragstellerin] kamen hierzu keine Einwände, dass man mit dem Ausschluss des Nebenangebots nicht einverstanden sei. Auch wurden von der [Antragstellerin] keine näheren Angaben zu Art, Umfang und Ausführung des Nebenangebots gemacht oder sonstige Unterlagen, wie zB eine Analytik nach C oder LAGA Bauschutt, vorgelegt." Zum Nebenangebot der Beigeladenen heißt es: "Eine Oberflächenqualität in geschliffen / gestrahlt kann als gleichwertig zum Hauptangebot erachtet werden. ..."

Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 27.1.2021 (Anlage Ast 7, Bl. 62f. d. VergKA) mit, dass sie beabsichtige, der Beigeladenen den Zuschlag auf das Angebot inkl. des Nebenangebots (zum Preis von EUR 8.598.500,01) zu erteilen. Auf das Angebot der Antragstellerin könne der Zuschlag nicht erteilt werden, da ein wirtschaftlicheres Nebenangebot vorliege. Das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin könne "nach Rücksprache mit der Stadt1", das Nebenangebot Nr. 3 aus gestalterischen Gründen nicht gewertet werden. Das Nebenangebot Nr. 2 genüge nicht, um zum wirtschaftlichsten Angebot zu gelangen.

Mit Schreiben vom 2.2.2021 (Anlage Ast 8, Bl. 65ff. VergKA) beanstandete die Antragstellerin Vergaberechtsverstöße. Sie rügte eine unzureichende Begründung der Nichtberücksichtigung ihres Nebenangebots Nr. 1, die unterlassene Wertung ihres Nebenangebots 1, da dieses alle technischen Anforderungen der Ausschreibung erfülle, und die beabsichtigte Zuschlagserteilung an die Beigeladene.

Mit Schreiben vom 3.2.2021 (Anlage Ast 9, Bl. 73ff. d. VergKA) teilte die Antragsgegnerin mit, der Rüge nicht abhelfen zu wollen. Die Gründe für den Ausschluss seien der Antragstellerin im Gespräch am 15.1.2021 mitgeteilt worden, sie sei daher präkludiert. Die angebotene Verwendung von Recyclingmaterialien widerspreche dem aus dem Leistungsverzeichnis ersichtlichen Wunsch der Stadt1, Recyclingmaterial nicht zu akzeptieren. Zudem habe die Antragstellerin die Gleichwertigkeit des Nebenangebots Nr. 1 nicht dargelegt.

Mit Email ihrer anwaltlichen Bevollmächtigten vom 5.2.2021 (Anlage Ast 10, Bl. 85f. d.A.) rügte die Antragstellerin ergänzend weitere Verstöße, insbesondere den Ausschluss ihres Nebenangebots Nr. 3. Hilfsweise machte sie geltend, die Antragsgegnerin habe nicht ausreichend transparent Mindestanforderungen für die Nebenangebote bekannt gemacht. Den Rügen half die Antragsgegnerin nicht ab.

Die Antragstellerin stellte daraufhin Nachprüfungsantrag, mit dem sie beantragte, der Antragsgegnerin zu untersagen, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen und die Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten.

Sie wandte sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen die Nichtberücksichtigung ihres Nebenangebots Nr. 1 (Bl. 8 d. VergKA). Dieses habe nicht ausgeschlossen werden dürfen. Sie sei mit dieser Rüge nicht präkludiert, da sie jedenfalls keine Kenntnis davon gehabt habe, dass die Antragsgegnerin bereits im Gespräch die Entscheidung über den Ausschluss getroffen habe; dies entspreche auch nicht dem üblichen Ablauf eines Aufklärungsgesprächs. Zur Begründung des beabsichtigten Ausschlusses habe die Antragsgegnerin im Gespräch lediglich darauf verwiesen, dass die Stadt1 kein Recyclingmaterial wünsche wegen dessen möglicher Schadstoffbelastung. Dieser angeblichen Schadstoffbelastung habe sie im Termin widersprochen. Wolle man annehmen, dass diese begründungslose Mitteilung im Termin die Rügepflicht auslöse, werde damit § 134 Abs. 1 GWB konterkariert. Ihr Nebenangebot Nr. 1 erfülle sämtliche Anforderungen, da keine zusätzlichen Mindestanforderungen zu den Nebenangeboten aufgestellt worden seien. Das angebotene Recyclingmaterial sei nach den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen, auf die die Leistungsbeschreibung Bezug nehme, und nach der VOB/C zulässig. Dass im Hauptangebot eine natürliche Gesteinskörung gefordert werde, könne nicht zum Ausschluss des Nebenangebots führen. Die Bezeichnung als "Recyclingmaterial" sei auch hinreichend klar; ein Nachweis, dass es sich um normgerechtes Material handele, werde üblicherweise erst im Zuge der Bauausführung erbracht und sei am 15.1.2021 von der Antragsgegnerin auch nicht gefordert worden. Eine Nachfrage nach der Beschaffenheit des Materials sei nicht erfolgt.

Nachdem der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren Akteneinsicht erhalten hatte, rügte sie zudem, das Nebenangebot der Beigeladenen sei gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A iVm § 13 EU Nr. 5 VOB/A auszuschließen, da es hinsichtlich der Oberflächenqualität uneindeutige Angaben ("geschliffen oder gestrahlt") enthalte. Zudem liege eine Ungleichbehandlung vor, da das Nebenangebot der Beigeladenen, anders als ihre Nebenangebote Nr. 1 und 3, nicht an der Erfüllung der Anforderungen des Hauptangebots gemessen worden sei. Schließlich könne die mit dem Nebenangebot der Beigeladenen verbundene Preisreduzierung nur erklärlich sein, wenn die angebotene Oberflächenbehandlung nicht zusätzlich zu der nach dem LV geschuldeten hohen Ausführungsanforderung (Sichtbeton der Klasse SB 4) erfolgen sollte, sondern diese hohen Anforderungen durch die Oberflächenbehandlung ersetzt werden solle. Hierbei handele es sich daher um ein minderwertiges Angebot, das - sollte man mit der Antragsgegnerin eine Gleichwertigkeitsprüfung für erforderlich halten - nicht gleichwertig sei.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben die Auffassung vertreten, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig. Die Antragsgegnerin sei kein öffentlicher Auftraggeber iSd § 99 Nr. 2 GWB, sondern lediglich aufgrund eines städtebaulichen Vertrags mit der Stadt1 zur Durchführung eines Vergabeverfahrens verpflichtet. Sie nehme keine im allgemeinen Interesse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art wahr, sondern sei ein Wirtschaftsunternehmen und agiere mit Gewinnerzielungsabsicht im Wettbewerb.

Die Antragsgegnerin hat weiter geltend gemacht, der Antragstellerin fehle die Antragsbefugnis, da sie auch bei Berücksichtigung des Nebenangebots Nr. 1 nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hätte.

Mit ihrer Rüge zur Berücksichtigung der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 sei sie präkludiert, da sie bereits im Gespräch am 15.1.2021 Kenntnis davon erlangt habe, dass diese Nebenangebote nicht zur Wertung kämen (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB). Schon vor dem 15.1.2012 sei die Entscheidung über den Ausschluss des Nebenangebots Nr. 1 gefallen, da Materialien ohne Deklarationsanalytik nicht verwertbar seien. Eine Ablehnung des Materials habe weit vor dem Aufklärungsgespräch stattgefunden. Die Revidierung dieser Entscheidung hätte nur dadurch erreicht werden können, dass die Antragstellerin nähere Angaben zu Art, Umfang und Ausführung des Nebenangebots gemacht oder sonstige Unterlagen vorgelegt hätte, was nicht geschehen sei. Daher seien die bereits getroffene Entscheidung und deren Gründe der Antragstellerin am 15.1.2021 mitgeteilt worden. Hiergegen habe die Antragstellerin in dem Termin keine Einwände erhoben.

Die Rüge hinsichtlich der Mindestanforderungen sei zudem gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert, da diese Umstände aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen seien.

Das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin sei auch auszuschließen gewesen, da das angebotene Recyclingmaterial nicht den Mindestanforderungen in Gestalt der Vorgaben im Leistungsverzeichnis entspreche und nicht klar sei, ob es sich um normgerechtes Material handele. Das Angebot von Recyclingmaterial sei zudem uneindeutig.

Das Nebenangebot Nr. 3 sei zu Recht ausgeschlossen worden, da mit diesem eine wesentlich geänderte Formgebung des Sitzmöbels einhergegangen wäre, was vom Auftraggeber nicht gewollt gewesen sei, so dass das Nebenangebot Nr. 3 auszuschließen gewesen sei (Bl. 106 d.VergKA).

Das Nebenangebot der Beigeladenen entspreche demgegenüber den Mindestanforderungen, sei gleichwertig und eindeutig. Die Beigeladene habe in dem Aufklärungsgespräch konkret dargelegt und erläutert, wie ihr Nebenangebot im Ergebnis aussehen würde; welcher Erfolg und Erscheinungsbild angeboten werde, sei eindeutig aus einem vorgelegten Lichtbild ersichtlich gewesen, das die Oberflächenstruktur zeige und den Vergabeunterlagen beigelegen habe.

Die Beigeladene hat geltend gemacht, mangels anderer Angaben handele es sich bei der Mindestanforderung "natürliche Gesteinskörung" auch um eine Mindestanforderung für die Nebenangebote. Der genaue Inhalt ihres eigenen Nebenangebots habe im Rahmen "der Gespräche" aufgeklärt werden können.

Nach Erteilung eines Hinweises unter dem 17.9.2021 hat die Vergabekammer mit Beschluss vom 18.11.2021, der Antragsgegnerin zugestellt am 19.11.2021, ohne mündliche Verhandlung den Nachprüfungsantrag abgelehnt, da der Antrag teilweise unzulässig und im Übrigen offensichtlich unbegründet sei (§ 166 Abs. 1 Satz 3, 2. und 3. Var. GWB).

Der Antrag sei teilweise unzulässig. Die Rüge der Antragstellerin, ihre Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 hätten berücksichtigt werden müssen, sei gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert. Denn sie habe bereits in dem Bietergespräch am 15.1.2021 Kenntnis davon erlangt, dass die Antragsgegnerin ihre Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 nicht werten werde. Die Antragstellerin habe selbst vorgetragen, dass eine voraussichtliche Ablehnung am 15.1.2021 thematisiert worden sei. Dies werde auch durch das Protokoll (Anlage Ast 7, dort Ziff. 11) bestätigt, wonach zumindest eine vorläufige Entscheidung seitens der Antragsgegnerin über die Nichtberücksichtigung der Nebenangebote 1 und 3 und die Gründe hierfür der Antragstellerin kommuniziert worden seien.

Dies gelte auch dann, wenn am 15.1.2021 keine finale Schlussentscheidung über den Ausschluss der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 getroffen, sondern lediglich eine solche Schlussentscheidung in Aussicht gestellt worden sei. Eine Rügepflicht bestehe nicht erst dann, wenn eine finale Entscheidung bereits getroffen sei, da in diesem Zeitpunkt Fehler potenziell schwieriger zu beseitigen seien.

Die Antragstellerin habe auch bereits am 15.1.2021 die rechtliche Einschätzung gehabt, dass der Ausschluss der Nebenangebote vergaberechtswidrig sei; dies werde aus dem schriftsätzlichen Vortrag offenkundig. So habe die Antragstellerin selbst vorgetragen, sie habe im Termin am 15.1.2021 dem Ausschluss widersprochen, was voraussetze, dass die Vertreter der Antragstellerin eine abweichende Auffassung vertreten hätten, mithin eine laienhafte rechtliche Bewertung des Ausschlusses als vergaberechtswidrig getroffen hätten.

Die damit am 15.1.2021 in Gang gesetzte Rügefrist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB habe die Antragstellerin nicht eingehalten; sie habe erstmals mit Schreiben vom 2.2.2021 den behaupteten Vergaberechtsverstoß gerügt. Der im Termin am 15.1.2021 erklärte Widerspruch stelle keine Rüge iSd § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB dar, da mit dem Widerspruch keine Beanstandung erfolgt sei, die den gerügten Verstoß hinreichend konkret benenne und mit einer nachvollziehbaren Sachverhaltsdarstellung verbinde. Zudem hätte es dann, wenn die Antragstellerin bereits am 15.1.2021 eine Rüge ausgesprochen hätte, einer erneuten Rüge im Schreiben vom 2.2.2021 nicht bedurft. Die Antragstellerin habe auch schriftsätzlich vorgetragen, erstmals am 2.2.2021 die Rüge erhoben zu haben. Einer der Mitglieder der Bietergemeinschaft, die die Antragstellerin darstelle, sei zudem vergaberechtserfahren, habe eine eigene Rechtsabteilung und nehme regelmäßig an öffentlichen Ausschreibungen teil.

Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag unbegründet.

