VG Berlin, Urteil vom 02.11.2021 - 3 K 176/20
Fundstelle
openJur 2022, 408
  • Rkr:

Bei der von der Promotionskommission in Anwendung der Bestimmung des § 34 Abs. 7 Nr. 1 Alt. 1 BerlHG zu beurteilenden Frage, ob ein akademischer Grad durch Täuschung erworben und das eingeräumte Ermessen im Sinne einer Entziehung zu betätigen ist, handelt es sich nicht um die (erneute) Bewertung einer Prüfungsleistung.

Vielmehr geht es um die Bewertung eines Verhaltens des Promovenden, nämlich um die Frage, ob der Promovend bei den zuständigen Gremien vorsätzlich einen Irrtum über Tatsachen hervorgerufen hat, die für die Bewertung seiner Promotionsleistung erheblich gewesen sind.

Dies beinhaltet keinen prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum und führt dementsprechend auch nicht zu dem prüfungsrechtlichen Grundsatz, wo-nach andere als stimmberechtigte Mitglieder bei der abschließenden Beratung grundsätzlich nicht anwesend sein dürfen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger, leitender Oberarzt an einem deutschen Klinikum, wendet sich gegen die Entziehung seines Doktortitels.

Am 4. Februar 2011 erlangte er mit seiner Dissertation zu dem Thema "Determinanten der perioperativen Sterblichkeit von Dialysepatienten bei kardiochirurgischen Eingriffen" von der medizinischen Fakultät Charité - Universitätsmedizin Berlin - (nachfolgend: Beklagte) den akademischen Grad "Doktor der Medizin (Dr. med)". Im Rahmen des Promotionsverfahrens hatte der Kläger an Eides Statt versichert, die Dissertation selbst verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt sowie die Arbeit ohne (unzulässige) Hilfe Dritter verfasst zu haben sowie auch in Teilen keine Kopien anderer Arbeiten dargestellt zu haben. Zielstellung der in ihrer elektronischen Fassung insgesamt 75seitigen Arbeit war es, anhand eines Patientenkollektivs mit terminaler Niereninsuffizienz, bei dem ein kardiochirurgischer Eingriff vorgenommen wurde, Datenmaterial zur Bewertung des peri- und postoperativen Verlaufes und zur Ermöglichung einer individuelleren Risiko-Nutzen-Analyse zu erlangen. Initiiert und geleitet wurde die retrospektive multizentrische Untersuchung durch die Klinik für Herzchirurgie Schleswig-Holstein, die Studienbetreuung erfolgte durch das Deutsche Herzzentrum Berlin (DHZB) unter der Leitung von Prof. Dr. K ... , zugleich erster Gutachter der Arbeit. Die Arbeiten an dem Forschungsvorhaben hatten im Jahre 2004 begonnen. An dem Forschungsvorhaben hatte auch die Mitpromovierende Frau K ...  E ...  teilgenommen, die bereits im Jahre 2007 mit ihrer Arbeit "Herzchirurgische Eingriffe bei terminal niereninsuffizienten Patienten: Erkenntnisse über das long term follow-up" den akademischen Grad "Doktor der Medizin (Dr. med) an der Beklagten erlangte.

Die Arbeit des Klägers besteht aus insgesamt zehn Teilen, nämlich einer 19seitigen Einleitung ([1.] S. 6 - 25), einem zweiseitigen Methodikteil ([2.] S. 27-29), einer 13seitigen Darstellung der Ergebnisse ([3.] S. 31-44), einer sechsseitigen Diskussion ([4.] S. 45-51), einer zweiseitigen Schlussfolgerung ([Nr. 5] S. 55-56), dem Literaturverzeichnis ([6.] S 57-68), dem Lebenslauf ([7.] S. 68), einer Danksagung ([8.] S. 69) einem vierseitigen Anhang ([9.] S. 70-74) sowie der Erklärung zum eigenständigen Verfassen der Arbeit ([10.] S. 75).

In der Einleitung stellt der Kläger zunächst die Epidemiologie (Häufigkeit und Verteilung) und Art der verschiedenen Erkrankungen von Dialysepatienten dar, welche Risikofaktoren für eine erhöhte Mortalität und Morbidität bei kardiochirurgischen Eingriffen seien (i.e.: koronare Herzkrankheit [1.1.1.], erworbene Herzklappenveränderungen [1.1.2.], weitere kardiovaskuläre Erkrankungen [1.1.3.] wie Endokarditits, urämische Perikarditis, linksventrikuläre Hypertrophie, systolische und diastolische Dysfunktion, Hypertonie und Rhythmusstörungen, schließlich die Diabetis [1.1.4.]).

Nach dem kurzen Methodikteil stellt der Kläger im nachfolgenden Ergebnisteil zunächst tabellarisch, getrennt nach dem DHZB und dem Gesamtkollektiv, die Patientendaten (3.1.1., Geschlecht, Alter, BMI etc.), die Risikofaktoren beider Gruppen (3.1.2., Hypertonus, Myokardinfarkt etc.), die Begleiterkrankungen (3.1.3., arterielle Verschlusskrankheiten, Herzrhythmusstörungen etc.), die primären Ursachen des Nierenversagens und Dialysebeginn (3.1.4.), die kardialen Daten (3.2., i.e. kardiale Voroperationen [3.2.1.], die Schweregradeinteilung der Angina Pectoris [3.2.2.] und den Koronarstatus [3.2.3.]), schließlich die perioperativen Daten dar (3.3., i.e. perioperative Mortalität in Abhängigkeit von dem Typ der durchgeführten Herzoperation [3.3.1.], die Häufigkeit von Notoperationen [3.3.2.], die - allerdings vom Kläger statistisch nicht für relevant gehaltene - Mortalität beim Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine [3.3.3.], des Einflusses der Art der Kardioplegie [Herzstillstand] [3.3.4.], der Verwendung der Arteria Thoracica interna [3.3.5.], der Anzahl der Coronarbypässe [3.3.6.], die - allerdings vom Kläger nicht für relevant gehaltenen - praeoperaativen Laborparameter bzw. die praeoperative Medikation [3.3.7.] und die Wahl des Protesentyps [3.3.8.]). Sodann unterzieht der Kläger die verschiedenen Variablen einer tabellarisch dargestellten univariaten und multivariaten Analyse, um die wesentlichen Parameter zu ermitteln, die einen Einfluss auf die postoperative Mortalität haben (3.3.9.), um hieraus ein Score-System für die perioperative Mortalität zu entwickeln (3.3.10.).

In der Diskussion vergleicht der Kläger die Ergebnisse seiner Erhebung (des "deutschen Kollektivs"), getrennt nach Koronaroperation, 4.1.1, bzw. Herzklappenoperation, 4.1.2., schließlich mit den Ergebnissen weiterer, tabellarisch aufgelisteter Studien anderer Autoren (ohne sie allerdings wirklich in Beziehung zueinander zu setzen), um sodann in der Schlussfolgerung (5.) nochmals in losen Einzelpunkten den Untersuchungsgegenstand der Arbeit, einzelne Ergebnisse sowie die Ergebnisse anderer Arbeiten darzustellen, und zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass die Ergebnisse der Untersuchung eine verbesserte Operationsstrategie sowie eine verbesserte Operationsstrategie ermöglichten und zudem gesagt werden könne, dass bei niereninsuffizienten Patienten nicht zu lange mit einer anstehenden Operation gewartet werden dürfe.

