AG Bonn, Urteil vom 08.12.2021 - 211 C 22/21
Fundstelle
openJur 2022, 7189
  • Rkr:
Tenor

In dem Rechtsstreit

pp

hat das Amtsgericht Bonn auf die mündliche Verhandlung vom 24.11.2021 für Recht erkannt:

Der auf der Eigentümerversammlung vom 19.05.2021 zu TOP 6 gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten hat das Gericht gestattet, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Kläger sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft I-straße ... in ...# C. Die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft wird durch die Firma K E KG verwaltet.

In den jeweiligen Wohnungen befinden sich Gasetagenheizungen, welche im jeweiligen Sondereigentum stehen. Die jeweiligen Gastherme sind an den gemeinschaftlichen Schornstein angeschlossen. Es gibt Eigentümer, die ihre jeweiligen Gasetagenheizungen nunmehr auf Brennwerttechnik umrüsten möchten.

Die Verwaltung erklärte unter dem 28.04.2021 die Einladung zur "Präsenzversammlung mit freiwilliger Onllne-Teilnahme - Hybrid" auf den 19.05.2021. Dabei bat die Verwaltung, aufgrund der Pandemie möglichst nicht zur Versammlung zu erscheinen und eine Vollmacht zu erteilen. In der Tagesordnung zur Eigentümerversammlung wurde der Beschluss-Vorschlag/Antrag zu TOP 6 wie folgt formuliert:

"Hinweis: Der Umlaufbeschluss wurde durch das neue WEG vereinfacht: Die Eigentümer können nunmehr beschließen, dass über einen bestimmten Gegenstand ein Umlaufbeschluss gefasst wird (Vorschaltbeschluss). Danach reicht für diesen Umlaufbeschluss eine einfache Mehrheit, beispielsweise wenn ein Vorbereitungsbeschluss gefasst ist und nur noch über einzuholende Angebote entschieden werden muss. Die Mehrheit des Umlaufbeschlusses berechnet sich auf der Grundlage der im Umlaufbeschlussverfahren abgegebenen Stimmen, und zwar ohne Rücksicht auf die Anzahl der tatsächlich abgegebenen Stimmen, so dass die Beschlussfähigkeit in einem Umlaufbeschlussverfahren ebenfalls immer gegeben ist. Für das Umlaufverfahren ist ebenfalls die Textform ausreichend.

Beschlussvorschlag/Antrag (Vorschaltbeschluss):

Die Wohnungseigentümer bestimmen nach § 23 Abs.3 Satz 2 WEG, dass über *** Bezeichnung eines TOP **** im Wege eines Umlaufbeschlusses, also ohne Eigentümerversammlung, mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen entschieden werden kann".

Hinsichtlich der Details des Einladungsschreibens wird auf die Anlage K1 (Bl. 5 ff. der GA) Bezug genommen.

Auf der Eigentümerversammlung wurde folgender, hier streitgegenständlicher Beschluss gefasst, ohne dass weitergehende Informationen über die Notwendigkeit einer Inline-Installation sowie Alternativen hierzu oder Informationen zur Kostentragung erteilt wurden:

"TOP 6: REPARATUREN / INSTANDSETZUNGEN /ANSCHAFFUNGEN

Beschluss—Vorschlag/Antrag:

Die Wohnungseigentümer beschließen, die Installation eines Inliners im Schornstein nach Hereinholung von 2 Angeboten nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG ohne Eigentümerversammlung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen im schriftlichen Umlaufverfahren durchzuführen. In diesem Fall bedarf es abweichend von § 23 Abs. 3 S 1 WEG ausnahmsweise also nicht der Zustimmung und der Ja-Stimme sämtlicher Wohnungseigentümer."

Hinsichtlich der Details des Protokolls wird auf die Anlage K2 (Bl. 11 ff. der GA) Bezug genommen.