Allerdings sei die Antragsgegnerin öffentlicher Auftraggeber iSv § 99 Nr. 2 lit. a GWB. Diese Vorschrift sei erfüllt, wenn Gebietskörperschaften die juristische Person einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzierten oder über ihre Leitung die Aufsicht ausübten oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt hätten. Die Antragsgegnerin, eine juristische Person des privaten Rechts, werde mittels ihrer Mehrheitsgesellschafterin, der A AG, von der Stadt1 beherrscht.

Die Antragsgegnerin sei gegründet worden, um im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art iSv § 99 Nr. 2 GWB zu erfüllen. Die Alleingesellschafterin der Antragsgegnerin, die A AG, verstehe sich nach eigener Darstellung als "Grundversorger" mit dem "Versprechen, günstigen Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten zur Verfügung zu stellen"; nach ihren Angaben beinhalteten 39,4% ihres Angebots öffentlich geförderten Wohnraum. Da der soziale Wohnungsbau und die soziale Wohnraumförderung Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge im Allgemeininteresse sei, übten entsprechende kommunale Wohnungsbaugesellschaften im Allgemeininteresse liegende Aufgaben in nicht gewerblicher Art aus, auch wenn sie daneben in Gewinnerzielungsabsicht unter Marktbedingungen Wohnraum anböten. Vorliegend vermarkte die A AG bereits den im künftigen Wohnviertel zu schaffenden Wohnraum im eigenen Namen, wofür die Tätigkeit der Antragsgegnerin die Grundlage schaffe. Die Tätigkeit der Antragsgegnerin diene daher unmittelbar allgemeinen Aufgaben nichtgewerblicher Art. Es sei anzunehmen, dass die Antragsgegnerin zu diesem Zweck gegründet worden sei.

Der Nachprüfungsantrag sei jedoch offensichtlich unbegründet, da die Antragsgegnerin nicht verpflichtet gewesen sei, das Nebenangebot der Beigeladenen gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A, § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 VOB/A wegen Uneindeutigkeit auszuschließen. Dieses sehe hinsichtlich der Betonfertigteile "geschliffene oder gestrahlte Oberfläche" vor und erreiche durch beide Alternativen die von der Antragsgegnerin geforderte "geglättete" Oberfläche der Betonteile. Das Angebot zweier alternativer Methoden sei nicht vergabewidrig. Der Antragsgegnerin stehe für die Beurteilung von Nebenangeboten ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu, den sie nicht überschritten habe, indem sie die Gleichwertigkeit beider Varianten der Oberflächenbehandlung bejaht habe.

Demgegenüber sei das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin uneindeutig. Es sei nicht eindeutig bestimmbar, ob die angebotene Leistung die Anforderungen des LV erfülle. Es sei nicht erkennbar, ob das angebotene Recycling-Material der geforderten "natürlichen Gesteinskörnung" entspreche. Welche Art von Recycling-Material angeboten werde, sei auch nicht am 15.1.2021 aufgeklärt worden.

Hiergegen richtet sich die am 3.12.2021 eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft und auch den Akteneinsichtsantrag weiterverfolgt.

Die Rüge der Nichtberücksichtigung des Nebenangebots Nr. 1 sei nicht präkludiert. Das Bietergespräch könne eine Rügepflicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht auslösen, da diese voraussetze, dass der vermeintliche Vergabeverstoß bereits begangen worden sei; zukünftig drohende, potenzielle Vergabeverstöße begründeten keine Rügepflicht.

Im Gespräch am 15.1.2021 sei gegenüber der Antragstellerin überhaupt keine (vorläufige oder endgültige) Entscheidung über die Nichtberücksichtigung des Nebenangebots Nr. 1 getroffen worden. Die Antragsgegnerin habe im Bietergespräch lediglich mitgeteilt, dass sie beabsichtige, die Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 der Antragstellerin nicht zu werten. Über das weitere Vorgehen in Bezug auf das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin hätte eine Rücksprache mit einem Mitarbeiter der Stadt1 erfolgen sollen; auch der Vergabevorschlag mit Würdigung der Ergebnisse des Gesprächs vom 15.1.2021 sei erst später gestellt worden. Die Antragsgegnerin habe in dem Gespräch den Eindruck vermittelt, sie, die Antragstellerin, habe trotz Ausschlusses der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 das günstigste Angebot abgegeben.

Sie, die Antragstellerin, habe keine Kenntnis gehabt, dass eine (vorläufige oder endgültige) Entscheidung schon getroffen worden sei und die Äußerungen der Antragsgegnerin in dem Gespräch und der Vermerk im Verhandlungsprotokoll bereits eine Entscheidung der Antragsgegnerin darstellten. Auch habe die Antragsgegnerin die beabsichtigte Nichtbewertung der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 nicht nachvollziehbar begründet.

Jedenfalls habe sie, die Antragstellerin, am 15.1.2021 noch nicht gewusst, dass der Ausschluss ihres Nebenangebots gegen Vergabevorschriften verstoße. Ihr Mitarbeiter habe erst am 28.1.2021 die Rechtsabteilung der Antragstellerin kontaktiert, die bis zum 2.2.2021 die Sach- und Rechtslage geprüft habe. Das Rügeschreiben vom 2.2.2021 sei in Abstimmung mit der Rechtsabteilung formuliert worden.

Nichts anderes ergebe sich aus dem von ihren Vertretern am 15.1.2021 erklärten Widerspruch, der sich nur auf die Bedenken der Antragsgegnerin wegen der vermeintlichen Belastung von Recyclingmaterial bezogen habe; eine rechtliche Beanstandung lasse sich dem nicht entnehmen. Wäre dem Widerspruch demgegenüber nach dem objektiven Empfängerhorizont eine rechtliche Beanstandung zu entnehmen, müsste er als Rüge iSv § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB zu sehen sein. Der Umstand, dass die Antragstellerin eine überdurchschnittlich erfahrene Bietergemeinschaft sei, sei irrelevant, da die Rügepflicht iSv § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht auf die Erkennbarkeit, sondern die positive Kenntnis vom Vergabeverstoß abstelle.

Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet.

Die Antragsgegnerin habe willkürlich über die Wertung der Nebenangebote entschieden. Sie habe ihr Nebenangebot Nr. 1 nach dem Vermerk vom 11.1.2021 nur deshalb nicht gewertet, weil Recycling-Material "nicht gewünscht" werde. Sie habe zudem einerseits das Nebenangebot der Beigeladenen trotz der geschliffenen/ gestrahlten Oberfläche als "gleichwertig" und wertbar eingeordnet, obwohl auch diese Oberflächengestaltung zu einem anderen Erscheinungsbild der Betonmöbel führe, während sie das Nebenangebot Nr. 3 der Antragstellerin nicht habe werten wollen, weil es stark vom Erscheinungsbild des Entwurfsgedankens abweiche.

Der Ausschluss von Nebenangeboten hätte vorausgesetzt, dass diese nicht die in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen (§ 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 lit. b VOB/A) oder die formellen Vorgaben der VOB/A erfüllten. Ausdrückliche Mindestanforderungen für Nebenangebote seien in den Vergabeunterlagen nicht benannt worden. Diese hätten sich erst durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines verständigen, mit der Materie vertrauten Bieters ergeben. In der Regel seien die für die Bauausführung allgemein vorgegebenen technischen Normen als Mindestanforderungen auch für die Nebenangebote zu verstehen. Diesen (vorliegend den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen ZTVT-StB und der VOB/C) entspreche die Verwendung von Recyclingmaterial (Ziff. 1.4.1 ZTVT-StB, Anlage Bf3). Nicht als Mindestanforderung sei die Vorgabe in einzelnen Ordnungsziffern des LV zu verstehen. Es mache gerade das Wesen eines Nebenangebots aus, von den Vorgaben der Vergabeunterlagen für das Hauptangebot abzuweichen. Die Vergabeunterlagen hätten nicht vorgeschrieben, stets natürliche Gesteinskörnungen zu verwenden, was auch nicht plausibel sei, da Recyclingmaterial in anderen Vorhaben sogar ausdrücklich gewünscht werde (Anlage Bf 4). Dementsprechend hätte noch eine Reihe weiterer Bieter Nebenangebote mit Recyclingmaterial unterbreitet.

Nähme man an, die Antragsgegnerin habe gar keine Mindestanforderungen für Nebenangebote festgelegt, dürften keine Nebenangebote gewertet werden (EuGH vom 16.10.2003 - C-421/01 Traunfellner). In diesem Fall müsste die Antragstellerin den Zuschlag erhalten, da sie gegenüber der Beigeladenen das günstigere Angebot abgegeben habe; dies mache sie hilfsweise und vorsorglich geltend.

Ihr Nachtragsangebot Nr. 1 sei auch formell nicht zu beanstanden. Formelle Mängel seien im Vermerk vom 11.1.2021, dem Protokoll des Gesprächs am 15.1.2021 und dem Absageschreiben vom 27.1.2021 nicht genannt. Eine Angabe, welches Recycling- Material verwendet werden solle, sei nicht gefordert gewesen, so wie auch nicht gefordert gewesen sei, im Hauptangebot zu benennen, welche "natürliche Gesteinskörnung" konkret angeboten wird. Es genüge, dass normgerechtes Material angeboten werde. Anderweitige konkrete Angaben seien unüblich, da die Quelle des Materials im Zeitpunkt der Angebotsabgabe üblicherweise noch nicht feststehe. Die Qualität des Materials werde erst im Zuge der Bauausführungen geprüft und nachgewiesen. Die Antragsgegnerin habe im Gespräch vom 15.1.2021 nicht gefragt, um welches Recycling-Material es sich handele. Dies hätte jedenfalls vor einem Ausschluss des Angebots erfolgen müssen.

Aus dem Vermerk vom 11.1.2021 und dem Vergabevermerk vom 19.1.2021 gehe hervor, dass die Antragsgegnerin nicht, wie geboten, die Nebenangebote darauf geprüft habe, ob die Mindestanforderungen erfüllt seien, sondern lediglich eine Gleichwertigkeitsprüfung durchgeführt habe. Jedenfalls für den Oberschwellenbereich genüge eine Gleichwertigkeitsprüfung, für die es keine benannten Bezugspunkte gebe, nicht den Anforderungen an transparente Wertungskriterien, da der Bieter nicht voraussehen könne, welche Varianten die Vergabestelle noch als gleichwertig anerkenne (BGH, Beschluss vom 7.1.2014 - X ZB 15/13).

Die Nichtwertung ihres Nebenangebots Nr. 1 sei unzulässig. Die Antragsgegnerin habe im Nachprüfungsverfahren erklärt, nicht zu behaupten, das Recyclingmaterial verursache eine Umweltbelastung.

Die Antragsgegnerin habe zudem gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen. Sie habe nähere Aufklärungen oder Nachforderungen (zB zur geplanten Analytik des Einbaumaterials) zu ihrem Nebenangebot Nr. 1 unterlassen, aber zum Nebenangebot der Beigeladenen zusätzliche Informationen eingeholt und wohl auch Nachforderungen (Foto) erhoben. Auch seien unterschiedliche Anforderungen an die Eindeutigkeit gestellt worden. Während die Antragsgegnerin meine, das Nebenangebot Nr. 1 sei in Bezug auf das angebotene Recyclingmaterial nicht eindeutig, habe sie das Angebot der Beigeladenen mit der Ausführungsart "geschliffen oder gestrahlt" als eindeutig angesehen. Auch habe die Antragsgegnerin ihr Nebenangebot Nr. 1 an den Vorgaben des LV gemessen, nicht jedoch das der Beigeladenen.

Das Nebenangebot der Beigeladenen sei mangels Eindeutigkeit nicht wertungsfähig (§ 16 EU Nr. 2 VOB/A iVm § 13 EU Nr. 5 VOB/A). Während das LV die Oberflächenqualität eindeutig als Sichtbeton mit besonderen Anforderungen der Klasse SB 4 fordere, bleibe die Ausführungsart beim Nebenangebot der Beigeladenen mit "gestrahlt oder geschliffen" dem Auftragnehmer überlassen. Zwar habe die Beigeladene im Nachprüfungsverfahren vorgetragen, dass der Inhalt des Nebenangebots im Rahmen von Gesprächen aufgeklärt worden sei. Auch die Vergabekammer habe aber nicht feststellen können, in welcher Weise die Oberflächenbearbeitung letztlich habe erfolgen sollen. Der Verweis auf eine Konkretisierung mittels eines Fotos genüge nicht, da unklar bleibe, ob die Beigeladene mit dem Nebenangebot die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses zur Verwendung von Sichtbeton SB 4 einhalten und zusätzlich die Oberfläche entsprechend behandeln wolle ("geschliffen oder gestrahlt"). Es sei nicht erklärlich, dass eine solche zusätzliche Leistung zu einer Preisreduktion von EUR 228.480 führen könne.