Im August 2014 informierte die Internetplatfom VroniPlag Wiki die Beklagte darüber, dass die Dissertation des Klägers auf 62 % der Seiten der Arbeit zahlreiche wörtliche und sinngemäße Übereinstimmungen mit anderen Dissertationen aufweise, die sich nicht nur auf die Einleitung und den Methodikteil, sondern auch auf den Ergebnisteil und die Diskussion bezögen. Während viele Textübereinstimmungen sehr großflächig seien, gebe es auch Passagen, die sich aus kurzen Textbausteinen verschiedener anderer Quellen zusammensetzten. Zahlreiche Parallelen gebe es insbesondere zu der Dissertation von Dr. K ...  E ... , die in der untersuchten Dissertation keine Erwähnung finde. Quantitativ herausragende Übereinstimmungen gebe es ferner mit der Dissertation von K ...  S ... -K ...  ("Linksventrikuläre Herzfunktion bei Patienten mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz", 2002), der Dissertation von J ...  B ...  ("Gastrointestinaler Sauerstofftransport und Laktatstoffwechsel während des normothermen kardiopulmonalen Bypasses beim Menschen", 1998) sowie einem Beitrag von K ...  M ...  im Journal für Kardiologie - Austrian Journal of Cardiology ("Koronare Herzkrankheit mit eingeschränkter Nierenfunktion", 2003). Keine dieser Publikationen finde in der Dissertation im Text oder dem Literaturverzeichnis Erwähnung.

Die Ombudsperson der Beklagten führte hierauf mit Unterstützung der Geschäftsstelle Gute Wissenschaftliche Praxis Vorermittlungen durch. Im Mai 2015 beschloss die Fakultätsleitung, ein Hauptverfahren mit der Einsetzung einer Untersuchungskommission durchzuführen, die am 12. November 2015 nach Diskussion übereinstimmend die Entziehung des dem Kläger verliehenen akademischen Grades "Doktor der Medizin" empfahl. Die Promotionskommission schlug dem Vorstand der Beklagten im Februar 2016 vor, dem Kläger den verliehenen akademischen Grad zu entziehen. Gegen den Entziehungsbescheid des Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vom 18. Oktober 2016 erhob der Kläger vor dem Verwaltungsgericht die Klage VG 3 K 727.16.

In ihrer Sitzung vom 18. Oktober 2017 beschloss die Promotionskommission, ihren Beschluss über die Empfehlung zur Entziehung des Doktorgrades aufzuheben. Maßgeblich hierfür war die Erwägung, dass die Promotionskommission im Zeitpunkt ihrer Empfehlung nicht beschlussfähig gewesen sei. Mit Bescheid vom 30. Januar 2018 nahm der Vorstand der Charité den Bescheid über die Entziehung des Doktorgrades zurück. Die Beteiligten erklärten das Verfahren VG 3 K 726.16 hierauf übereinstimmend für erledigt.

Mit Beschluss vom 30. August 2018 gab die Fakultätsleitung das Verfahren erneut an die Promotionskommission ab zur Entscheidung über die Empfehlung der Untersuchungskommission zur Durchführung eines Verfahrens zur Entziehung des Doktorgrades.

Die Promotionskommission beschloss am 15. Oktober 2018 die Eröffnung eines weiteren Verfahrens zum Entzug des Doktorgrades. Ausweislich des Protokolls war in dieser Sitzung als "weiterer Gast" der Zeuge Dr. G ...  anwesend.

Der Kläger wurde hierüber mit Schreiben der Beklagten vom 26. November 2018 informiert und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben. Der Kläger machte mit Schriftsatz seiner damaligen Verfahrensbevollmächtigten geltend, dass mit Blick auf die ordnungsgemäße Besetzung der Promotionskommission nicht die Promotionsordnung aus dem Jahre 2017, sondern aus dem Jahre 2006 Anwendung finden müsse. Es sei davon auszugehen, dass die bei der Entziehung zu beachtende Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - abgelaufen sei.

Die Promotionskommission kam in ihrer Sitzung vom 9. September 2019 zu der Feststellung, dass in der Dissertation des Klägers im Einleitungskapitel 76 % der Wörter (4.558 von 5.945 Wörtern), im Methodikkapitel 71 % der Wörter (479 von 666 Wörtern), im Ergebniskapitel ca. 38 % der Wörter (853 von 2.226 Wörtern), im Diskussionskapitel ca. 49 % der Wörter (1.292 von 2.636 Wörtern) und in den Schlussfolgerungen ca. 35 % der Wörter (125 von 356 Wörtern) plagiiert seien. Mit 6:0:0 Stimmen beschloss sie, dem Vorstand der Charité vorzuschlagen, dem Kläger den Grad "Dr. der Medizin (Dr. med.)" zu entziehen. Wegen der Anwesenheit der Mitglieder aus dem Kreis der Hochschullehrer bzw. der stellvertretenden Mitglieder, der Mitglieder aus dem Kreis der wissenschaftlichen Mitarbeiter / innen bzw. der stellvertretenden Mitglieder und der studentischen Vertreter wird auf die vorgelegten Anwesenheitslisten verwiesen. Als "Gast" in dieser Sitzung war erneut der Zeuge Dr. G ...  zugegen.

Mit Bescheid vom 1. April 2020, den damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Klägers gegen Einschreiben mit Rückschein übermittelt und ausweislich des Rückscheins durch eine Angestellte der PIN AG am 2. April 2020 einer Angestellten übergeben, entzog die Beklagte - Der Vorstandsvorsitzende - dem Kläger den akademischen Grad "Doktor der Medizin (Dr. med.)" und verpflichtete ihn, die Urkunde über die Verleihung dieses Grades spätestens zwei Wochen nach Unanfechtbarkeit des Bescheides an die Charité - Universitätsmedizin Berlin, Promotionsbüro, herauszugeben.

Der Kläger hat mit elektronischem Schriftsatz vom 30. April 2020, der ausweislich des Prüfprotokolls am 4. Mai 2020, einem Montag, auf dem Server des Verwaltungsgerichts einging, Klage erhoben.

Nach Aufforderung gemäß § 87b Abs. 1 Satz 1 VwGO hat der Kläger die Klage innerhalb der gerichtlich gesetzten Frist wie folgt begründet: Die Ordnungsgemäßheit der Besetzung der Promotionskommission und deren Einsetzung durch den Fakultätsrat werde bestritten. Für die Besetzung der Promotionskommission sei die im Zeitpunkt der Verleihung des akademischen Grades und nicht die im Zeitpunkt der Entziehung dieses Grade geltende Promotionsordnung heranzuziehen gewesen. Jedenfalls hätte zumindest die Untersuchungskommission vorab erneut eine Prüfung vornehmen müssen. Ohnehin fehle es an einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage für die Entziehung. In materieller Hinsicht sei zu beanstanden, dass der streitgegenständliche Bescheid auf die Entscheidungen der Ombudsperson und der Promotionskommission, der Fakultätsleitung zur Einleitung des Hauptverfahrens sowie die Entscheidung der Untersuchungskommission aus dem Jahr 2015 Bezug nehme. Diese Vorgänge hätten aufgrund ihrer formellen Fehlerhaftigkeit in der Entscheidung nicht berücksichtigt werden dürfen. Sie seien gleichsam "verbraucht". Im Übrigen sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft, da der Vorstand nicht die in der Promotionsordnung aufgezeigten Alternativen der Beklagten, insbesondere die Rüge oder der Rückzug der Publikation, in Erwägung gezogen habe.

Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 31. August 2021 wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen wie folgt: Er habe seine Dissertation erst im Jahr 2010 fertigstellen können, da er die Arbeiten zwischenzeitlich aufgrund starker beruflicher Auslastung habe ruhen lassen müssen. Bei der Bearbeitung sei es über Monate zu gegenseitiger Unterstützung bei Archivarbeit, Datensammlung, Literaturrecherche, Kopien und Formulierungen durch Frau Dr. K ...  E ...  gekommen. Die Anwesenheit des Zeugen Dr. G ...  sei verfahrensfehlerhaft. Denn die bloße Anwesenheit weiterer Personen während einer Beratung von Prüfungsentscheidungen berge stets die Gefahr einer Einflussnahme. Auch die Frage, ob ein akademischer Grad durch Täuschung erworben worden sei, enthalte eine prüfungsspezifische Wertung. Nach der einschlägigen Bestimmung des Berliner Hochschulgesetzes über die Entziehung des akademischen Grades habe hierüber der Leiter auf Vorschlag desjenigen Gremiums zu entscheiden, welches für die Entscheidung über die dem akademischen Grad zugrunde liegenden Prüfungsleistung zuständig sei. Danach sei für die Empfehlung der Prüfungsausschuss bzw. das von der Promotionskommission bestellte Gremium zuständig gewesen. Im Übrigen sei von einem "Verbrauch" der bisherigen Entscheidungsgrundlagen auszugehen. Es entstehe der Eindruck, dass es bei dem "zweiten Anlauf" einzig und allein darum gegangen sei, die gleiche Entscheidung ohne Würdigung der Stellungnahme des Klägers zutreffen.

Bei der fehlenden Kenntlichmachung der Quellen handele es sich um handwerkliche Fehler ohne Täuschungsabsicht. Die Beklagte begründe ihre gegenteilige Wertung mit rein zahlenmäßigen Angaben. Etwaige Übereinstimmungen seien durch den ihm unterlaufenen methodischen Irrtum erklärbar, dass nicht allein die Primärquellen zu zitieren seien. Zwingend sei die Kenntlichmachung von Sekundärquellen ohnehin nur dann, wenn die Primärquelle ausnahmsweise ausschließlich durch erstere erschlossen, die Primärquelle also gar nicht eingesehen worden sei. Die auch von der Promotionskommission anerkannte unzureichende Betreuung der Arbeit sei für sein Fehlverhalten mitverantwortlich und nach der Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis zu berücksichtigen. Danach liege kein Fehlverhalten vor, wenn ohne Verschulden von Standards abgewichen worden sei.

Die Beklagte lasse außer Acht, dass er und Frau Dr. K ...  E ...  ihren Dissertationen die gleichen Studien zugrunde gelegt hätten. Deshalb habe es sich bei deren Dissertation auch nicht um eine zu zitierende Quelle gehandelt. Zwei Gutachter seiner Dissertation seien personenidentisch mit den Gutachtern der Arbeit von Frau Dr. K ...  E ...  gewesen, ohne seine eigene Arbeit zu beanstanden. Zu berücksichtigen sei auch, dass die deutsche Sprache nicht seine Muttersprache sei.

Die Entziehung sei verfristet. Die Bestimmung des § 48 Abs. 4 VwVfG werde nicht durch die spezielleren Bestimmungen des Berliner Hochschulgesetzes bzw. der Promotionsordnung verdrängt. Denn es handele sich hinsichtlich der Frist nicht um eine abschließende Regelung. Einige Hochschulgesetze der Länder verwiesen ausdrücklich auf die Rücknahmevorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Auch eine teleologische Betrachtung führe zu keiner anderen Beurteilung. Schutzwürdige Interessen wie der Ruf der verleihenden Einrichtung, die Redlichkeit der Wissenschaft oder die Nachhaltigkeit wissenschaftliche Arbeiten seien rein ideeller Natur, wohingegen beim Betroffenen umfassende subjektiv-rechtliche Beeinträchtigungen in Rede stünden. Selbst bei Unanwendbarkeit dieser Bestimmung könne daraus nicht geschlossen werden, dass die Behörde nach Kenntnis beliebig zuwarten können. Jedenfalls müsse die verstrichene Zeit Berücksichtigung bei der Frage finden, ob nach Treu und Glauben eine Entziehung noch als rechtmäßig angesehen werden könne.

Die Entscheidung sei schließlich ermessensfehlerhaft. Bringe die Behörde nicht zum Ausdruck, dass schon eine einzelne Ermessenserwägung sie zur Entscheidung veranlasst habe, sondern erst sämtliche Gründe, so führe bereits ein einzelner Ermessensfehler zur Rechtswidrigkeit, da kein selbstständig tragender Grund mehr verbleibe. Die Erwägungen der Beklagten zur Schwere des Verstoßes seien aber mit Blick auf die Entscheidung unzureichend und widersprüchlich. Die Beklagte selbst habe mit ihrer Feststellung, dass die tatsächlich erbrachte wissenschaftliche Leistung deutlich hinter derjenigen zurückbleibe, die täuschungsbedingt Grundlage der Titelverleihung gewesen sei, zum Ausdruck gebracht, dass in der Arbeit eine verbleibende wissenschaftliche Leistung erkennbar sei. Die Beklagte habe dementsprechend weitere Erwägung dazu anstellen müssen, ob die Entziehung des akademischen Grades unter Zugrundelegung der übrigen Leistung nicht habe vermieden werden können. Dass ihm unglaubwürdige Schutzbehauptungen unterstellt würden, lasse auf eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung schließen. Im Übrigen sei der Vorstand nicht von eigenen Ermessenserwägungen entbunden gewesen. Zu Unrecht gehe die Beklagte davon aus, dass seine Berufsausübung durch den Titelentzug nicht besonders betroffen sei, weil auch der Zugang insbesondere zu Leitungspositionen massiv erschwert werde.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1. April 2020 aufzuheben,

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor:

Die allgemeinen Bestimmungen über die Rücknahme von rechtswidrigen Verwaltungsakten seien durch die spezielleren hochschulrechtlichen Regelungen verdrängt.

Die Promotionskommission und der Vorstand hätten jeweils neue Beschlüsse gefasst und dabei die im voraufgegangenen Entziehungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigen dürfen; der von dem Kläger angenommene "Verbrauch" bestimmter Umstände sei nicht anzuerkennen.

Hinsichtlich der Anwesenheit des Zeugen Dr. G ...  bei den maßgeblichen Sitzungen der Promotionskommission verfange der Verweis des Klägers auf die "im Prüfungsrecht entwickelten Grundsätze" bereits deshalb nicht, weil die Frage des Erwerbs eines akademischen Grades durch Täuschung keine prüfungsspezifischen Wertung voraussetze. Unabhängig davon habe der Zeuge lediglich als Dienstkraft der akademischen Verwaltung zur Unterstützung des Promotionskommissionsvorsitzenden Prof. S ...  teilgenommen. Bei der Entscheidung über den Vorschlag zur Entziehung des Doktorgrades an den Vorstand habe er nicht mitgewirkt, wie sich aus dem Abstimmungsergebnis ergebe.

Soweit der Kläger bemängele, dass es keine erneute Überprüfung durch die Untersuchungskommission gegeben habe, bleibe unklar, welche Rechtsnormen er dabei in Bezug nehme, da die anwendbare Promotionsordnung solches nicht vorschreibe und das Verfahren nach der GWP-Satzung nicht Teil des Entziehungsverfahrens sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Dr. G ... . Wegen seiner Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift vom 2. November 2021 (Bl. 127 R - 128 R) verwiesen. Das Gericht hat den Verwaltungsvorgang ("Dia" - roter Leitzordner) sowie die Streitakte VG 3 K 726.16 zum Verfahren beigezogen. Diese Vorgänge sind, soweit erheblich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.

I. Sie ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Klage wurde insbesondere gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides vom 1. April 2020 erhoben. Nach § 7 VwVfG Bln in Verbindung mit § 4 Abs. 1 VwZG kann im Rahmen des Zustellungsverfahrens der Behörden Berlins ein Dokument durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder mittels Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. Gemäß § 4 Absatz 2 Satz 1 VwZG genügt zum Nachweis der Zustellung der Rückschein. Dies ist zugleich der Zeitpunkt, an dem die Zustellung als bewirkt gilt (vgl. Engelhardt/App/Schlatmann, Verwaltungszustellungsgesetz, 12. Aufl. 2021, § 4 Rn. 3). Da der Rückschein als Datum der Übergabe des Bescheides den 2. April 2020 ausweist, begann die Klagefrist hier gemäß § 57 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB am 3. April 2020 zu laufen und endete, da das Ende der Frist auf einen Sonntag fiel, gemäß § 222 Abs. 2 ZPO am Montag, den 4. Mai 2020.

