OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.11.2021 - 6 A 3742/19
Fundstelle
openJur 2021, 44486
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 8.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils liegen nicht vor.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO können nur dann bestehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragsbegründung nicht.

Erfolglos macht der Kläger geltend, es genüge für die in Rede stehende Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf vor Beendigung des Vorbereitungsdienstes nicht, dass die charakterliche Ungeeignetheit wahrscheinlich sei; sie müsse vielmehr feststehen. Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung zutreffend davon ausgegangen, dass bereits berechtigte Zweifel der Entlassungsbehörde an der charakterlichen Eignung des Beamten für sein Amt dessen Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf rechtfertigen können. Gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG können Beamte auf Widerruf jederzeit entlassen werden, wobei hierfür jeder sachliche, d.h. nicht willkürliche Grund, genügt. Sachlicher Grund kann auch die Annahme mangelnder charakterlicher Eignung sein. Hierfür ist die Einschätzung entscheidend, inwieweit der Beamte der von ihm zu fordernden Loyalität, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Fähigkeit zur Zusammenarbeit und Dienstauffassung gerecht werden wird. Dies erfordert eine wertende Würdigung aller Aspekte des Verhaltens des Beamten, die einen Rückschluss auf die für die charakterliche Eignung relevanten persönlichen Merkmale zulassen. Die Einschätzung der charakterlichen Eignung ist dem Dienstherrn vorbehalten. Liegen berechtigte Zweifel der Entlassungsbehörde an der persönlichen Eignung des Beamten vor, kann diese dessen Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf verfügen; der Nachweis eines konkreten Dienstvergehens ist hierfür nicht erforderlich. Eignungszweifel können sich dabei sowohl aus dem dienstlichen als auch dem außerdienstlichen Verhalten ergeben.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 19. Oktober 2020 - 6 B 1062/20 -, juris Rn. 5- 9; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7. Mai 2020 - 1 M 51/20 -, juris Rn. 5 m. w. N.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juli 2019 - OVG 4 S 20.19 -, juris Rn. 5; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 7. April 2009 - 5 ME 25/09 -, DÖD 2009, 251 = juris Rn. 8; siehe auch BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1981 - 2 C 48.78 -, BVerwGE 62, 267 = juris Rn. 20.

Die angefochtene Entscheidung geht ebenfalls zutreffend davon aus, dass eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf bereits vor Beendigung des Vorbereitungsdienstes und Ablegung der Abschlussprüfungen möglich ist. Zwar soll gemäß § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG dem Betroffenen Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung gegeben werden. Diese Sollvorschrift bedeutet eine Einschränkung des dem Dienstherrn nach § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG eingeräumten weiten Ermessens dahin, dass eine Entlassung des Beamten auf Widerruf bereits vor Beendigung des Vorbereitungsdienstes grundsätzlich nur aus einem solchen sachlichen Grund in Betracht kommt, der mit dem Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes im Einklang steht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1981 - 2 C 48.78 -, BVerwGE 62, 267 = juris Rn. 21; OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 - 6 A 3083/06 -, NWVBl 2010, 183 = juris Rn. 117.

Demnach kann eine Entlassung gerechtfertigt sein, wenn der Beamte das Ziel des Vorbereitungsdienstes, nämlich den Erwerb der Befähigung für die angestrebte Laufbahn, aufgrund nachhaltig unzureichender Leistungen auch bei wohlwollender Betrachtung aller Voraussicht nach nicht erreichen wird und die Fortsetzung der Ausbildung damit sinnlos ist oder wenn absehbar ist, dass der Beamte die persönlichen Eignungsanforderungen für die angestrebte Beamtenlaufbahn nicht erfüllen wird.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1981 - 2 C 48.78 -, a. a. O. Rn. 21; OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 - 6 A 3083/06 -, a. a. O. Rn. 119.

Handelt es sich um einen Vorbereitungsdienst, der - wie hier - keine allgemeine Ausbildungsstätte im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG darstellt, sondern mit dem der Staat für seinen eigenen Bedarf ausbildet, darf der Dienstherr dabei die persönliche Eignung an den Maßstäben messen, die er für die Übertragung eines Amts auf Lebenszeit zugrunde legt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2019 - 6 B 1551/18 -, juris Rn. 22 m. w. N.

Diese Annahme zieht der Kläger mit seinem Verweis auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Juli 2019 - OVG 4 S 20.19 -, a. a. O. Rn. 12, nicht durchgreifend in Zweifel. Nach dieser Entscheidung soll eine Entlassung vor Beendigung des Vorbereitungsdienstes nicht zulässig sein, wenn etwaige negative äußere Tatsachen, aus denen sich im Falle ihres Vorliegens auf eine charakterliche Nichteignung schließen ließe, nicht erwiesen sind. Hieraus kann der Kläger aber schon deshalb nichts für sich herleiten, weil das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zur Begründung maßgeblich auf § 20 Abs. 2 der Verordnung über die Laufbahnen der Beamtinnen und Beamten des Polizeivollzugsdienstes - Schutzpolizei, Kriminalpolizei, Gewerbeaußendienst (Pol-LVO) a. F. (nunmehr § 21 Abs. 2 Pol-LVO vom 3. September 2021) verweist, wonach "zu entlassen [ist], wer sich während des Vorbereitungsdienstes nach den dienstlichen Leistungen, den Fähigkeiten sowie nach der Persönlichkeit als nicht geeignet erweist". Diese Vorschrift findet in dem hier maßgeblichen nordrheinwestfälischen Landesrecht keine Entsprechung.