Die Antragstellerin beantragt,die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen bei dem Regierungspräsidium Darmstadt vom 18.11.2021, AZ. 69d - VK - 03/2021 aufzuheben,

der Antragsgegnerin zu untersagen, in dem Vergabeverfahren "Errichtung einer vollständigen neuen Infrastruktur und öffentlichen Erschließung der Konversionsfläche "Stadtviertel1" in Stadt1" (Vergabe Nr. ...) den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,

geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens wiederherzustellen und die Rechtsverletzungen zulasten der Antragstellerin zu beseitigen,

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren für notwendig zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen bei dem Regierungspräsidium Darmstadt vom 18.11.2021 - 69d VK 03/2021 - insgesamt - auch hinsichtlich ihres Antrags auf Untersagung der Zuschlagsentscheidung auf das Angebot der Beigeladenen) zurückzuweisen;

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären;

der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin sowie die notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin verteidigt den Beschluss der Vergabekammer.

Letztlich komme es auf den Ausschluss des Nebenangebots Nr. 1 der Antragstellerin nicht an, da auch dessen Zulassung nicht zu einer Änderung der Vergabeentscheidung führe. Auf eine Kombination der Nebenangebote der Antragstellerin komme es nicht an, da sich der Auftraggeber ansonsten im Ergebnis ein für ihn genehmes Angebot selbst heraussuchen und zusammenstellen könne, so dass es sich im Ergebnis um ein unbestimmtes Angebot handele, auf das der Zuschlag nicht erteilt werden könne (VK Baden-Württemberg vom 24.7.2017 - 1 VK 23/17).

Die Rüge betreffend den Ausschluss der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 der Antragstellerin sei gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert, da sie der Antragsgegnerin im Termin am 15.1.2021 die endgültige Entscheidung über den Ausschluss und die Gründe hierfür mitgeteilt habe.

Bereits Ende 2018 habe festgestanden, dass die Auftraggeberin die Verwendung von Recyclingmaterial ablehne und zwar nicht nur für nach LAGAZ2 eingestuftes Material, sondern auch per se gegenüber sortenreinem und nach LAGA kleiner Z2 eingestuftem Material. Sie, die Antragsgegnerin, habe sich daher bereits vor dem 15.1.2021 intern entschlossen, das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin nicht zu werten, da dieses wegen der angebotenen Recyclingmaterialien nicht wertbar gewesen sei. Diese Entscheidung hätte nur revidiert werden können, wenn die Antragstellerin am 15.1.2021 nähere Angaben zu Art, Umfang und Ausführung des Nebenangebots gemacht hätte, wozu diese aber, obwohl die Antragsgegnerin entsprechende Nachweise im Termin gefordert habe, nicht bereit gewesen sei. Sie habe in dem Termin am 15.1.2021 der Antragstellerin mitgeteilt, dass die endgültige Entscheidung getroffen worden sei, ihr Nebenangebot Nr. 1 auszuschließen. Sie habe dies im Termin sowohl damit begründet, dass die erforderliche Deklarationsanalytik und Nachweise fehlten, als auch damit, dass die Auftraggeberin kein Recycling-Material wolle. Zwar könne es sein, dass der Vertreter der Antragsgegnerin im Gespräch am 15.1.2021 erklärt habe, dass er bei der Auftraggeberin gerne noch einmal nachfragen werde, er habe aber jedenfalls hinzugefügt, dass es insoweit keine andere Entscheidung geben werde. Dementsprechend habe sie, die Antragsgegnerin, auch nach dem Gespräch noch einmal bei der Auftraggeberin angefragt, ob nicht doch Recyclingmaterial verwendet werden könne. Der Mitarbeiter der Auftraggeberin habe jedoch erst nach Versendung der Vorabinformation, am 27.1.2021, nochmals erklärt, der Verwendung von Recyclingmaterial in ungebundenen Trag- und Frostschutzschichten nicht zuzustimmen. Die Antragstellerin habe daher im Termin am 15.1.2021 sämtliche Informationen erhalten und die Rügepflicht sei ausgelöst worden. Die Antragstellerin habe im Gespräch am 15.1.2021 eine rechtliche Prüfung der Nichtberücksichtigung in Aussicht gestellt. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass es sich bei den Unternehmen, aus denen sich die Antragstellerin zusammensetze, um sehr vergabeerfahrene Unternehmen handele, die auch über eine Rechtsabteilung verfügten.

Die Rüge sei zudem gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, da die Mindestanforderungen aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen seien.

Die Rüge sei auch unbegründet: Das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin hätte nicht den in den Vergabeunterlagen konkludent festgelegten Mindestanforderungen entsprochen, die sich aus dem Leistungsverzeichnis "natürliche Gesteinskörnung" und der Angabe im Plan, wonach kein Recyclingmaterial verwendet werden dürfe, ergeben hätten. In dieser Weise hätte die Antragstellerin als ausgewiesenes fachkundiges Unternehmen die Angaben auffassen müssen. Gegen die Auslegung der Angaben als konkludente Mindestanforderung spreche nicht, dass auch andere Bieter Recyclingmaterial angeboten hätten. Es handele sich nicht um die Mehrzahl der Bieter. Zudem habe allein die Antragstellerin für eine solche Vielzahl von Positionen des Leistungsverzeichnisses die Verwendung von Recyclingmaterialien angeboten und zwar insbesondere auch für die Verwendung unter wasserundurchlässigen Oberflächen. Wenn sie das Nebenangebot Nr. 1 bezuschlagen müsse, könne die "einseitig geänderte Leistung" nicht ausgeführt werden, da die Auftraggeberin, eine Abnahme der Leistung verweigern müsse.

Dass das mit Nebenangebot Nr. 1 angebotene Recyclingmaterial der ZTV entspreche, sei ohne Bedeutung. Die Entscheidung, mit welchem Baumaterial gebaut werden solle, obliege allein dem Bauherrn. Vorliegend habe sich aus den technischen Anforderungen der Leistungsbeschreibung eindeutig das Erfordernis ergeben, Natursteinmaterial anzubieten. Zudem habe die Gleichwertigkeit des Nebenangebots Nr. 1 nicht geprüft werden können, da mangels Angaben und Nachweise zur Art, Zusammensetzung oder Herkunft des Recycling-Materials nicht feststellbar gewesen sei, ob es den Mindestanforderungen entspreche. Sie, die Antragsgegnerin, habe daher auch wegen drohender Gefahren für die Gesundheit Dritter und Haftungsrisiken nicht "die Katze im Sack kaufen" können. Das Nebenangebote Nr. 1 sei mit dem Angebot von "Recyclingmaterial" zudem unbestimmt und nicht wertbar.

Beim Nebenangebot Nr. 3, dessen Nichtberücksichtigung die Antragstellerin auch weder im Nachprüfungs- noch im Beschwerdeverfahren weiter gerügt habe, hätten die Sitzmöbel in der geänderten Geometrie und Formgebung nicht mehr dem Amtsentwurf entsprochen.

Das Nebenangebot der Beigeladenen sei wertbar und eindeutig. Das Leistungsverzeichnis habe unter der OZ 3.6.120ff. verschiedene Vorgaben gemacht, insbesondere den Zusatz "Oberfläche zusätzlich geglättet und hydrophobiert" enthalten. Nach dieser Mindestanforderung sei es der Antragsgegnerin lediglich darauf angekommen, eine glatte Oberfläche zu erhalten. Letzte Unklarheiten über die Beschaffenheit der Betonteile seien in dem Bietergespräch am 15.1.2021 ausgeräumt worden, in dem die Beigeladene die Ausführung des Gewerks plausibel auch durch Vorlage eines Fotos erläutert habe. Das Nebenangebot beinhalte neben der Bearbeitung der Oberfläche unzweideutig auch die Verwendung von Sichtbeton der Klasse SB 4, was sich aus den Angebotsunterlagen und dem Bietergespräch ergebe. Sollte sich herausstellen, dass die Beigeladene tatsächlich eine minderwertigere Sichtbetonklasse liefere, bleibe ihr, der Antragsgegnerin, unbenommen, die Abnahme zu verweigern bzw. Gewährleistungsrechte geltend zu machen.

Die Beigeladene verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer und wiederholt und vertieft ihr dortiges Vorbringen.

Die Rüge betreffend den Ausschluss der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 sei bereits präkludiert, da die Antragstellerin im Termin am 15.1.2021 von der endgültigen Ausschlussentscheidung Kenntnis erlangt habe. Hierdurch sei die Rügepflicht ausgelöst worden, ohne dass es darauf ankomme, in welcher Weise der Ausschluss begründet worden sei.

Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet. Die Verwendung von Recyclingmaterial sei nicht nur durch die Vorgabe im Leistungsverzeichnis, sondern auch durch entsprechende Hinweise in den vorgegebenen Straßenbau/Regelquerschnitten ("Für das Material der Schottertragschicht ist kein Recyclingmaterial, sondern nur Erstgewinnungsmaterial zulässig") auch für die Nebenangebote vorgeschrieben. Hierdurch habe die Antragsgegnerin in zulässiger Weise von ihrem Leistungsbestimmungsrecht Gebrauch gemacht. Der Angabe im Plan komme besondere Bedeutung zu, da es sich um den "Brief des Technikers" handele.

Zudem sei das von der Antragstellerin angebotene "Recyclingmaterial" nicht eindeutig; jedenfalls hätte dessen Eignung nur aufgrund spezieller Prüfungen und Nachweise bejaht werden können. Der Hinweis im Nebenangebot Nr. 1 "RC-Material nach ZTVT-StB" stelle nicht sicher, dass zertifiziertes Recyclingmaterial, nämlich solches mit der erforderlichen Umweltverträglichkeit, angeboten worden sei.

Die im Nebenangebot Nr. 1 vorgesehene Verwendung von Recyclingmaterial sei selten, unüblich und für den Einsatz unter wasserundurchlässigen Schichten, wozu auch Pflaster zähle, unzulässig. Sie verweist insoweit auf die gutachterliche Stellungnahme der D GmbH (Anlage Bg5, Bl. 339ff. d.A.) und das Merkblatt über den Einsatz von rezyklierten Baustoffen im Erd- und Straßenbau (Anlage Bg6, Bl. 342ff. d.A.).

Selbst dann, wenn man annähme, dass das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin nicht ausgeschlossen werden dürfe, dürfe der Senat nicht anordnen, dass das Nebenangebot Nr. 1 gewertet und auf dieses der Zuschlag erteilt werde. Denn die Antragsgegnerin habe klar erklärt, dass das Nebenangebot Nr. 1 nicht ausgeführt werden dürfe. Das Verfahren dürfe daher allenfalls feststellen, dass das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin nicht hätte ausgeschlossen werden dürfen und der Antragsgegnerin aufgeben, das Verfahren in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen. Sie selbst habe aufgrund der Vorgabe in den Straßenbau-Regelquerschnitten auf ein Nebenangebot "Recycling-material" verzichtet. Hätte sie gewusst, dass sie ein Recyclingmaterial anbieten darf, hätte sie ein entsprechendes Nebenangebot vorgelegt und ihr Hauptangebot anders kalkuliert. Daher komme allenfalls in Betracht, das Verfahren in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen. Sie verweist insoweit auf Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 17.3.2020 (AZ. Z3-3-3194-1-47-11/19). Da Unklarheiten bei den festgesetzten Mindestanforderungen bestanden hätten, müsste die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren zurückversetzen und die Bieter mit nachgebesserten Vergabeunterlagen erneut zur Angebotsabgabe auffordern. Dies müsse der Senat bei seiner Entscheidung bereits von Amts wegen, jedenfalls aber aufgrund der entsprechenden Antragstellung der Beigeladenen berücksichtigen.

Die Beigeladene beantragt,die sofortige Beschwerde zurückzuweisen,

die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene für notwendig zu erklären,

hilfsweiseZurückversetzung entsprechend dem Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 17.3.2020 (AZ. Z3-3-3194-1-47-11/19).

Die Antragsgegnerin wendet sich gegen den Hilfsantrag der Beigeladenen. Der hiesige Sachverhalt sei nicht mit dem der Entscheidung der Vergabekammer Südbayern zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar. Zudem habe die Beigeladene einen zugrundeliegenden angeblichen Vergabeverstoß jedenfalls nicht rechtzeitig gerügt, da sie - damals vertreten bereits durch die E GmbH - jedenfalls mit Beiladung im Verfahren vor der Vergabekammer die erforderliche Rechts- und Sachkenntnis erhalten habe.

Eine Zurückversetzung komme auch von Amts wegen nicht in Betracht, da eine solche einen derart schwerwiegenden Mangel des Vergabeverfahrens voraussetze, der eine Fortführung des Verfahrens unmöglich mache, weil eine vergaberechtskonforme Wertung der vorliegenden Angebote und ein entsprechender Zuschlag auf der Grundlage der Ausschreibung nicht möglich sei. So liege der Fall hier nicht.