II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten - Der Vorstandsvorsitzen-de - vom 1. April 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 VwGO.

1. Rechtsgrundlage für die Entziehung des Doktorgrades sind § 34 Abs. 7 Nr. 1 Alt. 1 des Gesetzes über die Hochschulen im Land Berlin in der hier noch maßgeblichen Fassung vom 26. Juli 2011 (GVBl. 2011, S. 3789) - BerlHG a.F. - sowie die Bestimmung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 der Promotionsordnung der medizinischen Fakultät Charité -Universitätsmedizin Berlin in der seit dem 2. November 2017 geltenden Fassung (Amtliches Mitteilungsblatt Nr. 198 vom 1. November 2017) - PromO 2017 -. Nach § 34 Abs 7 Nr. 1 BerlHG kann ein von einer staatlichen Hochschule gemäß § 1 Abs. 2 BerlHG verliehener akademischer Grad wieder entzogen werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist. Gleichlautend bestimmt § 15 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 PromO 2017, dass ein von der medizinischen Fakultät Charité -Universitätsmedizin Berlin verliehene Doktorgrad entzogen werden kann, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist.

Der dem Kläger verliehene Grad eines "Doktors der Medizin" ist nach § 35 Abs. 5 BerlHG a.F. ein solcher akademischer Grad (vgl. auch § 1 Abs. 1 Buchst. a PromO).

Die vorgenannten Bestimmungen sind durch den Berliner Hochschulgesetzgeber getroffen und durch die Beklagte in ihrer Promotionsordnung lediglich nachgezeichnet worden. Sie sind nach Wortlaut und Zweckbestimmung eindeutig. Inwiefern sie vor diesem Hintergrund gegen den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes oder den aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen könnten, erschließt sich daher nicht.

a) Die Entziehung des Doktorgrades ist formell rechtmäßig erfolgt.

aa) Die Entscheidung wurde von der zuständigen Stelle getroffen.

Über die Entziehung entscheidet gemäß § 34 Abs. 8 Satz 1 BerlHG a.F. der Leiter oder die Leiterin der Hochschule auf Vorschlag des Gremiums, das für die Entscheidung über die dem akademischen Grad zu Grunde liegenden Prüfungsleistungen zuständig ist.

Wer Leiter der Hochschule ist, bestimmt sich grundsätzlich nach § 52 Abs. 1 BerlHG a.F. Danach werden die Universitäten durch Präsidenten oder Präsidentinnen geleitet. Für die Beklagte (als Gesamtrechtsnachfolgerin der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin für die Human- und Zahnmedizin) gelten jedoch die Bestimmungen des Berliner Universitätsmedizingesetzes vom 5. Dezember 2005 (GVBl. 2005, 739) in der Fassung vom 14. September 2021 (GVBl. S. 1039) - BerlUniMedG - und die Bestimmungen des BerlHG (lediglich) ergänzend, soweit das UniMedG nichts anderes bestimmt, § 1 Abs. 1 Satz 2 UniMedG. Hinsichtlich der Leitung der Beklagten bestimmt § 14 Abs. 1 UniMedG in Abweichung von § 52 Abs. 1 BerlHG a.F, dass diese durch den Vorstand erfolgt. Entsprechendes und damit in Übereinstimmung mit höherrangigem Recht regelt § 15 Abs. 3 PromO 2017, wonach über die Entziehung der Vorstand der Charité entscheidet.

Der Vorstandsvorsitzende vertritt nach § 14 Abs. 8 Satz 1 UniMedG die Beklagte und hatte dementsprechend den Bescheid zu erlassen.

bb) Verfahrensfehler sind nicht feststellbar.

(1) Besteht nach § 15 Abs. 2 PromO 2017 hinreichend Verdacht, dass Gründe gemäß Abs. 1 vorliegen, eröffnet die Promotionskommission das Entziehungsverfahren (Satz 1). Nach Abbruch des ersten Entziehungsverfahrens und Rücknahme des Entziehungsbescheides vom 18. Oktober 2018 war hierüber eine erneute Entscheidung zu treffen. Die Einleitung eines weiteren Verfahrens war dabei nicht durch das vorausgegangene Verfahren gesperrt. Denn die Aufhebung des Bescheides vom 18. Oktober 2018 war aus formalen Gründen erfolgt. Eine gerichtliche Entscheidung, welche auf die materielle Rechtswidrigkeit der Entziehung des Doktorgrades erkannt hätte, lag nicht vor.

(2) Bei der Durchführung des Entziehungsverfahrens nach § 34 BerlHG a.F. waren Vorgaben der Satzung der Beklagten zu Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis vom 5. März 2018 (Amtliches Mitteilungsblatt Nr. 208 vom 29. März 2018) - GWP-Satzung - nicht zu beachten. Insbesondere bedurfte es entgegen der Auffassung des Klägers keiner vorherigen (erneuten) Befassung der Ständigen Untersuchungskommission nach § 11a GWP-Satzung.

Die Ehrenkodex-Satzungen der Hochschulen regeln oder ergänzen nicht das Verfahren zur Entziehung des akademischen Grades, sondern stehen neben diesen Bestimmungen und verfolgen einen eigenen Zweck (vgl. zuletzt VG Berlin, Urteil vom 27. Oktober 2020 - VG 12 K 68.19 -, juris Rn. 25). Nach § 1 Abs. 1 GWP-Satzung sollen deren Regelungen dazu beitragen, wissenschaftliches Fehlverhalten nach Möglichkeit zu vermeiden und dadurch die Qualität wissenschaftlicher Arbeit zu fördern. Dabei haben die gewählten Ombudspersonen nach § 11 GWP-Satzung u.a. die Aufgabe der Beratung, der Plausibilitätsprüfung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, des Berichts gegenüber dem Dekan und des Gedanken- und Meinungsaustausches mit verschiedenen anderen Stellen. Nach § 14 Abs. 4 und Abs. 5 GWP-Satzung haben die Ombudspersonen zudem auf der Grundlage der von der Geschäftsstelle für Gute Wissenschaftliche Praxis zusammengestellten Unterlagen über die Einleitung von Vorermittlungen und die zur Unterstützung der Vorermittlungen erforderlichen Maßnahmen zu entscheiden. Kann der Verdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht ausgeräumt werden, entscheidet nach § 14 Abs. 8 GWP-Satzung die Fakultätsleitung auf Vorschlag der Ombudsperson über die Einleitung des Hauptverfahrens nach § 15 GWP-Satzung. Die Ständige Untersuchungskommission nach § 11a GWP-Satzung ist für die Durchführung dieses Hauptverfahrens nach § 15 GWP-Satzung zuständig. Auf der Grundlage ihres Berichts nach § 16 Abs. 1 GWP-Satzung entscheidet die Fakultätsleitung bei der Annahme wissenschaftlichen Fehlverhaltens über die zu ergreifenden Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 GWP-Satzung, zum Beispiel den Ausspruch einer Rüge (Satz 2 Buchst. a), die Aufforderung zum Rückzug einer Publikation (Satz 2 Buchst. b und c) oder die Information der Öffentlichkeit (Satz Buchst. d). Die Entziehung des akademischen Grades zählt nicht zu den Befugnissen des jeweils zuständigen Entscheidungsgremiums. Wie bereits aus § 16 Abs. 4 GWP-Satzung folgt, wonach Maßnahmen gemäß dem Disziplinarrecht, Arbeitsrecht, Strafrecht, Zivilrecht, Haushaltsrecht, Ordnungsrecht und dem akademischen Prüfungsrecht unberührt bleiben, verweist die GWP-Satzung im Falle anderweitig geregelter Sanktionsbefugnisse bei wissenschaftlichem Fehlverhalten auf deren Bestimmungen. Dies gilt auch hinsichtlich der in diesen Bereichen geregelten Zuständigkeiten und Verfahrensvorschriften. Dementsprechend mag, wie im Falle des Klägers im Rahmen des ersten Verfahrens, der Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens bei der Anfertigung einer Dissertation zunächst zu Vorermittlungen und einem Hauptverfahren nach der GWP-Satzung führen, bevor erst im Anschluss über die Durchführung eines Entziehungsverfahrens nach § 34 BerlGH a.F. entschieden wird. Verfahrensrechtlich geboten ist dies indessen nicht (vgl. auch § 15 Abs. 6 GWP-Satzung, wonach die Untersuchungskommission bei gleichzeitig anhängigen gerichtlichen und disziplinarischen Verfahren, die im Wesentlichen dieselben Vorwürfe zum Gegenstand haben, das Ruhen des Hauptverfahrens beschließen kann).