Der Kläger zeigt mit seinem Zulassungsvorbringen auch nicht auf, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, es lägen berechtigte Zweifel an der charakterlichen und damit persönlichen Eignung des Klägers vor, die seiner Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe bzw. Lebenszeit entgegenstehen würden, und die daher seine Entlassung auch schon vor der Beendigung des Vorbereitungsdienstes rechtfertigten, ernstlichen Zweifeln unterliegt.

Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, der Kläger habe ausweislich der bei ihm aufgefundenen Chat-Verläufe während seines Vorbereitungsdienstes engen persönlichen Kontakt nicht nur mit einfachen Mitgliedern oder Mitläufern des Rockermilieus, sondern teilweise mit hochrangigen Funktionsträgern der C. gehabt, und zwar in einer länger andauernden, freundschaftlichen Beziehung. Hierzu zählten etwa der "Q. " des "C. MC D. I. O. ", Herr E. , sowie die Mitglieder bzw. ehemaligen Mitglieder der C. Herr E1. (in der Funktion eines "T. at B. ") und Herr E2. . Der Kläger und Herr E. hätten sich gegenseitig mit "Bruder", "Bro" oder "Bratko" angesprochen, wobei die letzten beiden Begriffe in verschiedenen slawischen Sprachen die Bedeutung von "Bruder" bzw. "Brüderchen" hätten. Ein Näheverhältnis zwischen dem Kläger und Herrn E. werde auch dadurch indiziert, dass Herr E. dem Kläger am 26. März 2017, einen Tag nach dem tatsächlichen Datum, nachträglich zum Geburtstag gratuliert habe, woraus zu schließen sei, dass ihm offensichtlich persönliche Daten des Klägers bekannt seien. In einem Chat vom 8. April 2017 hätten sich der Kläger und Herr E. zudem über die Tätigkeit des Antragstellers als Polizist unterhalten, wobei der Kläger auf die Bemerkung seines Gesprächspartners, er habe das "Potenzial vernünftiger Gangster zu werden", sei aber "wieder den falschen Weg" gegangen, erwidert habe, er fahre "2gleisig". Zudem habe er auf den Hinweis von Herrn E. , dass der Rockerclub jemanden brauche, der sie decke, mitgeteilt, dass man das bestimmt hinbekommen werde. Auch wenn der Austausch dieser Botschaften durch den Kläger über den Zusatz "haha" bzw. "hahaha" mit einer humoristischen Komponente versehen worden sei, belege die Kommunikation doch, dass der Kläger mit einem hochrangigen Mitglied des Rockerclubs freundschaftlich verbunden sei. Ferner habe der Kläger Herrn E2. via "Facebook" im Frühjahr 2017 wiederholt angesprochen und immer wieder auf ein Treffen mit Herrn E1. gedrängt. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass das beklagte Land hierbei die Nutzung des Dollar-Symbols ("$") hinter einem Hinweis des Klägers an Herrn E2. , dass ein Ausbleiben des Treffens jedenfalls ärgerlich wäre, als Indiz für geschäftliche Beziehungen des Klägers mit den Mitgliedern der C. gedeutet habe. Durch den engen Kontakt auch zu herausgehobenen Mitgliedern der C. habe der Kläger gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht in Form des Abstandsgebots verstoßen. Von einem Beamten, der sich in der Ausbildung zum Polizisten befinde, könne erwartet werden, dass er solche intensiven Kontakte in ein Milieu, dem eine Nähe zur organisierten Kriminalität vorgehalten werde und das deswegen von verschiedenen Staatsschutzbehörden unter Beobachtung stehe, unterlasse.

Diesen Ausführungen setzt der Kläger mit seinem Zulassungsantrag nichts von Substanz entgegen.

Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend gewürdigt, dass der ihm vorgeworfene enge freundschaftliche Kontakt zu der Führungsriege der C. bereits bestanden habe, bevor er sich konkret für eine Karriere als Polizist entschlossen habe, verfängt nicht. Das Verwaltungsgericht hat hierzu in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, es sei ohne Belang, ob der Kläger die genannten Personen bereits vor dem Eintritt in den Polizeidienst gekannt habe oder nicht. Denn die Kontakte hätten noch nach Eintritt in den Polizeivollzugsdienst fortgewirkt und der Kläger habe sogar selbst aktive Kontaktpflege betrieben, als er bereits im Beamtenverhältnis auf Widerruf gestanden habe. Das Gericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass bereits in dem Unterhalten der engen Kontakte in das der organisierten Kriminalität nahestehende und durch den Staatsschutz beobachtete Rockermilieu während der Ausbildung ein Verstoß gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht liegt. Daher ist es - anders als der Kläger geltend macht - rechtlich nicht von Belang, ob die Kontakte einen Einfluss auf seinen Berufswunsch gehabt haben und ob den Mitgliedern der C. aus seiner Sicht hätte "klar sein müssen, dass er im Zweifel seine Pflichten als Polizist über mögliche persönliche Kontakte stellen würde".

Auch aus den Rügen des Klägers zur Wertung seines Chat-Verkehrs mit Herrn E. durch das Verwaltungsgericht ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Mit dem Einwand, der Begriff "Bratko" habe aus seiner Sicht keine andere Bedeutung als etwa das Wort "Kumpel", stellt er die auf die objektive Bedeutung des Begriffs, die Verwendung der Bezeichnung "Bruder" und "Bro", die Geburtstagsgratulation sowie den Inhalt der weiteren Unterhaltung zwischen dem Kläger und Herrn E. gestützte Argumentation des Verwaltungsgerichts zu dem zwischen ihnen bestehenden Näheverhältnis nicht durchgreifend in Frage. Auch der Einwand, das Verwaltungsgericht habe den durch die Verwendung des Zusatzes "haha" sowie diverser "Zwinker-Smileys" durch den Kläger zum Ausdruck gebrachten "Tonfall" und Kontext der Korrespondenz außer Acht gelassen, geht fehl. Das Verwaltungsgericht hat sich mit diesem Vortrag ausdrücklich befasst und hierzu ausgeführt, der Austausch der Botschaften zwischen Herrn E. und dem Kläger belege trotz der durch den Zusatz "haha" zum Ausdruck gebrachten humoristischen Komponente, dass der Kläger mit einem hochrangigen Mitglied des Rockerclubs freundschaftlich verbunden sei, weil nicht anzunehmen sei, dass ein solcher Dialog mit einem bloß losen Bekannten geführt werden würde. Der der Entscheidung des Verwaltungsgerichts damit zugrundeliegenden Annahme, es komme auf die Ernsthaftigkeit der angedeuteten "Maulwurf-Tätigkeit" ("2gleisig Bruder haha", "Brauch ja einen, der uns deckt", "Kriegen wir bestimmt hin hahaha") nicht entscheidungserheblich an, setzt der Kläger mit seinem Zulassungsantrag nichts Substantielles entgegen.

Mit seinem Monitum, er habe in der mündlichen Verhandlung zur Verwendung des "$"-Zeichens in der Kommunikation mit Herrn E1. ausführlich erklärt, dass es sich lediglich um eine neutrale Geschäftsidee gehandelt habe, die das Gericht bei der Bewertung seines Charakters daher außer Acht habe lassen müssen, dringt der Kläger ebenfalls nicht durch. Denn das Verwaltungsgericht ist mit Blick auf die durch den Kläger in der mündlichen Verhandlung mitgeteilten weiteren Hintergründe seiner Kommunikation mit den dem Rockermilieu zuzuordnenden Personen in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass diese nichts an der rechtlichen Bewertung seiner charakterlichen Ungeeignetheit ändern. Insoweit ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass die unstreitig bestehenden Kontakte des Klägers auch zu hochrangigen Mitgliedern der C. über einen allgemeinen losen und noch hinnehmbaren sozialen Kontakt hinausgingen und auch ungeachtet ihres konkreten Hintergrunds - etwa im Sinne der vom Kläger behaupteten Information über eine "neutrale Geschäftsidee" - schon für sich genommen geeignet sind, das Ansehen des Beamtentums und das Vertrauen in die Integrität der Beamten in der Öffentlichkeit in Gefahr geraten zu lassen.

Soweit der Kläger schließlich mit Blick auf den Vorhalt des Verwaltungsgerichts, er habe den mit der Aufschrift "A.C.A.B. - ALL COPS ARE BASTARDS!" versehenen Aufkleber an seinem Computer mehr als ein Jahr lang nicht entfernt, vorträgt, es habe für ihn im Rahmen der "gutmütigen Sticheleien" durch seinen Bruder "doch überhaupt kein Handlungsbedarf" bestanden, weckt er auch hierdurch keinen ernsthaften Zweifel an seiner charakterlichen Ungeeignetheit für das angestrebte Amt eines Polizisten. Vielmehr ergibt sich daraus gerade, dass es dem Kläger - ungeachtet der wohl scherzhaft gemeinten Anbringung des Aufklebers durch den Bruder - offenbar an der von einem Polizeibeamten zu fordernden Einsicht in die Untragbarkeit der mit dem Aufkleber verbundenen Aussage fehlt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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