Die Kläger bestreiten, dass der Beschluss-Vorschlag in der protokollierten Form überhaupt zur Abstimmung gestellt worden sei. Auch hätten sie nicht für den protokollierten Beschluss-Vorschlag gestimmt. Sie hätten per Zoom teilgenommen. Die technische Qualität des Termins hatte erhebliche Mängel gehabt. Erst nach Wiedereinwahl aller Teilnehmer, nach ca. 10 Minuten, sei der Verwalter verständlich gewesen. Während der Versammlung sei kein Dokument (Agenda oder Beschlusstext oder Beschlussergebnis) geteilt worden. Für die Online-Teilnehmer der ETV sei überhaupt nicht ersichtlich gewesen, wann überhaupt abgestimmt worden sei und was als Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung gewertet wurde.

Zudem widerspreche der Beschluss zu TOP 6 schon deshalb ordnungsgemäßer Verwaltung, da die Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß angekündigt worden sei. Die Bezeichnung des TOP 6 in der Einladung sei nicht geeignet, dem Informationsinteresse der Eigentümer zu genügen. Die Tagesordnung habe gar keinen Hinweis auf irgendeine Baumaßnahme enthalten; schon gar nicht sei der beabsichtigte Einbau eines Inliners in irgendeinen Schornstein angekündigt worden.

Die Kläger beantragen,

wie tenoriert.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass schon aus der Überschrift unter TOP 6 in der Tagesordnung ersichtlich gewesen sei, dass es sich um eine Beschlussfassung bezüglich Reparaturen/Instandsetzungen/Anschaffungen handeln soll. Hierunter falle also auch die Installation eines Inliners im Schornstein. Zudem sei vorliegend lediglich beschlossen worden, dass zukünftige Beschlussfassungen bezüglich der Installation eines Inliners im Schornstein im sogenannten Umlaufverfahren beschlossen werden dürfen. Dieses betreffe sowohl den noch anstehenden Grundsatz — als auch Vergabebeschluss. Es sei also lediglich die Art und Weise des zukünftig anstehenden Beschlussverfahrenssystems beschlossen worden. Die angefochtene Beschlussfassung beinhaltet gerade keinen Grundsatz — oder Vergabeteil für die Installation. Der streitgegenständliche Beschluss sei als sogenannter Geschäftsordnungsbeschluss einzuordnen, der nicht isoliert anfechtbar sei.

Hinsichtlich der weiteren Details wird auf die wechselseitigen Schriftsätze, Anlagen und Protokolle der Gerichtsakte Bezug genommen, § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

1.

Der angefochtene Beschluss unter TOP 6 der Eigentümerversammlung vom 20.07.2017 wird für ungültig erklärt.

Die Beschlussfassung verstößt gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung.

Gemäß § 23 Abs. 2 WEG ist es für die Gültigkeit eines Beschlusses erforderlich, dass der Gegenstand der Beschlussfassung bei der Einberufung bezeichnet ist. Die Beschlussfassung unter TOP 6 der Eigentümerversammlung vom 20.07.2017 wurden entgegen der Vorgaben des § 23 Abs. 2 WEG überhaupt nicht bei der Einberufung bezeichnet.