(3) Nach § 34 Abs. 8 Satz 1 BerlHG a.F hat der Entscheidung ein Vorschlag des Gremiums vorauszugehen, welches für die Entscheidung über die dem akademischen Grad zugrunde liegenden Prüfungsleistungen zuständig ist.

Wenn im zugrunde liegenden Promotionsverfahren ein Prüfungsausschuss über die dem akademischen Grad zugrunde liegenden Prüfungsleistungen entschieden hat, beauftragt sie ein Gremium im Sinne von § 10 Abs. 4 PromO 2017, also ein Gremium, bestehend aus mindestens zwei Mitgliedern der ständigen Promotionskommission und zwei von der vorsitzenden Person der Promotionskommission zusätzlich bestellten sachverständigen Fachvertreterinnen / Fachvertretern, zu entscheiden, ob der Entzug des Doktorgrades dem Vorstand vorgeschlagen wird (Satz 2). Mit der Abnahme der Promotionsprüfung ist ein Prüfungsausschuss gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 PromO 2017 (nur) dann befasst, wenn die Prüfung in Form einer Disputation stattfindet (vgl. insbesondere § 10 Abs. 3 Buchst. b PromO 2017, wonach die Disputation vor dem Prüfungsausschuss zur Erlangung u.a. des Grades Dr. med, dann stattfindet wenn der Mittelwert der Gutachtennoten für die schriftliche Promotionsleistung gleich oder besser 1,0 [magna cum laude] ist und die promovierende Person bei der Eröffnung des Verfahrens die Disputation gewünscht hat [§ 8 Abs. 1 Buchst. I, Abs. 2 Buchst. c]. Dies war bei dem Kläger nicht der Fall. Denn seine Prüfung fand ausweislich des Verfahrensberichts der Beklagten vom 13. Juni 2018 (Bl. 90 des Verwaltungsvorgangs) in Form von drei Einzelprüfungen am 19. November, 1. Dezember und 2. Dezember 2010 statt.

Demensprechend war nach § 15 Abs. 2 Satz 3 PromO 2017 die Promotionskommission für den Vorschlag zuständig.

(4) Die Promotionskommission war ordnungsgemäß besetzt.

(i) Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, der die Kammer folgt, bestimmt sich die Zusammensetzung des Gremiums nach der im Zeitpunkt der Entziehung und nicht der im Zeitpunkt der Verleihung geltenden Bestimmungen. Die Regelung des § 34 Abs. 8 BerlHG meint nämlich dasjenige Gremium, das heute über die einer Promotion zugrunde liegenden Prüfungsleistung zu entscheiden hätte. Das ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Aus der Verwendung der Präsensform - "zuständig ist" - folgt die Anknüpfung an das aktuell für Promotionsprüfungen zuständige Gremium, das, wenn es - wie hier - kein ständiges Gremium ist, neu zusammengesetzt werden muss (vgl. OVG -Brandenburg, Urteil vom 12. Mai 2016 - OVG 5 B 11.15 - juris Rn. 40). Da das Promotionsverfahren des Klägers mit der Verleihung des Doktorgrades abgeschlossen war und es sich bei dem Entziehungsverfahren um ein neues, unabhängiges Verfahren handelt, kommt eine Fortgeltung der für den Kläger im Verleihungsverfahren geltenden Promotionsordnung vom 8. Dezember 2004 (Amtliches Mitteilungsblatt Nr. 14/2005) nicht in Betracht (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 21 Juni 2017 - BVerwG 6 C 3.16 - juris Rn. 10).

(ii) Nach § 4 Abs. 1 PromO 2017 überträgt der Fakultätsrat der Beklagten die mit der Promotion verbundenen Aufgaben der ständigen Promotionskommission, soweit die Promotionsordnung nichts anderes bestimmt (Satz 1). Die Promotionskommission wird vom Fakultätsrat eingesetzt und unterrichtet den Fakultätsrat über die Punktionsangelegenheiten (Satz 2). Seine Amtszeit entspricht derjenigen des Fakultätsrates (Satz 3). Nach Absatz 2 gehören der Promotionskommission als Mitglieder vier Hochschullehrerinnen / Hochschullehrer, zwei promovierter akademischen Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter und eine Studierende / ein Studierender an (Satz 1). Gemäß Absatz 3 werden für jedes Mitglied nach Absatz 2 vom Fakultätsrat Stellvertreterin/ Stellvertreter in ausreichender Zahl benannt.

Nach dem von der Beklagten vorgelegten Auszug aus dem Protokoll der 12. Sitzung des Fakultätsrates vom 6. November 2017 bestimmte dieser einstimmig mit Beschluss 12/10a/17 die in der Anlage 7 aufgeführten Mitglieder und deren jeweils benannte stellvertretende Mitglieder für die Promotionskommission (Verwaltungsvorgang Bl. 117 - 119). Ausweislich des Auszuges des Beschlusses des Fakultätsrates vom 3. Juni 2019 setzte er einstimmig ab diesem Zeitpunkt u.a. die in der Anlage aufgeführten Mitglieder der Promotionskommission neu ein (Bl. 60 - 62 der Streitakte) Mit Datum vom 2. September 2019 wurde u.a. aus der Gruppe der Studierenden nach Ausscheiden von Frau L ...  D ...  Herr P ...  H ...  von H ...  nachbenannt. Hiergegen hat der Kläger zuletzt auch keine Einwendungen mehr erhoben.

(iii) Die Beschlüsse der Promotionskommission sind ordnungsgemäß zustande gekommen.

Nach § 4 Abs. 5 PromO 2017 ist die Promotionskommission beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist (Satz 1). Wird sie nach Beschlussunfähigkeit zur Behandlung desselben Gegenstandes erneut einberufen, so ist in jedem Fall beschlussfähig, wenn in der Einladung hierauf hingewiesen (Satz 2). Die Promotionskommission fällt ihre Entscheidungen mit der einfachen Mehrheit der jeweils anwesenden Mitglieder (Satz 3). Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme der vorsitzenden Person den Ausschlag (Satz 4). Diesen Vorgaben wurde Rechnung getragen.

Bei dem Beschluss der Promotionskommission über die (erneute) Eröffnung des Entziehungsverfahrens vom 15. Oktober 2018 waren ausweislich der vorgelegten Anwesenheitslisten (Bl. 91 - 98 des Verwaltungsvorgangs) von den Mitgliedern aus dem Kreis der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer Frau Prof. Dr. A ...  B ... , Frau Prof. Dr. K ...  K ...  und Prof. Dr. M ...  S ... , aus dem Kreis der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter PD Dr. P ...  A ...  und PD Dr. A ...  B ...  anwesend. Soweit in den Anwesenheitslisten eine nicht durchgehende Anwesenheitszeit bzw. die nachfolgende Anwesenheit von abweichenden stellvertretenden Mitgliedern der Promotionskommission angegeben wird ("bis einschließlich O ... ", "bis 16.30 Uhr W ... ", "ab reguläre [und nicht vertrauliche] Sitzung") bezieht sich das nach den Angaben des Zeugen Dr. G ...  auf hier nicht relevante Zeiträume der insgesamt von 15.00 bis 18.20 Uhr dauernden Sitzung der Promotionskommission. Die vorgenannten Mitglieder waren nach den Ausführungen zur Nr. II. 1. a) bb) (4) (ii) vom Fakultätsrat als reguläre Mitglieder der Promotionskommission eingesetzt worden (Bl. 118 des Verwaltungsvorgangs). Bei der Anwesenheit von fünf stimmberechtigten Mitgliedern in der Sitzung war die Promotionskommission beschlussfähig. Die Entscheidung für die Eröffnung des Entziehungsverfahrens erfolgte einstimmig.