Der Senat hat mit Beschluss vom 16.12.2021 (Bl. 191 d. hiesigen Akten) die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer einstweilen bis zur endgültigen Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung vom 3.12.2021 verlängert. Mit Beschluss vom 17.1.2022 (Bl. 252 bis 288 d.A) hat er die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer bis zur endgültigen Entscheidung über die Beschwerde verlängert. Der Beigeladenen wurde am 15.2.2022 Akteneinsicht gewährt (Bl. 416 d.A., Konvolut Bl. 401A d.A.) und der Antragstellerin am 17.2.2022 weitere Akteneinsicht (Bl. 425, 406, 407 d.A.).

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache Erfolg (hierzu nachfolgend A.). Der hilfsweise gestellte Antrag der Beigeladenen, das Verfahren in den Stand vor Veröffentlichung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, ist bereits unzulässig (hierzu nachfolgend B.).

A. Soweit die Antragstellerin sich gegen die Nichtwertung ihres Nebenangebots Nr. 1 wendet, hat die Rüge Erfolg, so dass es nicht darauf ankommt, ob die Antragsgegnerin zu Recht das Nebenangebot der Beigeladenen berücksichtigt hat (hierzu nachfolgend 1.). Keinen Erfolg hat ihr hilfsweise erhobener Einwand, es seien lediglich die Hauptangebote zu werten, da die Antragsgegnerin keine Mindestanforderungen aufgestellt habe (hierzu nachfolgend 2.). Das Nebenangebot Nr. 3 der Antragstellerin ist von der Antragsgegnerin nicht zu berücksichtigen (hierzu nachfolgend 3.).

1. Der Nachprüfungsantrag ist in Bezug auf die Rüge der Antragstellerin, auch ihr Nebenangebot Nr. 1 sei der Wertung zugrunde zu legen, zulässig (nachfolgend a)) und begründet (nachfolgend b)).

a) Der Nachprüfungsantrag ist insoweit zulässig.

aa) Der Nachprüfungsantrag ist statthaft, da die Antragsgegnerin ein öffentlicher Auftraggeber iSv § 99 Nr. 1 GWB ist.

Insbesondere hat die Vergabekammer zutreffend angenommen, dass die Antragsgegnerin gegründet wurde, um im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen. Nach dem Beteiligungsbericht der Stadt1 (Anlagen ASt 11, Bl. 217ff. d. VergKA) ist Gegenstand des Unternehmens der Antragsgegnerin die Wohnungsversorgung breiter Schichten der Bevölkerung und Bevölkerungsgruppen und die dazu notwendigen Infrastrukturmaßnahmen; das Unternehmen erfüllt nach den dortigen Ausführungen einen öffentlichen Zweck im Rahmen der Daseinsvorsorge.

Dies wird durch den Vortrag der Antragsgegnerin belegt, mit dem sie das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens iSv § 173 Abs. 2 Satz 3 GWB geltend gemacht hat. Danach verpflichtete sich die Antragsgegnerin, bei Erwerb des Areals, auf das sich die streitgegenständliche Vergabe bezieht, dort 630 öffentliche geförderte Wohnungen zu errichten und beantragte und erhielt hierfür einen Preisabschlag von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Der verbilligte Erwerb der Immobilie setzte nach der vorgelegten Richtlinie (Anlage 6 des Kaufvertrags Anlage BD 2), insbesondere der dortigen Ziff. 8.c), voraus, dass der Grundstückserwerb unmittelbar der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, nämlich dem sozialen Wohnungsbau bzw. der sozialen Wohnraumnutzung dient. Damit bestätigt gerade das konkrete Vergabeverfahren, dass die Antragsgegnerin eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe erfüllt.

Dass die Antragsgegnerin - wie sie geltend macht - (auch) mit Gewinnerzielungsabsicht im Wettbewerb agiert, ändert hieran nichts. Denn nach der sog. Infektionstheorie, die der EuGH in ständiger vergaberechtlicher Rechtsprechung verfolgt, kommt es für Einordnung als öffentlicher Auftraggeber iSv § 99 GWB nicht darauf an, welchen Anteil ihrer Tätigkeit die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art ausmacht (vgl. Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage, § 99 Rn. 100; Hübner/Weitmeyer, Öffentliche Wohnungswirtschaft unter europäischem Vergaberecht, NZM 2006, S. 121, 123, jew. mwN).

bb) Die Antragstellerin ist in Bezug auf diese Rüge antragsbefugt (§ 160 Abs. 2 GWB).

Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, die Antragstellerin könne aus der Rüge, ihr Nebenangebot Nr. 1 müsse gewertet werden, nichts herleiten, da auch bei Berücksichtigung des Nebenangebots Nr. 1 die Beigeladene das preisgünstigste (Neben-) Angebot abgegeben habe.

Zwar führt das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin selbst lediglich zu einer Reduzierung des Preises des Hauptangebots auf EUR 8.616.826,17, während das Nebenangebot der Beigeladenen zu einer Preisreduktion auf EUR 8.598.500,01 führte, mithin günstiger ist.

Doch ist das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin mit deren Nebenangebot Nr. 2, das nicht ausgeschlossen wurde, kombinierbar. Im Fall der Kombination beider Nebenangebote reduziert sich der Preis des Hauptangebots der Antragstellerin in Höhe von EUR 8.738.505,81 für das Nebenangebot Nr. 1 um EUR 121.679,64 und für das Nebenangebot Nr. 2 um weitere EUR 75.718,05, so dass die Antragstellerin mit EUR 8.541.108,12 auch gegenüber dem Nebenangebot der Beigeladenen das preisgünstigste Angebot abgegeben hat.

Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin unter Verweis auf den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg (vom 24.7.2017 - 1 VK 23/17) geltend, eine Kombination der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 2 der Antragstellerin scheide aus.

Die dortige Entscheidung betraf ein Vergabeverfahren, bei dem Nebenangebote nicht zugelassen waren und der dortige Beigeladene 18 "Alternativangebote" abgebeben hatte. Bereits daher ist fraglich, ob die dortigen Ausführungen auf die hier relevante Kombinierbarkeit von (zugelassenen) Nebenangeboten übertragbar sind.

Zudem hat die Vergabekammer im dortigen Verfahren ausgeführt, es könne bei Auslegung der Angebotserklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht angenommen werden, dass der dortige Beigeladene durch die 18 Alternativangebote, die jeweils einzelne Positionen des Leistungsverzeichnisses herausgegriffen hatten, auch ein Angebot mit einer Kumulation dreier bestimmter (vom dortigen Auftraggeber gewünschter) Alternativangebote habe abgeben wollen. Denn bei Annahme einer freien Kombinationsmöglichkeit sämtlicher oder einzelner der 18 Alternativangebote wäre eine Vielzahl von Kombinationen möglich gewesen, was es dem Auftraggeber erlaubt hätte, sich im Ergebnis ein für ihn in Preis und Ausstattung genehmes Angebot selbst zusammenzustellen.

Eine vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor. Eine Auslegung der Angebote der Antragstellerin nach dem objektiven Empfängerhorizont ergibt, dass die Antragstellerin neben dem Haupt- und den Nebenangeboten Nr. 1 bis Nr. 3 auch eine Kombination der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 2 (und Nr. 1 und Nr. 3) anbieten wollte. Insbesondere bestand vorliegend keine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten der (lediglich drei) Nebenangebote der Antragstellerin, sondern lediglich eine Möglichkeit der Kombination der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 2 sowie Nr. 1 und Nr. 3. Dass die Antragsgegnerin die Erklärung der Antragstellerin dahin verstanden hat, dass die Nebenangebote Nr. 2 und Nr. 3 nicht untereinander kombinierbar sind, ergibt sich aus dem Vergabevermerk vom 19.1.2021, (S. 7, Bl. 164 der VergKA), wo es zu Nebenangebot Nr. 3 heißt "ersetzt Nebenangebot 2". Dieser Vermerk bringt die fehlende Kombinierbarkeit der Nebenangebote Nr. 2 und Nr. 3 zum Ausdruck. Dass die Antragsgegnerin angenommen hätte, dass die Antragstellerin keine Kombination des Nebenangebots Nr. 1 mit dem Nebenangebot Nr. 2 oder dem Nebenangebot Nr. 3 hätte anbieten wollen, ergibt sich nicht.

cc) Die Antragstellerin ist mit der Rüge, ihr Nebenangebot Nr. 1 habe nicht ausgeschlossen werden dürfen, nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert. Eine Rügeobliegenheit der Antragstellerin wurde am 15.1.2021 nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ausgelöst.

(1) Entgegen der Auffassung der Vergabekammer wurde solche Rügeobliegenheit nicht bereits dadurch ausgelöst, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin nach Vortrag der Antragstellerin im Gespräch am 15.1.2021 in Aussicht stellte, das Nebenangebot Nr. 1 auszuschließen.

Voraussetzung der Rügeobliegenheit ist unter anderem, dass der vermeintliche Vergabeverstoß bereits begangen wurde (Jaeger in: Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Auflage, § 160 Rn. 55; OLG Koblenz, Beschluss vom 18.9.2003 - 1 Verg 4/03). Lediglich zukünftig drohende Vergabeverstöße begründen noch keine Rügepflicht. § 160 Abs. 3 GWB erfasst nur konkrete Vergabe- oder Zwischenentscheidungen der Vergabestelle, die relevante Festlegungen für später zu treffende Entscheidungen des Auftraggebers enthalten (Jaeger, aaO Rn. 55). Lediglich vorbereitende Handlungen unterliegen keiner Rügepflicht (Gabriel/ Mertens in: BeckOK Vergaberecht, 22. Edition, § 160 Rn. 136; Dreher in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage, § 160 Rn. 65; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7.11.2012 - VII-Verg 11/12; OLG München, Beschluss vom 15.3.2012 - Verg 2/12). Auch reine Absichtserklärungen und Ankündigungen sind nicht angreifbar (Gabriel/Mertens, aaO, § 160 Rn. 136). Eine Rügeobliegenheit für Ankündigungen besteht lediglich insoweit, als es sich um formelle Ankündigungen zu treffender Entscheidungen seitens der zuständigen Personen der Vergabestelle handelt (zB die Information gemäß § 134 Abs. 1 GWB), was vorliegend zu verneinen ist.

(2) Auch im Übrigen wurde am 15.1.2021 keine Rügeobliegenheit ausgelöst.

Es kann dahinstehen, ob, wie die Antragsgegnerin behauptet, sie der Antragstellerin im Termin am 15.1.2021 mitgeteilt hat, dass sie endgültig entschieden habe, das Nebenangebot Nr. 1 auszuschließen. Denn selbst wenn man annähme, dass die Antragstellerin am 15.1.2021 positive Kenntnis von einer endgültigen Entscheidung über den Ausschluss des Nebenangebots Nr. 1 erhalten hätte (Sachkenntnis), hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegnerin nicht dargetan, dass die die Antragstellerin an diesem Tag auch Kenntnis vom Vergaberechtsverstoß (Rechtskenntnis) iSv § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB erlangte.

(a) Neben der positiven Kenntnis aller den Rechtsverstoß begründeten Tatsachen setzt § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB voraus, dass die Antragstellerin diese Tatsachen zumindest laienhaft rechtlich als Vergabeverstoß bewertet (Gabriel/ Mertens in: BeckOK Vergaberecht, 22. Edition, § 160 Rn. 142 d.A.). Die Bejahung der erforderlichen Rechtskenntnis des Bieters kommt in der Regel nur bei auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhenden und ins Auge fallenden Rechtsverstößen in Betracht. Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem verständigen Bieter auffallen muss (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.1.2014 - VII-Verg 26/13 - Abrechnungsmatrix mwN). Der Bieter darf sich einerseits nicht mutwillig vor der Erkenntnis des Vergabeverstoßes verschließen, er ist aber auf der anderen Seite nicht verpflichtet, seine in tatsächlicher oder rechtlicher Sicht ungenügenden Kenntnisse zu vervollständigen (etwa: OLG Dresden, Beschluss vom 23.4.2009 - Verg 11/08).

Es kommt dabei darauf an, wie die Antragsgegnerin die (behauptete) Mitteilung der endgültigen Ausschlussentscheidung des Nebenangebots Nr. 1 am 15.1.2021 begründet hat. Zwar könnte - wie die Antragsgegnerin und die Beigeladenen geltend machen - dann, wenn der Bieter Sachkenntnis von dem Ausschluss seines Angebots erhält, ohne dass dieser Ausschluss begründet wird, die erforderliche Rechtskenntnis des Bieters iSv § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB zu bejahen sein, da ein Angebotsausschluss ohne jede Begründung offensichtlich gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot verstoßen dürfte. So liegt der Fall hier aber nicht. Die Antragsgegnerin behauptet nämlich selbst, sie habe im Termin am 15.1.2021 den Ausschluss in zweierlei Hinsicht begründet. Sie habe der Antragstellerin mitgeteilt, dass Recyclingmaterial ohne Deklarationsanalytik nicht wertbar sei und, dass die Auftraggeberin Recyclingmaterial per se ablehne (Bl. 304 d.A.).