Sinn und Zweck der Regelung des § 23 Abs. 2 WEG ist es, die Wohnungseigentümer vor überraschenden Entscheidungen zu schützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich anhand der Tagesordnung auf die Beratung und Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung über bestimmte Tagesordnungspunkte vorzubereiten bzw. sich darüber im Klaren zu werden, ob sie an der Versammlung teilnehmen oder nicht. Dabei deckt die Bezeichnung des Gegenstandes eines Tagesordnungspunktes in der Regel auch eine Beschlussfassung über diesen Punkt, auch wenn dies im Einladungsschreiben nicht ausdrücklich angekündigt wird (vgl. BayObLG WE 1999, 199; Merle a.a.O. § 23 Rdn. 68 Staudinger-Bub, WEG, § 23 Rdn. 187 jeweils m. w. Nachw.). Von dem Zweck der Regelung in § 23 Abs. 2 WEG her, dem berechtigten Informationsinteresse der Wohnungseigentümer Rechnung zu tragen, hängt der Inhalt der Bezeichnung des Beschlussgegenstandes außerdem von der Bedeutung der Angelegenheit und dem Wissensstand der einzelnen Eigentümer ab. Hierbei ist es regelmäßig nicht erforderlich, die tatsächlichen und rechtlichen Auswirkungen in allen Einzelheiten darzustellen und insbesondere bei Vorgängen, die einen Regelungskomplex betreffen, etwa bei Baumängeln, brauchen nicht alle Detailpunkte in die Tagesordnung aufgenommen zu werden (OLG Köln, Beschluss vom 18. Dezember 2002 - 16 Wx 177/02 -, Rn. 14, juris). Zumeist reicht auch eine stichwortartige Bezeichnung aus, die den Geladenen erkennbar macht, was Gegenstand der Beratung und Entscheidung sein soll. Damit soll verhindert werden, dass die Wohnungseigentümer unvorbereitet und überraschend in die Situation gestellt werden, u. U. weitreichende Entscheidungen zu treffen (BayObLG WE 1988, 104), deren Auswirkungen sie spontan nicht überschauen (OLG Köln, Beschluss vom 03. November 1997 - 16 Wx 267/97 -, Rn. 3, juris).

In der hier betreffenden Einladung wurde unter TOP 6 unter der Überschrift "Reparaturen/ Instandsetzungen/ Anschaffungen" lediglich generell vorgetragen, dass das neue WEG den Umlaufbeschluss "vereinfacht" habe und die "Eigentümer [...] nunmehr beschließen (könnten), dass über einen bestimmten Gegenstand ein Umlaufbeschluss gefasst wird (Vorschaltbeschluss)." Eine Bezeichnung oder Information, zu welcher konkreten baulichen Maßnahme oder zu welchem Themenkomplex ein Umlaufbeschluss erfolgen sollte, wurde in der Einladung nicht erwähnt. Vielmehr wurde nur ein Lückentext abgedruckt:

"Die Wohnungseigentümer bestimmen nach § 23 Abs.3 Satz 2 WEG, dass über *** Bezeichnung eines TOP **** im Wege eines Umlaufbeschlusses..."

Die Bezeichnung des TOP 6 in der Einladung war damit nicht geeignet, dem Informationsinteresse der Eigentümer zu genügen. Die Tagesordnung enthielt gar keinen Hinweis auf irgendeine konkret beabsichtigte Baumaßnahme; schon gar nicht wurde der Einbau eines Inliners in irgendeinen Schornstein konkretisiert.

Die rechtliche Einordnung eines Beschlusses über die Durchführung eines Umlaufverfahrens zu einem bestimmten Regelungspunkt ist umstritten und es mag - wie die Beklagtenseite zu Recht ausführt - Einwendungen geben, die dem folgenden Umlaufverfahren vorbehalten sind.

Die Beschlussfassung über die Durchführung eines Umlaufverfahrens selbst muss jedoch auch den Erfordernissen über eine ordnungsgemäße Beschlussfassung gerecht werden. Dazu gehört insbesondere eine ordnungsgemäße Ankündigung einer derartigen Beschlussfassung gemäß § 23 Abs. 2 WEG. Die Eigentümergemeinschaft ist vorliegend vollkommen uninformiert und unvorbereitet zu der Beschlussfassung über die Durchführung eines Umlaufverfahrens hinsichtlich des Einbaus eines Inliners gebracht worden. Der Verstoß gegen die Informationspflichten wiegt dabei umso schwerer, als dass die Eigentümer aufgrund der Pandemie gebeten wurden, möglichst gar nicht an der Präsenzveranstaltung teilzunehmen. In diesem Fall hätte es einer umso besseren frühzeitigen Information bedurft.

2.

Die prozessualen Nebenentscheidung folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

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