Gleiches gilt für die Sitzung der Promotionskommission vom 10. September 2019, in der gegenüber dem Vorstand der Beklagten die Beschlussempfehlung erfolgte, den akademischen Grad des Klägers zu entziehen. Nach den vorgelegten Anwesenheitslisten (Bl. 127 - 129) waren Frau Prof. Dr. Antje Behling und Prof. Dr. Michael Schäfer sowie für die verhinderte Frau Prof. Dr. K ...  K ...  Herr Prof. Dr. C ...  S ... , aus dem Kreis der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter PD Dr. P ...  A ...  sowie für die verhinderte PD Dr. A ...  B ... , PD Dr. S ...  M ... . aus dem Kreis der Studierenden schließlich Herr P ...  H ...  von H ...  anwesend. Die Mitglieder waren nach den Ausführungen zur Nr. II. 1. a) bb) (4) (ii) vom Fakultätsrat im Jahre 2019 als reguläre neue Mitglieder der Promotionskommission bestätigt bzw. nachbenannt worden (Bl. 57, 61 f. der Verwaltungsstreitakte). Bei der Anwesenheit von sechs stimmberechtigten Mitgliedern in der Sitzung - da es sich nicht um eine Angelegenheit der Leistungsbewertung handelte, war das studentische Mitglied nach § 4 Abs. 2 Satz 2 PromO 2017 gleichfalls stimmberechtigt - lag Beschlussfähigkeit der Promotionskommission vor. Der Beschluss zum Vorschlag zur Entziehung des akademischen Grades erfolgte einstimmig.

(iv) Die Anwesenheit eines nicht stimmberechtigten Mitgliedes, des Zeugen Dr. G ... , "als weiterer Gast" bei den jeweiligen Beschlussfassungen der Promotionskommission, ist hier nicht zu beanstanden.

Sie begründete keinen Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen oder Vorgaben der Beklagten.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 BerlHG a.F. in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 2 UniMedG ist die Promotionskommission eine Kommission des Fachbereichsrates. Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 der im Termin zur mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen Geschäftsordnung des Fakultätsrates - GO FR - gilt die Geschäftsordnung für die Kommissionen des Fakultätsrates sinngemäß. Gemäß § 5 Abs. 5 GO FR können Dienstkräfte der akademischen Verwaltung des Dekans an den Sitzungen mit Rederecht teilnehmen. Der Zeuge Dr. G ...  ist nach seinen eigenen Angaben gegenüber der Kammer Dienstkraft der akademischen Verwaltung und trat in den Sitzungen der Promotionskommission auch in dieser Eigenschaft auf. Der Zeuge beschrieb seine Rolle als persönlicher Referent des Vorsitzenden der Promotionskommission, der bei Bedarf Fragen zum Sachbericht, dem Verfahren oder bestimmten Unterlagen zu beantworten habe.

Ebenso wenig verstieß die Anwesenheit einer Dienstkraft der akademischen Verwaltung der Beklagten, auch in der Phase der Abstimmung der Promotionskommission, gegen maßgebliche prüfungsrechtliche Grundsätze. Bei der von der Promotionskommission in Anwendung der Bestimmung des § 34 Abs. 7 Nr. 1 Alt. 1 BerlHG zu beurteilenden Frage, ob ein akademischer Grad durch Täuschung erworben und das eingeräumte Ermessen im Sinne einer Entziehung zu betätigen ist, handelt es sich nicht um die (erneute) Bewertung einer Prüfungsleistung (zweifelnd auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Mai 2016 - OVG 5 B 11.15 - a.a.O. Rn. 44). Vielmehr geht es um die Bewertung eines Verhaltens des Promovenden, nämlich um die Frage, ob der Promovend bei den zuständigen Gremien vorsätzlich einen Irrtum über Tatsachen hervorgerufen hat, die für die Bewertung seiner Promotionsleistung erheblich gewesen sind (dazu sogleich). Dies beinhaltet keinen prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum und führt dementsprechend auch nicht zu dem prüfungsrechtlichen Grundsatz, wonach andere als stimmberechtigte Mitglieder bei der abschließenden Beratung grundsätzlich nicht anwesend sein dürfen (vgl. dazu Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht 7. Aufl. 2018, Rn. 425). Ob es im Einzelfall dennoch zu einem Verfahrensfehler führen kann, wenn ein nicht stimmberechtigtes Mitglied der Verwaltung seine Rolle als die Mitglieder der Promotionskommission bei der Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts unterstützendes Organ verlässt und in unzulässiger bzw. unsachlicher Weise Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nimmt, mag auf sich beruhen. Denn die Beweisaufnahme hat keine Anhaltspunkte für eine solche Grenzüberschreitung ergeben.

(5) Die gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung - VwVfG - Bln - in Verbindung mit § 28 Abs. 1 VwVfG erforderliche Anhörung des Klägers wurde durchgeführt.

b) Die Entziehung des Doktorgrades ist materiell rechtmäßig.

aa) Tatbestandsvoraussetzung für die Entziehung ist gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 PromO 2017 wie nach § 34 Abs. 7 Nr. 1 Alt. 1 BerlHG a.F., dass sich nachträglich herausstellt, dass der verliehene akademische Grad durch Täuschung erworben worden ist. Eine Täuschung liegt vor, wenn der Promovend bei den zuständigen Gremien vorsätzlich einen Irrtum über Tatsachen hervorruft, die für die Bewertung einer Promotionsleistung erheblich sind. Er muss wider besseren Wissens vorspiegeln, bei der Erbringung dieser Leistungen, insbesondere bei der Anfertigung der Dissertation, grundlegende wissenschaftliche Pflichten beachtet zu haben, die sich aus Gesetz und Promotionsordnung ergeben. Schlechthin grundlegend ist die Pflicht, das Gebot der Eigenständigkeit der Promotionsleistungen zu erfüllen. Der Promovend muss einen eigenen Beitrag zum Wissenschaftsprozess erbringen; er darf nicht fremde Beiträge als eigene ausgeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2017 - BVerwG 6 C 3.16 - juris Rn. 42, 43). Denn durch die Promotion wird über den ordentlichen Hochschulabschluss hinaus eine besondere wissenschaftliche Qualifikation durch eigene Forschungsleistungen nachgewiesen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 der im Zeitpunkt der Promotion des Klägers geltenden PromO 2004, wonach die Promotion eine in selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit verfasste Abhandlung und eine in sich geschlossene Abhandlung der Forschungsarbeiten und ihrer Ergebnisse sein muss, die einen Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis zum Gegenstand hat.) Die Pflicht, eine eigene wissenschaftliche Leistung zu erbringen, wird durch die Pflicht ergänzt, Übernahmen aus Arbeiten anderer durch Zitate der Originalquelle offenzulegen. Die Beachtung des Zitiergebots ist unverzichtbar, um beurteilen zu können, ob der Promovend das Gebot der Eigenständigkeit erfüllt hat (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2017- BVerwG 6 C 3.16 - a.a.O., Rn. 43).