(b) Auf dieser Grundlage ergibt sich nicht, dass die Antragstellerin, die (behaupteten) beiden Begründungen unterstellt, bereits am 15.1.2021 den ihr (nach der Behauptung der Antragsgegnerin) mitgeteilten endgültigen Ausschluss des Nebenangebots Nr. 1 laienhaft rechtlich als Vergabeverstoß wertete.

(aa) Dies gilt zunächst für die (behauptete) Begründung, die Verwendung von Recyclingmaterial widerspreche dem Wunsch der Auftraggeberin.

Im Nachprüfungsverfahren hat die Antragsgegnerin nicht geltend gemacht, sie sei der Auffassung, allein wegen des entgegenstehenden Wunsches der Auftraggeberin ein Nebenangebot, das die Verwendung von Recyclingmaterial vorsehe, ausschließen zu können. Sie hat vielmehr geltend gemacht, sie habe den Wunsch der Auftraggeberin im Vergabeverfahren dadurch umgesetzt, dass sie im Leistungsverzeichnis und den Plänen zum Ausdruck gebracht habe, dass die Verwendung von Recyclingmaterial auch nicht Gegenstand von Nebenangeboten sein dürfe. Daher kommt es - auf der Grundlage des Vortrags der Antragsgegnerin - darauf an, ob die Antragstellerin am 15.1.2021 bei laienhafter Wertung erkannte, dass die Antragsgegnerin vergabewidrig handelte, als sie das Nebenangebot Nr. 1 mit der Begründung ausschloss, sie habe durch entsprechende Vorgaben im Leistungsverzeichnis und den Plänen konkludent Mindestanforderungen für Nebenangebote aufgestellt, denen das Nebenangebot Nr. 1 nicht entspreche.

Dies ist zu verneinen. Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass von einem durchschnittlichen Wettbewerbsteilnehmer, insbesondere aber von den fachkundigen und vergabeerfahrenen Bietern, erwartet werden kann, zu wissen, dass grundsätzlich für Nebenangebote Mindestanforderungen anzugeben sind, wenn alleine der Preis über den Zuschlag entscheidet (etwa OLG Schleswig, Beschluss vom 22.1.2019 - 54 Verg 3/18 Rn. 55ff.). Denn diese Rechtslage, die auch der Rechtsprechung des EuGH entspricht (Urteil vom 16.10.2003, C-421-01- Traunfellner), sei von der Literatur zustimmend behandelt worden und zwar auch in Publikationen, die sich an Nichtjuristen und Vergabepraktiker richteten. Demgegenüber wird nicht angenommen, dass auch von fachkundigen und vergabeerfahrenen Bietern erwartet werden darf, dass sie wissen, wie detailliert (vorhandene) Mindestanforderungen sein müssen und die entsprechende Literatur und Rechtsprechung kennen (VK Südbayern, Beschluss vom 5.3.202 - Z3-3-3194-1-47-11/19 Rn. 61).

Vorliegend geht es um eine gegenüber der letztgenannten Rechtsfrage jedenfalls gleichermaßen komplexe Rechtsfrage, nämlich die Frage, ob bestimmte Vorgaben im Leistungsverzeichnis und den Plänen bei Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont dahin zu verstehen sind, dass sie Mindestanforderungen für Nebenangebote enthalten. Insbesondere ist es nicht möglich, eine (unterstellte) Vergabewidrigkeit eines Nebenangebots, das solchen vermeintlich konkludent aufgestellten Mindestanforderungen nicht entspricht, bereits aus dem Wortlaut von Rechtsnormen selbst herzuleiten. Auch ergibt sich nicht, dass zu dieser Frage umfangreiche Rechtsprechung existiert und anzunehmen ist, dass insbesondere vergabeerfahrene Bieter von dieser Rechtsproblematik Kenntnis haben.

(bb) Dies gilt ebenso, soweit die Antragsgegnerin den Ausschluss des Nebenangebots Nr. 1 am 15.1.2021 auch damit begründet haben will, dass (Recycling-) Materialien ohne Deklarationsanalytik nicht verwertbar seien und nähere Angaben zu Art, Umfang und Ausführung des Nebenangebots fehlten.

Die Frage, ob und in welchem Umfang die Vergabestelle in diesem Stadium des Vergabeverfahrens für ein von den Vorgaben des Leistungsverzeichnis (natürliche Gesteinskörnungen) abweichendes Nebenangebot (Recyclingmaterialien) nähere Angaben und Nachweise über Art, Zusammensetzung und Herkunft des Materials fordern darf, um - wie die Antragsgegnerin auch im Beschwerdeverfahren geltend macht (vgl. etwa Bl. 185 d.A.) - die Gleichwertigkeit des Nebenangebots zu beurteilen, stellt eine komplexe Rechtsfrage dar und es ergibt sich nicht, dass sich der Antragsgegnerin aufdrängen musste, dass die (behauptete) Begründung des Ausschlusses vergaberechtswidrig ist.

(c) Der Umstand, dass es sich bei der Antragstellerin (bzw. bei jedenfalls einem der Bieter der Bietergemeinschaft) um ein bei Ausschreibungen erfahrenes Unternehmen handelt, lässt nicht den Schluss zu, dass eine (etwaige) Fehlerhaftigkeit des Ausschlusses von ihr - wie § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB dies voraussetzt - am 15.1.2021 positiv erkannt worden ist. Die Rechtsverstöße der behaupteten Begründung für den Ausschluss dürften nur unter Aufwendung juristischen Sachverstandes erkennbar gewesen sein. Zwar verfügt die Antragstellerin über eine Rechtsabteilung. Es ist aber von der Antragsgegnerin nicht dargelegt, dass am Termin am 15.1.2021 für die Antragstellerin auch Mitarbeiter der Rechtsabteilung teilnahmen oder die Antragstellerin mehr als 10 Tage vor dem 2.2.2021 (dem Zeitpunkt ihres Rügeschreibens) die (unterstellte) Information über den endgültigen Ausschluss ihres Nebenangebots Nr. 1 durch ihre Rechtsabteilung hätte klären lassen oder sich anderweit hätte rechtlich beraten lassen.

Die Antragstellerin hat insoweit vorgetragen, dass ihr Mitarbeiter F, der an der Besprechung am 15.1. teilgenommen hatte, am 28.1.2021 ihre Rechtsabteilung kontaktiert habe, die die Rechtslage bis zum 2.2.2021 geprüft habe. Auf die entsprechende Abstimmung mit der Rechtsabteilung sei dann am selben Tag, dh dem 2.2.2021, von der Antragstellerin die Rüge erhoben worden. Die für die Voraussetzung der Rügepräklusion darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegnerin hat diesen Vortrag nicht widerlegt. Selbst wenn man zudem annähme, dass die Antragstellerin bereits am Tag des Erhalts der Vorabinformation nach § 134 GWB, dh. am 27.1.2021, ihre Rechtsabteilung kontaktierte und die Rechtsabteilung bereits am selben Tag, dh. am 27.1.2021, zu einer Einschätzung der Rechtswidrigkeit des Ausschlusses mit diesen Begründungen gekommen wäre, wäre im Zeitpunkt der Rüge der Antragstellerin selbst, am 2.2.2021, und im Zeitpunkt der weiteren Rüge durch die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin, am 5.2.2022, die 10 Tagesfrist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht abgelaufen.

(d) Eine positive Rechtskenntnis der Antragstellerin bereits am 15.1.2021 ergibt sich nicht daraus, dass die Antragstellerin vorgetragen hat, sie habe in dem Gespräch am 15.1.2021 dem angekündigten Ausschluss ihres Nebenangebots Nr. 1 widersprochen. Hieraus kann die Antragsgegnerin bereits deshalb nichts für sich herleiten, da sie diesen Vortrag bestritten hat, ihrerseits aber für die Voraussetzungen der Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB darlegungsbelastet ist. Zudem bezog sich nach dem Vortrag der Antragstellerin ihr Widerspruch auf die von der Antragsgegnerin am 15.1.2021 geäußerte Begründung für den Ausschluss, gegen das angebotene Recyclingmaterial als "belastetes Material" beständen Bedenken. Dass dem Widerspruch demgegenüber zu entnehmen gewesen wäre, dass der Ausschluss von der Antragstellerin auch rechtlich als vergabewidrig gewertet worden wäre, ergibt sich nicht.

Soweit die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren vorgetragen hat, die Antragstellerin habe im Gespräch "eine rechtliche Prüfung der Nichtberücksichtigung ihrer beiden Nebenangebote 1 und 3 in Aussicht gestellt", spricht dies ebenfalls gegen die Annahme, die Antragstellerin sei bereits im Gespräch am 15.1.2021 zu der Einschätzung gelangt, dass der Ausschluss vergabewidrig sei.

dd) Die Antragstellerin ist mit der Rüge betreffend ihr Nebenangebot Nr. 1 auch nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert.

Die Antragsgegnerin meint, die Antragstellerin habe bereits aus den Vergabeunterlagen entnehmen können, dass nach dem Leistungsverzeichnis natürliche Gesteinskörnung gefordert werde und die Verwendung von Recyclingmaterial nicht zulässig sei. Wenn sie dies für vergabewidrig halte, habe sie dies jedenfalls bis zur Angebotsabgabe rügen müssen (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB). Dem ist nicht zu folgen.

Die Antragstellerin rügt nicht, dass es vergaberechtswidrig sei, dass die Antragsgegnerin im Hauptleistungsverzeichnis die Verwendung einer natürlichen Gesteinskörnung forderte, mithin das Hautpangebot die Verwendung der natürlichen Gesteinskörnung voraussetzt. Sie rügt lediglich, dass hieraus keine Mindestanforderung für das Nebenangebot hergeleitet werden könne. Das von der Antragstellerin als fehlerhaft gerügte Verständnis der Vorgabe des Leistungsverzeichnisses als Mindestanforderung war für die Antragstellerin aus den Vergabeunterlagen nicht erkennbar. Hiervon erfuhr sie erstmals, als die Antragsgegnerin den Ausschluss des Nebenangebots Nr. 1 auf diesen Umstand stützte.

b) Die Rüge der Antragstellerin, ihr Nebenangebot Nr. 1 habe nicht ausgeschlossen werden dürfen, ist auch begründet.

aa) Die Antragsgegnerin war nicht berechtigt, das Nebenangebot Nr. 1 gemäß § 16 EU Nr. 5 VOB/A auszuschließen.

Nebenangebote waren von der Antragsgegnerin zugelassen worden (§ 16 EU Nr. 5 1. Alt. VOB/A iVm § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 und 2 VOB/A). Das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin entsprach auch den Mindestanforderungen (§ 16 EU Nr. 5 2. Alt VOB/A).

Unstreitig enthalten die Vergabeunterlagen keine ausdrücklich als solche benannten Mindestanforderungen an die zugelassenen Nebenangebote. Zwar müssen Mindestanforderungen für Nebenangebote nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Jedoch ist erforderlich, dass der Bieter erkennen kann, dass es sich um eine Mindestanforderung handelt. Eine solche Mindestanforderung auch für Nebenangebote kann sich zB aus der Baubeschreibung ergeben, wenn eine dortige Regelung nach der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Bieters des angesprochenen Bieterkreises nur im Sinne einer Mindestanforderung an Nebenangebote verstanden werden kann (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2019 - VII Verg 35/19 Rn. 57, zit. nach juris; zur Auslegung der Vergabeunterlagen nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont auch: Senat, Beschluss vom 21.7.2020 - 11 Verg 9/19 Rn. 117, zit. nach Beck).

Ohne Erfolg trägt die Antragsgegnerin vor, die Vergabekammer habe ihr zu Recht bei der Beurteilung der Nebenangebote einen großen Beurteilungsspielraum zugestanden. Ein solcher weiter Beurteilungsspielraum besteht nicht für die vorliegend relevante Frage, ob bei objektiver Auslegung der Vergabeunterlagen Vorgaben in dem Leistungsverzeichnis und den Plänen von einem Bieter (nur) im Sinne einer Mindestanforderung an Nebenangebote verstanden werden kann.

(1) Bei Auslegung der Angaben der Antragsgegnerin im Leistungsverzeichnisses zu den Positionen 2.2.440, 2.2.460, 2,7.420, 3.3.10 3.3.20, 3.3.30, 3.3.40 und 3.3.40, 5.1.800 und 6.1.60, wonach die kombinierten Schotter- und Frosttragschichten aus natürlichen Gesteinskörnungen zu bestehen haben, ergibt sich nicht, dass diese Vorgaben von einem Bieter im Sinne einer Mindestanforderung auch für Nebenangebote zu verstehen sind.

