VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29.09.2021 - 5 L 2709/21.F
Fundstelle
openJur 2021, 31207
  • Rkr:

Niemand, der sich durch eine auf § 32 i.v.m. § 28 Abs. 1, § 28a IfSG gestützte selbstvollziehende Rechtsverordnung in seinen eigenen Rechten verletzt sieht, ist gehalten, sich zum Fürsprecher des betroffenen Personenkreises aufzuschwingen und auch für andere eine Normenkontrolle herbeizuführen (Bestätigung und Fortführung Beschlüsse vom 16. März 2021 - 5 L 623/21 -, 1. April 2021 - 5 L 817/21.F -, 13. April 2021 - 5 L 902/21.F - und vom 20. April 2021 - 5 L 1071/21.F-).

Der Verordnungsgeber hat es in der Dritten Verordnung zur Änderung der Coronavirus-Schutzverordnung versäumt, wie es § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG erfordert, dazulegen, aus welchem Grund ausgerechnet und einzig Verkaufsstätten und ähnlichen Einrichtungen im Sinne von § 21 CoSchuV von dem 2G-Zugangsmodell ausgenommen werden sollen.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin einstweilen berechtigt ist, ihre Verkaufsstelle/Filiale in der A-Straße, B-Stadt, gemäß § 26a der Corona-Schutzverordnung des Landes Hessen vom 22. Juni 2021 in der Fassung durch Art. 1 Nr. 20 der Verordnung vom 13. September 2021 (GVBl. S. 571) unter der Umsetzung des 2G-Zugangsmodells ohne die zusätzlichen Beschränkungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 5 der Corona-Schutzverordnung zu betreiben

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungs-fähig.

Der Streitwert wird auf 5 000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin betreibt in der A-Straße in B-Stadt eine Filiale und damit eine Verkaufsstelle zur Ausstellung und zum Vertrieb von Grills, Grillzubehör sowie Produkten im Zusammenhang mit dem Thema Grillen. An dem Standort werden Beratungen zu diesem Thema sowie Waren zum stationären Verkauf an Verbraucher angeboten. Für den Betrieb der Filiale hat die Antragstellerin ein umfassendes Hygienekonzept erarbeitet, das auf die Anforderungen des § 5 der Verordnung zum Schutz der Bevölkerung vor Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV 2 (CoSchuV) des Landes Hessen vom 22. Juni 2021 in der seit dem 16. September 2021 gültigen Fassung ausgerichtet ist.

Die Antragstellerin beabsichtigt, freiwillig und überobligatorisch in ihrer Filiale das 2G-Zugangsmodell einzuführen und nur noch vollständig geimpfte sowie genesene Personen in ihre Verkaufsstätte einzulassen, sowohl um ein besonders hohes Schutzniveau in ihrer Verkaufsstätte zu erreichen als auch um ihre Mitarbeiter hinsichtlich des Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Maske i.S.d. § 2 CoSchuV zu entlasten. Weiter geht es der Antragstellerin darum, durch diese Maßnahme den Kunden wieder normale Einkaufs- und insbesondere Beratungsmöglichkeiten zu verschaffen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 20. September 2021 kündigte die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner an, in ihrer Filiale die 2G-Regelung einzuführen. Zur Begründung führte sie aus, dass sie als Einzelhandelsunternehmen nach § 26a CoSchuV zwar nicht verpflichtet sei, die 3G-Regelung umzusetzen, aber im Rahmen ihrer freien unternehmerischen Entscheidung berechtigt sei, die strengere 2G-Regelung umzusetzen, obwohl für den Einzelhandel ein Hygieneschutzkonzept nach § 5 CoSchuV ausreichend wäre. Da kein Unterschied zwischen dem Einzelhandel und den in § 26a CoSchuV aufgeführten Betrieben bestehe, sei der Einzelhandel denklogisch von der Regelung des § 26a CoSchuV miterfasst, denn wenn solche Betriebe privilegiert seien, die schon verpflichtend die 3G-Regelung umsetzen müssten, so müsse dies im Umkehrschluss erst recht für solche Betriebe gelten, die eine solche Verpflichtung von vornherein gar nicht betreffe. Eine Antwort seitens des Antragsgegners erfolgte darauf nicht.