(1) Ob die Dissertation noch als Eigenleistung des Promovenden gelten kann, entzieht sich einer allgemeingültigen Bewertung. Maßgebend ist die Würdigung des jeweiligen Sachverhalts. Hierfür sind die Anzahl der Plagiatsstellen, ihr quantitativer Anteil an der Dissertation sowie ihr qualitatives Gewicht, das heißt ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Aussagekraft der Arbeit, zu berücksichtigen. Die Plagiatsstellen müssen die Arbeit quantitativ, qualitativ oder in einer Gesamtschau beider Möglichkeiten prägen. Eine quantitative Prägung ist zu bejahen, wenn die Anzahl der Plagiatsstellen und deren Anteil an der Arbeit angesichts des Gesamtumfangs überhandnehmen. Derartige Passagen prägen die Arbeit qualitativ, wenn die restliche Dissertation den inhaltlichen Anforderungen an eine beachtliche wissenschaftliche Leistung nicht genügt.

Die Promotionskommission ist nach diesen Maßstäben zu Recht von einer sowohl quantitativen als auch qualitativen Prägung der Arbeit des Klägers durch Plagiate ausgegangen. Dabei hat sie nicht lediglich "Wörter gezählt", sondern die gesamte Arbeit des Klägers mit den jeweils einzelnen Kapiteln in den Blick genommen. Der erhebliche Umfang der nicht gekennzeichneten Übernahmen fremder wissenschaftlicher Leistungen ergibt sich aus der detaillierten Zusammenstellung der verschiedenen Passagen der Arbeiten des Klägers und deren Zuordnung zu den jeweiligen Werken anderer Autoren (Bl. 2 - 34 des Verwaltungsvorgangs), denen der Kläger im Einzelnen auch nicht entgegengetreten ist. Die gesamte Arbeit des Klägers ist danach geprägt durch die Verwendung entweder von Komplettplagiaten, also die wortwörtliche Übernahme von Textstellen aus einem anderen Werk, oder durch die verschleiernde Übernahme solcher Textstellen in dem Sinne, dass lediglich ein einzelnes Wort ausgetauscht oder eine einzelne Satzstruktur verändert worden ist. Dabei erstrecken sich die Plagiate in der Regel zusammenhängend über viele Seiten, wie beispielsweise etwa in der Einleitung die Ausführungen zu den koronaren Herzerkrankungen auf den Seiten 9 - 11 (Komplettplagiat, entnommen dem Werk von Karl Mulac im Journal für Kardiologie - Austrian Journal of Cardiology, "Koronare Herzkrankheit mit eingeschränkter Nierenfunktion", 2003) sowie im Anschluss zu den weiteren Erkrankungen auf den Seiten 12 - 27. (Komplettplagiat bzw. Verschleierung, zusammengesetzt aus den Werken von K ...  M ... , a.a.O., K ...  S ... , "Linksventrikuläre Herzfunktion bei Patienten mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz", 2002, H ...  S ... , "Prävalenz von generellen und entzündlichen Herzklappenerkrankungen bei Patienten mit chronischen Ulzerationen im Rahmen eines diabetischen Fußsyndroms", 2003, J ...  B ... , " Gastrointestinaler Sauerstofftransport und Laktatstoffwechsel während des normothermen kardiopulmonalen Bypasses beim Menschen", 1998, R ...  B ... , "Perioperative Mortalität bei Niereninsuffizienz, 2008, sowie K ...  E ... , "Herzchirurgische Eingriffe bei terminal niereninsuffizienten Patienten: Erkenntnisse über das long term follow-up", 2007). Erschwerend kommt hinzu, dass sich die nicht gekennzeichneten Übernahmen nicht nur auf diesen allgemeinen Einleitungs- sondern auch auf den Methodikteil und das zentrale Kapitel erstrecken, in dem die Ergebnisse der eigenen Studie des Klägers präsentiert werden. Hier übernimmt der Kläger in weiten Teilen wörtlich und im Übrigen verschleiernd aus dem Werk von Dr. K ...  E ...  deren Ergebnisse und Schlussfolgerungen im Rahmen des gemeinsamen Forschungsvorhabens (Seiten 26 - 52). Dass der Kläger ausgerechnet diese wichtige Quelle nicht erwähnt, die sich - wenn auch mit anderer Schwerpunktsetzung ("Determinanten der Langzeitüberlebensrate") als die Arbeit des Klägers ("Determinanten der perioperativen Sterblichkeit") - mit ähnlichen Fragen der Risiken von Dialysepatienten bei kardiochirurgischen Eingriffen befasst, ist klarer Beleg für die Annahme, dass der Kläger die Leistungen eines fremden Forschungsvorhabens als das Ergebnis des eigenen Forschungsvorhabens darzustellen versucht. Das gilt auch für den sich anschließenden Diskussionsteil, dessen Ausführungen verschleiernd in wesentlichen Teilen ebenfalls dem Werk von Dr. K ...  E ...  sowie dem Werk von U ...  M ...  et al "Herzchirurgie bei Patienten mit terminaler dialysepflichtiger Niereninsuffizienz", 2002, entnommen sind.

Die von dem Kläger in seinem Literaturverzeichnis angeführten Quellenangaben, welche sich allerdings nicht auf die vorstehenden Werke beziehen, widerlegen die Annahme einer Täuschung nicht. Denn es entspricht wissenschaftlicher Redlichkeit und der berechtigten Erwartung des Lesers eines wissenschaftlichen Werkes, dass Quellenangaben grundsätzlich bei den jeweiligen Textstellen als Zitate kenntlich gemacht werden (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. November 2019 - 9 S 307/19 - juris Rn. 13; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Oktober 2017 - 6 A 1586/16 - juris). Insbesondere gehen die Erwägungen des Klägers zu dem Zitat von Primär- und Sekundärquellen fehl. Von einer sanktionsfähigen Täuschungshandlung ist auch dann auszugehen, wenn lediglich die sog. "Letztquelle", also der Ursprung der inhaltlichen Aussage, nicht aber die Zwischenquelle zitiert wird, aus der die wörtliche Übernahme der Textpassage stammt, die ihrerseits wiederum auf die Letztquelle verweisen mag. Denn auch dann verschweigt der Autor, dass er die durch seinen Text widergespiegelte Interpretation der "Letztquelle" und deren semantische Wiedergabe nicht selbst vorgenommen hat, sondern im Wortlaut identisch aus einer Zwischenquelle übernommen hat (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. November 2011 - OVG 10 N 48.09 - Juris Rn. 10 f.). Letztlich ist vom Promovierenden zu fordern, dass er jeden Gedankengang und jede Fußnote, die ihren Ursprung nicht in seiner eigenen gedanklichen Leistung, sondern im Werk eines Anderen hat, sowie alle aus fremden Werken wörtlich übernommenen oder ähnlichen Textpassagen ausnahmslos als solche kenntlich macht. Insbesondere muss er auch indirekte, umschreibende Fremdtextwiedergaben (Paraphrasierungen) so deutlich kennzeichnen, dass der Leser an jeder Stelle weiß, wer zu wem spricht (vgl. Fischer/Niehues/Jeremias, Prüfungsrecht 7. Aufl. 2018, Rn. 233 m.w.N.).

Die Annahme eines Bagatellverstoßes oder eines lediglich handwerklichen Fehlers ohne Täuschungsabsicht liegt vor diesem Hintergrund fern.

(2) Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt.

Bereits ein bedingter Vorsatz ist ausreichend. Bedingt vorsätzlich in diesem Sinne handelt, wer die Verwirklichung der objektiven Umstände für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. November 2019 - 9 S 307/19 - juris Rn. 17). Der Kläger nahm es zumindest billigend in Kauf, dass die Promotionskommission über die Urheberschaft wesentlicher Teile der Dissertation getäuscht wurde. Denn der Kläger übernahm in nicht unwesentlichen Umfang Textpassagen aus Werken Dritter, die er in diesem Zusammenhang überhaupt nicht oder aber nicht hinreichend zitiert hatte, so dass die Gutachter davon ausgehen mussten, dass diese Textteile entweder vollständig von dem Kläger selbst formuliert wurden oder der Kläger lediglich einige Sätze der zitierten Quelle, nicht aber ganze Absätze entnommen hat.