Das Leistungsverzeichnis befasst sich als sachlich-technischer Orientierungsmaßstab grundsätzlich lediglich mit den Anforderungen, die an das Hauptangebot gestellt werden (Goede/Hänsel in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage, § 35 VgV Rn. 9; BayObLG, NZBau 2004, 626, 627). Sinn eines Nebenangebots ist es aber, eine davon abweichende Leistung vorzuschlagen (OLG Koblenz, Beschluss vom 31.5.2006 - 1 Verg 3/06 Rn. 60). Würde man also die Mindestanforderungen an Nebenangebote mit den Anforderungen an Hauptangebote gleichstellen, könnte es keine Nebenangebote mehr geben, weil diese dem Leistungsverzeichnis gerade nicht entsprechen (BayObLG, NZBau 2004, 626, 627). Daher ist grundsätzlich eine Vorgabe des Leistungsverzeichnisses nicht als Mindestanforderung für die Nebenangebote zu verstehen.

Etwas anderes kann dann gelten, wenn sich eine Vorgabe im Leistungsverzeichnis etwa auf eine bestimmte Technik oder Ausführung bezieht, die nicht Gegenstand des Hauptangebots sein kann. In einem solchen Fall kann trotz fehlender ausdrücklicher Bezeichnung als Mindestanforderung die Vorgabe im Leistungsverzeichnis oder der Baubeschreibung als Mindestanforderung auszulegen sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2019 - VIII Verg 35/19). So liegt der Fall hier aber nicht. Die Vorgaben der Verwendung "natürlicher Gesteinskörnungen" sollten und wurden von den Bietern als Anforderungen an das Hauptangebot verstanden. Anhaltspunkte, die dafürsprechen, dass die Vorgaben darüber hinaus auch als Anforderungen an die Nebenangebote hätten verstanden werden müssen, sind von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen nicht dargetan.

Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, sie habe im Leistungsverzeichnis ausschließlich die Verwendung natürlicher Gesteinskörnungen vorgesehen und auf den Zusatz "oder gleichwertig" verzichtet. Dem ist nicht zu folgen. Dem Verzicht auf den Zusatz "oder gleichwertig" kann allenfalls entnommen werden, dass ein Hauptangebot, das die Verwendung von Recyclingmaterial vorgesehen hätte, nicht den Anforderungen entsprochen hätte. Für das Verständnis der Vorgabe als Mindestanforderung eines Nebenangebots kann dem Verzicht auf den Zusatz nichts entnommen werden.

Der Vortrag der Antragsgegnerin und der Beigeladenen erschöpft sich im Übrigen in der Wiederholung ihrer Einschätzung, die Anforderung in den Positionen des Leistungsverzeichnisses habe als Vorgabe von Mindestanforderungen verstanden werden müssen, zumal es sich bei der Antragstellerin um ein ausgewiesenes fachkundiges Unternehmen gehandelt habe, ohne dies weiter zu begründen.

(2) Dies gilt entsprechend, soweit die Beigeladene auf einen Hinweis in den vorgegebenen Straßenbau/Regelquerschnitten verweist ("Für das Material der Schottertragschicht ist kein Recyclingmaterial, sondern nur Erstgewinnungsmaterial zulässig"). Auch der Plan/ Regelquerschnitt enthält - unstreitig - Vorgaben für das Hauptangebot. Auch insoweit gilt, dass keine Anhaltspunkte für die Annahme dargelegt sind, dass diese Vorgabe nach dem objektiven Empfängerhorizont auch als (Mindest-)Anforderung für Nebenangebote zu verstehen ist. Für eine solche Auslegung lässt sich dem Vortrag der Beigeladenen, dem Plan komme als "Brief des Technikers" besondere Bedeutung zu, nichts entnehmen. Selbst wenn den Angaben im Plan besondere Bedeutung zukommen würde, gilt dies allein für die Ausführung des Hauptangebots.

Zudem hat die Antragsgegnerin zunächst stets geltend gemacht, sie habe dem Wunsch der Auftraggeberin, die Verwendung von Recyclingmaterial zu verhindern, durch die Vorgaben zu Naturstein in der Leistungsbeschreibung / in den HLV-Positionen entsprochen (Bl. 107 d. VergKA, Bl. 112f. VergKA, bl. 356 VergKA, Bl. 184 d. hiesigen Akten). Erst nachdem die Beigeladene erstmals im Beschwerdeverfahren auch auf die Angabe im Straßenbau/Regelquerschnitt verwiesen hatte (Bl. 202 d. hiesigen Akten), hat die Antragsgegnerin geltend macht, eine entsprechende Vorgabe ergebe sich auch durch die Angaben im Straßenbau/Regelquerschnitt (Bl. 312 d. hiesigen Akten). Dies spricht gegen die Annahme, dass die Antragsgegnerin selbst der Angabe im Straßenbau/ Regelquerschnitt eine besondere Bedeutung beigemessen hätte.

(3) Da für die Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Bieters des angesprochenen Bieterkreises abzustellen ist, spricht gegen die Auslegung der Vorgaben im Leistungsverzeichnis und im Straßenbau/ Regelquerschnitt als Mindestanforderung für Nebenangebote der Umstand, dass weitere Bieter ebenfalls Nebenangebote abgaben, die die Verwendung von RC-Materialien vorsahen. Nach dem Vermerk der Antragsgegnerin vom 11.1.2021, dort Ziff. 6.3, gab ein weiterer Bieter ein Nebenangebot ab, das für die unter den OZ. 3.3.10 und 3.3.40 des Leistungsverzeichnis vorgesehenen Tragschichten eine Ausführung aus RC-Material vorsah; ein anderer Bieter sah in einem Nebenangebot für die OZ 3.3.10 bis 3.3.40 des Leistungsverzeichnisses die Ausführung aus ungeprüftem Recycling-Material der vor Ort abgebrochenen Bestandgebäude vor und in einem zweiten Nebenangebot die Ausführung dieser Ordnungsziffern aus Frostschutzschicht-Recyclingmaterial.

Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, hierauf komme es nicht an, da die weiteren Bieter, anders als die Antragstellerin, nicht für die Ausführung sämtlicher ungebundener Tragschichten die Verwendung von RC-Material angeboten hätten, während die beiden anderen Bieter RC-Material nur für Bereiche unter Asphaltschichten angeboten hätten. Dem ist nicht zu folgen. Ergäbe sich nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Bieters, dass die Angabe "natürliche Gesteinskörnungen" in sämtlichen relevanten LV-Positionen (OZ. 2.2.440, 2.2.460, 2.7.420, 3.3.10 bis 3.3.40, 5.1.800 und 6.1.60) als Mindestanforderung auch für Nebenangebote zu verstehen wäre, hätte kein "durchschnittlicher Bieter" auch nur für eine der LV-Positionen die Verwendung von RC-Materialien zum Gegenstand seines Nebenangebots gemacht.

bb) Ohne Erfolg beruft sich die Antragsgegnerin darauf, der Ausschluss sei berechtigt erfolgt, da ihr ohne weitere Nachweise oder Erläuterungen zum angebotenen RC-Material die erforderliche Prüfung der Gleichwertigkeit nicht möglich gewesen sei.

Lässt der öffentliche Auftraggeber nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A Nebenangebote zu, hat er nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) VOB/A Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebot genügen müssen. Diese Bestimmung schützt die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen werden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab. Für eine unbenannte, nicht näher determinierte und damit intransparente Gleichwertigkeitsprüfung zwischen Haupt- und Nebenangeboten lässt § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 lit. b) zum Schutz der Bieter keinen Raum (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2019 - VII-Verg 35/19 Rn. 61 zu § 33 Abs. 1 Satz 1 SektVO). Denn zwar mag eine solche Gleichwertigkeitsprüfung geeignet sein, den Wert von Nebenangeboten im Verhältnis zum Hauptangebot zu beurteilen. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung genügt eine Gleichwertigkeitsprüfung, für die es keine benannten Bezugspunkte gibt, weil - wie vorliegend - der Preis das einzige Zuschlagskriterium sein soll, nicht den Anforderungen an transparente Wertungskriterien, da für die Bieter bei Angebotsabgabe nicht mehr mit angemessenem Sicherheitsgrad vorhersehbar ist, welche Varianten die Vergabestelle bei der Wertung noch als gleichwertig anerkennen wird und welche nicht mehr (BGH, Beschluss vom 7.1.2014 - X ZB 15/13).

cc) Der Ausschluss des Nebenangebots Nr. 1 war auch nicht wegen Uneindeutigkeit des Nebenangebots gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A iVm § 13 EU Nr. 5 VOB/A gerechtfertigt.

Das Leistungsverzeichnis sah in den oben genannten Ordnungsziffern für das Hauptangebot die Verwendung von natürlichen Gesteinskörnungen vor, ohne dass sich das Erfordernis ergab, im Rahmen des Hauptangebots die Art der zu verwendeten Natursteine näher zu konkretisieren. Dementsprechend ergab sich für einen verständigen Bieter auch nicht das Erfordernis, im Rahmen des Nebenangebots das von ihm angebotene Recyclingmaterial näher zu konkretisieren.

dd) Die Antragsgegnerin durfte den Ausschluss des Nebenangebots Nr. 1 auch nicht darauf stützten, dass für sie mangels weiterer Angaben und Nachweise seitens der Antragstellerin nicht feststellbar gewesen sei, ob es sich bei dem angebotenen RC-Material um normgerechtes Material handele.

Das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin bietet für die genannten Ordnungsziffern des Leistungsverzeichnisses ausdrücklich Recycling-Material "nach ZTV-T-StB" an. Dem Vortrag der Antragstellerin, die ZTV-T-StB sehe für Recyclingmaterial sämtliche Anforderungen der Güteprüfung vor (Bl. 23 d. hiesigen AKte), ist die Antragsgegnerin nicht entgegengetreten. In Ziff. 1.4.1 der ZTV-T-StB heißt es, dass als Mineralstoffe auch Recyclingbaustoffe verwendet werden können. Weiter heißt es: "Unter Beachtung der Bauweise, der Einbauart und des Einbauortes muss für industrielle Nebenprodukte und Recyclingbaustoffe der Nachweis der Eignung und der wasserwirtschaftlichen Unbedenklichkeit erbracht werden.". Daher ist der Verweis der Antragstellerin im Nebenangebot Nr. 1 auf RC-Material "nach ZTV-T-StB" entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht lediglich dahin zu verstehen, dass das angebotene RC-Material den bauphysikalischen Anforderungen entspricht, sondern auch, dass das angebotene RC-Material auf Umweltverträglichkeit geprüft, gütegesichert und zertifiziert ist. Dementsprechend hat auch die Antragsgegnerin vorgetragen, nach Ziff. 1.4.1 ZTV-T-StB müssten die Baustoffe die RuA-StB (Richtlinien für die umweltverträgliche Anwendung von industriellen Nebenprodukten und Recyclingbaustoffen im Straßenbau) einhalten und auch den Vorgaben des LAGA-M20-Merkblattes des Landes Hessen für "Entsorgung von Bauabfällen") entsprechen. Die Antragstellerin hat daher durch den Hinweis auf die ZTV-T-StB im Nebenangebot klar zum Ausdruck gebracht, dass sie die Verwendung solchen RC-Materials anbietet, das sämtlichen Anforderungen der Güteprüfung entspricht.

Die Antragsgegnerin durfte das Nebenangebot Nr. 1 auch nicht mit der Begründung ausschließen, die Antragstellerin - so die Behauptung der Antragsgegnerin - habe im Termin am 15.1.2021 trotz entsprechender Aufforderung die Vorlage entsprechender Dokumentation und Nachweise über Herkunft, Bestandteile und Schadstoffanalysen des RC-Materials verweigert. Wenn die Antragstellerin - wie die Antragsgegnerin weiter behauptet - insoweit darauf verwies, dass entsprechende Nachweise, insbesondere solche nach LAGA, eine Gültigkeit von maximal 3 Monaten hätten - was die Antragsgegnerin nicht bestreitet -, ergibt sich nicht, dass die Antragsgegnerin aus der Vorlage solcher Unterlagen bereits am 15.1.2021 den Nachweis erhalten hätte, dass das später verwendete Material die versprochene Qualität einhalten würde.

ee) Die Beigeladene hat keinen Erfolg, wenn sie geltend macht (Bl. 330 d. hiesigen Akten), in Hessen sei die Verwendung von RC-Materialien auf den Einsatz unter versiegelten Flächen auf wasserundurchlässige Oberbauweise, zB Asphalt beschränkt. Unter Pflasterflächen oder gar nicht versiegelten Flächen sei der Einbau von RC-Material nicht zugelassen.