Am 24. September 2021 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den C-Kreis beantragt, durch die der Betrieb ihrer Verkaufsstelle dahin geregelt werden soll, dass sie nicht den Einschränkungen der § 2 Abs. 1 Satz 1 sowie § 5 CoSchuV unterliege.

Die Antragstellerin befürchtet bei einer weiteren Bindung an die Maskenpflicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 6 CoSchuV wirtschaftliche Einbußen sowie einen Reputationsschaden. Da sich derzeit wieder eine Verschärfung der pandemischen Situation abzeichne, müsse davon ausgegangen werden, dass die zusätzlichen Beschränkungen auf unabsehbare Zeit gelten würden und daraus entstehende Nachteile irreversibel seien. Es gebe keine Hinweise für ein erhöhtes Infektionsgeschehen im Einzelhandel. Vielmehr habe eine Studie des BGHW das Gegenteil festgestellt. Die Regelung des § 26a CoSchuV stelle einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) dar und verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ergänzend verweist sie zur Begründung auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 30. April 2020 - 1 S 1101/0 -, durch den die Antragstellerin sich bestätigt sieht.

Die Antragstellerin beantragt,

festzustellen, dass die Antragstellerin einstweilen berechtigt ist, ihre Verkaufsstelle/Filiale in der A-Straße B-Stadt, gemäß § 26a der Corona-Schutzverordnung des Landes Hessen vom 22. Juni 2021 in der Lesefassung vom 16. September 2021 unter der Umsetzung des 2G-Zugangsmodells ohne die zusätzlichen Beschränkungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 5 der Corona-Schutzverordnung zu betreiben,

hilfsweise,

dem Antragsgegner einstweilen zu untersagen, der Antragstellerin den Betrieb der im Hauptantrag bezeichneten Verkaufsstelle/Filiale gemäß § 26a der Corona-Schutzverordnung des Landes Hessen vom 22. Juni 2021 in der Lesefassung vom 16. September 2021 unter Umsetzung des 2G-Zugangsmodells ohne die zusätzlichen Beschränkungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 5 der Corona-Schutzverordnung untersagen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hält ein Feststellungsbegehren wie das Vorliegende nicht für statthaft. Die Feststellung der Unverbindlichkeit der sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 5 CoSchuV enthaltenen Einschränkungen für den Betrieb der Antragstellerin sowie der Rechtswidrigkeit des § 26a CoSchuV, sei im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO zu verfolgen. Darüber hinaus sei der Antrag auch unbegründet. Der Bereich des Einzelhandels sei von dem Verordnungsgeber bewusst von der Ermöglichung der Anwendung der 2G-Regelung ausgeschlossen worden, um weiterhin der gesamten Bevölkerung den Zutritt hierzu zu gewähren und es den Betreibern weiterhin zu ermöglichen, sämtlichen potentiellen Kunden Zutritt zu ihren Ladengeschäften zu gewähren und damit nicht erneut wirtschaftliche Verluste zu erleiden. Die Möglichkeit der Anwendung der 2G-Regelung auf den Einzelhandel sei mehrfach politisch diskutiert und verworfen worden. Eine rechtswidrige Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht erkennbar, da der gesamte Einzelhandel ausgeschlossen sei und die Antragstellerin in keinem Wettbewerbsverhältnis zu den Berechtigten des § 26a CoSchuV stehe. Vielmehr sei die unterschiedliche Behandlung des Einzelhandels und der in § 26a CoSchuV genannten Betriebe und Veranstaltungen durch den Verordnungsgeber bewusst gewählt und beabsichtigt. Insgesamt sei der Vortrag der Antragstellerin - auch im Hinblick auf vorangegangene Verwaltungsstreitverfahren - widersprüchlich.

Mit Beschluss vom 24. September 2021 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main dem Verfahren die Gemeinde B-Stadt beigeladen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, der zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden ist.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig (A.) und begründet (B.), weshalb die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen sind (C.) und wobei der Streitwert mit dem Auffangstreitwert festzusetzen ist (D.).

A.