Dass ihm geraten worden sein soll, sein Literaturverzeichnis um die verwendeten "Sekundärquellen" zu bereinigen, ist eine substanzlose Behauptung geblieben. In jedem Falle muss dem Kläger klar gewesen sein, dass hierdurch die Urheberschaft wesentlicher Teile seiner Arbeit verschleiert worden wäre.

(3) Die Täuschung ist auch ursächlich für die Verleihung des Doktorgrades gewesen. Denn es kann in Anbetracht der Vielzahl der ungekennzeichneten Wiedergaben fremder Textpassagen und fehlender Kenntlichmachung der Quellen nicht davon ausgegangen werden, dass die Promotionskommission die Arbeit in Kenntnis des Umfangs der Plagiate angenommen und bewertet hätte. Allein der von dem Kläger geltend gemachte Umstand, dass seine Dissertation und die plagiierte Dissertation von Frau. Dr. K ...  E ...  aus dem gleichen Forschungsvorhaben hervorgegangen sind, ohne dass die Übereinstimmungen von den Gutachtern beanstandet worden seien, bietet keinen Ansatzpunkt für die Annahme, dass den Gutachtern die Inhaltsgleichheit bzw. Ähnlichkeit der beiden Arbeiten bekannt gewesen sein könnte, zumal zwischen der Annahme der beiden Arbeiten ein Zeitraum von rund vier Jahren lag.

bb) Einer Rücknahme steht nicht die Bestimmung des § 1 Abs. 1 VwVfG Bln in Verbindung mit § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG entgegen, wonach die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes in den Fällen, in denen die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig ist.

Zuzugeben ist dem Kläger, dass die Bestimmung des § 48 VwVfG als Rechtsgrundalge für den Entzug des Doktorgrades grundsätzlich in Betracht kommt, soweit es an spezialgesetzlichen hochschulrechtlichen Regelungen fehlt (vgl. Bay VGH, Urteil vom 4. April 2006 - 7 BV 05.388 -, BayVBl. 2007, S 281; Juris Rn. 11 -). Bei Spezialvorschriften, welche die Aufhebungsproblematik nicht insgesamt regeln, können die Bestimmungen des § 48 f. VwVfG oder deren Rechtsgrundsätze partiell anwendbar bleiben. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich im Einzelfall danach, ob die Spezialregelung nach ihrem Sinn und Zweck eine abschließende Regelung darstellt und damit die allgemeinen Regelungen insgesamt verdrängt.

Es spricht viel dafür, dass die Bestimmung des § 34 Abs. 7 Nr. 1 Alt. 1 BerlHG, welche auf die Bestimmung des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht verweist, eine derartige abschließende Regelung darstellt. Denn ihr liegt die generelle Erwägung zugrunde, dass ein etwaiges Vertrauen in den Bestand eines durch Täuschung erlangten akademischen Grades nicht schutzwürdig ist und auch durch Zeitablauf nicht schutzwürdig wird. Dies kann jedoch auf sich beruhen. Jedenfalls würde bei Anwendbarkeit von § 1 Abs. 1 VwVfG Bln in Verbindung mit § 48 Abs. 4 VwVfG die Bestimmung des Satz 2 eine bei der Rücknahme zu beachtende Frist ausschließen. Danach gilt die Jahresfrist in den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1, also der Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, nicht. Eine arglistige Täuschung in diesem Sinne liegt dann vor, wenn die vorsätzliche Irreführung darauf gerichtet ist, auf den Erklärungswillen der Behörde einzuwirken (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 48 Rn. 152). Der Begriff der Arglist stellt damit keine höheren Anforderungen als die im Rahmen der Erörterung der materiellen Rücknahmevoraussetzungen erörterten Voraussetzungen.

cc) Die Entscheidung erfolgte ermessensfehlerfrei.

Der Beklagten ist, wie sich aus dem Bescheid vom 1. April 2020 eindeutig ergibt, der Umstand des ihr eingeräumten Ermessens bewusst gewesen.

Sie ist bei Ihrer Entscheidung von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Die an den Anfang der Erwägungen gestellte Wertung, dass der Umfang der durch den Kläger begangenen Täuschung erheblich war, ist nach den vorstehenden Ausführungen nicht zu beanstanden. Die Annahme eines "Verbrauches" voraufgegangener Erwägungen im ersten Entziehungsverfahren liegt dabei fern. Die Promotionskommission und der Vorstand der Beklagten hatten den Vorgang nach erneuter Befassung umfassend zu prüfen, waren dabei jedoch nicht gehindert, sich frühere Einschätzungen anderer Stellen zu eigen zu machen.

Das Ergreifen milderer Maßnahme wurde erwogen und ohne Rechtsfehler verworfen, zumal zweifelhaft ist, ob das Regelungsregime des § 37 Absätze 7 und 8 BerlHG die Möglichkeit einer Rüge oder der weiteren der in der GWP-Satzung in § 16 Abs. 2 aufgeführten Maßnahmen überhaupt zulässt oder sperrt (vgl. dazu die von der FU im Fall Giffey in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. Battis vom 4. November 2020 [https://www.fu- berlin.de/presse/informationen/fup/ 2020/fup_20_210_battis-gutachten-instrument- ruege/2020-11-04-BerlHG-Gutachten-Battis.pdf] einerseits sowie das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 31. Juli 2020 zu einer Reihe von Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Entzug eines Doktortitels aufgrund der Aufdeckung von Plagiaten [http://tp-presseagentur.de/wp-content/uploads/2021/01/200731_Gutachten-Entzug-Doktortitel.pdf] andererseits).

Die Beklagte ist bei ihrer Ermessungsentscheidung im Übrigen von zu Gunsten des Klägers sprechenden Umständen ausgegangen, nämlich, dass die in der Dissertation verwendeten wissenschaftlichen Daten nicht ihrerseits Gegenstand einer Übernahme, sondern von dem Kläger selbst erhoben worden waren, dass die Betreuung der Arbeit "nicht optimal" gewesen sei und dass der Kläger glaubhaftes Bedauern ob des eigenen Fehlverhaltens gezeigt habe. Dass die Beklagte diese Gesichtspunkte in Anbetracht der Schwere der Täuschung als nicht als ausreichend angesehen hat, um von einer Entziehung des Doktorgrades abzusehen, hält sich im Rahmen ihres Ermessensspielraums. Sie hat auch keine zu Gunsten des Klägers einzustellenden besonderen Umstände verkannt. Die Approbation des Klägers ist nicht vom Fortbestand seines akademischen Grades abhängig. Der mit der Entziehung womöglich verbundene Verlust an Ansehen und die etwaige Erschwerung eines weiteren beruflichen Aufstiegs ist, wenn schon nicht typische, so doch in Rechnung zu stellende Folge der Maßnahme. Konkretere Folgen hat der Kläger im Übrigen auch nicht geltend gemacht.

2. Die Aufforderung der Herausgabe der Promotionsurkunde nach Bestandskraft der Entziehung beruht auf § 52 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin. Danach kann die Behörde, wenn ein Verwaltungsakt unanfechtbar widerrufen oder zurückgenommen ist, die aufgrund dieses Verwaltungsaktes erteilten Urkunden, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern. Beanstandungsfrei hat die Beklagte angenommen, dass das eröffnete Ermessen hier auf Null reduziert ist, da kein Grund ersichtlich ist, dem Kläger die Urkunde zu belassen (vgl. VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009 - 3 A 319.05 - juris Rn. 60).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.

Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil keiner der in §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO bezeichneten Gründe vorliegt.