(1) Aus der Kommentierung (Beck’scher VOB- und Vergaberechtskommentar, VOB Teil C, 4. Auflage 2021, DIN 18315 Rn. 32), auf die die Beigeladene verweist, ergibt sich lediglich, dass der Verbau von Recyclingmaterial in Schottertragschichten nicht üblich und selten und die erforderlichen besonderen Kontrollen mit erheblichen wirtschaftlichen Aufwendungen verbunden sind. Dass die Verwendung von RC-Materialien in diesem Bereich unzulässig oder undurchführbar wäre, ergibt sich nicht.

(2) Die von der Beigeladenen vorgelegte gutachterliche Stellungnahme der D GmbH (Anlage Bg5, Bl. 339 d.A.) erörtert die Frage der Gleichwertigkeit der Verwendung von RC-Material zur Herstellung von Schottertragschichten gegenüber der Verwendung von Material aus natürlicher Gesteinskörnung. Hierauf kommt es wie ausgeführt, aber bereits nicht an.

Den nachfolgenden Ausführungen (S. 1 unten, 2 oben) ist zu entnehmen, dass es bei RC-Material sehr aufwändig ist, die Korngrößenverteilung sicherzustellen, woraus sich ebenfalls keine Unzulässigkeit einer solchen Verwendung ergibt.

Weiter heißt es in der genannten Anlage, dass es bei Recyclingmaterial-Baustoffen, je nach Schadstoffinventar und -gehalt, zur Herauslösung von Schadstoffen kommen könne, die in der Folge in den Untergrund eindringen könnten, was bei natürlicher Gesteinskörnung nicht der Fall sei. Daher beständen Einschränkungen für den Einsatz recycelter Baustoffe unter Pflasterbelägen, die gesonderte Untersuchungen erforderlich machten. Hieraus ergibt sich nicht, dass das Nebenangebot Nr. 1 auszuschließen gewesen wäre. Denn die Antragstellerin hat, wie ausgeführt, durch das Angebot von Recyclingmaterial "nach ZTVT-StB" auch im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit normgerechtes zertifiziertes Recyclingmaterial angeboten. Auch die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren vorgetragen, sie habe gegenüber ihrer Auftraggeberin, der Stadt1, (vergeblich) auf die "inzwischen hohe Qualität von Recycling-Baustoffen hingewiesen" (Bl. 315 d.A.).

Schließlich kann entgegen der Stellungnahme der D GmbH aus der "Ergänzenden Festlegung Gestein 2012/Hessen" (EF-Gestein 2012/HE) nicht entnommen werden, dass in Hessen allgemein der Einbau von RC-Baustoffen auf den Einbau unter wasserundurchlässigen Schichten, zu denen keine Pflasterdecken zählten, beschränkt wäre. Etwaigen Vorgaben der EF-Gestein 2012/HE kommt für das streitgegenständliche Vorhaben keine Bedeutung zu. Zu Recht weist die Antragstellerin darauf hin, dass es sich bei der EF-Gestein 2012/HE weder um eine Rechtsverordnung oder eine technische Norm noch um eine allgemein anerkannte Regel der Technik handelt. Es handelt sich vielmehr um eine ergänzende Festlegung zur Verwendung von Gestein, das im Bereich von Hessen Mobil - Straßen und Verkehrsmanagement, mithin im Bereich der hessischen Landesstraßenbauverwaltung eingesetzt wird (vgl. Ziff. 1 EF-Gestein 2012/HE).

(3) Die Unzulässigkeit der Verwendung von RC-Material für die von der Antragstellerin im Nebenangebot Nr. 1 angebotene Verwendung ergibt sich schließlich nicht aus dem von der Beigeladenen vorgelegten "Merkblatt über den Einsatz von rezyklierten Baustoffen im Erd- und Straßenbau", dort Ziff. 5.2.4.3.2, S. 25 (Anlage Bg 6, Bl. 342ff. d.A.). Aus den dortigen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, dass der Einsatz von RC-Materialien unter Pflasterdecken und Plattenbelägen unzulässig sei, sondern nur, dass dieser Einsatz besondere Untersuchungen erfordert. Auch insoweit gilt, dass die Antragstellerin mit dem Nebenangebot Nr. 1 die Verwendung solchen RC-Materials angeboten hat, das solchen besonderen Untersuchungen entspricht.

ff) Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin geltend, dass dann, wenn sie das Nebenangebot Nr. 1 bezuschlagen müsse, die Leistung nicht ausgeführt werden könne, da die Auftraggeberin eine Abnahme und Übernahme der baulichen Leistung verweigern werde.

Dem Vorbringen der Antragsgegnerin ist nicht zu folgen. Da, wie ausgeführt, die Ablehnung von Recyclingmaterial seitens der Auftraggeberin nicht in einer entsprechenden Aufstellung von Mindestanforderungen für Nebenangebote seitens der Antragsgegnerin ihren Niederschlag gefunden hat, kann die Antragsgegnerin aus dem genannten Umstand im hiesigen Vergabeverfahren zu Lasten der Antragstellerin nichts herleiten.

gg) Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist das Nachprüfungsverfahren nicht in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen.

(1) Ohne Erfolg trägt die Beigeladene vor, selbst wenn das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin nicht ausgeschlossen werden könne, könne das Vergabeverfahren nicht mit Wertung und Zuschlagserteilung auf das Nebenangebot Nr. 1 abgeschlossen werden. Denn das Nebenangebot Nr. 1 dürfe nicht ausgeführt werden, wie die Antragsgegnerin erklärt habe. Daher sei das Verfahren in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen. Die Antragsgegnerin könne nicht gezwungen werden, die Antragstellerin mit ihrem Nebenangebot Nr. 1 zu beauftragen.

Dem ist nicht zu folgen. Wie ausgeführt, kann aus dem Umstand, dass die Verwendung von Recyclingmaterial nicht dem Wunsch der Stadt1 entspricht, für das hiesige Vergabeverfahren zu Lasten der Antragstellerin nichts hergeleitet werden. Die Antragsgegnerin kann der Antragstellerin daher nicht entgegenhalten, ihr Nebenangebot Nr. 1 "dürfe nicht ausgeführt werden." Da die Antragstellerin ein zulässiges Nebenangebot Nr. 1 abgegeben hat, kann sie daher - wie von ihr geltend gemacht - eine Neubewertung der Angebote verlangen. Allein auf eine Neubewertung der Angebote zielen die Rügen der Antragstellerin im hiesigen Nachprüfungsverfahren ab: Sie hat geltend gemacht, ihr Nebenangebot Nr. 1 habe nicht ausgeschlossen werden dürfen, demgegenüber habe das Nebenangebot der Beigeladenen ausgeschlossen werden müssen sowie hilfsweise, mangels aufgestellter Mindestanforderungen seien lediglich die Hauptangebote zu werten. Demgegenüber hat sie keine Rügen erhoben, die im Erfolgsfall eine Zurückversetzung des Verfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe erforderten. Auch die Antragsgegnerin hat sich gegen eine Zurückversetzung des Verfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe gewandt (Bl. 459 R d. hiesigen Akte).

(2) Ohne Erfolg stützt die Beigeladene die von ihr begehrte Zurückversetzung in das Stadium vor Angebotsabgabe (auch) auf folgenden Vortrag: Hätte sie gewusst, dass sie ein Nebenangebot für Recyclingmaterial hätte abgeben dürfen, hätte sie ein entsprechendes Nebenangebot vorgelegt und auch insofern ihr Hauptangebot anders kalkuliert. Auch daher sei das Verfahren in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen.

Zwar behauptet die Beigeladene insofern einen Vergabeverstoß, nämlich die fehlende Transparenz der sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Vorgaben für Nebenangebote, der grundsätzlich eine Zurückversetzung des Verfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe begründen könnte. Eine Zurückversetzung kommt aber im Hinblick auf dieses Vorbringen nicht in Betracht. Weder die Antragstellerin noch die Antragsgegnerin haben, wie ausgeführt, geltend gemacht, die aufgestellten Mindestanforderungen seien intransparent oder sonstige Gründe vorgetragen, die ein Zurückversetzen des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe erforderlich machten. Daher käme, da der entsprechende Antrag der Beigeladenen, das Verfahren in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, unzulässig ist (hierzu nachfolgend B), eine Prüfung des geltend gemachten Gesichtspunkts nur von Amts wegen in Betracht.

Eine solche amtswegige Entscheidung scheidet aber aus: Zwar besteht gemäß § 163 GWB der Amtsermittlungsgrundsatz. Doch wird dieser Amtsermittlungsgrundsatz (u.a.) durch die Rügeobliegenheit begrenzt. So dürfen (behauptete) Vergaberechtsfehler nicht von Amts wegen berücksichtigt werden, wenn eine entsprechende Rüge nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert ist, da eine Rügepräklusion ihren Sinn verlöre, wenn der Mangel von Amts wegen eingeführt werden könne (so etwa Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.1.2019 - 54 Verg 3/18 Rn. 116; einschränkend OLG München, Beschluss vom 10.8.2017 - Verg 3/17 Rn. 97). Diese Wertung muss ebenso gelten, wenn - wie vorliegend - der Beigeladene mit einer entsprechenden Antragstellung ausgeschlossen ist, weil eine entsprechende unselbständige Anschlussbeschwerde verfristet ist (vgl. hierzu nachfolgend B.). Denn die Pflicht, ein der Beschwerde entgegenstehendes Rechtsschutzziel - hier: die Zurückversetzung des Verfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe anstelle der von der Antragstellerin begehrten Wiederholung der Angebotswertung - rechtzeitig im Rahmen einer Anschlussbeschwerde geltend zu machen, verlöre ihren Sinn, wenn der angebliche Mangel von Amts wegen eingeführt werden könne. Dies widerspräche auch der Mitwirkungsobliegenheit der Beteiligten (§ 167 Abs. 2 GWB), die ebenfalls den Amtsermittlungsgrundsatz beschränkt (Dicks in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage, § 163 Rn. 9).

Selbst wenn man annähme, dass trotz der Verfristung einer entsprechenden Anschlussbeschwerde eine Berücksichtigung des geltend gemachten Verstoßes in Betracht kommt, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 10.8.2017 - Verg 3/17 Rn. 97 zur Berücksichtigungsfähigkeit trotz Rügepräklusion), scheidet vorliegend die begehrte Zurückversetzung in das Stadium vor Angebotsabgabe aus. Es ergibt sich nicht, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei Berücksichtigung des Nebenangebots Nr. 1 der Antragstellerin nicht möglich wäre. Insbesondere macht die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 1.3.2022 ausdrücklich geltend, eine solche Konstellation liege nicht vor und dem Begehren auf Zurückversetzung des Verfahrens sei nicht zu entsprechen.

(3) Etwas anderes kann die Beigeladene auch nicht aus der Entscheidung der Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 5.3.2020 - Z3-3-3194-47-11/19) herleiten.

Dieser Entscheidung lag ein abweichender Sachverhalt zugrunde. Dort hatte sich die Vergabestelle selbst im Nachprüfungsverfahren darauf berufen, die von ihr aufgestellten Mindestanforderungen für Nebenangebote seien nicht gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A hinreichend bekannt gemacht worden, so dass nur die Hauptangebote zu werten seien und hierauf seine beabsichtigte Zuschlagsentscheidung gestützt (aaO Rn. 22). Dementsprechend hatte die dortige Antragstellerin, die zuvor wegen anderer Rügen im Nachprüfungsverfahren "lediglich" die Wiederholung der Angebotswertung verlangt hatte (aaO Rn. 16), ihre Anträge geändert und die Zurückversetzung des Verfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe aufgefordert (Rn. 25). Im Rahmen der Prüfung dieser Anträge führt die Vergabekammer aus, das Verfahren sei in das Stadium vor Angebotsaufgabe zurückzuversetzen. Denn eine Zuschlagserteilung auf die Nebenangebote komme bei auch nach Auffassung der Vergabestelle unzureichenden Mindestanforderungen nicht in Betracht (Rn. 73). Auch eine Zuschlagserteilung auf ein Hauptangebot scheide aus. Denn die Vergabestelle habe durch die ausdrückliche Zulassung von letztlich vergaberechtlich unzulässigen Nebenangeboten bei den Bietern den Eindruck erweckt, dass auch auf Nebenangebote der Zuschlag erteilt werden könne. Es sei nicht auszuschließen, dass Bieter daher das Hauptangebot mit Blick auf das vermeintlich zulässige Nebenangebot ausgearbeitet und kalkuliert hätten (Rn. 76- 78).

Vorliegend macht demgegenüber weder die Antragstellerin (noch die Antragsgegnerin) Vergabefehler geltend, deren Behebung die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe erforderlich machten. Insbesondere machen weder die Antragstellerin noch die Antragsgegnerin geltend, es seien nicht hinreichende Mindestanforderungen für Nebenangebote aufgestellt worden.