Der Antrag ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Gegenüber einem (negativen) Feststellungsantrag, mit dem subjektive Rechtspositionen geltend gemacht werden und der nicht auf die Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Norm gerichtet ist, entfaltet insbesondere § 47 VwGO keine Sperrwirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 19.09 -, BVerwGE 136, 54 <57>= NVwZ 2010, 1300 <1301 f.> = juris, Rn. 24 f. m.w.N.). Notwendig, aber auch hinreichend ist ein streitiges konkretes Rechtsverhältnis, d.h. es muss in Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits überschaubaren Sachverhalt streitig sein. Das ist hier der Fall. Rechtsverhältnisse, die durch selbstvollziehende Rechtsverordnungen begründet sind, bilden nach der gegenwärtigen Rechtslage keinen exklusiven Gegenstand der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 15 HessAGVwGO durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Dies gilt insbesondere für die Vollzugsebene, wenn die Normbefolgung konzeptionell nicht im Wege der Verwaltungsvollstreckung, sondern des Ordnungswidrigkeitsverfahrens erzwungen werden soll. Die Verwaltungsgerichtsordnung ordnet nirgends einen Vorrang der prinzipalen Normenkontrolle an, weder hinsichtlich der in § 43 Abs. 2 Satz 1, § 111 Satz 1, § 113 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4, § 169 Abs. 2, § 191 Abs. 1 VwGO angeführten allgemeinen Leistungsklage noch der nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegenüber der Gestaltungs- oder Leistungsklage subsidiären Feststellungsklage. Ein solcher Vorrang würde sich auch schwerlich in das prinzipiell auf subjektive Rechtsschutzgewährung ausgerichtete Klagesystem der Verwaltungsgerichtsordnung einfügen. Weder der Bundesgesetzgebung (vgl. BTDrs. III/55 S. 32, wo zur Subsidiarität der Feststellungsklage der Normenkontrollantrag gerade nicht angeführt wird, und S. 33 f., BTDrs. 3/1094 S. 6, wo auf die Beschleunigung des Rechtsschutzes, die Rechtsklarheit und die ökonomische Gestaltung des Prozessrechts abgestellt wird; BTDrs. 7/4324 S. 6, BTDrs. 7/5492) noch der hessischen Ausführungsgesetzgebung (vgl. LTDrs. 4/939 S. 7, LTDrs. 8/3256 S. 7 bis 9, wo die mögliche Vorverlagerung der Rechtsschutzmöglichkeit betont wird) ist zu entnehmen, dass die Möglichkeit der prinzipalen Normenkontrolle individuelle Rechtsschutzmöglichkeiten einschränken sollte. Umgekehrt sollten unter Beibehaltung der in süddeutschen Verwaltungsgerichtsgesetzen vorgesehenen Möglichkeit der abstrakten Normenkontrolle (vgl. für Hessen § 25 VGG in der Fassung vom 30. Juni 1949, GVBl. S. 137) die Rechtsschutzmöglichkeiten verbessert werden. Bei der gegenteiligen Rechtsansicht, auf die sich auch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration in seiner Äußerung vom 16. April 2021 bezieht, handelt es sich um eine richterliche Rechtsfortbildung, die der aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG hergeleiteten Garantie effektiven Rechtsschutzes entgegenarbeitet. Denn dürften Rechtsschutzsuchende nur den Weg der prinzipalen Normenkontrolle gehen, um an vorläufigen Rechtsschutz zu gelangen, spielten ihre eigenen Rechte nur bei der Antragsbefugnis eine Rolle (Schoch/Schneider VwGO/Panzer, 40. EL Februar 2021, VwGO § 47 Rn. 44), darüber hinaus wäre lediglich die objektive Rechtskontrolle maßgeblich (a.a.O. Rn. 88). Niemand, der sich durch eine selbstvollziehende Rechtsverordnung in seinen eigenen Rechten verletzt sieht, ist indes gehalten, sich zum Fürsprecher des betroffenen Personenkreises aufzuschwingen und auch für andere eine Rechtskontrolle herbeizuführen. Die Antragstellerin will geklärt wissen, wie die Corona-Schutzverordnung den Betrieb ihrer Verkaufsstelle regelt. Die Anwendung dieser Verordnung ist Sache der unteren Gesundheits- und, soweit sie in § 27 Abs. 1 CoSchV ausdrücklich angeführt sind, auch der Ordnungsbehörden und damit sowohl des Antragsgegners als Träger der Gesundheitsbehörde als auch der Beigeladenen als Träger der Ordnungsbehörde. Da die Corona-Schutzverordnung selbstvollziehend, also nicht darauf angelegt ist, dass ihre Geltung durch einen zwischengeschalteten Verwaltungsakt konkretisiert wird, gegen den Rechtsbehelfe gegeben wären, sondern ihre Beachtung durch Bußgelder nach § 28 Nr. 18 CoSchuV - nicht primär im Wege des Verwaltungszwangs - erzwungen werden soll, ist der Antragstellerin eine Klärung im ansonsten verbleibenden Ordnungswidrigkeitsverfahren nicht zuzumuten (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 18. Dezember 2018 - 1 BvR 2795/09 -, BVerfGE 150, 309 <327 f.> = NJW 2019, 842 <843> Rn. 45). Wegen der Zuständigkeit des Antragsgegners für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten aus § 5 Abs. 4 des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst (HGöGD) besteht hieran auch ein Feststellungsinteresse (vgl. BVerfGE a.a.O. <328> Rn. 47).

B.

Der Antrag ist begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der hier allein in Betracht kommt, kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs und der Grund für die notwendige vorläufige Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO). Danach bestehen gegen den Ausschluss von Verkaufsstätten und ähnlichen Einrichtungen i.S.d. § 21 CoSchuV in § 26a CoSchuV durchgreifende Zweifel, da der Verordnungsgeber dem Begründungserfordernis aus § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG nicht hinreichend nachgekommen ist. Gleichfalls bestehen durchgreifende Zweifel hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Nach § 2 Abs. Satz 1 Nr. 6 der Verordnung zum Schutz der Bevölkerung vor Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV 2 (Coronavirus-Schutzverordnung - CoSchuV) vom 22. Juni 2021 (GVBl. S. 282), die zuletzt durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Coronavirus-Schutzverordnung vom 22. September 2021 (GVBl. 585) geändert worden ist, wobei sich diese Änderungen für die hier entscheidende Frage nicht auswirken, ist in innenliegenden Publikumsbereichen des Groß- und Einzelhandels eine OP-Maske oder Schutzmaske der Standards FFP2, KN95, N95 oder vergleichbar ohne Ausatemventil (medizinische Maske) zu tragen.

Im Gegensatz zu Verkaufsstätten und ähnlichen Einrichtungen nach § 21 CoSchuV unterliegen Veranstaltungen und Angebote nach §§ 16 bis 20 sowie §§ 22 bis 26 CoSchuV teilweise der Beschränkung, dass diese nur zulässig sind, sofern nur Personen mit Negativnachweis nach § 3 CoSchuV anwesend sind. Verkaufsstätten und ähnliche Einrichtungen nach § 21 CoSchuV sind von der Zulassungsbeschränkung nur geimpfter, genesener oder negativ getesteter Personen ausgenommen und unterliegen nur der Beschränkung, dass für den Publikumsbereich ein Abstands- und Hygienekonzept nach § 5 CoSchuV vorliegt und umgesetzt wird, sowie der Verpflichtung aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 CoSchuV.

Durch Art. 1 der Dritten Verordnung zur Änderung Coronavirus-Schutzverordnung vom 13. September 2021 (GVBl. S. 571) wurde § 26a CoSchuV in die Verordnung zum Schutz der Bevölkerung vor Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV 2 (Coronavirus-Schutzverordnung - CoSchuV) vom 22. Juni 2021 (GVBl. S. 282) aufgenommen:

§ 26a

Option für den Zugang ausschließlich für Geimpfte und Genesene

1Sind bei Veranstaltungen und Angeboten nach § 16 Abs. 1 und 4, den §§ 17 bis 20 sowie 22 bis 26 ausschließlich Personen mit Negativnachweis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 und Kinder unter zwölf Jahren mit Negativnachweis nach § 3 zugegen, entfallen die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske nach § 2 Abs. 1 Satz 1, die Notwendigkeit eines Abstands- und Hygienekonzepts nach § 5 sowie Kapazitätsbegrenzungen (2G-Zugangsmodell). 2Die Veranstalterin oder der Veranstalter oder die Betreiberin oder der Betreiber haben sicherzustellen, dass nur nach Satz 1 berechtigte Personen eingelassen werden und dass auf den Ausschluss anderer Personen durch gut sichtbare Aushänge hingewiesen wird.