Zwar hat die Antragstellerin hilfsweise die Rüge erhoben, falls man annähme, dass keine Mindestanforderungen festgelegt worden seien, dürften Nebenangebote nicht gewertet werden. Selbst wenn man aber diesen Vortrag (fehlende Mindestanforderungen) unterstellte, hätte dies nicht zur Folge, dass entsprechend den oben genannten Ausführungen der Vergabekammer Südbayern (aaO Rn. 76 bis 78) eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe erforderlich würde. Denn für jeden Bieter wäre dieser Vergabeverstoß (vollständiges Fehlen von Mindestanforderungen für Nebenangebote) aus den Vergabeunterlagen sachlich und rechtlich erkennbar und daher gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bis zur Angebotsabgabe zu rügen gewesen und könnte auch nicht von Amts wegen berücksichtigt werden (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22.1.2019 - 54 Verg 3/18 Rn. 81ff., 116; vgl. hierzu auch nachfolgend 2.). Daher stellte sich auch auf die hilfsweise erhobene Rüge der Antragstellerin keine der Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vergleichbare Konstellation.

c) Hat daher die Rüge der Antragstellerin, ihr Nebenangebot Nr. 1 hätte nicht ausgeschlossen werden dürfen, Erfolg, kommt es nicht darauf an, ob das Nebenangebot der Beigeladenen ausgeschlossen werden musste. Denn die Antragstellerin hat mit ihrem Nebenangebote Nr. 1 in Kombination mit dem auch nach Auffassung der Antragsgegnerin zu berücksichtigenden Nebenangebot Nr. 2 Angebote abgegeben, die wirtschaftlich günstiger sind als das Nebenangebot der Beigeladenen.

2. Die "hilfsweise und vorsorglich" erhobene Rüge der Antragstellerin, nähme man an, dass die Antragsgegnerin keine Mindestanforderungen für Nebenangebote aufgestellt habe, dürften keine Nebenangebote gewertet werden (Bl. 22 d. hiesigen Akte), hat keinen Erfolg.

Mit dieser Rüge ist die Antragstellerin bereits gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 2 GWB präkludiert. Von einem durchschnittlichen Wettbewerbsteilnehmer, insbesondere aber von fachkundigen und vergabeerfahrenen Bietern, kann erwartet werden, zu wissen, dass grundsätzlich für Nebenangebote Mindestanforderungen anzugeben sind, wenn alleine der Preis über den Zuschlag entscheidet (etwa OLG Schleswig, Beschluss vom 22.1.2019 - 54 Verg 3/18 Rn. 55ff.). Denn diese Rechtslage, die auch der Rechtsprechung des EuGH entspricht (Urteil vom 16.10.2003, C-421-01- Traunfellner), ist von der Literatur zustimmend behandelt worden und zwar auch in Publikationen, die sich an Nichtjuristen und Vergabepraktiker richteten (OLG Schleswig, Beschluss vom 22.1.2019 - 54 Verg 3/18 Rn. 81ff., Vergabekammer Südbayern, Beschluss vom 5.3.2020 - Z3-3-3194-1-47-11/19 Rn. 62). Dieser Rüge ist auch nicht von Amts wegen nachzugehen, da andernfalls die Präklusionswirkungen über den Untersuchungsgrundsatz umgangen würden (OLG Schleswig, aaO Rn. 116).

Abgesehen davon ist der hilfsweise gehaltene Vortrag auch widersprüchlich. Denn die Antragstellerin führt an anderer Stelle selbst aus, dass vorliegend die Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen ZTVT-StB, die die Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin mehrfach in Bezug nehme, sowie der VOB/C, deren Geltung sich schon aus § 8 EU Abs. 1 VOB/A ergebe, als Mindestanforderungen auch für Nebenangebote verstanden werden (Bl. 20 d. hiesigen Akten).

3. Ohne Erfolg macht die Antragstellerin im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geltend, auch ihr Nebenangebot Nr. 3 habe berücksichtigt werden müssen. Mit dieser Rüge ist die Antragstellerin gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB präkludiert.

Die in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB vorgesehene Rechtsbehelfsfrist ist vorliegend anwendbar, da die Antragsgegnerin in der Bekanntmachung (Ziff. V.4.3) auf die Frist und die Folge der Fristversäumung hingewiesen hatte.

Die Antragstellerin hat mit Email vom 5.2.2021 gegenüber der Antragsgegnerin u.a. gerügt, der Ausschluss ihres Nebenangebots Nr. 3 sei zu Unrecht erfolgt. Diese Rüge machte die Antragstellerin jedoch nicht zum Gegenstand ihres am selben Tag eingereichten Nachprüfungsantrags. Denn in diesem heißt es (S. 3, Bl. 8 d. VergKA) "Die Antragstellerin wehrt sich mit diesem Nachprüfungsantrag gegen die Nichtberücksichtigung ihres Nebenangebots Nr. 1 bei der Vergabeentscheidung."

Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin in der Erwiderung zum Nachprüfungsantrag mit (Schriftsatz vom 12.2.2021, Bl. 301 d. VergKA), der Rüge betreffend das Nebenangebot Nr. 3 nicht abhelfen zu wollen. Sie führte aus, (auch) die Rüge betreffend das Nebenangebot Nr. 3 sei präkludiert und der Ausschluss des Nebenangebots Nr. 3 auch rechtmäßig, da die dort vorgesehene konstante Sitzfläche des Quartierscareés mit ca. 40 cm das Erscheinungsbild stark verändere, stark vom Entwurfsgedanken abweiche und daher nicht wertbar sei. Hierdurch brachte die Antragsgegnerin klar und eindeutig iSv § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB zum Ausdruck, der Rüge betreffend den Ausschluss des Nebenangebots nicht abhelfen zu wollen. Dieser Schriftsatz wurde der Antragstellerin am 15.2.2021 übersandt.

Daher wäre die Antragstellerin verpflichtet gewesen, diese Rüge binnen 15 Tagen zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens zu machen. Dies geschah jedoch nicht. Noch im Schriftsatz vom 13.4.2021 (Bl. 329 d. VergKA) machte die Antragsgegnerin den Ausschluss ihres Nebenangebots Nr. 3 nicht zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens.

B. Der hilfsweise gestellte Antrag der Beigeladenen, das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, ist bereits unzulässig und daher zu verwerfen.

Mit diesem Antrag begehrt die Beigeladene als Beschwerdegegnerin ein der Beschwerde entgegengesetztes Rechtsschutzziel, mithin eine Überprüfung der Entscheidung der Vergabekammer auch zu ihren Gunsten. Während die Beschwerde der Antragstellerin, wie ausgeführt, auf die Wiederholung der Wertung unter Berücksichtigung ihrer Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 und Ausschluss des Nebenangebots der Beigeladenen gerichtet war, begehrte die Beigeladenen darüberhinausgehend die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe. Nur so wäre es ihr nach ihrem Vorbringen möglich, ein Nebenangebot vorzulegen, das die Zulässigkeit der Verwendung von Recyclingmaterial berücksichtige, und ihr Hauptangebot abweichend zu kalkulieren.

Die Beigeladene wäre gehalten gewesen, dieses gegenüber der Beschwerde der Antragstellerin gegenläufige Interesse mit einer Beschwerde oder jedenfalls mit einer unselbständigen Anschlussbeschwerde, die in Rechtsprechung und Schrifttum einhellig für zulässig gehalten wird (Vavra in: Burghi/Dreher, Bech’scher Vergaberechtskommentar, Band. 1, 3. Auflage, § 171 Rn. 26; Senat, Beschluss vom 8.4.2014 - 11 Verg 1/14 Rn. 122, zit. nach juris), geltend zu machen.

Danach ist der erstmals im Termin vor dem Senat gestellte Antrag verfristet und unzulässig. Die Beschwerde hätte von der Beigeladenen in der Frist des § 172 Abs. 1 GWB eingelegt werden müssen, was aber nicht geschehen ist. Der Antrag ist auch als unselbständige Anschlussbeschwerde verfristet. Es kann insoweit offenbleiben, ob anzunehmen ist, dass die Anschlussbeschwerde analog § 524 Abs. 2 ZPO bis zum Ablauf der Beschwerdeerwiderungsfrist oder binnen zwei Wochen ab Zustellung der Beschwerdebegründung endet (offengelassen Senat, Beschluss vom 8.4.2014 - 11 Verg 1/14 Rn. 122). Denn jede dieser Fristen war im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 22.2.2022 abgelaufen, die Anschlussbeschwerde daher verfristet.

Wie bereits oben (A.1.b)gg)(3)) ausgeführt, ist dieser Rüge auch nicht von Amts wegen nachzugehen.

III.

Die Antragsgegnerin, die im Verfahren unterliegt, hat gemäß § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer zu tragen. Zwar hat die hilfsweise erhobene Rüge der Antragstellerin, die Antragsgegnerin hätte nur die Hauptangebote der Wertung zugrunde legen dürfen, keinen Erfolg und auch das Nebenangebot Nr. 3 der Antragstellerin war nicht zu berücksichtigen. Da aber bereits die Rüge der Antragstellerin, ihr Nebenangebot Nr. 1 sei zu berücksichtigen, Erfolg hat und zur Folge hat, dass sie mit Kombination der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 2 das günstigste Angebot abgegeben hat, unterliegt die Antragsgegnerin insgesamt.

Die Kostentragungspflicht trifft auch die Beigeladene, da sie sich im Verfahren vor der Vergabekammer aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt und eigene Anträge gestellt hat, mit denen sie erfolglos geblieben ist (vgl. Burgi/Dreher in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, 13. Auflage, § 182 GWB Rn. 24). Beide haften als Gesamtschuldner (§ 182 Abs. 3 Satz 2 GWB).

Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB umfasst die Kostentragungspflicht auch die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners. Was zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Verteidigung vor der Vergabekammer erforderlich war, ist auf der Grundlage einer prognostischen Sichtweise (ex ante) anhand der Umstände des einzelnen Falles zu entscheiden. Dabei darf weder die restriktive Tendenz bei der Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 2 VwVfG - der in § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB nur für entsprechend anwendbar erklärt ist - ungeprüft auf das Vergabekammerverfahren übertragen werden, noch ist - praktisch im Wege einer Umkehrung einer verbreiteten Auslegung des § 80 Abs. 2 VwVfG - anzunehmen, die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten sei im Vergabenachprüfungs- verfahren in der Regel notwendig (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.4.2004 - VII Verg 66/03).

Vorliegend war die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin als notwendig anzuerkennen, weil der zur Überprüfung gestellte Sachverhalt nicht so einfach gelagert war, dass die Antragstellerin ihre Interessen auch ohne die Einschaltung eines Verfahrensbevollmächtigten ausreichend und umfassend hätten wahrnehmen können. Die von der Antragstellerin im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens geltend gemachte Verstöße gegen das Vergaberecht warfen mehrere tatsächliche und rechtliche Fragen auf, die aus Sicht der Antragstellerin ohne anwaltlichen Beistand nicht zu klären waren. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die Aufnahme der Vorgabe "natürliche Gesteinskörnung" bzw. "kein Recyclingmaterial in dem Leistungsverzeichnis und den Plänen als konkludent aufgestellte Mindestanforderung für die zugelassenen Nebengebote zu verstehen ist und ob ihre entsprechende Rüge gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert ist. Diese Fragen konnten von der Antragstellerin trotz der vorhandenen Erfahrung in Vergabeverfahren und dem Vorhandensein einer Rechtsabteilung nicht ohne weiteres von ihr selbst geklärt werden. Auch aus dem Gesichtspunkt der Sicherung einer Waffengleichheit im Verhältnis zu der anwaltlich vertretenen Antragsgegnerin war es daher für die Antragstellerin sinnvoll und interessengerecht, sich im Vergabenachprüfungsverfahren durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen.

Es entspricht im Hinblick auf den Verfahrensausgang der Billigkeit, dass die Antragsgegnerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten für das Eilverfahren gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB und der außergerichtlichen Aufwendungen der Antragstellerin, die von einem Rechtsanwalt vor dem Beschwerdegericht vertreten werden musste (§ 175 Abs. 1 Satz 1 GWB), zu tragen hat (§ 175 Abs. 2 GWB, § 71 Satz 1 GWB). Dies gilt auch für die Beigeladene, da diese durch eigene Sachanträge das Beschwerdeverfahren gefördert hat und deren Antrag, das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, verfristet ist.

Der Streitwert ist gemäß § 50 Abs. 2 GKG mit fünf Prozent der Bruttoauftragssumme zu bemessen. Die Regelung pauschaliert aus Gründen der Vereinfachung die Gewinnerwartung (BT-Drs. 13/9340, S. 23). Grundlage der Wertbestimmung ist deshalb der konkrete Preis des Angebots, auf das der Antragsteller die Zuschlagserteilung begehrt; auf die Kostenschätzung ist nur bei Fehlen eines Angebots zurückzugreifen (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom - 17 Verg 3/19 R. 87 mwN).

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