Unter Anwendung des 2G-Zugangsmodells entfällt daher für Veranstaltungen und Angeboten nach § 16 Abs. 1 und 4, den §§ 17 bis 20 sowie 22 bis 26 CoSchuV, soweit bei diesen ausschließlich Personen mit Negativnachweis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 und Kinder unter zwölf Jahren mit Negativnachweis nach § 3 zugegen sind, die Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Maske nach § 2 Abs. 1 Satz 1 sowie die Notwendigkeit eines Abstands- und Hygienekonzepts nach § 5 sowie Kapazitätsbegrenzungen. Der ebenfalls unter den § 21 CoSchuV fallende Einzelhandel - und damit auch die Antragstellerin - ist hingegen ausdrücklich von der Regelung ausgenommen und daher nicht verpflichtet, eine 3G-Zugangsregelung umzusetzen, aber auch nicht berechtigt, durch Anwendung des 2G-Zugangsmodells auf die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 sowie § 5 CoSchuV zu verzichten.

Nach § 28a Abs. 5 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) sind Rechtsverordnungen - wie die Corona-Schutzverordnung -, die nach § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 und § 28a Abs. 1 IfSG erlassen werden, mit einer allgemeinen Begründung zu versehen und zeitlich zu befristen. Diesen Anforderungen genügt die Coronavirus-Schutzverordnung bezogen auf § 26a CoSchuV nicht.

Die Begründungspflicht des § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG dient nach dem Willen des Gesetzgebers dazu, die wesentlichen Entscheidungsgründe für die getroffenen Maßnahmen transparent zu machen und damit insbesondere der Verfahrensrationalität und der Legitimationssicherung. Sie soll als prozedurale Anforderung den Grundrechtsschutz durch Verfahren gewährleisten. Innerhalb der Begründung soll erläutert werden, in welcher Weise die Schutzmaßnahmen im Rahmen eines Gesamtkonzepts der Infektionsbekämpfung dienen; eine empirische und umfassende Erläuterung ist nicht geschuldet. Die Begründung ist möglichst zeitnah nach Erlass der Rechtsverordnung zu veröffentlichen (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom 16. November 2020, BT-Drs. 19/24334, S. 74).

Die Begründung des neu eingefügten § 26a CoSchuV der Dritten Verordnung zur Änderung der Coronavirus-Schutzverordnung vom 13. September 2021 lautet wie folgt:

Zu Nr. 19 (neu § 26a - Option für den Zugang ausschließlich für Geimpfte und Genesene

Künftig ist es möglich, weitgehend von den Hygienevorgaben und Einschränkungen der Corona-Schutzverordnung befreit zu sein, soweit bei den in der Vorschrift genannten Veranstaltungen und Angeboten allein Personen, die entweder vollständig geimpft oder genesen sind, und Kinder unter 12 Jahren zugegen sind. Damit wird den geringeren infektiologischen Risiken entsprechender Zusammenkünfte und Begegnungen Rechnung getragen. Immunisierte Personen sowie Kinder unter 12 Jahren haben ein signifikant geringeres Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs und damit einer Hospitalisierung. Die Aufrechterhaltung entsprechender Beschränkungen, insbesondere von Masken- und Abstandspflicht ist daher für die erfassten Veranstaltungen und Angebote, die sich auf diesen Personenkreis beschränken, nicht mehr erforderlich. Entsprechend bedarf es auch keines Abstands- und Hygienekonzepts.

Dabei hat der Verordnungsgeber zwar erläutert, dass die weitgehende Befreiung von den Hygienevorgaben und Einschränkungen der Coronavirus-Schutzverordnung den geringeren infektiologischen Risiken entsprechender Zusammenkünfte von Personen, die die Voraussetzungen der 2G-Zugangsregelungen erfüllen, Rechnung trägt und weiter aufgeführt, dass aufgrund des signifikant geringeren Risikos eines schweren Krankheitsverlaufes vollständig geimpfter und genesener Personen entsprechende Beschränkungen nicht mehr erforderlich sind. Jedoch hat der Verordnungsgeber es versäumt, wie es § 28a Abs. 5 Satz 1 IfSG erfordert, darzulegen, aus welchem Grund ausgerechnet und einzig Verkaufsstätten und ähnlichen Einrichtungen nach § 21 CoSchuV von dieser Regelung ausgenommen werden sollen. Dem Antragsgegner ist insofern zuzustimmen, dass die Einführung eines 3G- oder 2G-Zugangsmodells im Einzel- und Großhandel des Öfteren Gegenstand des politischen Diskurses war, gleichwohl führt die öffentliche Diskussion nicht dazu, dass die Ausnahme des Einzelhandels von der Privilegierungswirkung des § 26a CoSchuV keiner Begründung in der Verordnung bedarf. Es ist gleichfalls nicht offensichtlich, aus welchen Gründen der Verordnungsgeber auf die Einbeziehung der Verkaufsstätten und ähnlichen Einrichtungen nach § 21 CoSchuV verzichtet hat, sodass ein Begründungserfordernis diesbezüglich obsolet wäre. Des Weiteren ist zwar grundsätzlich nur eine allgemeine Begründung erforderlich, wird dagegen wie vorliegend einzeln ein erheblicher Bereich aus der Regelung ausgeschlossen, ist eine Darlegung zumindest der wesentlichen Gründe, aus denen Verkaufsstätten und ähnliche Einrichtungen nach § 21 CoSchuV nicht von der Möglichkeit der freiwilligen Umsetzung einer 2G-Regelung erfasst sein sollten, erforderlich.

Nicht nur, aber auch aufgrund des Begründungsdefizits bestehen weiter Zweifel, ob die Regelung des § 26a CoSchuV mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 1 BvL 14/07 - juris Rn. 40). Dabei sind ihm nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 16/11 - juris Rn. 30).

Hierbei kommt der Begründung der streitgegenständlichen Regelung des § 26a der CoSchuV nach § 28a Abs. 5 IfSG besondere Bedeutung zu. Vorliegend ist bei einer Vergleichsgruppenbildung nicht nachvollziehbar, warum der Einzelhandel, der ausweislich der seitens der Antragstellerin vorgelegten Einschätzung des Robert Koch-Instituts nur auf niedrigem Niveau das Infektionsgeschehen beeinflusst, etwa im Gegensatz zu körpernahen Dienstleistungen - wie sie beispielsweise im Bereich der Friseure, Kosmetik, Körperpflege und Prostitutionsstätten, die laut der Einschätzung ein niedriges bis hohes Infektionsrisiko ausweisen, stattfinden - oder zu Tanzlokalen, Clubs und Diskotheken, bei denen das Robert Koch-Institut von einem moderaten bis hohen Infektionsrisiko ausgeht, und die jeweils unter Anwendung des 2G-Modells auf die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske und Einhaltung eines Abstands- und Hygienekonzeptes verzichten dürfen, ein solches Konzept nicht umsetzen dürfen sollte. Denn körpernahe Dienstleistungen dürften im Hinblick auf die Nichteinhaltung des Mindestabstandes aus infektiologischer Sicht deutlich kritischer einzuschätzen sein als der Betrieb sonstiger Ladengeschäfte mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe. Dies gilt umso mehr, da der Verordnungsgeber bei Anwendung des 2G-Zugangmodells von einem signifikant geringeren Infektionsrisiko ausgeht. Selbst wenn man zugrunde legen würde, dass der Verordnungsgeber eine Zugangsbeschränkung großer Teile der Bevölkerung bei Umsetzung des 2G-Zugangsmodells im Einzelhandel unterbinden wollte, um die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, erscheint dies nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, da hier gegebenenfalls auch, wie in der Vergangenheit bereits geschehen, innerhalb der Verkaufsstätten und ähnlichen Einrichtungen nach § 21 CoSchuV zu differenzieren wäre.

C.

Als unterlegener Beteiligter hat der Antragsgegner nach § 154 Abs. 1VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und ist so kein Kostenrisiko eingegangen (§ 154 Abs. 3 VwGO).

D.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 2 GKG. Danach ist dann, wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen. Im Hinblick darauf, dass das vorläufige Rechtsschutzbegehren auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, ist nach Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013 der Streitwert nicht zu ermäßigen.

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